Im Gegensatz zu Staats- und Regierungschefs anderer am Ersten Weltkrieg beteiligter Staaten wird die deutsche Kanzlerin keinen Soldatenfriedhof aufsuchen, den deutschen Gefallenen diese Ehre verweigern. Fast scheint es so, dass 100 Jahre nach der Jahrhundertkatastrophe zwar Platz für die Erinnerung ist, doch ein Schleier die schicksalhaften Ereignisse noch immer kaschieren soll.

Angeblich rutschten die europäischen Staaten ja schlafwandlerisch in den Ersten Weltkrieg, doch neuere Forschungen und freigegebenes Archivmaterial belegen, dass sie von bestimmten Kräften geradezu hineinorchestriert wurden. Ziel war die Ausschaltung Deutschlands und Österreich-Ungarns; es galt, zwei in jeder Hinsicht prosperierende Staaten möglichst von der Landkarte zu tilgen.

Über die Waffenruhe am 8. November 1918, den Waffenstillstand am 11. November 1918, Versailles und später Hitler sollte weitaus mehr gelingen. Einen Weltkrieg weiter, der zur bedingungslosen deutschen Kapitulation und der fast vollständigen Vernichtung der Substanz der Sowjetunion geführt hatte, steht die Koalition der Kriegswilligen erneut an den Grenzen Russlands – Deutschland als Spielball mittendrin.

Vor wenigen Wochen ließ sich die amerikanische NATO-Botschafterin öffentlich so vernehmen: Deutschland sei gleichsam die Rolle zugefallen, die westliche Front gegen Russland anzuführen. Dabei wäre es nicht von Bedeutung, was im letzten Jahrhundert so alles geschehen sei. Deutschland sei heute in der Lage, mit dieser Aufgabe fertig zu werden. Bei der Herbsttagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen waren vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump andere Töne zu hören. Zwar hatte die kombinierte britisch-amerikanische Medienfront, bestehend aus BBC und CNN dafür gesorgt, dass sich die Welt über das Gelächter amüsierte, das während der Rede von Präsident Trump über seine grandiosen Leistungen im UN-Plenum zu hören gewesen war. Wenn man allerdings an den Text herankam, dann staunte man über eine fulminante Friedensrede, in der jedem Staat auf diesem Globus gleichsam das ewige Recht zugebilligt wurde, im preußischen Sinne „nach seiner Fasson selig werden zu können“. Da hatten die Worte der NATO-Botschafterin plötzlich keine Bedeutung mehr. Aber ist das wirklich so, dass amerikanische Aussagen auf höchster staatlicher Ebene so auseinanderfallen und dennoch glaubwürdig sein können? Mit was haben wir es überhaupt zu tun, wenn wir Stimmen aus Washington vernehmen, die an uns in den anderen Teilen der Welt gerichtet sind? War das, was Präsident Trump in New York verkündete, eine Fata Morgana, eine Verheißung für die kommende Welt? War diese Rede die Abkehr von einer amerikanischen Politik, wie sie mit den Vierzehn Punkten des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson im Herbst 1918 verkündet worden war und im Sommer 1919 mit dem Diktat von Versailles ihre Vollendung fand, um mittels einer Kriegslist das kaiserliche Deutschland zu veranlassen, die Waffen zu strecken, ohne besiegt worden zu sein? Wie ist es von Präsident Trump gemeint, wenn er sich für sein eigenes Land jenen Respekt erhofft, den er selbst in New York anderen Staaten gegenüber zu erbringen zugesagt hatte?

Diese Fragen sind für Deutschland von allergrößter Bedeutung. Nicht nur, weil Deutschland in den zurückliegenden 100 Jahren ein besonderes Objekt der amerikanischen globalen Politik gewesen ist. Sondern auch, weil die USA über den Zweiten Weltkrieg – mit der besonderen Unterstützung Großbritanniens –, tatkräftig daran gehen konnte, das besiegte und in jeder Hinsicht am Boden liegende Deutschland nach ihren Vorstellungen politisch umbauen und für die eigenen Zwecke instrumentalisieren konnte. Die Reichweite dieser Vorgehensweise war grandios, denn sie umfasste auch jene Komponente, die bereits während des Ersten Weltkrieges eine wesentliche Grundlage für den amerikanischen Kriegseintritt 1917 gegen die Mittelmächte Österreich-Ungarn und das kaiserliche Deutschland gewesen war: Unvergessen ist, dass zu Beginn des Ersten Weltkrieges weite Teile der internationalen jüdischen Gemeinschaft aus eigener Motivation vor allem auf der Seite des Deutschen Kaiserreiches standen, sehr zum Verdruss der damaligen Kriegsgegner Frankreich und Großbritannien. Das änderte sich erst über das berüchtigte Sykes-Picot-Abkommen des Jahres 1916 und dem Ruf nach einer jüdischen „Heimstatt Palästina“. Dieser Forderung aus dem Programm der Kriegsgegner konnte und wollte das kaiserliche Deutschland wegen seiner Bündnisverpflichtungen gegenüber dem Osmanischen Reich nicht entsprechen. Die Ergebnisse sind bekannt, darunter auch der danach möglich gewordene Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1917 an der Seite der Entente gegen die sogenannten Mittelmächte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ergaben sich aus diesem gesamten Zeitabschnitt jene Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber Deutschland, über die man sich heute im Klaren sein muss. Letztlich auch die Zahlung aller drakonisch auferlegten Kriegsschulden an die Entente-Staaten, die bis auf den letzten Heller 2012 endlich vollends abbezahlt worden waren.

Was ist unter diesen Umständen amerikanischer Einfluss auf Deutschland? Das kann theoretisch und auch wissenschaftlich erörtert werden. Ich ziehe es vor, die Dimension dieses Einflusses vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrung – in politischen Funktionen und bei staatlichen Aufgaben – zu beleuchten. In den Jahren seit 1976, die ich dem Deutschen Bundestag bis 2009 angehören konnte, kam so einiges zusammen, sowohl national als auch global. Mir war es möglich, als Bundestagsabgeordneter zwischen dem japanischen Hokkaido und dem argentinischen La-Plata-Fluss meine eigenen Schwerpunkte zu setzen und im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung als Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium für die Zusammenarbeit mit der Roten Armee politisch verantwortlich zu sein. Für die letzte große NATO-Stabsrahmenübung Wintex/Cimex im Frühjahr 1989 – und damit im Kalten Krieg – war ich deutscher Verteidigungsminister (üb.), die nach Migrationsströmen quer durch Westeuropa davon ausging, konventionell wie nuklear gegen die Rote Armee ausgefochten zu werden, deren Frontbefehlshaber wenige Monate meine besten Partner und oft genug auch meine guten Freunde geworden waren. Warum war diese Übung in meinem Urteil und für mein weiteres Leben so wichtig? – Ich konnte ermessen, von welchem Wert meine Heimat und damit das deutsche Vaterland für die Militärplanung unter amerikanisch-britischer Dominanz hatte.

Geradezu auf die Spitze getrieben wurde das mit einem planerischen Nukleareinsatz gegen Potsdam und Dresden. Von mir, einem Deutschen, verlangte die NATO einen Atomwaffeneinsatz gegen Dresden, das Zauberbild einer deutschen Stadt, und dramatisches Opfer am Ende des Zweiten Weltkrieges. Ich bin zwar weit davon entfernt, als Rheinländer mehr als Respekt den Preußen und damit Potsdam zu zollen. Beides aber ging nach meiner Sicht überhaupt nicht. Auf meine Bitte hin hat der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl sofort die Übung verlassen, weil die Planung der NATO mit nationalen deutschen Interessen nicht zu vereinbaren war. Für mehrere Tage übte die NATO weiter und aus unseren „Schornsteinen kam weißer Rauch“. Dennoch war der Erkenntniswert wegen meiner Tätigkeit im Rahmen der Übung von allergrößter Bedeutung. Vor allem deshalb, weil die über Jahre entstandenen verbindlichen Dokumente der NATO jetzt mit ihren Worten und Auslegungen dem Test der Praxis unterworfen wurden. Was bedeuteten bestimmte Formulierungen bei der Festlegung nuklearer Ziele? Bis zu welchem Maße wurden deutsche Überlegungen überhaupt berücksichtigt und trafen auf das strategische amerikanische Interesse, aus einem Konflikt in Europa nicht eine unmittelbare Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion werden zu lassen? Wo schien die sowjetische Schmerzgrenze zu sein, wenn es um Nukleareinsätze oder große Bodenoperationen ging, weit entfernt von der damaligen innerdeutschen Grenze? Vor dieser Kulisse sind die Entwicklungen nach 1990 seitenverkehrt auf die Erkenntnisse aus der Blütezeit des Kalten Kriegs zu legen und erlauben eine realistische Beurteilung der heutigen Lage. Die zentrale Frage lautet also: Welchen Einfluss haben wir und inwieweit sind wir nur eine Funktion amerikanischer Interessen, auf die wir noch nicht einmal eine verbale Mitwirkung haben?

Antworten erhalten wir, wenn wir uns neben der militärischen Planung an zwei weiteren Umständen orientieren: Wie ist die völkerrechtliche Gesamtlage, und was zeigt sich im eigenen Hinterland einer möglichen Front? Beide Fragestellungen machen deutlich, wo Deutschland damals stand und noch heute steht, ohne dass diese Umstände dem eigenen Volk bekannt sein dürften. In den Achtziger-Jahren machte eine Eingabe eines hohen Beamten aus dem Bonner Verteidigungsministerium an den Deutschen Bundestag Furore. Diesem Beamten, dem Leiter der Rechtsabteilung des Verteidigungsministeriums, war aufgefallen, dass bei den Zusatzprotokollen zum Genfer Rot-Kreuz-Abkommen zwar der Einsatz von Atomwaffen in Europa unzulässig sein sollte, aber sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik davon ausgenommen waren. Da wir in der Nähe der deutsch-niederländischen Grenze wohnen, bedeutete das für uns: am Niederrhein ja, aber an der holländischen Maas: nein. Diese Festlegungen, unbeschadet eines völkerrechtlichen Vorbehaltes seitens Deutschlands, gelten noch heute und haben ihre Konsequenzen bis hin zur französischen Nuklearstreitmacht. Da sich der Einfluss eines Staates auch danach bemisst, wie er seine Interessen nach den geltenden Regeln des Völkerrechts international verankern kann, fällt das Fehlen nationaler Interessen im heutigen Deutschland in Zusammenhang mit NATO-Planungen besonders ins Gewicht. Das zeichnet aber nach der Wiedervereinigung in der Entwicklung der von den Vereinigten Staaten dominierten NATO den deutschen Beitrag zum Völkerrecht aus. Während in der Zeit des Kalten Kriegs die Völkerrechtsabteilung des Bonner Auswärtigen Amtes eine hohe, weltweite Reputation genoss, weiß hierzulande – und bestimmt auch außerhalb unserer Landesgrenzen – niemand mehr, dass es eine derartige Abteilung heute noch immer gibt. Das ist einer Entwicklung geschuldet, die mit dem völkerrechtswidrigen Krieg der NATO 1999 begann. Die USA ignorierten fortan das geltende Völkerrecht und kehrten zum Faustrecht zurück. Dieser Entwicklung hatte Deutschland nichts entgegenzusetzen und seither hört man in völkerrechtlichen Fragen aus Berlin nur noch das, was zuvor Washington verlautbart hatte. Hier zeigte sich dramatisch, was wir auch auf anderen Gebieten feststellen müssen: Die Vereinigten Staaten übernahmen mit der Vorlage des „Neuen Strategischen Konzeptes der NATO“ im April des Jahres 1999 in Washington anlässlich eines Jubiläums der NATO gleichsam auf dem Gebiet des Völkerrechts die „vollziehende Gewalt“ gegenüber den Mitgliedsstaaten und damit gegenüber Deutschland.

