Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte waren die Zinsen auf Geld so niedrig wie dies gerade der Fall ist.“ Wer würde diese Aussage unseres guten alten Senators Henry M. Teller aus dem Bundesstaat Colorado in Frage stellen? Über einen Zeitraum von acht Jahren hat die Federal Reserve einen beständigen Krieg gegen die Zinssätze geführt.

Ökonomische Gesetze, die Geschichte und die Logik selbst befinden sich im Angesicht dieser Entwicklung unter Beschuss. Trotz allem gehen wir nach wie vor davon aus, dass sich die ökonomische Realität irgendwann durchsetzen wird. Diese Befürchtungen treiben viele von uns in diesen Tagen um.

Sind Niedrigzinsen historisch betrachtet eher die Norm, denn die Ausnahme?

Lassen Sie uns an dieser Stelle einmal überprüfen, zu welchem Zeitpunkt unser oben zitierter Senator seine Erklärung abgab. Grundgütiger Himmel, kann das tatsächlich wahr sein? Wir stellen fest, dass Senator Tellers Kommentar am 12. Januar in ein Protokoll des Kongresses ausgenommen wurde – und zwar im Jahr 1895.

1895, somit also 19 Jahre, bevor die Federal Reserve das Licht der Welt erblickte! Waren die Zinsen vor 122 Jahren tatsächlich die niedrigsten in der Weltgeschichte? Und erweisen sich niedrige Zinssätze vielmehr als historische Norm denn als Ausnahme?

Der nachfolgende Chart, der Ihnen einen Überblick auf die Historie der Zinssatzentwicklung im Zeitraum der letzten 5.000 Jahre verschafft, zeigt, ob Tellers einst getätigte Aussage der Wahrheit entspricht. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit bitte auf das Jahr 1895:

Die Zinsen waren zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte niedriger. Nur zwei Mal ist es seitdem zu Ausreißern nach unten gekommen, nämlich in den dunklen Tagen der Großen Depression zu Beginn der 1930iger Jahre und der heutigen Zeit. Eine nähere Analyse des oben abgebildeten Charts enthüllt eine weitere grundlegende Tatsache.

Unter Ausklammerung des Beginns des 20. Jahrhunderts sowie Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts tendierten die langfristigen Zinsen über einen großen Teil der vergangenen 500 Jahre nach unten. Könnte es sich im Fall der zu Beginn der späten 1940iger Jahre nach oben strebenden Zinsen um eine historische Ausnahme gehandelt haben?

Stark steigende Zinsen sind die Ausnahme

Finanzanalyst Lance Roberts gibt sich davon überzeugt, dass Perioden, die sich durch stark steigende Zinsen auszeichnen, zu den Ausnahmen in der Geschichte der Zinssatzentwicklung zählen. Roberts hierzu:

Die Zinssätze erweisen sich als Funktion eines starken, organischen und ökonomischen Wachstums, das im Zeitablauf zu einer steigenden Nachfrage nach Kapital führt.“

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kletterten die Zinsen zu Beginn des 20. Jahrhunderts steil nach oben, da eine sich in rapidem Tempo beschleunigende Industrialisierung, die gleichzeitig mit bahnbrechenden Technologiefortschritten Hand in Hand ging, den Durchbruch verschafft hatte.

Zudem zeigt sich Roberts davon überzeugt, dass die massive Wirtschaftsexpansion nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem zweiten Schub an der Zinsfront führte. Er führt hierzu wie folgt aus:

Es gab zuvor zwei Perioden in der Geschichte, die das Zeug dazu hatten, die Entwicklungen an der Zinsfront in Bewegung zu bringen. Die erste dieser Perioden lässt sich auf den Beginn des vorherigen Jahrhunderts zurückdatieren, in der das Land mittels des Eisenbahnbaus und im Angesicht der Fahrzeugrevolution erschlossen wurde. Gleichzeitig wurde die Produktion im Vorfeld des Ersten Weltkriegs massiv ausgeweitet, womit in den Vereinigten Staaten eine Transformation von einer agrarisch geprägten hin zu einer industriell geprägten Wirtschaft begann. Die zweite dieser Periode geht zurück auf die Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in der Amerika sozusagen „zum letzten noch Stehenden oder Überlebenden“ avancierte. Es kam gewiss nicht von ungefähr, dass Amerika just in dieser Zeit auf eine seiner stärksten Wachstumsstrecken zurückblickt, nachdem die „Jungs aus dem Krieg“ zurückkehrten, um all jene Länder wieder mit aufzubauen, die sie gerade erst zerstört hatten.“

Die Zinsen befinden sich seit den 80er Jahren im Abwärtstrend!

