Durch die neuen North-Stream- und South-Stream-Pipelinesysteme zeichnet Russland die Landkarte der europäischen Energieversorgung komplett neu. Russlands Status als der führende Versorger der gashungrigen Länder Europas, einschließlich einiger wichtiger NATO-Staaten, wird die künftigen Ost-West-Beziehungen einschlägig verändern. Energieversorgung ist der Schlüssel, mit dessen Hilfe Russland auf die Weltbühne zurückkehren wird und damit sogar die NATO-Umzingelungs-Strategie aus Washington Schachmatt setzt.

Übrigens: Mehr zur militärischen Situation erfahren Sie in William Engdahls <link>letzter Serie hier auf cashkurs.

Die neue Nord Stream Gaspipeline wurde im deutschen Ostsee-Städtchen Lubmin am 8. November 2011 offiziell in Betrieb genommen. Kanzlerin Merkel, der russische Präsident Medwedew, Hollands Premier Rutte, der Französische Premierminister Fillon und der EU-Kommissar Oettinger nahmen an der Eröffnung des großen deutsch-russischen Gas-Projektes teil. Dabei handelte es sich nicht um eine Kleinigkeit. Die erste der beiden jeweils 1.224 Kilometer langen Pipelines bringt das Gas direkt von den Juschno-Russkoje-Feldern in Sibirien nach Deutschland.

Dabei war Nord Stream keinesfalls billig. Die Pipeline, die vom russischen Vyborg nahe St. Petersburg durch die Ostsee nach Deutschland läuft, kostete insgesamt mehr als 12 Milliarden Dollar (knapp 10 Milliarden Euro, je nach Wechselkurs). Sie wurde in beachtenswerter Geschwindigkeit erbaut – und das unter außergewöhnlich hohen Umweltauflagen zur Bewahrung des Lebens in der Ostsee, wie die Forderung der Baltischen Staaten lautete. Wenn Ende dieses Jahr die zweite Pipeline fertiggestellt sein wird, ist North Stream dazu in der Lage, jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter an russischem Gas zu liefern. Dies entspricht fast zehn Prozent des gesamten Gasverbrauchs in der EU oder vergleichsweise in etwa einem Drittel der gegenwärtigen Gasversorgung Chinas.

Nord Stream geht davon aus, dass es dazu in der Lage sei, genügend Energie für 56 Millionen westeuropäische Haushalte bereitzustellen. Hinsichtlich aktueller politischer Entscheidungen der EU um die Reduzierung des „ökologischen Fußabdrucks“ – der Co2-Emissionen – wird verlautbart, dass Erdgas im Vergleich zu Kohle um einen bis zu 50 Prozent niedrigeren Co2-Ausstoß bei gleichzeitig 50 Prozent höherer Energieeffizienz verfügt.

(Anm. d. Red.: Der Vollständigkeit halber soll hier erwähnt sein, dass ein gewisser Gerhard Schröder, Bundeskanzler a. D., als Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG fungiert.)

Auch wenn Moskau in dieser Hinsicht ein wenig opportunistisch auftritt, da man dort von der dürftigen Lehre der Erderwärmung nicht überzeugt ist, zögert Gazprom nicht damit, dies als cleveres politisches Verkaufsargument vorzubringen. Die EU strebt massiv nach Erdgas als Energieträger und Russland beabsichtigt, von diesem Vorstoß entscheidend zu profitieren. Neben der Versorgung Deutschlands mit sibirischem Gas wird Nord Stream ebenso nach Großbritannien, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Frankreich und Tschechien liefern.

Moskau scheint hier also einen wichtigen nicht-militärischen Joker in der Hand zu halten, wenn es darum geht, die globale geopolitische Machtbalance ein wenig mehr in die eigene Richtung zu schieben, weg von Washingtons überwältigender Dominanz. Öl und Erdgas stehen im Mittelpunkt dieser Strategie. Vor ein paar Monaten hat die russische Crude-Oil-Produktion diejenige Saudi-Arabiens eingeholt und macht nun mit 10,3 Millionen Barrels pro Tag, also fast einer Million mehr, den größten Anteil der Weltproduktion aus. [1]

Im Bezug auf bekannte Erdgasreserven ist Russland anhand gängiger Daten ohnehin mit weitem Abstand weltweit führend. Das russische Erdgas wurde seit Jahren schon mehr und mehr zur Basis einer brillanten Serie geopolitischer Initiativen. Gazprom als staatliches Unternehmen bildet das Herzstück dieser Energie-Strategie.