In der Wintex-/Cimex-Übung, die im Abstand von zwei Jahren stattfand, wurde das überdeutlich für die Gebiete hinter der geplanten eigenen Frontlinie. Wenn man gedacht hätte, dass die deutschen oder dänischen Gebiete wie selbstverständlich unter deutscher oder dänischer Souveränität ständen, wurde man eines Besseren belehrt. Die US-Streitkräfte hatten im Rahmen von Cimex (steht für zivil-militärische Zusammenarbeit) ihre eigene Verwaltung für die deutschen respektive dänischen Gebiete mitgebracht. Der Chef einer deutschen Gebietsverwaltung hatte einen amerikanischen Soldaten hinter sich stehen, der ihm dessen Weisungen erteilte. So wurde man schnell vom Bündnispartner zum Besatzungsgebiet.

Die Vereinigten Staaten gaben in gewisser Weise das strategische Denken vor. Dennoch war die militärische Wirklichkeit auch von anderen Faktoren bestimmt, wie das Beispiel des 1. deutschen Korps im westfälischen Münster zeigte. Dieser militärische Großverband wäre im Konfliktfall zu einer beachtlichen Größe angewachsen und alle Übungen mit den verbündeten amerikanischen Streitkräften hatten deutlich gemacht, was die beiden Armeen seit jeher unterschied und dass sich das auch in Zukunft nicht ändern würde. Diesen Unterschied gab es im Hinblick auf die französischen Streitkräfte nicht (mal abgesehen von der Tatsache, dass ein französischer Befehlshaber selbstverständlich eine Luxusverpflegung mit eigenem Restaurant sein eigen nannte, während ein deutscher kommandierender General mit einer Blechdose vorlieb nehmen musste). Die Unterscheidung spürte man z. B. im Manövergeschehen: Die amerikanischen Soldaten unterlagen der Befehlstaktik, während die deutschen Kameraden die Auftragstaktik pflegten, die ein hohes Maß an eigenem Können und Verantwortung bedingte. Deutsche Teilnehmer an gemeinsamen Manövern berichten bis heute davon, wie sich das auf das Übungsgeschehen ausgewirkt hatte. Das war im Kalten Krieg.

Heute ist die Bundeswehr im Vergleich zu damals aus ganz anderen und teilweise hochgeschätzten Gründen in jeder Hinsicht nur ein Schatten ihrer selbst und weder in der Lage, sich mit ihrer Auftragstaktik als Hilfstruppe der US-Streitkräfte zu behaupten noch eigene strategische Konzepte einzubringen. Mit fürchterlichen Konsequenzen hatte sich das in Afghanistan gezeigt. Die deutsche Verantwortung für nördliche afghanische Gebiete war zunächst auf eine Befriedung ausgerichtet. Ohne jede Rücksicht auf die deutschen Truppen in dem Gebiet bewegten sich die amerikanischen Kontingente mit ihrem Kampfkonzept in den Rücken der deutschen Truppen und lösten deren Befriedungskonzept förmlich in Pulverdampf auf. Nach internationalem Recht wäre es Aufgabe der deutschen Strafverfolgungsbehörden gewesen, die zahlreichen amerikanischen Kriegsverbrechen in Deutschland zu ahnden und die Verantwortlichen hierzulande vor Gericht zu stellen. Die deutschen Strafverfolger lehnten dies mit dem Hinweis ab, dass auch die USA eine Rechtsordnung hätte und Verbrechen dort geahndet werden könnten. Bis heute ist das Fehlanzeige, und die deutschen Strafverfolger wissen das. Das Wort von der „Wertegemeinschaft“ wird seither auch nicht mehr verwendet, es sei denn bei offiziellen Reden.

Dennoch war amerikanisches Denken in jener Zeit bestimmend und bietet bis heute geradezu einen Gradmesser für alles, was sich in Europa und darüber hinaus zuträgt. Man denke etwa an die berühmte Aussage aus dem Sommer 1988 über den Charakter der Sowjetunion und der Roten Armee in Europa. „Soviet Military Power“, eine Publikation des amerikanischen Verteidigungsministeriums, bestimmte seinerzeit die öffentliche Diskussion in Sicherheitsfragen. Gegen die eindrucksvollen Bilder über neueste sowjetische Waffensysteme kam niemand an. Die „Besonderen Manöver-Gruppen“ eines sowjetischen militärischen Befehlshabers hatten neben den SS-20 und der schieren Zahl sowjetischer Soldaten in der Mitte Europas hinlänglich Angst und Schrecken auf einem hohen Niveau gehalten. Wir wussten zwar seit der Mitte der Achtziger-Jahre, dass sich etwas verändern würde in Europa. Nicht zuletzt mein Besuch bei der Roten  Armee im Jahre 1987 als erster westlicher Abgeordneter überhaupt machte das deutlich. Dabei vermittelte sich die Gewissheit, dass man es „miteinander konnte.“ Das war eine Sensation. Die zweite Sensation stellte sich im besagten Sommer 1988 zunächst im Hauptquartier der CIA in Langley ein. Wie in jedem Jahr war ich als Vorsitzender der CDU/CSU Arbeitsgruppe „Verteidigung“ mit meinen Kolleginnen und Kollegen in die USA geflogen, um politische Gespräche in Washington zu führen und interessante militärische Anlagen besuchen zu können. Das waren Jahre einer sehr engen und überaus erfreulichen Zusammenarbeit. Dialog stand sehr hoch im Kurs und wurde ohne Barrieren praktiziert. Nach der Wiedervereinigung sagte mir einer der damaligen engen Gesprächspartner, dass man „ab jetzt getrennte Wege gehen“ müsse ...

Im Sommer 1988 war das noch anders, und wir wurden mit einem Bus vom deutschen militärischen Teil des Dulles-Flugplatzes in Washington ins Hauptquartier der CIA gefahren. Dort wartete die Führungsspitze, um uns die noch nicht ganz fertiggestellten neuesten Überlegungen zur Lage in Europa vorzutragen. Anders, als über Jahrzehnte in aller Welt behauptet, sei der Charakter der sowjetischen Streitkräfte in Europa und auch die damit verbundene sowjetische Politik rein defensiver Natur und das Resultat „von Napoleon und Hitler“ strikt ausgerichtet auf den „Schutz von Mütterchen Russland“. Wir waren geradezu elektrisiert und über sofortige Berichte des deutschen Militärattachés nach Bonn brach dort das blanke Entsetzen aus. Man beschuldigte die Amerikaner, den deutschen Verteidigungswillen zu untergraben. Wir saßen in Washington mitten drin, weil ich im Weißen Haus nach der Unterrichtung bei der CIA weitere Einzelheiten aus den laufenden amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen erfuhr.   

Aus meiner Sicht haben die seinerzeitigen Feststellungen der CIA unmittelbare Auswirkungen bis heute. Alle Publikationen, die sich mit den militärischen Planungen in Zusammenhang mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg beschäftigen, weisen auf die zugrundeliegenden Erfahrungen seit dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 hin und sprechen dabei vor allem den Verlust der deutschen Bevölkerung von bis zu 75 Prozent in vielen von den kriegerischen Auseinandersetzungen betroffenen Gebieten an. Vor diesem Hintergrund ist eine deutsche vorurteilsfreie Beurteilung der Konsequenzen nach dem Angriff des Deutschen Reiches 1941 möglich und geboten bis hin zu der Tatsache, dass es bis zum Ende der Sowjetunion nicht gelungen war, die dortigen menschlichen und sachlichen Verluste während des Zweiten Weltkrieges auszugleichen. Der Umstand, dass dies bei der CIA in Langley so klar und unmissverständlich angesprochen werden konnte, hatte Auswirkungen auf den politischen Prozess bis in die Gestaltung der internationalen Verträge im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung.

In meiner damaligen Funktion im Bonner Verteidigungsministerium entwickelte ich das Konzept, ein wiedervereinigtes Deutschland weiter als Mitglied im Verteidigungsbündnis NATO zu verankern, aber durch eine ausschließlich deutsche Truppenstationierung auf dem Territorium der ehemaligen DDR deutlich zu machen, dass die NATO an der Oder ihre natürliche Grenze finden würde. Bei diesem Konzept, das um Weihnachten 1989 vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl nicht nur übernommen, sondern später zum Gegenstand der Wiedervereinigungsverträge gemacht wurde, glaubte ich sicherstellen zu können, durch ein wiedervereinigtes Deutschland auch im Interesse der Sowjetunion und aller anderen Nachbarstaaten „deutsche Unsicherheiten“ dauerhaft ausschließen zu können. Eine solche Regelung musste der komplexen europäischen Geschichte des letzten Jahrhunderts gerecht werden und der daraus resultierenden und bis heute wirksamen Konsequenzen  angemessen sein. Zur Zeit der Vertragsunterzeichnungen anlässlich der Wiedervereinigung schien das ebenfalls dem Urteil aller anderen Staaten neben Deutschland zu entsprechen. Für mich war es deshalb zwangsläufig, aus all den Gründen im Gebiet zwischen Dresden und Brest mit äußerster Vorsicht zu agieren. Entsprechend der gegenüber der Sowjetunion gemachten Zusagen im Wiedervereinigungsprozess bedeutete das auch eine Beschäftigung der damaligen Europäischen Gemeinschaft mit dieser Region und den dort aus verständlichen Gründen vorhandenen Empfindlichkeiten. Die NATO sollte eben dort bleiben, wo die damalige deutsche Bundesregierung sie haben wollte: an der Oder und damit an der Grenze zwischen Polen und Deutschland. Schon damals war festzustellen, in welcher aggressiven Weise Militärführer der NATO-Verbündeten, mit der Rückendeckung ihrer jeweiligen Regierungen, versuchten, eine Stationierung vor allem amerikanischer und britischer Verbände auf dem Territorium der ehemaligen DDR und der heutigen „neuen Bundesländer“ zu erreichen, obwohl nur deutsche Truppen zulässig gewesen waren.

