“Kreml-Chef Wladimir Putin hat Russland wieder auf die Weltbühne zurück gebracht. Putin spielt seine Karten in diesem Zuge gut aus. Beklagenswert gut aus unserer Sicht.“ Nein, diese Worte entstammen keiner Sputnik-Schlagzeile, sondern sie entfleuchten dem Munde von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Bemerkenswert sind zudem auch Aussagen des luxemburgischen Außenministers Asselborn, die – wäre ich ein Türke – mir definitiv ab sofort schlaflose Nächte bereiten würden.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble muss zugestanden werden, dass er die globale Lage wahrscheinlich richtig einschätzt. Laut Aussagen Schäubles im Rahmen einer Rede während der Veranstaltung „Die lange Nacht“ zum 70. Jubiläum der Zeit, habe Kreml-Chef Wladimir Putin Russland wieder auf die Weltbühne zurück gebracht. In diesem Zuge spiele Putin seine Karten aus seiner [Schäubles] Sicht gut aus.

„Beklagenswert gut“

„Beklagenswert gut aus unserer Sicht“, wie Schäuble im vollbesetzten Schauspielhaus erklärte. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, Sprachrohr der Europäischen Union, setzt nun noch einen oben drauf. Laut dessen Aussage gegenüber dem Magazin Der Spiegel dürfe „sich die NATO durch die jüngsten Spannungen zwischen Russland und der Türkei nicht in eine militärische Eskalation mit Russland hineinziehen lassen“.

Auch die Regierungen anderer NATO-Staaten sollen die aktuelle Lage ähnlich einschätzen. Asselborn ergänzte, dass die Beistandsgarantien nur gültig seien, wenn ein Mitgliedstaat in eindeutiger Weise angegriffen werde. Diese Aussagen sollten den Kalifen von Istanbul in der Tat aufhorchen lassen. Denn wie schnell könnte es passieren, dass sich die Türkei plötzlich in einem militärischen Konflikt mit Russland wiederfinden könnte, nachdem der Kreml damit begonnen hat, immer mehr Kampfjets nahe der syrisch-türkischen Grenze zu stationieren?!

Eine offene Rechnung

Zudem steht zwischen Russland und der Türkei nach dem Abschuss des russischen Bombers im November des letzten Jahres noch eine unbeglichene Rechnung offen. Hinzu kommen die Bombenanschläge in Istanbul und Ankara, die nach der Verhängung russischer Sanktionen gegen die Türkei den dortigen Tourismus bis ins Mark erschüttern. Es ist Tourismustycoon Vural Öger, der zuletzt in einem Interview ausführte, dass in der Türkei jeden Tag ein Hotel den Betrieb aufgrund eines massiven Einbruchs der Buchungen einstelle.

Aus meinem Blickwinkel ist es an der Zeit, sich einen detaillierten Blick über die Lage in Syrien zu verschaffen. Dass sich der schiitische Block im Nahen Osten hinter den Fahnen Russlands gesammelt hat, wird nun offensichtlicher denn je. Nur allzu deutlich wurde dies, nachdem die libanesische Hisbollah mit russischer Luftunterstützung auf einmal vor den Toren von Aleppo stand und die Stadt einschloss. Dabei wurde diese Offensive bereits Monate zuvor angekündigt (ich berichtete).

Trotz allem hatte man diese Ankündigungen wohl solange nicht Ernst genommen, bis auch die Armee von Baschar al-Assad damit begann, im Nordwesten Syriens vorzurücken, um in diesem Zuge große Geländegewinne zu verzeichnen. Ende vom Lied ist, dass die in Syrien kämpfenden Rebellengruppen in eine Falle namens Aleppo getappt zu sein scheinen. Diese Umkreisung lässt sich vielleicht ein wenig mit der 6. deutschen Heeresgruppe vergleichen, die bis zum Januar 1943 im Kessel von Stalingrad aushielt, um nach deren Aufgabe in russische Kriegsgefangenschaft zu gehen.

Dass die Hisbollah-Miliz über große Erfahrung im Häuserkampf verfügt, ist unbestritten. Ergo sparten westliche Medien nicht mit Kritik an der Moskauer Kreml-Führung, die damit fortfahre, Rebellenpositionen mit schweren Luftschlägen zu überziehen. Im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz machte der Kreml von Anbeginn der Vereinbarung zu einem Waffenstillstand deutlich, dass diese Vereinbarung nicht für Stellungen von „Terroristen“ in Syrien gelte.

Wer führt hier mit wem Krieg?

