Künstliche Grenzen: In Südamerika herrscht weiter gemeinsames Denken

Es ist aber zwischen dem mexikanischen Juarez und Feuerland so. Jeder, der das nicht berücksichtigt, macht einen Fehler. Das gilt natürlich auch in der Beurteilung des aktuellen Krisenherdes Venezuela im Verständnis der Staaten Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Peru untereinander.

Pässe für die jeweiligen Staatsbürger mögen zwar einige Aussagekraft haben. Aber ein gemeinsames Denken herrscht immer noch vor. Das macht sich gerade zwischen Venezuela und Kolumbien bemerkbar, wo in den Grenzgebieten die Millionen Menschen gleich die Personalpapiere beider Staaten haben und die Grenze zwischen beiden Staaten für einen Akt der Willkür halten.

In diesem Denken war Caracas schon zur spanischen Zeit „die Kaserne“, Bogota in Kolumbien „das Gericht“, Quito in Ecuador „das Kloster“ und Lima in Peru „der Vizekönig“, weil von dort das gesamte Gebiet regiert wurde. Die Staaten weisen Besonderheiten aus, die vor allem in Kolumbien deutlich werden. Während andere Staaten daran verzweifeln, es mit separatistischen Elementen zu tun zu haben, gilt die mörderische Auseinandersetzung in Kolumbien mit dem Namen FARC oder ELN dem Selbstfindungsprozess bisher zu kurz gekommener Gruppen im jeweiligen politischen System.

Unbesonnene deutsche Politik

Man ist auf dem politischen Holzweg, wenn dieser unmittelbare Zusammenhang zwischen diesen Staaten in der heutigen Auseinandersetzung um Venezuela außer Acht gelassen wird. Was in Caracas geschieht, schlägt auf die anderen Staaten unmittelbar durch.

Das gilt auch für Brasilien mit seinem portugiesischen Hintergrund und seiner Schwierigkeit, mit den hauptstadtfernen Provinzen ein Auskommen zu finden. Eine Provinz Brasiliens hat allerdings Venezuela am „Kanthaken“ und dieser Umstand limitiert den Bewegungsspielraum von Brasilia ganz gewaltig.

Ob der deutsche Groß-Außenminister Heiko Maas das bei seinem Besuch in der heute „lupenreinen Demokratie“ Brasilien zur Unterstützung des Putschisten Guaidó aus Caracas im Auge hatte, darf füglich bezweifelt werden. Seitdem Berlin in der Nachfolge zu den Putschisten in Kiew den nächsten Putschisten in Venezuela unterstützt, darf Nachdenklichkeit und Besonnenheit auf deutscher Regierungsseite nicht unterstellt werden.

US-Migration: Caracas kann ungeahnte Dimensionen annehmen

Es herrscht ohnehin ein merkwürdiges Gefühl vor, wenn man sich die Lage in Caracas ansieht. Scheinbar hat alleine Mexiko begriffen, was auf dem Spiel steht, wenn man vom Weg abkommt. Die Gedanken werden von den täglichen Bildern bestimmt, die aus Caracas gesendet werden. Dennoch hat man das Gefühl, das ungleich bedeutender die Telefonate der Herren Putin und Trump in dieser Angelegenheit sind.

Die Welt kann darüber staunen, was eine öffentliche Ankündigung darüber bewirkt, man habe mal eben einhundert russische Soldaten nach Caracas auf den Weg gebracht. Der amerikanische Außenminister Pompeo darf noch rumtönen - mehr aber auch nicht.

Noch ein paar Monate werden so ins Land ziehen und die Welt wird sich fragen, ob die USA Kreide gefressen haben oder aus welchen Gründen sie sich ausgerechnet Venezuela ausgesucht haben, ihre Aggressionspolitik temporär aufzugeben. Oder ist es die Erkenntnis des klug auftretenden amerikanischen Präsidenten, dass die Migrations-Züge aus Mittelamerika nur ein Vorbote eines gewaltigen „Zuges nach Norden“ sein werden, wenn in Caracas ein Blutvergießen stattfindet, das Lateinamerika in Flammen aufgehen lässt?

So schnell kann Trump seine Grenzmauer zu Mexiko nicht bauen, wie die Konflikt-Zündung durch seinen Außenminister Pompeo die Migration über ganz Amerika fegen wird. Selbst der Nah-Ost-Konflikt ist über das libanesisch-palästinensische Siedungsgebiet in und um Ciudad del Este dann vor der amerikanischen Haustüre. Caracas hat Dimensionen, die sich kaum jemand ausdenken will.

Willy Wimmer, 6. Mai 2019

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