Dieses Konzept wurde mit dem Weggang von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und dem neuen Verteidigungsminister Volker Rühe, im März 1992, komplett verlassen. Wenn man die unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten der Vereinigten Staaten auf die Position des Bundesverteidigungsministers sieht, kann man bei diesen Personalentscheidungen aus gutem Grund ins Grübeln geraten. Nicht, dass diese Entwicklungen seinerzeit im politischen Bonn oder in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert worden wären. Dafür blieb keine politische oder sonstige Kapazität übrig, weil alle staatlichen und politischen Ebenen vollauf damit beschäftigt gewesen waren, dass die ehemalige DDR wegen der Fülle der Probleme uns nicht „um die Ohren flog“. Die Folgen dieses Personalwechsels waren einschneidend. Plötzlich war nicht mehr die Rede davon, die Europäische Gemeinschaft als Mittel der ökonomisch-politischen Unterstützung jener Staaten in Mittel-und Osteuropa einzusetzen. Vorrang sollte jetzt die NATO haben, wohl auch, um den Europäern klar zu machen, wer auf diesem Kontinent künftig das Sagen hat.

Die Jahre seit 1992 bis zum völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 machen deutlich, in welchem Maße die Feststellungen durch die oberste CIA-Führung im Sommer 1988 fortan gegen die Russische Föderation instrumentalisiert werden konnten. War 1988 das sowjetische Verhalten in Europa – auch vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges – ausschließlich defensiver Natur – und damit durchaus verständlich, begann nun im Westen ein Prozess, der die Besorgnis und die damit verbundenen Ängste auf Seiten Moskaus beförderte: Die NATO wurde langsam aber sicher über die vertraglich festgelegte „Oder-Grenze“ nach Osten bis an die russische Grenze vorgeschoben. War 1988 sowjetisches Verhalten wegen „Napoleon und Hitler“ durchaus verständlich, wurde jetzt durch die NATO die Erinnerung an „Napoleon und Hitler“ dadurch geradezu provoziert, als letztlich und im Laufe der Jahre wieder deutsche und alliierte Panzer in den „Vorgärten von St. Petersburg“ stehen. Zwar hat die deutsche Regierung auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest das Schlimmste verhindern können, indem sie sich der Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO verweigerte. Doch seit Verteidigungsminister Rühes Amtsantritt 1992 wurden vier Entwicklungen zielstrebig umgesetzt:

  1. das konsequente Vorrücken der NATO an die russische West- und Südwestgrenze
  2. der Umbau der NATO von der ursprünglichen Verteidigungsallianz  zum weltweit agierenden Aggressionsmechanismus (mittels des „neuen strategischen Konzepts“ aus dem Frühjahr 1999). Dabei wurde die eigentlich staats- und völkerrechtlich gebotene Verpflichtung, den veränderten Charakter des NATO-Vertrages den nationalen Parlamenten zur vorgeschriebenen Genehmigung vorzulegen, bis heute nicht umgesetzt. Der Grund: Den meisten Regierungen der NATO-Mitgliedstaaten war bewusst, dass sie in ihren Parlamenten keine erforderliche Zustimmung dafür erhalten hätten.
  3. Die Charta der Vereinten Nationen und damit die Zuständigkeit des Sicherheitsrates für den Weltfrieden, die sich im Gewaltverbot nach der UN-Charta manifestiert, wurde durch den Krieg gegen Jugoslawien außer Kraft gesetzt. Die Vereinigten Staaten haben damit einen Rechtszustand wiederhergestellt, wie er 1939 beim deutsch-polnischen Krieg gegeben war.
  4. Die Bundeswehr wurde faktisch von einer auf Verteidigung ausgerichteten Armee zu einer Interventionsarmee umgeformt und durch zunächst rein humanitäre Aufgaben mit der neuen Rolle vertraut gemacht. Amerikanische Generale haben öffentlich gefordert, ihnen Formationen der seinerzeitigen Wehrmacht – oder noch besser: der Waffen-SS – zur Seite zu stellen. Man schloss damit an ein amerikanisches Denken an, das gegen Ende des Zweiten Weltkrieges bis auf die höchste Ebene vorhanden gewesen war.   

Auf der Grundlage dieser Entwicklung nahmen deutsche Streitkräfte entgegen der Charta der Vereinten Nationen und auf der bis 1939/1941 geltenden Rechtsauffassung im Völkerrecht am Krieg gegen Jugoslawien teil. Der Russischen Föderation wurde vor dem Hintergrund der CIA-Erkenntnisse des Jahres 1988 das klare Signal gegeben, wieder an die Konsequenzen aus dem Vorgehen von „Napoleon und Hitler“ anzuknüpfen. Wer die „sicherheitspolitischen Leitlinien“ eines amerikanischen Präsidenten zur Kenntnis nimmt, der kann ohnehin kaum einen Unterschied zu 1939/1941 feststellen. Vor dem Hintergrund der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts geht von der tatsächlichen Ausdehnung des NATO-Gebietes an die russischen Grenzen ein psychologisches Signal besonderer Art aus. Was den Zweiten Weltkrieg betrifft, muss jeder, der sich die tatsächliche Lage in Europa heute ansieht, in Rechnung stellen, dass gegenüber Russland der damalige Feind aus diesem Krieg jetzt mit den damaligen sowjetischen Verbündeten gemeinsame Sache macht. Ob man sich das in Moskau so vorgestellt hatte, als man schon vor der Wiedervereinigung Deutschland vom „gemeinsamen Haus Europas“ sprach, darf bezweifelt werden.

Es reicht aber keinesfalls, den Prozess des Vorrückens der NATO bis an die russischen Grenzen nachzuzeichnen, auch nicht in der Gewissheit, dass man dabei auf das eine oder andere, das scheinbar vergessen worden ist, noch hinweisen könnte. Man muss sich in Anbetracht dieser feststellbaren und von uns erlebten Entwicklung fragen, was die Triebfeder der Vormacht in der NATO, der Vereinigten Staaten mit ihrem angelsächsischen „Wurmfortsatz“ sein könnte. Wie konnte es gelingen, die Mitgliedsstaaten der NATO auf diesen Weg einzuschwören, der so erkennbar gegen den Willen der jeweiligen Völker gerichtet ist? Man kann jedes mögliche Konstrukt formulieren, um den Einfluss der Vereinigten Staaten und ihrer staatlichen Organe auf andere Länder nachzuzeichnen. Manchmal ist allerdings die Wirklichkeit unschlagbar darin, die tatsächliche Lage deutlich zu machen.

Mich hatte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, der Abgeordnete Werner Marx, im Sommer 1981 zu einer Dienstreise nach Washington mitgenommen. Dabei sollten Gespräche in den wichtigsten Ministerien, im Kongress und bei der CIA stattfinden. Das war für mich als einer der damals jüngsten Abgeordneten im Deutschen Bundestag ein besonderer Vertrauensbeweis. Jedenfalls habe ich das so empfunden. Auch bei Abendeinladungen durch unseren Botschafter in Washington wurde deutlich, wie eng und eigentlich kollegial die Beziehungen zur amerikanischen Seite gewesen sind. Dabei kam auch eine Eigenschaft zutage, die sich vermutlich bis heute gehalten hat: Manch einen Gesprächspartner aus dem Weißen Haus konnte man auch außerhalb der vereinbarten Termine durch die deutsche Botschaft sprechen, weil es interessante deutsche Verbindungsleute gab.

Oft genug ging die Initiative von den amerikanischen Gesprächspartnern aus, diese in Washington ansässigen Deutschen zu kontaktieren. Man wollte auch wissen, wie junge deutsche Parlamentarier „politisch drauf sind“. Mir ist aus diesem Besuch ein Gespräch auf der obersten Etage der CIA in bleibender Erinnerung geblieben. Man hatte Zeit und erörterte die Weltlage, und das in einer größeren Breite und Offenheit, als es bei der eigenen Regierung in Bonn jemals der Fall gewesen ist. Es kam allerdings auch die innenpolitische Situation in der damaligen Bundesrepublik zur Sprache, und wir klagten wohl heftig über die politischen Verwerfungen, die bei der Bundestagswahl 1980 die Wahl des Bundeskanzlers Helmut Schmidt und die damit verbundene Niederlage unseres Kandidaten Franz-Josef Strauß, des Ministerpräsidenten aus München, hervorgerufen hatte. Unser Gesprächspartner rief deshalb den für die Bundesrepublik Deutschland verantwortlichen Mitarbeiter sofort zu diesem Gespräch dazu. Der verkündete uns geradezu eine „frohe Botschaft“, denn er bat uns, die kritischen Anmerkungen doch herunterzuschlucken. „In einem Jahr sind sie an der Regierung“, war seine lapidare Feststellung.

Als die CDU/CSU 1982, zusammen mit der FDP unter Hans-Dietrich Genscher, tatsächlich die Regierung bilden konnte, stieg der „politische Wahrsager“ in Washington natürlich in meiner Achtung. Das galt übrigens bis zu dieser Dienstreise im Sommer 1988 mit den bis heute tragenden Erkenntnissen über „Napoleon und Hitler“, zu denen vor zwei Jahren beinahe „Obama und Clinton/McCain“ hingekommen wären, hätte es nicht den Wahlsieger Donald Trump gegeben. Dabei vergesse ich gerne, dass ich in Langley zu einem Zeitpunkt, an dem sich bereits die Veränderungen in Europa abzuzeichnen begannen, auf die absolute Leistungsfähigkeit der DDR-Volkswirtschaft aufmerksam gemacht wurde, seinerzeit auf Platz 17 des globalen Rankings ... Wer aber 1981 einen Regierungswechsel in Bonn für das Jahr 1982 vorhersagen konnte, der verdiente Respekt und ließ bis heute die Frage danach verstummen, zu welchen Erkenntnissen die Vereinigten Staaten im heutigen Berlin fähig sind. Vorgänge, über die später Veröffentlichungen bei Wikipedia in Zusammenhang mit der Regierungsbildung 2009 Aufschluss gaben, machen die Dimension des „Informiertseins“ deutlich. Direkt aus den Koalitionsverhandlungen wurden über einen Teilnehmer die erzielten Vereinbarungen dem amerikanischen Botschafter in Berlin auf den Tisch gelegt.