Es ist augenscheinlich, dass jede Gruppierung, die in Syrien die Waffen gegen Assad erhebt, durch Russland als „terroristische Organisation“ klassifiziert wird. Also setzen sich die Bombardements nahtlos fort. Delikat ist, dass der Kreml seine Luftschläge in Koordination mit den Kurden ausführt. Kurdische Kämpfer sollen gar dazu in der Lage sein, russische Luftunterstützung anzufordern, um Rebellennester und -stellungen aus der Luft zu bombardieren.

Dieselben Kurden werden auch durch Obama und die Vereinigten Staaten unterstützt. Folge ist, dass die Kurden der YPG in die Lage versetzt wurden, sich – vom Euphrat aus betrachtet – in hohem Tempo gen Westen zu wenden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der so genannte Azaz-Korridor, letzte Versorgungslinie aus der Türkei zugunsten der in Aleppo ausharrenden Rebellengruppen, abgeriegelt wird. Die Antwort seitens der Türkei hat nicht lange auf sich warten lassen.

Saudisch-Türkische Bodenoffensive

Zu Beginn der vergangenen Woche starten türkische Kampfjets Angriffe auf Stellungen der YPG. Gleichzeitig ersuchte die türkische Führung Washington darum, die YPG offiziell zur Terroristengruppierung zu erklären. Nicht von ungefähr mehren sich die Spekulationen, die mit einer saudisch-türkischen Bodenoffensive in Syrien rechnen. Denn ohne eine direkte Intervention der Türken und Saudis in Syrien wird die Rebellion gegen Assad scheitern. Aus Sicht der Türkei wäre der schmerzhafteste Nebeneffekt, dass an der südöstlichen Flanke des Landes ein Defacto-Staat der Kurden entstehen würde.   

Die oben abgebildete Grafik von ISW zeigt einen recht guten Überblick über den Flickenteppich in Syrien. Peter Scholl-Latour sprach im Hinblick auf diesen Flickenteppich zu seinen Lebzeiten noch von einem „Leopardenfell“, da sich die Frontverläufe tagtäglich änderten. Den Kreml scheint die Münchener Sicherheitsvereinbarung nicht groß zu kümmern, da Russland seine militärische Schlagkraft in Syrien seitdem deutlich durch die Stationierung von Spionageflugzeugen des Typs Tu-214 verstärkt hat.

Diese Spionageflugzeuge werden voraussichtlich mit der neuen Klasse von russischen Kampffliegern, namentlich der Su-35S, zusammenarbeiten, um noch präzisere und schnellere Luftschläge auf Rebellengruppierungen durchführen zu können. Im Zuge der russischen Luftunterstützung haben kurdische Einheiten bereits mehr als 15 Kilometer an ehemals durch Rebellen gehaltenes Terrain im Norden von Aleppo erobern können. Dabei fiel ihnen auch die Luftwaffenbasis Menagh in die Hände.

Erdogan unter Druck

So weit so gut. Es war US-Außenminister John Kerry, der gegenüber Journalisten zuletzt offen die Frage aufgeworfen hatte, ob denn von ihm erwartet werde, gegen die Russen in den Krieg zu ziehen. Liest man die gängigen deutschen Tageszeitungen, so scheint es manchen Berichterstattern – ich will sie hier nicht namentlich nennen – wohl nicht schnell genug damit zu gehen. Womit wir wieder bei der Türkei wären. Erdogan, durch die jüngsten Anschläge in der Heimat und der Situation in Syrien schwer unter Druck stehend, kann sich einem Backing durch die NATO nicht mehr sicher sein.

Die oben zitierten Aussagen legen Zeugnis darüber ab. Und dies im Angesicht von rund 2,5 Millionen Flüchtlingen im eigenen Land, einer einbrechenden Wirtschaft, einer im Außenwert abschmierenden türkischen Lira und einem feindlich gesinnten Russland, das seine Chance zu wittern scheint, zu gegebenem Zeitpunkt Vergeltung für den jüngsten Abschuss des Bombers durch die Türken üben zu können. Sollte die Türkei aufgrund einer innerhalb der NATO konträr laufenden Interessenlage militärisch plötzlich allein auf weiter Flur stehen, wäre dies ein Präzedenzfall, der die Sorgen unter den einzelnen NATO-Mitgliedern verschärfen dürfte.

Denn wem könnte es in der Zukunft vielleicht ebenso ergehen? Und was sind Verträge in der heutigen Zeit, in der es keinerlei Rechtssicherheit mehr gibt, eigentlich noch wert? Nicht so viel, wie das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben stehen. Die Euro-Krise hat dies in Gänze offen gelegt. Aus aktueller Perspektive lässt sich damit rechnen, dass die Türkei als nächstes Land in den Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten mit hineingezogen werden dürfte. Und damit rücken die Einschläge auch immer näher an Europa heran. Denken Sie über die Konsequenzen einmal nach. Dazu brauchen Sie meine Denkanstöße ganz gewiss nicht!

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