Korrekt ist, dass Saudi-Arabien sich dazu in der Lage sah, sich eine Reihe von kurzfristigen Vorteilen in asiatischen Schlüsselexportmärkten zu sichern, nachdem sich die Rohölausfuhren des Landes nach China im April mit 2,2 Millionen Fass pro Tag mehr als verdoppelt haben.

Auch die Verschiffungen nach Indien erwiesen sich bei einem Niveau von 1,1 Millionen Fass pro Tag als die höchsten innerhalb der vergangenen drei Jahre. Diese Entwicklung resultierte jedoch hauptsächlich aus einer Reduzierung der offiziellen Verkaufspreise (OSPs) im Sektor der Ölabsätze im Monat April auf einige der niedrigsten Niveaus seit Jahrzehnten durch die Saudis.

Auf diese Weise wurden Konkurrenten aus dem Feld geschlagen, woraufhin sich das gleiche Szenario nochmals im Monat Mai an den internationalen Rohölmärkten beobachten ließ. Selbst dieser kleine Sieg ist mittlerweile großen Gefahren ausgesetzt, da die Anzeichen dafür wachsen, dass das sich Ausmaß der Probleme, in welche das Haus Saud das eigene Land hineinmanövriert hat, als wahrlich monumental bezeichnen lassen.

Erst in der vergangenen Woche zwang ein sich enorm wachsender Wirtschaftsdruck die Saudis zu einer Erhöhung ihrer Verkaufs- und Auslieferungspreise für arabisches Leichtöl an asiatische Handelspartner in Höhe von 1,40 US-Dollar pro Fass im Juni im Vergleich mit dem Monat Mai, obgleich dieser Preis noch immer mit einem Rabatt in Höhe von 5,90 US-Dollar im Vergleich mit dem in Oman und Dubai vorherrschenden Durchschnittsrichtwert einherging.

An den Rohölmärkten herrschte hingegen die allgemeine Erwartung vor, dass die Saudis ihre OSPs auf niedrigen Niveau verharren lassen würden, um eigene Marktanteile zu sichern und auszuweiten. Saudi-Arabien enttäuschte diese Erwartungen jedoch, weil sich die Finanzen des Landes momentan in einem schlimmeren Zustand befinden als zu jenen Zeiten zwischen den Jahren 2014 und 2016, in denen das Königreich letztmals versucht hatte, die amerikanische Schieferölindustrie zu zerstören.

Schon damals erwies sich dieser Versuch aus Sicht der Saudis als absolute Katastrophe. Doch damals lagen die Chancen im Hinblick auf eine potenziell erfolgreiche Zerstörung der amerikanischen Schieferölindustrie aus vielerlei Gründen noch bei Weitem höher als im laufenden Jahr. Doch schon damals führten diese Bemühungen nahezu zu einer kompletten Zerstörung der heimischen Saudi-Wirtschaft.

Zum damaligen Zeitpunkt verfügten die Saudis noch über rekordhohe ausländische Devisen- und Währungsreserven (in Höhe von 737 Milliarden US-Dollar im August 2014), womit den Saudis ein erheblicher Spielraum bezüglich einer Aufrechterhaltung und Verteidigung der Kopplung des saudischen Rial an den US-Dollar verschafft wurde.

Gleichsam sah sich die saudische Führung damals noch dazu in der Lage, die turmhohen Budgetdefizite abzudecken, die aus dem damaligen Ölpreiseinbruch, der wiederum seine Ursache in einer immensen Überproduktion hatte, resultieren würde. Obwohl Amerikas Schieferölindustrie aufgrund dieses Ölpreiskriegs zwischen den Jahren 2014 und 2016 teils hart getroffen wurde, büßten die OPEC-Nationen einen kumulierten Betrag in Höhe von 450 Milliarden US-Dollar in Form von entgangenen Rohöleinnahmen aufgrund der gesunkenen Preise ein, wie es ehedem seitens der IEA hieß.