Das waren ohnehin interessante Zeiten, ab Anfang 1980, die mich bis zu meinem Ausscheiden aus dem Bundestag in Berlin im Jahre 2009 regelrecht in Atem hielten. Wir waren im letzten Jahrzehnt des sogenannten Kalten Krieges gefangen in der geläufigen Sicht auf die „sowjetische Bedrohung“, die uns durchaus real zu sein schien, wenn wir das vorhandene militärische Potenzial des Warschauer Paktes in Rechnung stellten. Die im Sommer 1988 in Washington vermittelte „neue Weltsicht“ der CIA wäre noch 1982 oder 1985 auf taube Ohren gestoßen oder als „Feindpropaganda“ verunglimpft worden. Die deutsche Sicherheitspolitik war in jener Zeit weiterhin auf den Warschauer Pakt fixiert. Auch in dem Umfang, wie ich mich in anderen Teilen der Welt aufhalten konnte, änderte sich wenig daran. Alles galt der „verhängnisvollen  Herausforderung“ durch die Sowjetunion, sei es bei Besuchen in Pakistan oder dem sowjetfreundlichen Indien, dem amerikanischen „Flugzeugträger“ namens Japan in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zum Ochotskischen Meer mit seiner dominierenden Bedeutung für die strategische Nuklearfähigkeit der Sowjetunion oder der indonesischen Inselwelt. Besuche in Jakarta machten deutlich, von welcher strategischen Bedeutung die Unterwasser-Passagen waren, um vom Pazifik aus in den Indischen Ozean zu gelangen. Es verfestigte sich eine globale Weltsicht, die ausschließlich von einer „Lage“ bestimmt war, ein im deutschen Sprachgebrauch üblicher Begriff, der jedoch im angelsächsischen Raum nicht neutral, sondern grundsätzlich als Bedrohung empfunden wird. Als Nebenprodukt wurde bei den Besuchen in Asien überdeutlich, wie die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges praktizierte Zusammenarbeit der angelsächsischen Nationen über die nachrichtendienstliche Dimension der „five eyes only“ zwischen den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland die Wirklichkeit bestimmte. Die einen waren drin in dieser Zusammenarbeit, die anderen wurden in unterschiedlichen Graden an dieser tiefen Kooperation beteiligt.

Es waren aber nicht nur die sicherheitspolitischen Konsequenzen, die in anderen Teilen der Welt, und vor allem in Asien, sichtbar geworden waren. Bei den Besuchen offenbarte sich ein Umgang der Vereinigten Staaten mit ihren jeweiligen Verbündeten, der einem Besucher nicht nur befremdlich vorkam, sondern ihn insgeheim daran denken ließ, wie es bei genauer Betrachtung denn zu Hause aussehen könnte. Was meine ich damit? Es war die Manipulation der Wahlen in einem fremden Land durch den jeweiligen amerikanischen Botschafter als Symbol amerikanischen Einflusses. Musterbeispiel dafür waren für mich die Philippinen, aber die Erkenntnisse waren beileibe nicht auf dieses Inselreich beschränkt. Die Hauptstadt der Philippinen war geradezu ein Muss in den Zeiten der globalen Dimension des Kalten Krieges. Dafür gab es Gründe, die für einen westeuropäischen Besucher in diesen Tagen von geradezu ausschlaggebender Bedeutung gewesen waren: Da waren einmal die örtlichen Kräfte, die die Macht der Zentralregierung bis an die Tore der Hauptstadt herausforderten und je nach weltpolitischer Entwicklung, wie wir seither sehen konnten, als „kommunistische“ oder „muslimische“ Terroristen bezeichnet wurden. Es war spannend, wie ich mehrfach bei Fahrten zu den beiden großen amerikanischen Stützpunkten nahe Manila feststellen konnte. Naval Base Subic Bay und Clark Air Base waren von überragender Bedeutung für die amerikanische Dominanz in dieser Region zu jener Zeit. Von dort aus beherrschten die US-Streitkräfte über ihr Potenzial zur See und in der Luft weite Teile des Pazifiks und kontrollierten die Seepassagen durch die indonesische Inselwelt. Geradezu zwingend war vor diesem Hintergrund eine Inaugenscheinnahme dieser Stützpunkte. Die amerikanischen Gastgeber waren offen und geradezu herzlich, einen Besucher aus Westdeutschland herumführen zu können. Leicht war es nicht, von Manila aus diese Stützpunkte zu erreichen. Für mich war es ungewohnt und geradezu befremdlich, in kleinen Konvois mit philippinischen Sicherheitskräften durch die Reisfelder in Richtung Stützpunkte zu fahren. Sobald wir die Vororte Manilas hinter uns gelassen hatten, öffneten die uns begleitenden Fahrzeuge mit Sicherheitskräften die Wagenfenster und die Läufe der M16-Gewehre wurden aus dem Inneren der Fahrzeuge nach außen gerichtet. Das wurde von Besuch zu Besuch mehr und mehr zur Gewohnheit für mich, aber zunächst einmal vermittelte sich das Gefühl der Bedrohung sehr direkt. Der Besuch beider Stützpunkte war allerdings nicht nur wegen der militärischen Stärke bedeutend, die dort Rückhalt fand. Erste Zeichen weltpolitischer Veränderungen zeigten sich gerade dort in der Ferne. Die amerikanischen Generale und Admirale waren sehr freimütig in ihren Aussagen über militärische Planung als Ausfluss politischer Überlegungen. Was hatte es in den Achtziger-Jahren zu bedeuten, das amerikanische militärische Potenzial von Subic Bay oder Clark Air Base in Richtung Guam und weiter östlich in den Pazifik hinein zurückzuziehen? Das konnte nur als Signal für globale Veränderung gewertet werden, denn dafür waren beide Stützpunkte und andere in dieser Region zu bedeutend. Man musste eben „mit der Nase dran bleiben“, um die Absichten des amerikanischen Bündnispartners richtig einschätzen zu können.

Das galt aber vor allem der Art und Weise, wie die Vereinigten Staaten auf die innenpolitische Entwicklung in einem Lande einwirkten, zu dem sie ganz besondere, auch historisch bedingte, Beziehungen unterhielten. Als regelmäßiger Besucher aus Westdeutschland in Manila wurde man von den eigenen Diplomaten über kurz oder lang ohnehin als Vertrauensperson behandelt, unbeschadet der Rücksicht, die immer dann vorherrschte, wenn in der Ferne eine Beurteilung der Lage vorgenommen wurde, bei der die heimatliche Zentrale die Hände über den Kopf zusammengeschlagen hätte, wäre sie in Bonn als Ansicht aus Manila oder von anderswo bekannt geworden. Aber auch hochrangige philippinische Gesprächspartner, wie die Präsidentin Aquino, machten aus ihrer Beurteilung der innenpolitischen Lage keinen Hehl, da man wegen der besonderen historischen Beziehungen zu Deutschland für die philippinische Eigenständigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten stets besonders freundschaftlich behandelt wurde. Dabei standen die Wahlen im Land regelmäßig im Mittelpunkt der Gespräche und weder die deutschen Diplomaten noch die philippinischen Gesprächspartner hielten sich zurück mir mitzuteilen, dass es zwar Wahlen gebe und die Menschen auch zu den Wahllokalen gingen. Das eigentliche Wahlergebnis jedoch stünde schon fest, weil das Verhältnis zwischen Stimmen für die Regierung und jene für die Opposition bis auf die Zahl nach dem Komma zuvor vom US-Botschafter bestimmt worden sei – entsprechend der innen-und außenpolitischen Notwendigkeiten aus amerikanischer Sicht.

Jahrzehnte später wurde für mich die daraus resultierende Selbstverständlichkeit, mit der aus den Vereinigten Staaten auf die inneren Verhältnisse anderer Staaten eingewirkt wurde, bei einer Wahlbeobachtung in Venezuela deutlich. Am Abend nach der Wahl saß ich mit anderen deutschen Gesprächspartnern auf einer Terrasse im Nobelviertel von Caracas. Ein deutscher Geschäftsmann hatte die ganze Runde eingeladen und man ging wie selbstverständlich davon aus, die Opposition, die zuvor mit machtvollen Demonstrationen auf die Autobahn durch Caracas geschritten war, siegen zu sehen. Ich hatte mich den ganzen Tag über in den Wahllokalen der Stadt, auch in jenen Gegenden aufgehalten, in denen sich ein Fremder nur mit Polizeischutz und dann für kurze Zeit aufhalten konnte. In den Vierteln der armen Leute gab es Endlosschlangen vor den Wahllokalen, weitaus längere Schlangen als in den bürgerlichen Vierteln. Ich nahm das als Symptom für das ganze Land und war im Gegensatz zu meinen örtlichen Landsleuten vom Wahlerfolg Hugo Chavez‘ überzeugt. Nachts fiel ich geradezu aus meinem Hotelbett, als der Wahlsieg mit einem Feuerwerk und Böllern gefeiert wurde. Dennoch gab es Zweifel an den Abläufen für die Wahl. Wie hätte es in einem Land, das in weiten Teilen vom Urwald bedeckt ist, auch sein sollen. Bevor die Bedenken so richtig virulent werden konnten, entzog ihnen der ehemalige amerikanische Präsident Jimmy Carter, Demokrat wohlgemerkt, bei einer internationalen Pressekonferenz in unserem Hotel den Boden. Am Montag nach der Wahl war Schluss damit, Bedenken zu äußern oder Hinweise zu geben, weil Carter die Wahlen mit starker Stimme als „frei und fair“ erklärte. Da spielte es schon fast keine Rolle mehr, die in den venezolanischen Wahlen verwendeten Wahlautomaten bis zu ihren amerikanischen Herstellern zurückzuverfolgen und Hinweisen auf Manipulation der verwendeten Software nachzugehen. Die damaligen Erfahrungen in Venezuela waren jedenfalls für mich ein Grund, sowohl in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE als auch in Deutschland selbst, geradezu „aus allen Rohren“ gegen eine regierungsseitig beabsichtigte Verwendung derartiger Wahlautomaten zu schießen. Bis heute wird in Deutschland von Hand ausgezählt. Für mich ist es deshalb auch nicht überraschend, wenn internationale Wahlbeobachter von amerikanischen Wahlen mit Waffengewalt von dem Betreten von Wahllokalen abgehalten werden. Die Bedenken aus westeuropäischer Sicht gegen diese Komponente amerikanischer Wahlen gehen Jahrzehnte zurück. Wie auch das gesamte amerikanische Wahlsystem mit seiner absoluten Bevorzugung wahlkreisinterner Mehrheiten, als vordemokratisch bezeichnet werden muss.

