Es gibt gewiss eine ganze Menge Leute dort draußen, die sich bis vorgestern die Frage gestellt haben werden, auf welche Weise die Europäische Zentralbank die seit Anfang Juni zu beobachtende Fragmentierung der Zinsen in der Eurozone zu adressieren gedenkt.

Zuletzt hatte die Europäische Zentralbank über ein „neues Instrument“ gesprochen, das zum Einsatz kommen soll, falls die Zinsdifferenzen zwischen den Nord- und Südländern in der Eurozone angesichts des morgen bevorstehenden Auslaufens der eigenen Bondankäufe (QE) verstärkt auseinanderlaufen sollten.

Da voraussichtlich auch die Zinsen in der Eurozone im Monat Juli erstmals um 25 oder unter Umständen sogar fünfzig Basispunkte angehoben werden sollen, um eine in vielen Nationen außer Rand und Band befindliche Inflation „zu bekämpfen“, welche in Spanien inzwischen ein offiziell ausgewiesenes Niveau von zehn Prozent erreicht hat, erweist es sich als äußerst ungewiss, ob sich der Zinsauftrieb in Südländern wie Italien oder Spanien tatsächlich stoppen lassen wird.

Das Dilemma, in dem sich die Europäische Zentralbank befindet, wird für jedermann offensichtlich

Mittlerweile ist völlig offensichtlich, in welchem Dilemma die Europäische Zentralbank jetzt steckt. Entweder entscheiden sich die geldpolitisch Verantwortlichen in der Eurozone für den wiederholten Bailout der Südländerschiene – oder kommen ihrer obersten Aufgabe und ihrem primären Mandat zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität in der Eurozone nach.

Am Dienstag hieß es seitens der Europäischen Zentralbank und deren Chefin Christine Lagarde, sich zumindest einer QE-Teilkomponente bedienen zu wollen, falls dies notwendig werden sollte. Hierbei soll es sich um laut den Worten von Christine Lagarde um eine „erste Verteidigungslinie im Abwehrkampf“ handeln.

Wer diese Wortwahl berücksichtigt, kommt nicht umhin sich des Gedankens zu bedienen, als ob mittlerweile ein Krieg an allen Ecken und Enden in Europa zu toben scheint. Nicht nur eine zunehmend instabile Energiesituation und eine sich verstetigende Inflationskrise bei einer gleichzeitig rückläufigen Wirtschaft, sondern auch der Ausbruch einer neuen Euro- und Staatsschuldenkrise könnten die Dringlichkeitsagenda der EZB alsbald komplementieren.

Eine „erste Verteidigungslinie im Abwehrkampf“ – nichts anderes als eine Operation Twist

Ganz abgesehen von den wachsenden militärischen Spannungen im Osten Europas. Dass diese „erste Verteidigungslinie im Abwehrkampf“ ausgerechnet ab dem morgigen Tag zum Einsatz kommen soll, wenn das QE-Programm der Europäischen Zentralbank auslaufen wird, ist gewiss alles andere als ein Zufall.

Übersetzt bedeutet das, dass sich die Europäische Zentralbank „die Flexibilität beibehalten möchte, um Erträge aus auslaufenden Anleihen im eigenen PEPP-Portfolio ab dem 01. Juli zu reinvestieren“.

Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich hierbei um kein „neues Instrument“, sondern um eine Operation Twist, welcher sich die Federal Reserve Bank in den Vereinigten Staaten in der vergangenen Dekade schon einmal bedient hatte.

Wie in einem Bericht von Bloomberg zu der Verlautbarung von Christine Lagarde im portugiesischen Sintra ausgeführt wurde, habe die Europäische Zentralbank bereits seit Dezember letzten Jahres die Möglichkeit einer Reinvestition von Erträgen aus zeitlich auslaufenden Anleihen in deren Pandemie-Portfolio ins Spiel gebracht. Im Rahmen des am 15. Juni abgehaltenen Notsitzungstreffens der EZB sei diese Entscheidung dann wohl auch getroffen worden.

Grund hierfür sind wohl die bis dahin deutlich anziehenden Zinsen in den Südländern der Eurozone im Vergleich zu deutschen Bunds gewesen. Allen voran Italien und Griechenland sahen sich hiervon betroffen.