In Saudi-Arabien selbst hatte diese Entwicklung zur Folge, das aus einem Budgetüberschuss im Jahr 2015 ein rekordhohes Budgetdefizit in Höhe von 98 Milliarden US-Dollar wurde. Gleichzeitig sah sich die saudische Führung dazu gezwungen, mindestens 250 Milliarden US-Dollar ihrer ausländischen Devisenreserven in dieser Zeit in den Ring zu werfen, von denen selbst hochrangige Offizielle des Landes sagten, dass diese Reserven unwiederbringlich verloren seien.

Im Jahr 2016 erwies sich Saudi-Arabiens wirtschaftliche und politische Lage dann bereits als derart schlecht, dass der stellvertretende Wirtschaftsminister des Landes, Mohamed Al Tuwaijri, im Oktober 2016 unzweideutig und aus Sicht eines hochrangigen Offiziellen der Saudis auf höchst unerwartete Weise konstatierte:

Falls wir [Saudi Arabia] jetzt keine Reformmaßnahmen in Angriff nehmen, und falls die globale Wirtschaft in ihrer derzeitigen Verfassung verharrt, so werden wir in drei bis vier Jahren als Land Bankrott sein.“

In der Übersetzung lässt sich sagen, dass Saudi-Arabien in drei bis vier Jahren bankrottgehen würde, falls das Land weiterhin an einer Überproduktion von Rohöl festhalten und die Preise an den internationalen Rohölmärkten auf diese Weise nach unten treiben sollte. Doch genau das ist im laufenden Jahr erneut geschehen.

Aus ökonomischer Perspektive haben manche Stimmen argumentiert, dass sich rund 300 Milliarden US-Dollar als ausreichend erweisen sollten, um die Kopplung des saudischen Rial an den US-Dollar auch weiterhin zu verteidigen und aufrechtzuerhalten. Saudi-Arabiens aktuelle Währungsreserven sind noch immer hoch, wenn auch bereits in einem Bereich deutlich unterhalb der Marke von 500 Milliarden US-Dollar.

Was vielerorts jedoch noch kaum berücksichtigt wird, ist der zunehmend negative Ausblick, den eine wachsende Anzahl an Marktteilnehmern insbesondere aus Investitionssicht in Bezug auf Saudi-Arabien hat, was der Führung des Landes erschweren wird, sich an den Bondmärkten zu verschulden und Eigenkapital in Form von Aktienemissionen aufzunehmen, um sich einer anhaltenden Talfahrt der heimischen Devisenreserven entgegenzustemmen.

Selbst vor dem immensen Reputationsschaden, den Saudi-Arabien aufgrund derselben ergriffenen Strategie, die sich schon beim letzten Mal als derart desaströs erwiesen hatte, hinnehmen musste, zeichnete sich bereits ein Überhang im Bereich der zu emittierenden Staatsanleihen der Regierung ab, was internationalen Investoren bereits gehörig den Appetit auf diese Anlagen verdarb.

Interessant ist zudem, dass die saudische Führung nochmals diesen Weg eingeschlagen hat, obwohl es im laufenden Jahr zum Ausbruch einer globalen Pandemie gekommen ist. Saudi-Arabien ist im laufenden Jahr bereits zwei Mal an die internationalen Bondmärkte gegangen, um sich unter heimischen und ausländischen Investoren Kapital in Höhe von 19 Milliarden US-Dollar zu beschaffen.

Neue Investoren anzulocken, die den Saudis ihre toxischen Schuldenemissionen abnehmen werden, dürfte im Angesicht des jüngst über die Bühne gegangenen Börsengangs des staatlichen Rohölriesen Saudi Aramco nebst einem Verlust an Vertrauen alles andere als einfach sein, da die Anzeichen überwältigend sind, dass die Saudis in der Tat dazu bereit wären, die Minderheitenrechte der Aktionäre zu verletzen und auszuhebeln, wie ich dies bereits tiefgründig in meinem neuen Buch über die globalen Rohölmärkte analysiert habe.