Aber es war nicht nur die Beeinflussung innerstaatlicher Prozesse in den von mir besuchten Ländern. Man muss sich nur einmal ansehen, in welchem Umfang amerikanische Einrichtungen generell auf die Willensbildung anderer Nationen einwirken, vor allem auf dem Gebiet der Presse, der sogenannten Nichtregierungsorganisationen oder der Wirtschaft. Es war in Anbetracht der westdeutschen und dann der gesamtdeutschen Pressestruktur überhaupt kein Geheimnis, in welchem Umfang US-amerikanische Institutionen oder Einzelpersonen Einfluss auf die Eigentümerstruktur deutscher Medienunternehmen hatten. Der Einfluss war ohnehin „gottgegeben“, da nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die für die Presse notwendigen Gründungs- und Betriebslizenzen nach den Bedürfnissen und den strategischen Absichten der damaligen Siegermächte und dabei vor allem der Vereinigten Staaten vergeben worden sind. Die heutigen Schlagzeilen wichtiger Zeitungen zu bestimmten Themen, sei es in Bezug auf die Vereinigten Staaten selbst oder die Russische Föderation sowie China und vor allem dem Nahen Osten, erklären sich aus dieser Konstellation. Das sollte man wissen oder sich den Kauf einer Zeitung sparen. Generell darf man sagen, dass eine Beurteilung der nationalen oder Weltlage aus einer deutschen Perspektive nicht stattfindet. Mit dem Umzug von Regierung und Parlament von Bonn nach Berlin ist dieser Umstand verstärkt worden. Soweit die sogenannten Leitmedien unter Einschluss der Nachrichtenseiten im Internet betroffen sind, wird die notwendige personelle und sachliche Koordination über die sogenannten „transatlantischen Netzwerke“ betrieben.

Im Oktober dieses Jahres zog George Soros mit dem Hauptquartier seines Imperiums von Nichtregierungsorganisatoren von Budapest nach Berlin um. Man hat dabei fast den Eindruck, dass Deutschland durch diesen Umzug eine neue Regierung erhält. So abwegig ist dieser Eindruck ohnehin nicht, dass die eigentlichen Machtzentren für Deutschland irgendwo anders als in Berlin oder den Hauptstädten der Bundesländer liegen. Zu denken ist dabei vor allem an die amerikanischen Finanzunternehmen, denen die Kontrolle eines Großteils der deutschen großindustriellen  Unternehmen obliegt und deren Führungsgremien den entscheidenden Einfluss auf die deutsche Wirtschaftsleistung ausüben. Zu diesen Wirkzentren gesellt sich in diesen Tagen besagter Herr Soros, der aufgrund seiner Differenzen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban sein früheres Heimatland verlassen hat. Die internationalen Reaktionen auf diesen Umzug offenbaren mehr als lediglich die Sympathie mit jemandem, dem man verbunden ist. Alle Institutionen der Europäischen Union machen ihre Einstellung gegenüber der Regierung eines Mitgliedslandes, Ungarn eben, von der Haltung dieses Landes gegenüber George Soros abhängig. Auf der anderen Seite findet die Meinung der ungarischen Regierung gegenüber Soros und seinen Organisationen die öffentlich und lauthals erklärte Zustimmung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. Im globalpolitischen Zusammenhang wird damit mehr zum Ausdruck gebracht, als sich auf den ersten Blick vermuten lässt. Soros ist unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps als jemand aufgetreten, der im Kreise seiner Magnatenmitstreiter internationalen Presseberichten zufolge alles zu unternehmen gedachte, den frisch gewählten amerikanischen Präsidenten schnellstmöglich aus seinem Amt zu drängen. Die Achse Trump-Netanjahu ist sprichwörtlich, während sich Soros offenkundig auf den französischen Präsidenten Macron wie auf die deutsche Bundeskanzlerin Merkel zu stützen in der Lage scheint, vom EU-Präsidenten Juncker ganz zu schweigen. Da wird also das ganz große Rad gedreht, wie man sich in meiner Heimat dann äußert, wenn es sich um Dinge handelt, die über das Rheinland hinausgehen.

Die Funktion der von George Soros installierten Organisationen zielt in den Kernbereich demokratischer Staaten. Noch in der Bonner Republik hatten wir eine leistungsfähige Staatsordnung mit staatlichen Einflüssen sowohl in den Finanzsektor als auch die Industrie hinein. Bilder deutscher Unfähigkeit wie die vergeblichen Versuche, den Berliner Großflughafen fertigstellen zu können, hätte es ebenso wenig gegeben wie die Probleme in der heutigen deutschen Automobilindustrie. Das Land war durch exzellentes Verwaltungshandeln ebenso bestimmt wie durch eine hohe Mitsprache des Bürgers als dem staatlichen Souverän in der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten. Es wäre vor dem Hintergrund der staatlichen Fähigkeiten undenkbar gewesen, dass ein deutsches Ministerium jeden Gesetzentwurf, den es dem Parlament vorlegen musste, nicht eigenständig zu erstellen. Mit dem Umzug 1999/2000 von Bonn nach Berlin wurde der deutsche Staat infolge des Maastrichter Vertrages aus dem Jahre 1992 regelrecht entkernt. Von der Zuständigkeit der Bonner Republik von 100 Prozent vor Abschluss des Maastrichter Vertrages wurden gut 80 Prozent auf die europäischen Institutionen nach Brüssel übertragen und 20 Prozent gingen nach Berlin mit dem Umzug. In Brüssel sind diese übertragenen Zuständigkeiten nicht in demokratischer Weise angekommen, ebenso nicht in Berlin, denn Brüssel wie Berlin sind Zentren des Lobbyismus und der Nichtregierungsorganisationen, vergleichbar dem Moloch in Washington. Es bleiben die Zuständigkeiten und damit die nationalen Fähigkeiten auf der Strecke, der Staat wurde auf amerikanisches Drängen mittels „ausgelagerter  Kompetenzen“ so schlank, wie man sich das gewünscht hatte. Die Gesetzentwürfe wurden fortan, sofern sie von Bedeutung waren, von angelsächsischen Anwaltskanzleien erstellt, das tradierte deutsche Verwaltungswissen dergestalt eingeschränkt, dass der deutsche Staat in seiner Organisation heute nur noch eine Hülle seiner einstigen Leistungsstärke darstellt.

Es war nicht nur der Umbau des deutschen Staates hin zur Bedeutungslosigkeit, von dem der Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin bestimmt gewesen ist. Ohne wegen der vereinigungsbedingten Probleme zur Kenntnis genommen zu werden, fand ab der ersten Hälfte der Neunziger-Jahre der Umbau der Wirtschafts- und Finanzordnung in den USA und die anschließende Transformation der deutschen Wirtschaft statt. Die deutsche ökonomische Leistungsfähigkeit ist wegen der Kooperation zwischen Unternehmen und Gewerkschaften und der hohen sozialen Leistungsfähigkeit des Staates über eine lange Zeit, eigentlich seit Bismarck, an den Gedanken der „Sozialen Marktwirtschaft“ gebunden gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden, auch bei den Christlichen Demokraten, Parteiprogramme beschlossen, die von der Vergesellschaftung bestimmter Schlüsselindustrien und damit marxistisch-katholischem Gedankengut ausgingen. Wenn es auch nicht soweit kommen sollte, diese Vorstellungen umgesetzt zu sehen, bestimmte doch die „gesellschaftliche Verpflichtung des individuellen Eigentums“ unsere gesamte Wirtschaftsordnung. Schleichend, ohne öffentliche Aufmerksamkeit, wurde damit noch in den Neunziger-Jahren Schluss gemacht. Nicht mehr die „Verantwortung des Eigentums“ bestimmte die Wirtschaft, sondern der angelsächsische Kampfbegriff des „shareholder value“, des Nutzens nur für die Geldgeber. Die deutsche Wirtschaft wurde förmlich ihrer „Substanz“ entraubt, und die damals regierende SPD musste den politischen Preis für diese Entwicklung in der Abspaltung weiter Teile der Arbeitnehmerschaft von ihrer Traditionspartei bezahlen. Es bestimmte die Wall Street.

Amerikanisches Kapital wurde vollends dominierend, und die Vereinigten Staaten behielten sich vor, dass deutsche Geldmittel weder in strategischen amerikanischen Sektoren noch in den Medien investiert werden durften. Über die Prozesse der Organisation des globalen Bankwesens durch „Basel-Verhandlungen“ wurde die Dominanz der angelsächsischen Finanzwelt sichergestellt.
Es waren nicht nur diese Aspekte, die den ganzen Staat betrafen und zentrale Auswirkungen auf die heutige Bundesrepublik Deutschland hatten und haben. Es war eine neue Qualität im amerikanischen Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft und damit auch Deutschland gegenüber. Wir waren über die Maßen irritiert wegen der Bereitschaft der USA, mit dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ohne jeden tatsächlichen und nicht vorgefertigten Grund die internationale Rechtsordnung, wie sie seit 1945 und der Gründung der Vereinten Nationen bestand, gleichsam „über Bord“ zu werfen und zum „Gesetz des Dschungels“ überzugehen. Krieg sollte nach der „Charta von Paris“ aus dem November 1990 als Konsequenz aus dem Ende des Kalten Krieges endgültig verbannt werden. Doch nun brachten die Vereinigten Staaten über einen Prozess, der mit dem Ende des Kalten Krieges gegenüber Jugoslawien eingesetzt hatte und über den US-Kongress gesteuert wurde, den Krieg zurück nach Europa. Obwohl in unserer Verfassung die eherne Formel vom Verbot deutscher Beteiligung an einem Angriffskrieg, um den es sich gegen Jugoslawien ohne jeden Zweifel handelte, festgeschrieben steht, waren deutsche Bomber an den Abwürfen auf das hell erleuchtete Belgrad und anderer jugoslawischer Ziele beteiligt. Warum das alles? Die Frage bewegte die Menschen im Lande und führte letztendlich zu einem für die deutsche Regierung unüberwindlichen Widerstand beim eigenen Volk gegen jede Form von Bodenkrieg in Jugoslawien, wie es in der NATO immer nachdrücklicher seitens amerikanischer Stimmen gefordert wurde.