Eine eingehende Chartanalyse zeigt, dass die Zinssätze im Jahr 1981 ihr Hoch ausbildeten. Seitdem befanden sich die Zinsen in einem beständigen Abwärtstrend. Falls kletternde Zinsen Ausdruck für eine wachsende Ökonomie sein sollten, würde dies dann bedeuten, dass wir die besten Tage hinter uns haben?

Und handelt es sich im Angesicht des dramatischen Wirtschaftswachstums nach Ende des Zweiten Weltkriegs vielleicht selbst nur um eine Ausnahmeperiode?

Auf dem Weg zur Normalität

Investoren haben seit der globalen Finanzkrise häufig über den Zustand der Weltwirtschaft in einer Art und Weise gesprochen, laut der dieser Zustand die „neue Norm“ eines langsamen Wirtschaftswachstums bei gleichzeitig niedriger Inflation reflektiere“, wie der hochrangige Wirtschaftskorrespondent der New York Times, Neil Irwin, erklärt. „Doch vielleicht mögen wir auch nur zur alten und vorhergehenden Normalität zurückgekehrt sein.“ Irwin weiter:

Niedrige Zinsen waren die Norm über viele Jahrzehnte, was vor allem dann galt, wenn die Inflation – wie in unserer heutigen Zeit – niedrig war. Es erweckt den Anschein, dass ein Durchschnittszins von 7,3% in den Vereinigten Staaten zwischen den Jahren 1970 und 2007 eine große Ausnahme gewesen ist.“

Bryan Taylor, Chefökonom bei Global Financial Data, fügt wie folgt an: „Wir bewegen uns nun zurück zur Normalität, und die Leute brauchen nun einmal einige Zeit, um diese Tatsache zu realisieren.“

Heutzutage bewegen sich die Zinsen auf amerikanische Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit beispielsweise um einen Mittelwert von 2,84%. Doch britische Bonds – zu ihrer Zeit Papiere mit dem geringsten Risiko – kamen im Jahr 1898 gerade einmal mit einem Zinssatz von noch niedrigeren 2,48% daher.

Neun „echte Zins-Depressionszyklen“ in 700 Jahren

Dies war selbstverständlich kurz vor dem Beginn des steilen Zinsanstiegs in den darauf folgenden drei Jahrzehnten der Fall. Paul Schmelzing lehrt Wirtschaftswesen an der Harvard Universität. Gleichzeitig bekleidet er den Rang eines wissenschaftlichen Beraters der Bank of England, für die Schmelzing eine Studie über die historische Zinsentwicklung ausarbeitete.

Im Verlauf von sieben Jahrhunderten identifizierte Schmelzing insgesamt neun „echte Zinsdepressionszyklen“ Diese Zyklen zeichnen sich durch einen beständigen Rückgang der Zinssätze aus, auf den irgendwann Trendwenden einsetzten. Die ersten acht untersuchten Zyklen erzählen eine fantastische Geschichte. Denn diese Zyklen setzten häufig immer zu Zeiten und Ereignissen ein, in denen beispielsweise der Schwarze Tod (die Pest) im 14. Jahrhundert umging, es zum Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert oder zum Zweiten Weltkrieg im 20. Jahrhundert kam.

Aktuell sieht sich die Welt historisch betrachtet im neunten Zinsdepressionszyklus gefangen, der Mitte der 1980iger Jahre begann. Schmelzings Forschungsergebnisse bringen zu Tage, dass der aktuelle Zyklus sich auch gleichzeitig als zweitlängster und zweitintensivster über den Verlauf der vergangenen 700 Jahre erweist.