Menschen, die dazu neigen, Fakten auszublenden und das Verhalten der Saudis zu entschuldigen, sei gesagt, dass die saudische Zentralbank im Monat März im schnellsten Tempo einem großen Anteil ihrer ausländischen Nettovermögenswerte seit dem Jahr 2000 verlustig ging.

Allein in diesem Monat, worauf selbst eigens veröffentlichte Daten durch die Saudis hindeuten, reduzierten sich die durch das Königreich gehaltenen ausländischen Devisen- und Währungsreserven um rund 27 Milliarden US-Dollar. Gegenüber dem Vormonat entsprach dies einem drastischen Rückgang in Höhe von fünf Prozent.

Die durch die saudische Zentralbank gehaltenen Nettodevisenreserven belaufen sich zum aktuellen Zeitpunkt auf noch 464 Milliarden US-Dollar, was dem niedrigsten Niveau seit dem Jahr 2011 entspricht. Damit verbleiben den Saudis gerade noch 164 Milliarden US-Dollar zur potenziellen Stabilisierung der heimischen Währung, wenn der weiter oben erwähnte Betrag in Höhe von 300 Milliarden US-Dollar in Abzug gebracht wird.

Sollte sich der Rückgang der heimischen Nettodevisenreserven auch in den Monaten April und Mai um jeweils fünf Prozent fortgesetzt haben (es könnte sogar noch deutlich mehr werden), so würden sich die saudischen Nettodevisenreserven zum aktuellen Zeitpunkt auf gerade einmal etwas mehr als 418 Milliarden US-Dollar belaufen.

Diese Kennzahl wird weiter sinken, da niedrigere Rohölpreise über einen längeren Zeitraum anhalten werden. Gleichsam müssen sich die Saudis an die niedrigeren Ölproduktionsziele, die jüngst beschlossen wurden, auch halten. Zum selben Zeitpunkt schlitterte das Königreich im ersten Quartal in ein umgerechnet mehr als 9 Milliarden US-Dollar hohes Budgetdefizit, während eine Reihe von unabhängigen Analysten davon ausgeht, dass das saudische BIP im laufenden Jahr um mehr als drei Prozent schrumpfen könnte.

Es handelt sich um die erste Wirtschaftsschrumpfung seit dem Jahr 2017 und den stärksten BIP-Rückgang seit dem Jahr 1999), während sich das Budgetdefizit in diesem Zuge auf bis zu 15 Prozent in Relation zum BIP ausweiten könnte. Zu derselben Strategie der Überproduktion von Rohöl zur Senkung der internationalen Rohölpreise, die sich wie zuvor erwähnt schon in der Vergangenheit als desaströs für die Saudis erwiesen hatte, und zu einem Zeitpunkt, zu dem klar war, dass die Coronavirus-Pandemie die globale Ölnachfrage drastisch sinken lassen würde, gibt es einen Kardinalfehler, den das Haus Saud begangen hat – und wofür dessen Mitglieder durch die eigene Bevölkerung persönlich in den nächsten Monaten zur Verantwortung gezogen werden dürften –

Hierbei handelt es sich um die Ausradierung von jedwedem Vertrauen, das die US-Führung einst einmal in die Saudis gehegt haben mochte. Ottonormalbürger liegt das Wohl der USA zwar wahrscheinlich nicht allzu sehr am Herzen und es kümmert sie auch nicht sonderlich, doch worüber sich die saudische Bevölkerung besorgt zeigt ist die aus Sicht Saudi-Arabiens wachsende politische und ökonomische Unsicherheit, die durch den jüngsten Preiskrieg an den Rohölmärkten – direkt und indirekt – verursacht worden ist.

Aus Sicht der USA – und diese Ansicht wurde gegenüber OilPrice.com zuletzt wiederholt von Seiten verschiedenster hochrangiger Quellen in der Washingtoner Administration über den Verlauf der letzten Wochen bekräftigt – habe Saudi-Arabien das einst im Jahr 1945 geschlossene Suezkanal-Grundabkommen zwischen dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und dem saudischen König Abdulaziz, das die Beziehungen zwischen beiden Nationen seitdem geformt hat, verletzt, wodurch großes Vertrauen verspielt worden sei.

