Da gaben sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten noch beim amerikanischen Präsidenten die Klinke in die Hand. Jetzt durfte der europäische Ober-Kriegstrommler der NATO, Herr Stoltenberg aus Norwegen, vor dem amerikanischen Kongress eine Rede halten. Diese gipfelte in der Durchhalteparole: wir stehen zusammen, kämpfen zusammen und sterben zusammen.

Eine müde Erinnerung an Durchhalteparolen, die über Jahrzehnte noch an deutschen Mauern darauf warteten, endlich der Vergangenheit anzugehören. Der Kongress war die Anlaufstelle und das aus gutem amerikanischem Grund. Es ist die den Kongress dominierende Kriegskoalition aus Republikanern und Demokraten, die die NATO noch zusammenhält.

Einhundert russische Soldaten, die gerade in Venezuela gelandet waren und ein Präsident namens Trump, der nur darauf zu warten scheint, das Totenglöcklein für eine NATO zu läuten, die er für obsolet hält: das reichte völlig für die Signalwirkung aus Washington. Dies übrigens für eine Allianz, in der man besser den Begriff: „Wertegesellschaft“ nicht mehr verwendet. Denn ein Bündnis, das Aufgabe und Rechtsgrundlage so schmählich verraten hat, wie es für die NATO gilt, hat keinen Anspruch mehr darauf, unter der Rubrik „Werte“ betrachtet zu werden.

Der Jugoslawienkrieg fand kaum Erwähnung

Schamhaftes Verschweigen hatte schon ein Ereignis ausgezeichnet, das zwanzig Jahre zuvor die NATO endgültig veranlasst hatte, die zivilisatorische Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg in der Form des modernen Völkerrechts zu den Akten zu legen.

Krieg sollte geächtet werden. Das sagt jedenfalls die Charta der Vereinten Nationen. Mit dem ordinären Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien wurde seitens der NATO diese Charta über Belgrad in Stücke geschossen. Die europäische Bevölkerung denkt heute anders über diesen Krieg, als die Regierungs- und NATO-Lügen und die entsprechenden Lügner das 1999 noch glauben machen wollten.

Man fand kaum eine Erinnerung an diesen Krieg, der nach amerikanischer Vorstellung den Krieg wieder nach Europa zurückbringen sollte. Ein Krieg, der die Charta von Paris mit dem europäischen Versprechen zur Zusammenarbeit und Frieden auf Dauer beseitigen sollte. Der 24. März 1999 hat Europa wieder auf das Niveau des 1. September 1939 absinken lassen. Auch an dieses Datum wird in diesem Jahr in besonderer Weise gedacht.

Angriffskriege: Das Kains-Mal des Grundgesetzes

Aber diesen Krieg kann man nicht nur an der NATO festmachen. Das zeigt die besondere Erinnerung an das Jubiläum des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, das am 23. Mai 2019 ansteht. Siebzig Jahre ist es her, dass eine der modernsten Verfassungen bis heute weltweit für unser staatliches Leben bestimmend wurde.

Viele Einflüsse kamen hier zusammen, aber auch die Konsequenzen aus jahrhundertelangem demokratischem Leben in allen Teilen Deutschlands, das am Boden lag, als das Grundgesetz verkündet wurde. Jetzt sollte Deutschland dem „Frieden in der Welt dienen“ und hoch und heilig wurde versprochen, sich keinesfalls mehr an einem Angriffskrieg zu beteiligen.

Selbst im später verabschiedeten Soldatengesetz findet sich die Anbindung an die Charta der Vereinten Nationen mit diesem rechtlich-politischen Ansatz. Diejenigen, die den Anstoß dafür gegeben hatten, das Grundgesetz aufzulegen, waren die ersten, die wieder den Anstoß für einen ordinären Angriffskrieg gegen ein Gründungsmitglied der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, eben Jugoslawien gaben.