Analysten an den Finanzmärkten geben sich mit den jüngsten Erklärungen der Europäischen Zentralbank mehrheitlich augenscheinlich nicht zufrieden. Denn einmal mehr habe sich EZB-Chefin Christine Lagarde eines generösen Umgangs mit dem Begriff der Flexibilität bedient.

Es war ganz offensichtlich nicht das, was sich viele Akteure an den Finanzmärkten von einer Verlautbarung der Europäischen Zentralbank erhofft hatten. Es seien schlichtweg die Details, auf welche die EZB nach wie vor nicht eingehen wolle, wie es mancherorts hieß.

Denn bislang gab es seitens der EZB keinerlei Ankündigung zu der drängenden Frage, auf welche Weise potenziell Reinvestitionen aus Anleiheerträgen aus dem insgesamt 1,7 Billionen Euro umfassenden PEPP-Portfolio zwischen den einzelnen Ländern der Eurozone allokiert werden sollen.

Es scheint bislang nur festzustehen, dass sich die Europäische Zentralbank am dem morgigen Freitag sowohl des Quantitative Easing (QE) als auch Quantitative Tightening (QT) bedienen wird.

Und zwar QE immer dann, wenn es die Situation erfordern mag, und QT immer dann, wenn es die jeweils vorherrschende Situation möglich machen sollte. Nichtsdestotrotz sehen sich die hoch überschuldeten Südländer der Eurozone ab dem morgigen Freitag einer wachsenden Gefahr von spekulativen Attacken an den Bondmärkten ausgesetzt.

Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten gehen viele Marktteilnehmer auch mit Blick auf das Dilemma der Europäischen Zentralbank davon aus, dass die EZB ihren Leitzins in den Beginn einer Rezession in der Eurozone hinein anheben wird.

Fließt demnächst überhaupt kein Gas mehr durch North Stream 1?

Es könnte schon bald zu einem noch deutlicheren Rutsch der Wirtschaftsleistungen in den Mitgliedsländern der Eurozone kommen, falls die Russische Föderation die Pipeline North Stream 1 nach jenen zwischen dem 11. und dem 24. Juli stattfindenden Wartungsarbeiten nicht wieder hochfahren sollte.

Insbesondere die sich in Deutschland verschärfende Lage um den Energieanbieter Uniper scheint eine solche Entwicklung vorwegzunehmen. Wohl nicht von ungefähr befanden sich der deutsche Aktienmarkt wie auch viele andere europäische Aktienmärkte seit dem heutigen Handelsstart im tiefroten Bereich.

Dass die Europäische Zentralbank die Finanzmärkte im Juni auf die erste Zinsanhebung in der Eurozone seit gut zehn Jahren im Monat Juli eingestimmt hat, macht die Dinge kaum besser. Auf den zehnjährigen Zins italienischer Staatsanleihen hat sich die Ankündigung der EZB bis dato fast überhaupt nicht ausgewirkt.

Denn nach wie vor befindet sich die Zinsdifferenz zwischen italienischen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren um etwas weniger als zwei Prozentpunkte über deutschen Bunds mit gleicher Laufzeit.

Dass die Europäische Zentralbank darauf insistierte, die Inflation in der Eurozone wieder auf das eigens gesetzte Inflationsziel von zwei Prozent herunterbringen zu wollen, glauben unter Berücksichtigung der aktuellen Inflationsentwicklung im Euro-Raum wohl auch nicht mehr allzu viele Marktakteure.

Ob die Europäische Zentralbank in den nächsten Wochen ein Zusatzinstrument aus dem Hut zaubern wird, um die zunehmenden Risiken und Gefahren einer Fragmentierung an den Zinsmärkten in der Eurozone zu adressieren, bleibt abzuwarten.

Sollte eine solche Ankündigung ins Wasser fallen oder eine Ankündigung erfolgen, die den Erwartungen an den Finanzmärkten nicht gerecht werden sollte, könnte es durchaus der Fall sein, dass die EZB als nackter Kaiser ohne Kleider dastehen wird.

