Ist die westliche Welt nicht nur deshalb reich, weil sie die ärmeren Länder ausbeutet? Sind Reichtum und Armut nicht zwei Seiten derselben Medaille? Nein. 

Es stimmt, dass es ein großes Gefälle zwischen Arm und Reich gibt. Aber der Reichtum ist nicht schuld daran.

Unsere Schuhe werden in China genäht. Unter grausigen Bedingungen. Für vielleicht 1 Euro pro Schuh. Dann werden die Schuhe aus dem Land geholt. Ein amerikanischer Star wird bezahlt, um die Schuhe bei uns im Fernsehen zu bewerben. Er allein bekommt an einem Tag so viel wie die tausenden Näherinnen im ganzen Jahr für die Millionen Schuhe als Lohn erhalten.

Noch mehr bleibt dabei für den westlichen Konzern als Gewinn hängen. Zum Beispiel für Nike. Steuern zahlt Nike nicht. Die Paradise Papers haben kürzlich gezeigt, dass Nike ein Geflecht von niederländischen Firmen nutzt. Als Steuerschlupfloch.

Trotz dieser offensichtlichen Ausbeutung ist Nike eine "Marke" - Die Kunden zahlen bereitwillig mehr als für andere Billigschuhe. Weil sie die Marke irgendwie toll finden. Vorgänge dieser Art könnte man so beschreiben: 

Kunde verarscht, Staat verarscht, Mitarbeiter verarscht.

Die einzigen die gut wegkommen sind die Aktionäre, das Management und die hochbezahlten Werbespotdarsteller. Weil diese eine gute Verhandlungsmacht haben. Obwohl - bei so viel Verarschung würde ich mich nicht wundern wenn diese auch noch verarscht werden würden. - Entschuldigen Sie die drastische Ausdrucksweise. Musste mal sein. 

In diesem Fall sieht man wie unmoralisch Reichtum sein kann. Dennoch behaupte ich, dass er es nicht ist.

Schauen wir uns, wie in der VWL üblich, mal einen modelhaften Beispielfall an: In einem abgelegenen Dorf entdeckt ein Bauer eine Methode, um den Ertrag seiner Felder zu verdoppeln. Er wird dadurch reicher. Die anderen Dorfbewohner auch, denn sie müssen nun weniger für das Getreide bezahlen, weil es mehr davon gibt. - Aber es leben in dem Dorf neben den Handwerkern, Kindern und Alten ja auch noch andere Bauern. Sagen wir, es gäbe nur noch einen anderen Bauern. Dieser kann nun kaum mehr konkurrieren und wird wegen der fallenden Getreidepreise ärmer.

Der eine ist also reich geworden, dafür der andere arm. Aber bevor wir daraus den Schluss ziehen, dass des einen Reichtum des anderen Armut ist, sollten wir noch länger bei diesem Fall verweilen.

Ist der eine reich, weil der andere arm ist? Oder ist er nicht vielmehr nur deshalb reich, weil er so innovativ war und eine Methode entwickelt hat, wie man die Erträge pro Arbeit und Grundstück verdoppeln kann? - Also schön, er ist nicht reich wegen des Anderen Armut, aber jetzt da er reich ist, ist in der Folge der Andere arm. Das stimmt unzweifelhaft.

 Aber bleiben wir noch länger bei dem Armen. Was kann er tun? Eine Möglichkeit wäre, sein Grundstück an den Reichen zu verkaufen. Jetzt, da der andere doppelt so viel Ertrag da herausholen kann, müsste der Preis sogar gestiegen sein. Er könnte sich danach als Getreideexporteur betätigen, denn das Dorf hätte fortan einen noch höheren Überschuss und das zusätzliche Getreide nützt  dem Dorf nicht - Menschen außerhalb des Dorfes allerdings nützt es erst, wenn sie von weit entfernten Stellen aus darauf zugreifen können. Also Exporteur.

Nehmen wir aber an, er möchte kein Exporteur werden - dann gibt es viele andere Möglichkeiten. Zum Beispiel Maler. Oder Geschichtenerzähler. Jetzt wo das Dorf einen Überschuss hat, braucht er nicht mehr auf dem Feld zu arbeiten. Er kann Anderes tun und hat sogar weniger Lebenshaltungskosten als vorher.

Das illustriert für mich beispielhaft, dass Reichtum nicht notwendigerweise Armut erzeugt oder Armut voraussetzt. Sehen Sie das auch so? Ein solches Beispielmodell ist natürlich immer eine Vereinfachung. Lassen Sie es uns gerne diskutieren. Aber erstmal zurück zu den Schuhen.

1) Wenn die Westliche Welt in China keine Schuhe produzieren ließe, ginge es den Menschen dort vermutlich noch schlechter. Schließlich treffen sie ja freiwillig die Entscheidung als Näher zu arbeiten. - Eine Freiwilligkeit unter wenigen Alternativen und keine erstrebenswerte Freiwilligkeit. Aber besser als eine noch schlechtere Option - zumindest nach der Meinung der Arbeiter selbst.

2) Auch die Kunden im Westen kaufen die Schuhe freiwillig. Sie sind nicht gerade Weltmeister im Nachdenken darüber, wie die Schuhe hier herkommen und wo das Geld dafür landet, aber sie machen es freiwillig.

Ich will die Praktiken dieser Konzerne nicht verteidigen. An ihnen ist wenig Gutes dran. Trotzdem sind selbst die schlechteren legalen Praktiken der Reichtumsmehrung nicht ganz schlecht. Vermutlich entsteht so mehr Wohlstand in der Welt, als ohne. Besser ginge es anders. Aber der Reichtum an sich ist nicht schuld daran. Verantwortlich sind die Menschen selbst.

Es gibt genügend Beispiele für Reichtum, der zugleich vielen Menschen Gutes getan hat. Nicht nur durch Wohltätigkeit, sondern durch sein Entstehen schlechthin. Manche Menschen sind reich geworden, weil sie ein neues Medikament entdeckt haben, weil sie Bildung digitalisiert haben oder weil sie ein gutes Buch geschrieben haben. Dadurch wurden andere nicht ärmer.

Ein gutes Argument zum Schluss: Wenn aller Reichtum auf Armut fußte, wenn jeder nur mehr haben kann, weil ein anderer weniger hat, warum sind wir dann in den letzten Jahrhunderten so viel reicher geworden? Selbst in Afrika haben heute Menschen Handys und T-Shirts, die vor hundert Jahren nichts dergleichen hatten. Afrikanischen Staaten fehlt es an Institutionen. Das ist der Grund für ihre Armut. Nicht die Ausbeutung durch den Westen.

In einem Punkt stimmt das Denken mit den zwei Seiten der Medaille aber: Wenn der Reichtum und die Armut von vorneherein relativ zueinander definiert werden. Natürlich gibt es viel Armut in Deutschland, wenn man Armut nur als unterdurchschnittlich reich definiert. Absolut gesehen ist hierzulande kaum einer arm. Vor allem aber kann ein Mensch reicher werden ohne dass dafür ein anderer ärmer wird. - Weil er Werte schafft, die vorher nicht da waren.  

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