Was treibt die Amerikaner? Das war die Frage des gerade aus dem Amt geschiedenen ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl, als wir uns im Restaurant des Deutschen Bundestags neben dem Plenarsaal zum Mittagessen getroffen hatten. Wie aus der Pistole geschossen, kam meine Antwort und sie gilt bis heute: „Seit dem Brand von Atlanta in Georgia 1864 machen sie nichts anderes.“ Ich spielte auf die Art und Weise des Vorgehens der Nordstaaten gegen die abspenstigen Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg an. Seit damals wurden lediglich die Methoden verfeinert und das Eingreifen ist umfassender geworden, aber insgesamt geändert hat sich wenig: Will man einem anderen Staat wegen der eigenen Interessen an die Gurgel, dann wird als sichtbarer Unhold oder Politteufel der jeweilige Staatschef verunglimpft, wie bei einem Bombenangriff gleichsam mittels einer Zielausleuchtung, dem sogenannten Christbaums, kenntlich gemacht, damit sich der Unmut der auf Kriegskurs zu bringenden eigenen oder verbündeten Bevölkerung gegen diesen „Typen“ richten kann. Das war im Falle des deutschen Kaiser Wilhelm II. so, vor dem Jugoslawienkrieg mit dem Staatschef Milosevic und zahlreichen anderen wie etwa Syriens Staats- und Regierungschef Baschar al-Assad. Gegen das klar identifizierbare Ziel wurden die Propaganda und die internationale Ordnung unter der eigenen Kontrolle so nachhaltig in Stellung gebracht, dass mit Kriegsausbruch eine kurzfristig aufkeimende „Erlösung“ für die aufgeputschten Bürger des betreffenden Landes gesehen werden konnte.

Diese Methode ist nach der Wahl des amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu einer Art von „Selbstzerstörungsmechanismus“ für das eigene Land geworden. Daran beteiligen sich über Berichterstattung und nicht enden wollende Kommentare die angelsächsischen Großsender BBC und CNN in vorderster Front. Dabei ist die Rolle der BBC mit ihrer ungeheuren Beeinflussung der angelsächsischen Welt deshalb nachfragebedürftig, weil es sich um den amerikanischen Präsidenten handelt, gegen den man sich in Stellung bringt und nicht die britische Premierministerin. Auch andere Vorfälle mit starker britischer und befreundeter Beteiligung lassen den Schluss zu, dass das britische Establishment in der Wahl von Donald Trump mehr sieht als nur die Wahl eines amerikanischen Präsidenten. Da muss jemand im britischen Interesse aus dem Amt entfernt werden, bevor er weitere Interessen Großbritanniens schmälert. Anders kann das britische Medienverhalten unter Führung bekannter Medienzaren nicht bewertet werden. Es muss mehr sein, als nur der Umstand, dass Donald Trump auch deutsche Wurzeln hat, obwohl das für bestimmte Teile des britischen Establishments durchaus ausreichen dürfte. Da kommt einem Churchill ins Gedächtnis mit seinem berühmten Satz, nach dem es nicht um die „Beseitigung Hitlers sondern die Vernichtung Deutschlands“ gehe. Auch die Kongressanhörungen über die Wahl eines Richters zum höchsten amerikanischen Gericht machten deutlich, dass sich die beiden politischen Lager in Washington in einer Art und Weise an die Gurgel gehen, wie es zuvor nur dem vorgenannten „Herrn Hitler“ oder bestenfalls Saddam Hussein vorbehalten gewesen ist. Dieses in Washington ablaufende Schauspiel führt der Welt allerdings vor Augen, mit welchen Methoden jemand rechnen sollte, wenn er sich als Staats- oder Regierungschef, getragen vom Willen seines Volkes, den amerikanischen Interessen  nicht gefügig zeigen sollte. Die Frage aus dem Frühjahr 1999 durch den ehemaligen Bundeskanzler Kohl kann nach mehreren zwischenzeitlichen Kriegen gegen beliebige andere Staaten unter Hinweis auf den „innenpolitischen Kriegszustand in Washington“ mit einem amerikanischen Präsidenten und einer administrativ-politischen Gegenregierung anders als 1999 beantwortet werden.

Dennoch sollte sich niemand im Sessel zurücklehnen und die Dinge in Washington so betrachten, wie es ein Logenplatz eigentlich ermöglicht. Weltweit gingen viele beim Ringen zwischen Hillary Clinton und Donald Trump davon aus, dass bei einem Sieg Clintons gegen Trump ein Krieg gegen die Russische Föderation wahrscheinlich sein würde. Bereits im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotchi war man hier davon ausgegangen, dass es nach der Olympiade in Moskau „rund gehen“ würde. Es war für deutsche und internationale Betrachter zunächst überraschend, dass es nach einer milliardenschweren Investition durch amerikanische Financiers zu einem Putsch in Kiew 2014 und nicht zu einem Vorgehen dieser Art in Moskau kam. Man stand aber mit der NATO an der Russischen West- und Südwest-Grenze, und man kennt es noch aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit welchen Methoden das tödliche Risiko aus zufälligen Entwicklungen getestet worden war. Man hatte sich seitens des Westens, und damit auch Deutschlands, mit den Auswirkungen des Kiewer Putsches verkalkuliert, aber dennoch konnte man die unter Krokodilstränen beschlossenen Sanktionen gegen Russland trefflich zur Destabilisierung „nach gusto“ verwenden. Über Jahre hinweg war der westliche Aufmarsch gegen die Russische Föderation kontinuierlich erfolgt, man stand da, wohin man für andere Zwecke stehen wollte. Mittels der Sanktionen hatte man nach dem ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden den Europäern „die Arme auf den Rücken gedreht“ und damit dahin, wo man sie gegen Russland gerichtet haben wollte. Wenn die Aussagen der NATO-Botschafterin der USA, auf die eingangs dieser Ausführungen eingegangen werden konnte, in Rechnung gestellt werden, kommt Deutschland mit einem „fehlenden Part“ ins Spiel. Deutschland, wie beabsichtigt, zum „Rammbock gegen Russland“ machen zu können, bedeutet vor dem Hintergrund der staatlichen Wirklichkeit allerdings, den deutschen „Parlamentsvorbehalt über den Einsatz der Bundeswehr“ zuvor so beseitigt zu haben, dass de facto der Oberbefehlshaber der NATO und damit der amerikanische Präsident die Befehlsgewalt über die Bundeswehr erhält. Versuche dieser Art, den Parlamentsvorbehalt zu schleifen, sind von der Regierung Merkel mehrfach unternommen worden. Letztlich ist man vor der letzten Bundestagswahl davor zurückgeschreckt, die Absicht umzusetzen, die Bundeswehr Washington geradezu auszuliefern.

Mit Deutschland machen zu können, was man will, das dürfte im Interesse des einen oder anderen liegen und diese Kräfte sind schon weit genug damit gekommen, wie die Entwicklung zeigt. Panzer rollen durch Deutschland wieder an die Ostfront, amerikanische Militärbefehlshaber in Westeuropa führen sich wieder so auf, wie es nach 1945 auch der Fall gewesen ist. Dennoch gibt es so etwas wie das Interesse der Deutschen an ihrem eigenen Land, dem Frieden in Europa und vor allem mit Russland. Wenn es mit Überzeugung schon seitens der amerikanischen Kriegskoalition in Washington nicht gelingt, die Deutschen auf Linie zu bringen, dann werden „Kollateralschäden“ amerikanischer Kriege in unserem Umfeld offensichtlich als gangbarer Weg angesehen, Deutschland gefügig zu machen.

Allerdings ist man gut beraten, sich mit der tatsächlichen Lage auseinanderzusetzen, wie sie sich seit dem Krieg gegen Jugoslawien in Europa entwickelt hat. Besonderen Aufschluss gibt die Konferenz von Bratislava im Frühjahr 2000. Zu dieser Konferenz hatten das amerikanische Außenministerium und eine der üblichen amerikanischen Einflussorganisationen ein erlesenes Publikum aus den mittel-und osteuropäischen Staaten eingeladen, ebenso wie einige Vertreter aus Westeuropa. Der jetzige amerikanische Sicherheitsberater, John Bolton, war unter den Gastgebern, der die amerikanische Perspektive für Europa vortragen konnte. So unmittelbar nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien war es eigentlich kein Wunder, dass die amerikanischen Gesprächspartner kräftig die Trommeln für eine völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo rührten und ungehindert davon sprachen, dass mit dem Vorgehen des Westens gegen Jugoslawien ein Präzedenzfall geschaffen worden sei. Auf den könne sich jeder Staat global dann berufen, wenn ihm danach sei, mit anderen Staaten so umzuspringen, wie es die Vereinigten Staaten mittels der NATO im Falle Jugoslawien vorgemacht hatten. Spektakulär aber war das Bild, das Bolton und andere Teilnehmer aus Washington von Europa an die Wand gemalt hatten. Die europäischen Teilnehmer an der Konferenz hatten den Kalten Krieg mitgemacht und die Worte von Generalsekretär Gorbatschow über das gemeinsame „Haus Europa“ noch im Ohr. Amerikanische Planung für Europa sei anders, konnten wir in Bratislava seitens der amerikanischen Verantwortlichen vernehmen. Man empfinde sich, so hörten wir, als Nachfolger Roms. Da sei es fast zwangsläufig, mit einer zeitgemäßen „Grenze“ nach Osten aufzuwarten. Die Vorstellung sei, eine imaginäre Linie zwischen Riga und Odessa quer über den Kontinent zu ziehen. Von Odessa gelte es, die Linie ins anatolische Diyarbakır, Hauptstadt der kurdischen Gebiete in der türkischen Republik, fortzusetzen. Auf die westeuropäische Nachfrage, wo denn da der Platz für Russland sei, erhielt die Versammlung eine aufschlussreiche Antwort: Die Gebiete östlich dieser Grenzlinie durch den Kontinent würden Washington nicht interessieren. Das könnte die Russische Föderation oder jemand anderes sein. Amerikanisches Gebiet seien jene Staaten, die westlich dieser Trennlinie von Riga nach Odessa liegen würden. Bis in die Rechtsordnung dieser Staaten stehe eine Veränderung nach den Maßstäben der Vereinigten Staaten an und das gelte bis hin zum Internationalen Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag. Über die Statuten zu diesem Gerichtshof würden die Grundsätze des europäischen Strafrechts so beeinflusst, dass staatsanwaltliche Untersuchungen keinesfalls mehr der Suche nach belastenden und entlastenden Faktoren gelten würden. Es zähle in Zukunft nur, gegen Beschuldigte alles verfügbare Material in die Hand zu bekommen, das eine Anklage stützen würde. Die angelsächsische Rechtsordnung sollte dem europäischen Gebiet mit einer stolzen „römischen Rechtstradition“ übergestülpt werden. Das Völkerrecht solle derart auf die Bedürfnisse der amerikanischen Weltherrschaft ausgerichtet werden, dass ich nach Beendigung der Konferenz dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der nicht meiner Partei angehörte, einen ausführlichen Brief mit einer zwingenden Schlussfolgerung schrieb: Die Vereinigten Staaten befänden sich auf dem Weg in den nächsten Weltkrieg. Zuvor aber würden sie alles unternehmen, die westeuropäischen Staaten mithilfe ihrer baltischen und polnischen Verbündeten von jeder normalen Beziehung zur Russischen Föderation abzuschneiden. Das gemeinsame Haus Europa sollte mit einer neuen, imaginären Mauer geteilt werden. Erleben wir seit dem Frühjahr 2000 etwas anderes, wenn wir auf Washington und seine Politik gegenüber Europa blicken?

