Eine Reihe von Mitgliedsstaaten der Eurozone befindet sich seit Ausbruch der Finanzkrise in einer schweren Wirtschaftsrezession. Auch im Jahr 2015 lag das Wachstum in der Eurozone nicht sonderlich höher als im Jahr 2007. Auch die Arbeitslosigkeit in der Eurozone verharrte sieben Jahre nach der globalen Bankenkrise noch immer nahe ihrer Rekordstände oberhalb von 10%.
Mit Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit sehen die Dinge noch weitaus schlimmer aus, was viele junge Menschen in den Südländern der Eurozone zu einem Verlassen ihrer Heimat auf der Suche nach Jobs im Ausland gezwungen hat. Eine zunehmende Anzahl von Beobachtern warnt davor, dass sich diese Krise in Europa über mehrere Jahrzehnte hinziehen könnte.
Laut Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat diese ökonomische Entwicklung weitreichende politische Folgen. Das Emporkommen von Strömungen am linken und rechten Rand der Gesellschaft ließ sich seit geraumer Zeit voraussehen.
Euro ist "historischer Fehler"
In einem System, dessen Protagonisten Banken über Nacht mit Beträgen von Hunderten von Milliarden Euro „retten“, den Bürgern dann jedoch erklären, dass nicht ausreichend Geld für Kita-Plätze und Universitäten verfügbar sei, muss einen dies nicht wirklich wundern. Der Frust über die gesellschaftlichen Entwicklungen sitzt vielerorts tief.
Um auf Stiglitz zurückzukommen, stünden sowohl Italien als auch Spanien politisch auf der Kippe. Durchaus könne es dazu kommen, dass beide Länder die Eurozone verlassen werden. Und warum soll dies nicht vorstellbar sein, nachdem Großbritannien jüngst vorgemacht hatte, wie leicht es tatsächlich ist, das eigene Schiff in eine andere Richtung zu steuern?!
In eine Richtung allerdings, die dem Establishment zuwider ist. Laut Stiglitz seien nahezu alle Probleme, mit denen der europäische Kontinent zu kämpfen habe, auf die Schaffung und Einführung der Gemeinschaftswährung Euro zurückzuführen. Stiglitz bezeichnet den Euro gar als einen historischen Fehler.
"Ökonomisches Projekt zur Steigerung des allgemeinen Wohlstands"
Befürworter der europäischen Gemeinschaftswährung weisen hingegen stets auf die Tatsache hin, dass der Euro nicht nur ein ökonomisches Projekt zur Steigerung des allgemeinen Wohlstands auf dem Kontinent gewesen ist.
Vielmehr habe es sich seit Anbeginn um ein politisches Projekt gehandelt. Der Euro sollte als Instrument und Vehikel dienen, um die politische Integration in Europa zu forcieren. Stiglitz ist der Ansicht, dass der Euro beiden mit dessen Einführung verbundenen Zielen nicht gerecht geworden ist.
Weder habe der Euro zu mehr wirtschaftlicher Prosperität in Europa noch einer sich intensivierenden politischen Integration auf dem Kontinent geführt. Beide Ziele drohten stattdessen immer unerreichbarer zu werden.
"Eurozone von Beginn an eine Totgeburt"
Anstelle des Einzugs von Frieden und Harmonie blickten die europäischen Länder schon seit einiger Zeit mit einem immer größeren Misstrauen aufeinander. Gleichzeitig wachse, so Stiglitz, die Wut. Alte Vorurteile brächen allerorten wieder hervor.
Die Eurozone sei seit ihrer Geburt eine Totgeburt gewesen, so Stiglitz weiter. Dafür seien insbesondere die Strukturen, die Regularien und Institutionen der Eurozone verantwortlich zu machen.
Einst ist die Vielseitigkeit Europas einmal die große Stärke des Kontinents gewesen. Doch eben jene Vielseitigkeit macht es schwierig, wenn nicht gar unmöglich – einem Kontinent, der sich durch enorme politische, regionale und ökonomische Verschiedenheit auszeichnet, eine Gemeinschaftswährung überzustülpen.
Einheitlicher Zinssatz wirkt wie Zinskorsett
Stiglitz setzt an diesem wichtigen Punkt seine Kritik neu an. Denn eine mit der Einführung einer Gemeinschaftswährung gehe auch die Einführung eines für alle Mitgliedsstaaten gleichen Zinssatzes einher. Folge ist ein starres Zinskorsett, das vielen Euroländern in deren heutigen Lage die Luft zum Atme abschnürt.