Schlimmstenfalls würden die Zinsdifferenzen in der Eurozone durch die Decke gehen, dann nämlich, wenn große Marktakteure von der Machtlosigkeit der EZB in einem verstärkten Ausmaß überzeugt sein sollten. Dies wäre auch der Zeitpunkt, zu dem insbesondere den Südländern der Eurozone spekulative Attacken seitens der Markt- und Bondakteure drohen würden.

Dass EZB-Direktoriumsmitglied Martin Kazaks im Rahmen der EZB-Zusammenkunft im portugiesischen Sintra erklärte, dass Reinvestitionen aus dem PEPP-Programm der EZB lediglich als Auffangnetz dienen und nur dann zum Einsatz kommen sollten, falls dies absolut notwendig werden sollte, macht die Dinge nicht besser.

Denn in einem solchen Fall würde die EZB nicht pro-aktiv handeln, um Turbulenzen an den heimischen Bondmärkten vorzubeugen, sondern die EZB würde den Ereignissen im Falle des Ausbruchs einer neuen Marktkrise schlichtweg hinterher hecheln.

Es war auch Martin Kazaks, der zusätzlich darauf hinwies, dass die der Leitzins in der Eurozone – falls nötig – auch sehr schnell angehoben werden könnte. Schon im Juli bestünde aus diesem Blickwinkel die Möglichkeit einer Anhebung des Leitzinses in der Eurozone um fünfzig, anstelle der allseits erwarteten 25, Basispunkte.

EZB-Chefin Christine Lagarde hielt zwar an ihrem Basisszenario einer Anhebung von 25 Basispunkten im Monat Juli fest, erklärte jedoch ebenfalls, dass der Leitzins in der Eurozone schneller als allgemein erwartet klettern könnte, falls die Inflation im Euro-Raum weiterhin auf hohen Niveaus verharren sollte.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt Bezug auf einen Bericht auf der Finanzseite Zerohedge.

„Was heißt das für mich konkret!?“ (Roman Baudzus)

Mancherorts wird an den Finanzmärkten, ähnlich wie mit Blick auf die amerikanische Federal Reserve Bank, damit gerechnet, dass die Europäische Zentralbank ihren Leitzins nach dem potenziellen Ausbruch einer Rezession im Euro-Raum wieder senken und dann noch tiefer in negatives Terrain befördern könnte als dies aus aktueller Sicht der Fall ist.

Wie bereits im Verlauf der vergangenen Wochen gemutmaßt, sieht sich die Europäische Zentralbank nicht nur mit dem Dilemma konfrontiert, einen für neunzehn Mitgliedsländer der Eurozone auskömmlichen Leitzins zu definieren.

Die absehbaren Turbulenzen, denen sich die EZB mit Blick auf die Bond- und Zinsmärkte unter hoher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sehen wird, drohen das primäre Mandat der EZB, nämlich die Aufrechterhaltung der Preisstabilität in der Eurozone, erneut zu durchkreuzen – und letzten Endes zu diskreditieren.

Die Europäische Zentralbank ist und bleibt Getriebene der internationalen Finanzmärkte, weshalb von einem Auslaufen und Ende von Quantitative Easing in der Eurozone wohl keine Rede sein kann. Vielmehr zeichnet sich ab, dass die EZB sich auf ewig QE wird bedienen müssen, wenn der zukünftige Erhalt des Euros gesichert werden soll.

Nur zu welchem Preis geschieht das? Wer nur in den letzten Tagen auf die Entwicklung des Euros zum US-Dollar blickte, hat erkannt, dass die Parität zur amerikanischen Währung nicht mehr allzu weit entfernt ist.

Mit jedem Cent, den der Außenwert des Euros gegenüber anderen Fiat-Währungen und Gold sinkt, verteuern sich gleichzeitig auch die Importe aus dem Ausland. Und vor allem die Preise der wichtigsten Rohstoffgüter, auf welche nicht nur die europäische, sondern allen voran die deutsche Wirtschaft, in einem hohen Maße angewiesen sind.

Politische Sanktionen, die diese essentiell notwendigen Güter dann auch noch zusätzlich im eigenen Wirtschaftsraum verteuern oder im schlimmsten aller Fälle gar unerhältlich machen, zeugen von einer Politik, die sich mit den Bedürfnissen der eigenen Bürger einfach nicht mehr deckt.

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