Die Dinge spitzen sich zu. Der amerikanische Präsident Trump scheint die „eine amerikanische Regierung“, die Kriegsallianz im amerikanischen Kongress und weiten Teilen der amerikanischen Staatsverwaltung mit den amerikanischen Militärbefehlshabern in Europa scheint die „zweite amerikanische Regierung“ darzustellen. Für die Welt dramatisch ist der Umstand, dass US-Präsident Trump der Washingtoner Kriegsallianz mit ihren globalen Strukturen an den Rand des „politischen Wahnsinns“ getrieben wird – und das nicht nur in seinem Land –, weil er glaubhaft versicherte, Ausgleich und Verständigung mit der Russischen Föderation zu suchen. Die Vertreter jener Kriegsallianz dagegen sind derjenigen Ansicht, die früheren amerikanischen Regierungsmitgliedern öffentlich zugeschrieben worden war: Es ist das ökonomische Potenzial Russlands, das Begehrlichkeiten geweckt hat. Warum sollen die russischen Bodenschätze nur den Russen gehören? Schon bei „Yukos“ musste man in Europa den Eindruck haben, dass dieser Fall eine für uns neue Dimension annehmen würde. Mit Trump im Amt bewegt sich in Anbetracht der Verhältnisse in Washington nach den Verwerfungen der ersten Hälfte seiner Legislaturperiode nicht mehr viel in Richtung Verständigung mit anderen Staaten, auch nicht mit Blick auf Russland. Trump aber hat mit der jüngsten Tradition amerikanischer Präsidenten anscheinend gebrochen und bislang keinen neuen Krieg vom Zaun gebrochen. Sollte er in dieser Funktion wegfallen, werden die Kräfte, die mit den Namen Obama, Soros, Clinton, Macron und Merkel, die amerikanischen Militärbefehlshaber im Schlepptau, Oberwasser bekommen. Dann müssen die weltweiten Besorgnisse, die mit dem Namen Hillary Clinton und einem möglichen Wahlsieg bei den letzten Präsidentschaftswahlen verbunden waren, wieder an die Oberfläche kommen. Neville Chamberlain würde sagen: Krieg in unserer Zeit.

Die Vorbereitungen der Vereinigten Staaten seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999, der Aufmarsch gegen Russland, die Endlos-Kriege von Afghanistan über Irak, Syrien, bis Libyen und Mali machen deutlich, wie die tatsächliche Lage ist. Dies trifft in Deutschland zusammen mit zwei Besonderheiten:

  1. der innen-und außenpolitischen Schwäche einer „verglühenden Kanzlerschaft“ seitens der noch im Amt befindlichen Bundeskanzlerin Angela Merkel und
  2. der in diesen Monaten aufbrechenden Erinnerung an den Weg, den Deutschland nach dem 9. November 1918, dem Tag, an dem die Republik ausgerufen wurde, als Nation und in Europa gehen sollte.

In diesen Tagen erreichte mich der überraschende Anruf eines Kirchenfürsten. Wegen der angespannten Lage in Zusammenhang sowohl mit den Landtagswahlen in Bayern und Hessen und den anstehenden Veränderungen in Berlin bat mich der Anrufer um eine Einschätzung der Situation. Es wurde ein langes Gespräch und ich sprach den Umstand an, dass die innenpolitische Lage nicht losgelöst gesehen werden könne von zwei besonderen Umständen: Das sei einmal das Gedenken nicht nur an den 9. November vor hundert Jahren, sondern auch an den zwei Tage später erfolgten Waffenstillstand im Westen und Monate später das Diktat von Versailles, das für Deutschland so ganz andere Folgen haben sollte, als die von US-Präsident Wilson in Aussicht gestellten „Vierzehn Punkte“ für einen fairen und gerechten Frieden. Neben diesen historischen Überlegungen, die bis in die heutige Politik reichen, gäbe es die besondere Lage der millionenfachen Migration nach Deutschland, verursacht dadurch, dass die noch amtierende Bundeskanzlerin im September 2015 durch eine weder von der Verfassung noch der staatlichen Rechtsordnung gedeckten „einsamen Entscheidung“ den Schutz der deutschen Staatsgrenzen, um die sie alle Sicherheitsorgane Deutschlands ersucht hatten, aufgehoben hatte. Ein Gesprächspartner aus Bayern habe mir, so teilte ich es dem Anrufer mit, wenige Stunden zuvor die Worte eines Bürgers mitgeteilt, für welchen durch den Verzicht der Bundeskanzlerin auf den Schutz deutscher Staatsgrenzen „das Vaterland in Gefahr“ sei.

Die Antworten des Kirchfürsten waren zu beiden Themen prägnant:

  1. ohne Versailles kein Hitler und ohne Hitler kein Zweiter Weltkrieg
  2. das ist genau so.

Jetzt kann man die Einstellung zu den Folgen, die das Diktat von Versailles als Folge des Waffenstillstands von 1918 für Deutschland und andere Staaten hatte, zurück in die Geschichte schieben. Das dürfte aber nicht gelingen, denn im Jahre 2017 hat der neue französische Präsident Macron seinen amerikanischen Präsidentenkollegen Trump nicht nur zur großen Militärparade auf den Champs Elysees nach Paris eingeladen. Es war eine Einladung aus Dankbarkeit dafür, dass die Vereinigten Staaten mit ihrem Kriegseintritt 1917 gegen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich die unmittelbar bevorstehende Niederlage der deutschen und österreichisch-ungarischen Kriegsgegner, eben Frankreich und Großbritannien, verhindert hatten. In diesem Geiste besuchten beide Präsidenten das Grabmal des französischen Marschalls Foch im berühmten Invalidendom in Paris. Sie besuchten also den Architekten der französisch-britischen Kriegsvorbereitungen vor allem gegen das Deutsche Reich seit den letzten Jahren des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der deutsche Historiker Wolfgang Effenberger hat darauf aufmerksam gemacht, dass Reichskanzler Bismarck bereits 1888 die Folgen der von ihm initiierten Reichsgründung 17 Jahre zuvor darin gesehen hatte, dass Großbritannien und Frankreich alles unternehmen würden, eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und dem kaiserlichen Russland zu hintertreiben. Der spätere Marschall Foch und die britischen Gruppen um Lord Milner betrieben genau das gegen die Mittelmächte, was Bismarck „hellsichtig“ vorhergesehen hatte. Unmittelbar nach dem Putsch in Kiew 2014 äußerte sich der damalige Chef des amerikanischen Thinktanks Stratfor, George Friedman, in diesem Sinne. Übrigens zeitgleich zu Hinweisen aus Washington an Berlin. Danach solle Berlin nach dem Umsturz in der Ukraine und den amerikanischen Forderungen auf Sanktionen gegen Russland zu keinem Zeitpunkt vergessen, von welcher Bedeutung der amerikanische Absatzmarkt für die deutsche Industrie sei. George Friedman wurde deutlicher bei seiner Rede in Chicago. Nach seinen öffentlich gemachten Aussagen war es Ziel und Aufgabe der amerikanischen Politik nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871, jede enge Zusammenarbeit zwischen Russland zu Deutschland auf dem europäischen Kontinent dauerhaft zu verhindern. Für Friedman und andere zuvor muss es ein nachhaltiges Schreckgespenst darstellen, russische Bodenschätze und ehemals vorhandene deutsche ökonomische Fähigkeiten in einer nützlichen Verbindung beider Potenziale zu sehen. Wie über diese mehr als einhundert Jahre die Haltung in den Vereinigten Staaten und vor allem in London zu russischen Entwicklungen gewesen ist, dürfte weltweit hinlänglich bekannt sein. Welche Funktion dabei das deutsche Militärpotenzial gegen Russland und die spätere Sowjetunion einnehmen sollte und tatsächlich zum Schaden beider Völker auch eingenommen hatte, dürfte auch hinlänglich bekannt sein. Das gilt überdies für die derzeitige NATO-Botschafterin der Vereinigten Staaten in Brüssel, die bei der Konfrontation und dem Konflikt mit Russland die deutsche „Führungsfunktion“ sieht. Weiß die Dame überhaupt, wovon sie redet? Ist ihr bewusst, was sie damit heraufbeschwört? Der angesehene russische Historiker Nikolaj Starikow hat jüngst eines seiner Werke mit dem deutschen Titel versehen: „Wer hat Hitler gezwungen, Stalin zu überfallen?“. Das war die Konsequenz, die sich nach George Friedman und Bismarck, vom deutschen Hauptmann Haushofer vor der Jahrtausendwende in London ganz zu schweigen, über eine lange Zeit aufgebaut hatte. Und heute? Muss nach allen Vorkommnissen seit dem Krieg gegen Jugoslawien die deutsche Bundeskanzlerin Merkel überhaupt zum Konflikt mit Russland gezwungen werden oder ist dieser Konflikt Bestandteil ihrer Kooperation mit dem Obama-Flügel in der amerikanischen Politik?