Das ist das Kains-Mal für die Festivitäten zum diesjährigen „Siebzigsten“, wenn es um unser Grundgesetz geht. Das ist von einer derartigen Güte, dass berechtigte Zweifel daran bestehen, es heute noch einmal auf die Beine stellen zu können. Man muss sich nur das entsprechende Personal ansehen. Aber: sie werden sich wieder von der Sonne des Grundgesetzes bei den Festreden bescheinen lassen und anschließend zum nächsten Angriffskrieg schreiten. Allerdings, vermutlich nicht ohne sich vorher von der schwärzesten deutschen Zeit hinlänglich zu distanzieren.

Die wahren Ziele von Versailles werden ersichtlich

Das geneigte deutsche Publikum wird sich schon einen Reim darauf machen, welche Gangart die Berliner Repräsentanten gut einen Monat später einlegen werden. Dann geht es jedenfalls darum, sich an die Manifestation des europäischen Verhängnisses, Versailles 1919, heranzumachen. Das ist keine ferne Geschichte.

Der Traditionserlass der Bundesverteidigungsministerin atmet bis heute in der Behandlung deutscher Soldaten den Propagandageist der Sieger des Ersten Weltkrieges, der sich in Versailles austoben und das Schicksal des deutschen Volkes bestimmen sollte. Hatte Christopher Clark schon vor Jahren dekretiert, dass alle europäischen Staaten schlafwandlerisch in den Ersten Weltkrieg geradezu getaumelt waren, zeigte der deutsche Historiker und Publizist Wolfgang Effenberger zusammen mit internationalen Autoren die Sonderverantwortung britischer und französischer Kreise für das gezielte Angehen zum Ersten Weltkrieg auf.

Wenn schon Alleinverantwortung, dann auf Seiten dieser Kreise, aber keinesfalls für die Mittelmächte, die wie Österreich-Ungarn und Deutschland auf die „vierzehn Punkte“ des amerikanischen Präsidenten Wilson gebaut hatten, als sie dem Krieg ein Ende setzten. Die harsche Antwort in Versailles war die geschichtsferne Behauptung und vergiftete Feststellung, die Mittelmächte wären alleine für den Ersten Weltkrieg verantwortlich.

Nicht nur, dass wir bis vor einigen Jahren die daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen abstottern mussten. Versailles war der garantierte Zugang zum nächsten europäischen Krieg. Für Deutschland bedeutete dies: ohne Versailles kein Hitler und ohne Hitler kein Zweiter Weltkrieg. Die Besetzung deutschen und russischen Territoriums nach 1918 und dem offiziellen Kriegsende machte dabei jedem klar, wo seither das wahre Ziel von Versailles lag und liegt.

Europa steht heute am gleichen Punkt wie 1939

Wenige Wochen nach der offiziellen Erinnerung an Versailles und die dort geplante Verheerung Europas und der Welt, wird man sich mit dem Krieg Deutschlands gegen Polen, der am 1. September 1939 seinen Anfang nahm, beschäftigen. Die in diesen Monaten erhobenen Forderungen in Polen auf Zahlungen wegen dieses Krieges werden ein Übriges tun, um das gesamte Spektrum der in Versailles angelegten Konsequenzen zu betrachten.

Vermutlich werden in diesem Zusammenhang auch die Entscheidungen der deutschen Bundeskanzlerin zur Schutzlosigkeit deutscher und europäischer Grenzen vom September 2015 sowie Entscheidungen des Bonner Parlamentes zur endgültigen Grenze zwischen Polen und Deutschland in die Diskussion einbezogen werden. Gewiss ist allerdings, dass durch den NATO-Krieg gegen Jugoslawien Europa wieder dort angekommen ist, wo es in der Kriegsfrage am 1. September 1939 stand. Das grenzenlose Elend des durch den Krieg gegen Polen eingeleiteten Zweiten Weltkrieges hat für Europa keine Konsequenzen, wenn es nach der heutigen NATO geht.

Verspielte Friedenschancen

Die Abrundung dieses Jahres der Gedenktage wird der 9. November 1989 mit dem Fall der Mauer und der Beendigung der Teilung Europa darstellen. Dabei gibt es eine Gewissheit, die nicht tröstlich stimmt. Wir haben das Erbe und unsere Chancen auf einen dauerhaften Frieden in Europa und vor allem mit dem russischen Volk bedenkenlos verspielt. NATO sei Dank.

Willy Wimmer, 11. April 2019
                                                                         

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