Um der Ost-Expansion der NATO in die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten wie Polen, Tschechien oder Rumänien sowie den vielen Versuchen seitens der USA, die Ukraine und Georgien für die NATO zu gewinnen, entgegenzuwirken, hat Wladimir Putin sowohl als russischer Präsident oder in der jüngeren Vergangenheit als Premierminister die wirtschaftliche Stärke von Gazprom als Hebelwerkzeug benutzt. Mithilfe der gigantischen Gasressourcen versucht Russland, eine stärkere wirtschaftliche Bindung an Westeuropa zu erreichen – nicht zuletzt, um damit vielleicht auch die militärstrategische Bedrohung durch die NATO ein wenig zu neutralisieren. Kein anderes Land stand dabei mehr im Fokus von Russlands Pipeline-Diplomatie als Deutschland, der frühere Kriegsfeind, wo die Nord-Stream-Pipeline hinführt.

Die Ostsee-Route der Pipeline wurde von einem deutsch-russischen Konsortium ausgewählt. Gazprom hält daran einen Anteil von 51 Prozent, der deutsche Chemiekonzern BASF über die Wintershall Holding AG 15,5 Prozent. E.On Ruhrgas besitzt weitere 15,5 Prozent. Damit verfügen die deutsch-russischen Partner über dominante 82 Prozent der Kontrolle. Um die politische Unterstützung weiterer wichtiger EU-Länder auszubauen, kamen später noch N. V. Nederlandse Gasunie aus den Niederlanden sowie GDF Suez aus Frankreich dazu, die jeweils einen Neun-Prozent-Anteil besitzen.

Der Weg durch die Ostsee wurde schließlich auch deswegen bewusst ausgesucht, um potentielle geopolitische Störungen zu vermeiden, wie sie vor einigen Jahren vorkamen, als eine Pro-NATO-Regierung in der Ukraine russische Gaslieferungen nach Westeuropa blockierte, um russische Annäherungsversuche gen Westen zu untergraben. Hinter der Ukraine befand sich der verlängerte Arm Washingtons. [2]

Wäre die Ukraine der NATO auf Drängen Washingtons beigetreten, als die „Orangene Revolution“ von 2004 in Kiew mit Wiktor Juschtschenko einen Mann Washingtons ins Präsidentenamt brachte, dann hätte sie damit eine strategische Position erreicht, um Russland auf Knopfdruck ökonomisch zu drangsalieren. Vor Inbetriebnahme der Nord-Stream-Pipeline im vergangenen November flossen knapp über 80 Prozent der russischen Gas-Exporte in EU-Länder – hauptsächlich Deutschland, Italien und Frankreich – durch das Territorium der Ukraine. Politische Instabilität und fortlaufende Einmischungsversuche der NATO in der Ukraine diktierten quasi die Entscheidung, eine neue Route durch die Ostsee hin zu den europäischen Märkten nach Deutschland zu bauen, komplett vorbei an der Ukraine und Polen. Heute stammen etwa 40 Prozent der gesamten Staatseinnahmen Russlands aus den Exporten von Öl und Gas. [3]

South Stream VS. Nabucco

Während es kaum jemanden außerhalb der Versorgungsindustrie oder spezieller politischer Interessenverbände großartig kümmerte, entfaltete sich – in etwa um dieselbe Zeit, als Nord Stream ins Spiel gebracht wurde – ein heftiger geopolitischer Kampf um ein zweites geplantes großes russisches Gazprom-Pipeline-Projekt in Richtung der EU-Länder, genannt South Stream. Die South-Stream-Pipeline soll auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlaufen, die Länder Bulgarien, Serbien, Ungarn und die Slowakei queren und dann vom südlichen Teil der EU in die westeuropäischen Märkte münden.

Um die wachsenden Verbindungen Russlands in Richtung EU aus versorgungstechnischer Sicht politisch zu kontern, stellte die EU-Kommission im Jahre 2002 mit starker Unterstützung aus Washington eine Alternative vor: Die Nabucco-Pipeline, kurioserweise nach Verdis Oper benannt. Bis heute haben die Türkei, Bulgarien, Ungarn und Österreich „prinzipiell eingewilligt“, die 3.900 Kilometer lange Pipeline zu bauen, welche dazu imstande wäre, jedes Jahr 31 Milliarden Kubikmeter Gas aus der Gegend um das Kaspische Meer und dem Nahen Osten über die Türkei nach Westeuropa zu pumpen. Die Nabucco-Partner setzen sich, stand heute, wie folgt zusammen: RWE (Deutschland), OMV (Österreich), MOL (Ungarn), Botas (Türkei), die Bulgarische Energie-Holding (Bulgarien) und Transgaz (Rumänien).