Der bislang am längsten anhaltende Zyklus geht auf das 15. Jahrhundert zurück. Und nur einer der vorangegangenen Zyklen – ebenfalls in derselben Epoche – übertraf den aktuellen Zyklus im Hinblick auf dessen Intensität. Nahezu aus jedem Blickwinkel betrachtet, erweist sich der aktuelle Zinsdepressionszyklus als einzigartig in der Historie. Der sehr steile Abwärtstrend auf der ganz rechten Seite des nachfolgenden Charts gibt einen Hinweis auf dessen Ernsthaftigkeit:

Schmelzings Forschungsergebnisse zeigen, dass die Realzinsen über den Verlauf der letzten 700 Jahre bei durchschnittlich 4,78% gelegen haben. In der Zwischenzeit haben sich die durchschnittlichen Zinssätze über den Verlauf der letzten 200 Jahre auf 2,6% minimiert. „Im Vergleich mit diesen beiden historischen Orientierungsrichtwerten erweist sich das aktuelle Marktumfeld nach wie vor als hochgradig depressiv“, wie Schmelzing schlussfolgert.

Wenn die Zinsmärkte sich bewegen, dann rasant!

Falls uns eine „Angleichung an die Normalität“ ins Haus stehen sollte, könnten die Zinsen mit hoher Geschwindigkeit klettern. Wenn die Zinsmärkte erst einmal in Bewegung geraten, zeigt die Geschichte, dass dies in hohem Tempo geschieht. Wir erinnern uns in diesem Kontext daran, dass 10-jährige US-Staatsanleihen im Verlauf der letzten zwölf Monate um rund einen vollen Prozentpunkt zugelegt haben.

Könnte der aktuelle Zinsdepressionszyklus vor seinem Ende stehen? Es wäre verfrüht, dies zu behaupten. Doch falls sich unsere Welt kurz vor dem Ende des seit nunmehr 34 Jahren anhaltenden Zinsdepressionszyklus befinden sollte, könnte eine bevorstehende Trendwende zu einer Lektion für viele Marktteilnehmer avancieren. Schmelzing hierzu:

Die sich aus den letzten acht Realzinsdepressionen ableitenden Anhaltspunkte zeigen, dass einsetzende Trendwenden typischerweise in hohem Tempo und auf massive Weise einsetzten. Solche Trendwenden nach einer Stagnation der Realzinsen liefen nicht nur in hohem Tempo und non-linear ab, sondern fanden häufig nach einem Zeitraum von durchschnittlich 26 Jahren statt. In jenen 24 Monaten nach Ausbildung des Tiefs im Zinsdepressionszyklus, legten die Zinsen durchschnittlich um 315 Basispunkte [3,15%] zu, während es im Fall von zwei analysierten Trendwenden gar zu Zinsanstiegen von mehr als 600 Basispunkten [6%] innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren gekommen war.

Wie würde sich eine „rapide und nicht-linear ablaufende Zinswende“ auswirken?

Die Zinsen auf 10-jährige US-Staatsanleihen bildeten im Juli 2016 ihr Tief bei 1,37% aus. Rund zwei Jahre später haben die Zinsen die Marke von 3% überschritten, bevor es zu einem moderaten Rücklauf kam. Berücksichtigt man die obigen Ausführungen und Erkenntnisse, könnten uns in der Tat eine Reihe von Verwerfungen ins Haus stehen. Hinzu kommt, dass der aktuelle Zinsdepressionszyklus nicht nur der zweitlängste in der Geschichte, sondern auch der zweitintensivste ist.

Da Aktienmärkte und US-Wirtschaftserholung von ultraniedrigen Zinsen abhängig zu sein scheinen, machen wir uns zurzeit Gedanken darüber, wie sich eine „rapide und nicht-linear ablaufende Zinswende“ auf Amerikas Staatsfinanzen und dessen Fähigkeit einer Bedienung seiner ausstehenden Schulden auswirken würde.

Selbstverständlich gibt es kein ökonomisches Gesetz, laut dem der historisch zweitlängste und zweitintensivste Zinsdepressionszyklus nicht zum längsten und intensivsten avancieren sollte. Der aktuelle Zinsdepressionszyklus könnte noch über viele Jahre anhalten. Oder er könnte morgen sein Ende sehen. Wenn Historie uns eines lehrt, dann dass dieser Zyklus definitiv enden wird.

Ihr
Brian Maher

Gastbeitrag für CK*Wirtschaftsfacts / © 2018The Daily Reckoning / Agora Publishing



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