Längst hätte es, so Stiglitz, zur Schaffung von einer Reihe von Institutionen in der Eurozone kommen müssen, um jenen Nationen unterstützend zu assistieren, damit diese einen Ausweg aus ihren Problemen finden können. Bis heute existierten solche Institutionen jedoch nicht.
Auch die aktuelle Struktur der Eurozone und deren Regularien liefen dem Ziel eines stabilen Wachstums, Vollbeschäftigung und finanzieller Stabilität diametral entgegen. Einst hätten die Gründerväter des Euro, so Stiglitz, ihre Ideen zur Einführung einer Gemeinschaftswährung auf die Funktionsweise von Ökonomien gestützt, die zum damaligen Zeitpunkt en vogue gewesen seien.
Eklatanter Mangel an Verständnis für die Funktionsweise der Märkte
Mit der heutigen Realität habe all dies jedoch nichts zu tun. Hinzu gesellte sich das absolute Vertrauen in Märkte, doch ein Mangel an Verständnis für die Funktionsweise und die in der Realität eingeschränkte Funktion dieser Märkte sprechen diesen Ansichten Hohn. Es ist eben jener Marktfundamentalismus bzw. Neoliberalismus, der in Zeiten unserer Dauerkrisen immer ein Stück mehr zu Grabe getragen wird.
Joseph Stiglitz geht auch auf diesen Aspekt ein wenig genauer ein. Während diese Art des Fundamentalismus in den meisten Weltregionen vor allem in Folge der Bankenkrise in den Jahren 2008 und 2009 diskreditiert worden sei, hätten derartige Ansichten in der Eurozone trotz der für jedermann sichtbaren Konsequenzen überlebt und gar weiter floriert.
Dies gelte insbesondere für die politische Führung Deutschlands. In Berlin klammere man sich mit einer unfassbaren Überzeugung und Gewissheit – und entgegen allen auf der Hand liegenden Beweisen eines Scheiterns – an diese wirtschaftpolitischen Thesen. Aus diesem Grund, so Stiglitz, ließe sich mit Recht vom Festhalten an einer Ideologie sprechen.
Deutsches Wirtschaftswachstum: Wirklich Beispiel gebend?
Ähnliche und durch Weltbank und Internationalen Währungsfonds vertretene Ansichten hätten zu einem Vierteljahrhundert der verlorenen Wirtschaftsentwicklung in Afrika und einer „verlorenen Dekade“ in Südamerika geführt.
Die deutsche Regierung bezeichne die eigene wirtschaftliche Entwicklung seit dem Jahr 2007 als großen Erfolg, um sich selbst zu einer Messlatte für andere Länder in der Eurozone zu stilisieren, so Stiglitz weiter.
So ist Deutschlands Wirtschaft seit dem Jahr 2007 zwar um 6,8% gewachsen, doch Realität ist, dass dies gerade einmal einer mickrigen Wachstumsrate von durchschnittlich 0,8% pro Jahr entspricht. Eine Kennziffer, die, so Stiglitz, unter normalen Umständen nahe eines Scheiterns gerückt würde.
Stagnierende Reallöhne
Auffällig auch, dass die Reallöhne in Deutschland im selben Zeitraum stagnierten, wenn nicht – laut mancher Statistiken – sogar zurückgingen. Gleichzeitig hat sich die Lücke zwischen jenen am unteren Ende der Gesellschaft und der Mittelklasse um weitere 9 Prozentpunkte in weniger als einer Dekade vergrößert.
Zeichen des Scheiterns sei, so Stiglitz, vor allem auch der Mangel an Selbstkritik und die Unfähigkeit in der politischen Führung des Kontinents, begangene Fehler zuzugeben. Alle möglichen Faktoren – anstelle von sich selbst – für die Dauerkrise verantwortlich zu machen werde das Euro-Problem jedoch nicht lösen, sondern weiter verschärfen.
