Wir leben in merkwürdigen Zeiten. Waren in früheren Zeiten stets die Kirchen die höchsten und prächtigsten Bauwerke in einem Ort, so sind es heute meistens die Türme und pompösen Gebäude der Banken. Und auch die weltweit noch wenigen verbliebenen gekrönten Häupter stehen heutzutage mit ihren Vermögen meistens nur noch auf den Abstiegsrängen der vierten Liga des Geldadels. Beispielsweise schaffte es die britische Königin Elisabeth II. im Jahr 2010 mit einem geschätzten Gesamtvermögen von etwa 300 Millionen Pfund gerade einmal auf Platz 245 in der Liste der reichsten Briten. [1] Falls Sie sich jetzt über den Wert der Kronjuwelen den Kopf zerbrechen sollten, sei gesagt, dass sich diese Klunker genauso im Eigentum des britischen Staates befinden, wie der Ort an dem diese aufbewahrt werden: dem Tower of London.

Trotz ihres – im Verhältnis zu den wirklich Superreichen – bescheidenen Vermögens ist die Queen natürlich eine äußerst gut situierte Persönlichkeit. Sie besitzt sogar die ein oder andere Insel. Zum Beispiel die „Isle of man“ in der irischen See, aber auch die beiden anderen Steuerparadiese Jersey und Guernsey. Interessant ist hierbei, dass diese beiden im Ärmelkanal gelegenen Vogteien weder zur Europäischen Union gehören, noch als Kronkolonie eingestuft sind. Sie sind noch nicht einmal Teil des United Kingdom, sondern zählen tatsächlich einzig und allein zum Besitz der britischen Krone.

Bemerkenswert ist ebenfalls, dass die drei Inseln sogar jeweils über eine eigene Währung verfügen, wobei auf den Inseln natürlich auch herkömmliche britische Pfund akzeptiert werden.

Gerade auf Guernsey hat eigenes Geld eine lange Tradition. Schon vor fast 200 Jahren – anno 1816 – beschlossen die damaligen Inselbewohner, ihr eigenes Geld nach Bedarf zu drucken. Aufgrund der Koalitionskriege in Folge der französischen Revolution herrschten Not und Armut in weiten Teilen Europas und das machte sich auch auf den Kanalinseln bemerkbar. Obwohl Guernsey – klimatisch durch milde Winter, beste Böden und natürlich mit der fischreichen Nordsee gesegnet – alles für ein sorgenfreies Leben zu bieten hatte, kam die Wirtschaft auf der Insel zum Erliegen. Genau wie heute in Griechenland und anderswo, fehlte es damals an Geld. Die Insel und ihre Bewohner waren schlichtweg pleite. Welch auf den ersten Blick unerklärlicher Zustand! Bei dem Reichtum, den die Natur Guernseys zu bieten hatte!

Die Situation damals erinnert an die heutigen Gegebenheiten im Süden Europas, wobei dieser Schlamassel natürlich auch uns Nordlandbürgen noch bevorsteht. Das Geld fehlte den Bewohnern Guernseys, weil die überschuldeten Insulaner einerseits die vom Mutterland England verlangten Steuern und andererseits die Zinszahlungen an die Banken der Londoner City nicht mehr zahlen und leisten konnten. Allein die Aufwendungen für den Schuldendienst übertrafen das Steueraufkommen von Guernsey. Man befand sich in einer verzweifelten Lage, die den damaligen Gouverneur der Insel, Daniel de Lisle Brock, auf eine verwegene Idee brachte, die im folgenden deutlich werden lässt, dass eine der wichtigsten Eigenschaften von Geld in seiner Funktion als Vorfinanzierungsmittel liegt, um Investitionen überhaupt erst ermöglichen zu können.

Daniel de Lisle Brock wollte ein eigenes Inselgeld drucken – genauer gesagt exakt 4.000 neue Guernsey Pfund – um eine Markthalle zu bauen, in der bei jedem Wetter Handel mit Agrar- und Fischereiprodukten betrieben werden konnte. Das frische Geld sollte – nachdem die Handwerker für den Bau der Halle bezahlt wurden – solange parallel zum britischen Pfund auf der Insel frei zirkulieren, bis sich der neue, überdachte Marktplatz durch Mieteinnahmen armortisiert hatte und das Geld wieder an die Inselverwaltung zurückgeflossen war. Danach sollten die Guernsey Pfund wieder vernichtet werden.

Manchen Bürgern und Abgeordneten gefiel die Idee, auch wenn der Ausgang des Experimentes ungewiss war. Andere hielten den Gouverneur schlicht für geisteskrank. Mancher hielt ihn gar für einen gefährlichen Falschmünzer, der einen abstrusen, albernen, törichten und unsinnigen Plan verfolgte, der zu nichts führen würde.