Das Problem ist nur, dass die Nabucco-Partner sich erst einmal irgendwo Gas-Ressourcen sichern müssen, um diese Pipeline zu füllen. Moskau hat das Gas des ersten offensichtlichen Versorgerlandes Aserbaidschan bereits geschickt abgeriegelt. Weiteres Erdgas aus der früheren Sowjetrepublik Turkmenistan ist durch diverse Deals mit Gazprom ebenfalls sichergestellt. Da bleibt als letzte nennenswerte Option eigentlich nur noch der Iran – und zu dessen Erwägung ist Washington politisch noch nicht bereit, um es vornehm auszudrücken.

Sowohl North Stream als auch South Stream wurden spätestens dann ins Leben gerufen, als die Regierung Juschtschenko in der Ukraine, wie gesagt mit einflussreichem hintergründigem Wirken der USA, ab 2006 zweimal den transitären Gasfluss gen Europäische Union unterbrach. Um Versorgungsstabilität zu gewährleisten, kreierte Moskau die beiden neuen Pipeline-Projekte, eben um die Ukraine zu umgehen. [4]

Das geopolitische Problem mit Nabucco ist für Washington und seine Verbündeten in Brüssel der Umstand, dass das Nabucco-Projekt bereits gestorben scheint, bevor es überhaupt richtig startet. Nicht nur hat Gazprom bereits die wichtigsten Erdgas-Quellen, inklusive Aserbaidschan, gesichert, es ist auch wesentlich kostenintensiver als sein russischer Counterpart.

Nach jüngsten Schätzungen sollen die finalen Baukosten für Nabucco fast das Doppelte derjenigen für South Stream betragen. Tamás Fellegi, Ungarns Minister für nationale Entwicklung, gab kürzlich bekannt, dass die Kosten der Nabucco-Pipeline ihre ursprüngliche Planungen um den Faktor vier übertreffen werden: „Niemand kann die finalen Kosten für Nabucco prognostizieren, aber optimistischen Schätzungen zufolge könnten diese 24-26 Milliarden Euro erreichen.“, sagte er. [5]

Vergangenen Oktober ging Gazprom einen wichtigen Schritt in die Richtung, wichtige Partner für South Stream zu gewinnen, als man mit dem größten Partner des Konsortiums, ENI aus Italien, ein Treffen in Moskau abhielt. [6]

Eine Tage zuvor im September stellte Gazprom die wichtige South-Stream-Teilnahme seines einen North-Stream-Partners aus Deutschland, BASF/Wintershall, sicher. Dies setzte den Hoffnungen auf Nabucco weiter zu, denn damit traten sie an die Seite des französischen Versorgungskonzerns EDF. Dies wiederum bescherte dem South-Stream-Projekt um Vergleich zu Nabucco, das zunehmend in der Luft hängt, entscheidend Auftrieb.

Im April 2011 gab die Türkei, zumindest auf dem Papier ein wichtiger Bestandteil Nabuccos, die Erlaubnis an Gazprom, mit ersten Offshore-Sucharbeiten für eine potentielle Unterwasser-Route für South Stream zu beginnen – immerhin ein erster Schritt, um später auch im Schwarzmeer-Seegebiet der Türkei zu bauen. Die Türkei versucht sich darin, eine neue Rolle als Versorgungsknotenpunkt zwischen der EU und weiteren Nachbarn zu spielen.

Indem man Gazprom grünes Licht gab, mit den Sucharbeiten zu beginnen, hat sich die Regierung Erdogan offensichtlich dagegen entschieden, all seine Energie-Chips auf das NATO-Nabucco-Feld zu setzen. [7]

Wird in Teil 2/2 fortgesetzt…

Fußnoten und Verweise:

[1] News Wires, Russian Output Hits Post-Soviet Highs, 2. November 2011.

[2] "Ukraine Geopolitics and the US-NATO Military Agenda”, by F. William Engdahl, Voltaire Network, 24. März 2010.

[3] Friedbert Pflüger, "Russia and Europe: Time to bury the hatchet-and embrace the market," 20. Oktober 2011, European Energy Review.

[4] RIA Novosti, "Ukraine lost reputation of reliable gas transit country – Yanukovych," 19. Oktober 2011.

[5] ABC.AZ, "Nabucco project cost to exceed value of South Stream and make it world’s most expensive gas pipeline," 24. Oktober 2011.

[6] "ENI, Gazprom CEOs discuss South Stream Development,"  17. Oktober 2011, www.offshoreenergy.com

[7] Newswires, "Turkey gives offshore permit to Gazprom for South Stream project," 11. April 2011.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"