Dieses Abkommen fußte darauf, dass die USA alle benötigten Rohöllieferungen aus Saudi-Arabien erhalten würden, solange die Saudis über förderbare Ölreserven verfügen würden, wofür die Vereinigten Staaten im Gegenzug die nationale Sicherheit Saudi-Arabiens und die Sicherheit des Herrscherhauses Saud militärisch garantierten.

In jüngster Vergangenheit hatte sich dieses Abkommen insofern moderat verändert, als dass die Saudis es der amerikanischen Schieferölindustrie erlauben würden, auch in der Zukunft zu existieren und wirtschaftlich zu wachsen. Wenn dies im Umkehrschluss bedeutet, dass Saudi-Arabiens durch hochgehaltene Rohölpreise Marktanteile an Schieferölunternehmen in den USA einbüßen, und gleichzeitig auch manchen Exportchancen in die USA verlustig gehen würde, so handelt es sich eben um jenen Preis, den das Herrscherhaus Saud für die anhaltende militärische Protektion durch die USA bezahlen muss.

Nun, da das Vertrauen zwischen beiden Nationen in die Brüche gegangen ist, liegen alle Optionen auf dem Tisch. US-Präsident Donald Trump warnte das Haus Saud schon vor einiger Zeit auf folgende Weise:

Er [Saudi-König Salman] würde nicht einmal für zwei Wochen ohne die Protektion des amerikanischen Militärs an der Macht bleiben.“

Unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen – und worauf ich selbst zuvor auch schon einmal eingegangen bin – wird zurzeit eine sehr ernsthafte Option in Erwägung gezogen. Am 2. April teilte Trump Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) telefonisch mit, solange die OPEC nicht damit beginnen würde, die eigene Ölproduktion zu drosseln, er [Trump] sich außer Stande dazu sehen würde, amerikanische Gesetzgeber davon abzuhalten, ein Gesetz im US-Kongress zu verabschieden, das eine Repatriierung der US-Truppen aus dem Königreich Saudi-Arabien zur Folge hätte.

Doch hier enden die Dinge aus Sicht der Vereinigten Staaten nicht. Bereits darauf hinweisend, dass jeder weitere „Unsinn“ aus Saudi-Arabien durch die USA aus politischer Perspektive nicht mehr geduldet und toleriert werde, so erweist sich der Optimismus aus Sicht von einigen hochrangigen Demokraten und einiger Republikaner – sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat – als hoch, dass die Saudis zu Kompensationszahlungen aufgrund der erheblichen ökonomischen Entbehrungen, die sie in den USA durch ihre betriebene Politik verursacht hätten, herangezogen werden.

Als zugrundeliegender Mechanismus erweist sich der No Oil Producing and Exporting Cartels Act’ (NOPEC). Dieses US-Gesetz macht es unmöglich, die Öl- und Gasproduktion auf künstliche Weise zu deckeln oder die jeweiligen Preise festzusetzen, so wie es die OPEC, OPEC+ und Saudi-Arabien bislang tun.

Eine Verabschiedung des Gesetzes würde auch sofort mit einem Entzug der staatsrechtlichen Souveränität, die momentan aus Sicht der OPEC-Länder aus Sicht von amerikanischen Gerichten besteht, einhergehen, was ebenfalls für alle Mitglieder der jeweiligen Mitgliedsstaaten der OPEC gelten würde. Saudi-Arabien ließe sich zukünftig also unter Zuhilfenahme der amerikanischen Kartellgesetze in den USA verklagen. Aus Sicht der Saudis alles andere als eine komfortable Aussicht, da sich allein die saudischen Investitionen allein in den USA laut Schätzungen auf 1 Billionen US-Dollar belaufen sollen.

Gastbeitrag für CK*Wirtschaftsfacts / © Simon Watkins / Oilprice.com

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