Vor einigen Jahren fand aus Anlass der Erinnerung an den Kriegsausbruch 1914 eine hochgeschätzte und breit angelegte Veranstaltung der britischen „Königlich-Geographischen Gesellschaft“ zu der Frage statt, warum Großbritannien in den Ersten Weltkrieg gegen das Deutsche Reich gezogen sei. Die Anordnung der Diskussion entsprach den britischen Geboten der Fairness und den Regeln einer akademischen Veranstaltung. Zwei Wissenschaftler vertraten die deutsche Position, zwei andere beleuchteten die britischen Überlegungen. Das Ergebnis war eindeutig: Gründe für den britischen Kriegseintritt gegen das Deutsche Reich lagen nicht und keinesfalls in deutschem Handeln. Im Vergleich zu den anderen Staaten dieser Größenordnung in Europa war das kaiserliche Deutschland eine absolute Friedensmacht. Frankreich und Großbritannien führten einen Krieg nach dem anderen, desgleichen die Vereinigten Staaten. Das Deutsche Reich war friedensbezogen, demokratischer als Großbritannien, sozial und ökonomisch vorbildlich. Vielleicht war die Kombination dieser Gründe ausschlaggebend für die Haltung der internationalen jüdischen Gemeinschaften in Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg in der dort gezeigten Sympathie für das Deutsche Reich, im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien, auch in der Verhinderung eines frühen Kriegsbeitritts der Vereinigten Staaten gegen Wien und Berlin?

Diese stundenlange britische akademische Veranstaltung lag so ganz auf der publizistischen Linie, die der britische Historiker Christopher Clark in seinem Werk über den Weg der europäischen Staaten in den Ersten Weltkrieg aufgeschlagen hatte. „Schlafwandler“ gewesen zu sein, bescheinigte Clark den europäischen Regierungen, keinesfalls eine Sonderverantwortung für Wien und Berlin, wie sie im Diktat von Versailles geradezu zementiert wurde. Es brauchte bis 2012 für den deutschen Staat, die finanziellen Verpflichtungen aus dem Diktat von Versailles abbezahlen zu können. Es ist inzwischen unbestritten, dass nach dem Waffenstillstand der Mittelmächte vom 11. November 1918 das Diktat von Versailles von anderen Überlegungen als denen eines Friedensschlusses bestimmt gewesen sein muss. Auffallend war dabei vor allem, dass die Bestimmungen des Diktats, die de facto eine Fortsetzung des Krieges mit den Mitteln des „Nicht-Krieges“ gegen die Weimarer Republik und Deutsch-Österreich, von prominenten Mitarbeitern aus den USA und Großbritannien in die Bestimmungen von Versailles „eingebaut“ wurden. Frankreich fiel dabei die Aufgabe zu, den Hass gegen die Mittelmächte dauerhaft aufrechtzuerhalten. Durch die Initialzündung für den Ersten Weltkrieg, die heute nachweislich von französischen und britischen Kräften ausging und die zwecks der Kreditsicherung gegenüber den Kriegsschuldnern Frankreich und Großbritannien zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten geführt hatte, wurden mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn zwei Staaten bis in die Substanz zerstört und innenpolitische Entwicklungen freigesetzt, von denen niemand in der Verfasstheit dieser Staaten bis 1914 hätte ausgehen können. Bei genauer Betrachtung der Entwicklung in Mitteleuropa nach 1919 muss davon ausgegangen werden, dass unter Führung der Vereinigten Staaten eine Doppelstrategie der ehemaligen Kriegsgegner des Deutschen Reiches im Westen umgesetzt werden konnte. Auf der einen Seite wurde zum Beispiel die damalige Weimarer Republik in das starre Korsett angelsächsischer Finanzbeziehungen gezwängt, während andererseits die innenpolitische Entwicklung über Feinde der staatlichen Ordnung eben dieses Staates gesteuert wurde. Henry Ford, die Familie Bush oder der amerikanische Botschafter bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Großbritannien, Josef Kennedy, sind nur einige prominente Namen der herausragenden Förderer Adolf Hitlers in voller Kenntnis seiner Planungen vor allem gegen Sowjetrussland. Als kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutende amerikanische Unternehmer in den USA wegen Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich vor Gericht gestellt wurden, war nicht nur die „creme de la creme“ der amerikanischen Unternehmen versammelt. Es stellte sich heraus, dass es bis zur Kapitulation der Wehrmacht am 8./9. Mai 1945 eine fortdauernde Zusammenarbeit dieser amerikanischen Kräfte mit Hitler-Deutschland gegeben hatte. Man muss sich bis heute fragen, worin Sinn und Zweck dieser engen Zusammenarbeit gelegen haben mag? An der angelsächsischen Haltung in dieser Sache dürfte es seit der Invasion fernöstlicher Gebiete der Sowjetunion ab 1919 keinen Zweifel geben. Bis über das Ende der Sowjetunion im Jahre 1992 wirkten die durch den Zweiten Weltkrieg – oder den „Großen Vaterländischen Krieg“ im ehemals sowjetischen und heute russischen Sprachgebrauch – bewirkten Verwüstungen auf sowjetischem Territorium in menschlicher und materieller Hinsicht nach. Nach diesem Zeitpunkt führten die angeblichen Reformen in Russland, die mit dem Namen des Harvard-Professors Sachs verbunden sind, dieses Zerstörungswerk fort. Ist das die Funktion, die der amerikanischen NATO-Botschafterin durch den Kopf zu gehen scheint, wenn sie heute davon schwadroniert, Deutschland eine „Frontrolle“ in der künftigen Auseinandersetzung mit Russland abzuverlangen?

Dieses Gesamtbild für die Rolle des heutigen Deutschland gegenüber dem Westen und dem modernen Russland bliebe unvollständig, solange nicht die Auswirkungen der globalen Migration auf Deutschland untersucht worden wäre. Die Schwächung des deutschen Staates nach dem Maastrichter Vertrag des Jahres 1992 über den Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin Ende 1999, der Bedeutungszugewinn der Nichtregierungs-und Lobbyorganisationen, der mit der Schwächung des Staates einherging, muss in Zusammenhang mit der Migration gesehen werden.

Nach den heutigen Erkenntnissen, die trotz des Schleiers, der seitens der Regierung und der europäischen Einrichtungen über diese Entwicklung gezogen wird, wurde sie aus drei Quellen gespeist: den Migranten aus den Gebieten der amerikanischen Kriege, Zuwanderung aus anderen Teilen Südostasiens, Eindringen von Menschen aus Afrika. Es ist schon der Aufklärung wert, für alle drei Herkunftsregionen die scheinbar exakt koordinierte Zuwanderung vor allem nach Schweden, Deutschland und Österreich festzustellen. Diese Zuwanderung traf Deutschland deshalb nicht unvorbereitet, weil durch Entscheidungen der deutschen Regierung die Mittel für die UN-Flüchtlingshilfe vor der Migrationsentwicklung auf Hungerrationen gekürzt worden waren. Migration ist grundlegender Bestandteil der amerikanischen Kriege zwischen Afghanistan und Mali. Das führte nicht nur zur völligen Zerstörung ganzer Zivilisationen. Damit wurden amerikanische Kriege zu einem „dual use war“ mit dem Ziel, die Mitgliedsstaaten der NATO selbst zu destabilisieren und vor unlösbare Aufgaben zu stellen. In Zeiten des internationalen Terrorismus ist es unverantwortlich, durch Verzicht auf den Schutz der eigenen Staatsgrenzen mehr als eine halbe Million Menschen ins Land zu lassen, von denen man dann jede Spur verloren hat.

Nach dem Bruch der eigenen Verfassung wegen der Beteiligung an amerikanischen Angriffskriegen seit dem Krieg gegen Jugoslawien ist in den Entscheidungen der Bundeskanzlerin im September 2015 über die verhängte Schutzlosigkeit der Staatsgrenzen der zweite und substantielle „Kultur-und Rechtsbruch“ des deutschen Staates festzustellen. Das Parlament wurde in diesen Fragen funktionslos und die Regierung folgte den „Kanzlerbefehlen“. Die Struktur des deutschen Staates wurde ausgehebelt und das Wesenselement des „demokratischen Rechtsstaates“ beseitigt. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen in der staatlichen Ordnung Deutschlands werfen schlimmste Fragen auf, die auf eine erneute Teilung Deutschlands, diesmal durch eigenes Tun, hinauslaufen könnten. Der deutsche Staat kommt durch amerikanische Politik und deutsches Unvermögen in diese Rolle.

Nachbemerkung:

Wer zieht endlich die Konsequenzen aus Napoleon und Hitler? Welche Dimension hat der amerikanische Einfluss auf Deutschland erreicht, unsere auf Frieden und gute Nachbarschaft hoffenden Bürgerinnen und Bürger wieder mit der Dimension unendlichen Leids zu konfrontieren? Zur Frage, was dringend und geboten ist, haben der russische Zar Alexander I. und der österreichische Kanzler Metternich beim „Wiener Kongress“ den Weg gewiesen: Wir benötigen in und für Europa eine „Allianz der europäischen Völker gegen ihre Vernichtung“. Es ist die Frage nach der Fremdbestimmung unseres Landes durch die Vereinigten Staaten, die vor dem Hintergrund des Gedenkens an den Waffenstillstandstag 1918 beantwortet werden muss. Diesem Ziel dient mein Text, der Bestandteil des Anfang 2019 erscheinenden Buches „Amerikas Einfluss auf die Welt und andere Staaten“ sein wird. Herausgeber ist der angesehene russische Publizist Professor Nikolaj Starikow aus St. Petersburg.

Weiterführende Literatur:

  • Wolfgang Bittner: Die Eroberung Europas durch die USA: Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung. Komplett überarbeitete Neuausgabe. Westend, Frankfurt 2017
  • Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Pantheon, München 2015
  • Wolfgang Effenberger: Europas Verhängnis 14/18: Die Herren des Geldes greifen zur Weltmacht. zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2018
  • Wolfgang Effenberger: Europas Verhängnis 14/18: Kritische angloamerikanische Stimmen zur Geschichte des Ersten Weltkriegs. zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2018
  • Wolfgang Effenberger/Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure. Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute. zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2014
  • Nikolaj Starikow: Wer hat Hitler gezwungen, Stalin zu überfallen? Baltosios gulbes, o. O. 2015
  • Willy Wimmer: Deutschland im Umbruch. Vom Diskurs zum Konkurs – eine Republik wird abgewickelt. zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2018
  • Willy Wimmer: Die Akte Moskau. zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2016

Dieser Text erschien zuerst auf zeitgeist-online.de.

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