Kommentare
Sooo isses! (Leider...) :-(
("... ich armer Thor und bin so klug als wie zuvor")
Peter
- Einführung nationaler Währungen
- Beibehalten des Euro als übergeordneter europäischer Währung (oder auch nicht)
- Abschaffung FIAT-Money
- Aktiv- anstatt Passivgeld mit Vollgeldsystem (oder Edelmetalldeckung) und Monetative
- Finanzmärkte regulieren
- Steueroasen austrocknen (da kann uns der Herr Juncker bestimmt wunderbar helfen, der kennt sich aus)
- Managergehälter begrenzen
- Sozialversicherungen und Einkommenssteuer auf jedes Einkommen
- gerechte Erbschafts- und Vermögenssteuer
- einmalige Vermögensabgabe
- Direkte Demokratie (vor allem beim Budgetrecht)
- Investitionen in Forschung, Bildung und Infrastruktur
- und die anderen guten Ideen, die gar nicht so doofe Menschen schon längst vorgeschlagen haben, und die ich hier vergessen habe
- und wenn wir schon dabei sind Ende der NATO Angriffskriegspolitik
Was davon werden unsere überragenden Politiker wohl machen?
Überhaupt gar nichts? Mehr als wahrscheinlich.
Und wer hat schuld?
Bestimmt die drecks Nordkoreaner (um Missverständnisse zu vermeiden) https://www.youtube.com/watch?v=U19ij63Qa24). Oder doch wir?
Vielleicht weil wir alle Jahre wieder uns (wenn überhaupt) zur Wahlurne schleppen und das gleiche Gesindel wählen, weil wir vorher auf ein paar (selbst bezahlte) Wahlgeschenke reinfallen oder weil die Frau Merkel doch so ne Nette ist oder weil wir das einfach immer schon wählen oder weil wir einfach komplett verblödet sind von Bild, Spiegel, Apotheken-Umschau und Co. und den ganzen Scheiß, den sie und Klaus - the best Anchorman ever - Kleber uns erzählen auch noch glauben oder weil es uns einfach egal ist oder (ganz neu) weil wir nur zufällig am Wahllokal vorbeikamen auf der Jagd nach dem neuesten Pokemon.
Aber ohne dass wir daran was ändern oder Mr. Market das System frisst (was zugegebenermaßen am Anfang auch nicht so angenehm werden würde), werden wir wohl eher eine Mischung aus folgendem erleben, worauf ich persönlich jetzt nicht unbedingt Bock habe:
- Negativzinsen für jedermann
- zuvor notwendigerweise Bargeldabschaffung
- Goldverbot
- Bail-ins je nach Bedarf
- geplatzte Blasen hier und dort
- Massenarbeitslosigkeit (auch offiziell)
- Sparmaßnahmen, Sparmaßnahmen, Sparmaßnahmen
- umzäunte Reichenviertel (viele werden nicht übrig bleiben)
- soziale Unruhen
- Polizeistaat
- Globale Überwachung
- Feierliche Übergabe der weltweiten Regierungsgeschäfte an Goldman Sachs
- Militärparade zum 50-jährigen "War on Terror"-Jubiläum
- den endgültigen Zusammenbruch
- Revolution und dann doch die ganzen guten Ideen von oben
- oder Krieg (danach helfen die guten Ideen dann auch nicht mehr)
Hoffen auf's Beste reicht da nicht. Ein bisschen mehr muss schon kommen. Aber wir haben lieber Angst vor Terroristen, Schweinegrippe, russischer Invasion oder noch schlimmer unsere Lieblingssendung im Fernsehen zu verpassen.
Schade eigentlich.
Statt ständig nur über das ewige und allseits bekannte Scheitern zu philosophieren, sollte die Brainstormer lieber über vernünftige Lösungsansätze nachdenken.
Nicht die Strukturen, Regularien und Institute waren von Beginn an Ursachen der Totgeburt.
Die eigentliche Totgeburt war die idiotische und sich selbst entlarvende Idee, an den Anfang der Union, eine einheitliche und nur die großen Konzerne und Reichen begünstigende Währung als Katalysator zu setzen, statt einer echten kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Harmonisierung der Staaten und Völker Europas.
Es war doch jedem halbwegs normal denkenden Ökonomen klar, das Übergewichte wie Deutschland die anderen an die Wand fahren lassen.
In einem 100 m Sprint haben wir Top-Atlethen gegen Rollstuhlfahrer, Einbeinige und Fußlahme antreten lassen.
Nur das die Sieger bei diesem bescheuerten Rennen für das vorherzusehende Versagen der Verlierer blechen müssen. Gewonnen haben nur die auf den Rängen sitzenden Wettfreunde.
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