Doch es kam anders. Es geschah ein Wirtschaftswunder. Das Konzept des Gouverneurs ging innerhalb von nur fünf Jahren voll auf. Die Markthalle wurde gebaut und das neue Geld gelangte als Vorfinanzierungsmittel in den Inselkreislauf. Die Handwerker gaben es weiter und der Geldmangel war behoben. Zwar mochten es die Bewohner Guernseys nicht besonders, weil man wusste, dass es in naher Zukunft wieder vernichtet würde und nicht zur Wertaufbewahrung taugte, aber es erfüllte seinen Zweck. Das Geld diente den Menschen und wurde zinsfrei durch sie selbst geschöpft.

Man fand Gefallen an der Sache mit dem eigenen Geld und nahm weitere Projekte in Angriff. Durch das in Umlauf gebrachte Guernsey-Geld erholte sich nicht nur die Inselwirtschaft, sondern auch der Export erstaunlich schnell. Gemüse- und Fischexporteure nahmen „echte“ englische Pfund ein und tauschten sie auf der Insel in die neue Guernseywährung, was die Verwaltung in die Lage versetzte, noch ausstehende Schulden an Banken und das Königshaus zu tilgen, was wiederum zu sinkenden Zinszahlungen führte. Neue Straßen und Schulen wurden gebaut, öffentliche Gebäude und Häuser saniert und renoviert. Müller siedelten sich an und es wurden mit frischem Geld einige Windmühlen gebaut, die den Import teuren Mehls überflüssig machten. Die Insel florierte zusehends.  

Für jedes Projekt wurde eine eigene neue Geldserie gedruckt, die nach einiger Zeit wieder vernichtet wurde. Die Verwaltung unter dem klugen Gouverneur de Lisle Brock beschloss jedoch in weiser Voraussicht, die umlaufende Geldmenge strikt auf 60.000 Guernsey-Pfund zu begrenzen. Man schob damit der Inflation einen Riegel vor und sorgte gleichzeitig mit der steten Vernichtung der einzelnen Geldserien für einen Umlaufimpuls, der dem Geld Beine machte. Innerhalb von nur zwölf Jahren hatte sich das öde Eiland in eine wirtschaftlich blühende Landschaft verwandelt. Der Geldmangel und die Arbeitslosigkeit waren besiegt. Es herrschte Vollbeschäftigung und allgemeiner Wohlstand. Der Traum des Daniel de Lisle Brock war wahr geworden.

Der englische Geldadel wurde auf das Wirtschaftswunder aufmerksam. Banken und Spekulanten rochen Lunte und gute Geschäfte. Mit den bekannten Werbeversprechen der Banken wurden die Inselbewohner wieder auf Systemkurs gebracht: Warum selber fleißig sein? Lassen Sie doch einfach Ihr Geld arbeiten!

Man versprach den mittlerweile wohlhabenden Bürgern Guernseys ein besseres, „richtiges“ Geld, das nicht ständig vernichtet werden würde. Ja, und es würde sich sogar von selbst vermehren. Sogar die auf der Insel politisch einflussreichen Schmuggler – die Insel liegt für den illegalen Handel zwischen England und Frankreich ideal – sollen die Banken bestochen haben, um ihre Ziele durchzusetzen.
Leider Gottes fielen die Inselbewohner auf diese falschen Versprechungen herein. In einer Versammlung des Inselrates folgten sie dem Vorschlag der Bankiers, die umlaufende Geldmenge um 20.000 Guernsey Pfund zu reduzieren, um den Sparern auf der Insel die Geldverleihe gegen Zins zu ermöglichen. Im Jahr 1835 war die zinsfreie und umlaufgesicherte Inselwährung schließlich endgültig Geschichte. Ob der ein oder andere Banker mit einer geschmuggelten Flasche französischen Champagners darauf anstieß, ist nicht überliefert.      

In Teil 2:

  • Guernsey und die Kanalinseln heute: Inseln des Großkapitals
  • warum nicht nur Griechenland eine zusätzliche nationale Währung braucht


Fußnoten und Quellenangaben

[1] http://money.de.msn.com/aktien/bilder.aspx?cp-documentid=153173051#image=18

HERMANN BENJES: WER HAT ANGST VOR SILVIO GESELL?
DAS ENDE DER ZINSWIRTSCHAFT BRINGT ARBEIT, WOHLSTAND UND FRIEDEN FÜR ALLE.
ISBN 978-3-00-000204-5

JAMES MARR:
THE HISTORY OF GUERNSEY - THE BAILIWICKS STORY ISBN: 0953916618

CHRISTOPH MARIA MERKI (HERAUSGEBER):
EUROPAS FINANZZENTREN: GESCHICHTE UND BEDEUTUNG IM 20. JAHRHUNDERT ISBN: 3593377438

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