Auftrag zur unabhängige Berichterstattung erfüllt?

Am Sonntag, den 6. Februar gab es zur nachmittäglichen Prime Time ein Interview im staatlichen Sender ERT 1. Dieses wurde per Satellit über den Auslandssender ERT World in alle Welt verbreitet. Die ERT ist ebenso wie die staatliche Nachrichtenagentur per Präsidialdekret seit dem Wahlsieg im Sommer 2019 dem aktuellen Premierminister unterstellt.

Interviewt wurde die Hauptnachrichtensprecherin des privaten Fernsehsenders SKAI TV, der zufällig sehr regierungsfreundlich ist. Rein zufällig ist die gemäß dem in Griechenland üblichen Verfahren auch tagesaktuelle Themen kommentierende Hauptnachrichtensprecherin mit dem amtierenden Bürgermeister Athens verheiratet.

Dieser wiederum ist vollkommen zufällig Neffe des amtierenden Premiers und Sohn einer Abgeordneten der Regierungspartei Nea Dimokratia, die in der Vergangenheit mehrfach Ministerin und auch Bürgermeisterin von Athen war. Selbstredend konnte die Interviewte, Sia Kossioni, im Gespräch mehrmals betonen, was für ein toller Bürgermeister, Kostas Bakoyiannis, ihr Gatte sei. Es gab Raum für zahlreiche lobende Worte für die ebenfalls politisch tätige Schwiegermutter, Dora Bakoyianni.

Nichts von dem, was sich rund um das mehrere Tage im Voraus mit lobenden Zitaten für den Bürgermeister beworbene Interview abspielte, ist in Griechenland illegal. Aber ist ein solches Verhalten auch ethisch und vor allem demokratisch korrekt? Kann so ein Interview im staatlichen Fernsehen noch als Erfüllung des Auftrags der unabhängigen Berichterstattung angesehen werden?

Dies gilt vor allem, wenn die seit 2019 amtierende nationalliberale Regierung Corona-Hilfsgelder an private Medien in einem intransparenten Verfahren verteilt hat. Griechenland rutscht in der Rangliste der Pressefreiheit immer weiter ab. Über brennende Themen wie die Flüchtlingskrise kann kaum noch berichtet werden.

Darf an Schulen für Unternehmen amtierender Minister geworben werden?

Zu den positiven Errungenschaften aus der Zeit der Staatspleite 2010 zählt das öffentliche Transparenzregister. In diesem müssen sämtliche Entscheide staatlicher Organisationen veröffentlicht werden. Über das Transparenzregister wurde Ende Januar bekannt, dass das Bildungsministerium einer hochumstrittenen „Gesellschaft für pränatale Bildung“ ein Bildungsauftrag für den ergänzenden Unterricht für die Klassen sieben bis neun an griechischen Schulen erteilt hat.

Die Gesellschaft propagiert unter anderem:

„Die DNA des Kindes hängt von der Qualität der Liebe des Paares ab."

  • „Die Mutter gibt neben ihrem Blut auch ihre Gedanken, die geistige Nahrung, an den Fötus weiter.“

  • „Homosexualität entsteht durch die Nichtakzeptanz des Geschlechts durch die Mutter, die wollte, dass ihr Kind ein anderes Geschlecht hat."

  • „Eine schwangere Amerikanerin bewunderte griechische Statuen im Museum und brachte eine Tochter zur Welt, die bei Schönheitswettbewerben gewann."

  • „Die Farbe der Kleidung, die eine Schwangere trägt, bestimmt die Fähigkeiten des Kindes.“

Es kam im Nachhinein heraus, dass die Gesellschaft auch EU-Gelder erhalten hatte. Bildungsministerin Niki Kerameos zog öffentlichkeitswirksam ihre Unterschrift, mit der das Lehrprogramm lizenziert wurde, zurück. Dies geschah während der dreitägigen Parlamentssitzung, in der ein Misstrauensantrag von SYRIZA gegen die Regierung diskutiert wurde. Sie entschuldigte sich damit, dass sie pro Jahr 1000 solcher Lizenzen unterzeichnen würde.

Keine Woche später wurde der nächste Aufreger aus dem Transparenzregister gefischt. Denn auch eine Firma des amtierenden Wirtschaftsministers hatte von Kerameos die Lizenz zum Ergänzungsunterricht an griechischen Schulen erhalten. Ministerium für Entwicklung wird das Wirtschaftsministerium in Griechenland genannt. Es wird von Adonis Georgiadis, dem Vizevorsitzenden der Nea Dimokratia geführt. Georgiadis wurde der griechischen Öffentlichkeit als Verkäufer von Büchern seines Verlags in einer Teleshop-Sendung bekannt.

Außer dem Verlag hatte er mit 22 - noch als Student - bereits eine Privatschule, die Elliniki Agogi (Griechische Erziehung) zu Themen der griechischen Antike gegründet. Georgiadis musste in jungen Jahren gemeinsam mit seinem Bruder den Verlag seines früh verstorbenen Vaters übernehmen. Seine Begeisterung für nationalen Stolz auf antike Leistungen der alten Griechen brachte ihn ins Blickfeld seiner Wähler. Zunächst zog er als Pressesprecher der rechtspopulistischen LAOS-Partei, der „Völkischen orthodoxen Sammlungsbewegung“ ins Parlament ein, wechselte aber nach der Staatspleite zur Nea Dimokratia.

In seiner Privatschule, an der auch der Minister Seminare gibt, gab es Lehrkräfte, die durchaus einem extremistischen Lager zuzuordnen sind. So hatte eine seiner Lehrerinnen den Unterricht über die Antike damit kombiniert, den Schülern zu erklären, dass die „Griechen die wahren Arier“ (sic) seien und alle anderen, die so etwas über ihr Volk behaupten würden, seien Geschichtsverfälscher. Die Mitarbeit der Lehrerin wurde beendet, nachdem Videos von ihrem Unterricht an die Öffentlichkeit kamen.

Weiterhin in den Unterricht eingebunden ist die Gattin des Ministers. Diese hatte in einer Lehrstunde ernsthaft erklärt, dass die Akropolis in Athen seit Millionen Jahren an ihrem Platz stünde. Zu den weiteren Highlights der Schule gehört, dass jedes Wort einer Fremdsprache auf eine griechische Wurzel zurückgeführt wird. Dies mag für eine nicht unerhebliche Zahl von Worten zutreffen, nimmt aber, wenn es übertrieben wird bizarre Züge an.

Die Lizenz des Bildungsministeriums, die ab dem Schuljahr 2020/2021 erteilt wurde, ermöglichte es dem Minister seine Lehre an griechischen Grundschulen zu verbreiten. Von dieser Möglichkeit machte Georgiadis nach eigenen Angaben keinen Gebrauch. Er sieht keinen Interessenkonflikt darin, dass seine Kabinettskollegin ihm faktisch die Möglichkeit zur kostenlosen Werbung für sein Unternehmen an staatlichen Schulen ermöglicht hat.

Gekaufte Stimmen?

Am Montag letzte Woche musste der Minister für Agrarentwicklung Spilios Livanos zurücktreten. Er hatte zusammen mit dem bis Montag ebenfalls zur Nea Dimokratia gehörenden Bürgermeister von Sparta und früherem Minister Petros Doukas an einer Gesprächsrunde teilgenommen. Beim fröhlichen, über Facebook übertragenen Plausch sinnierte Doukas darüber, wie die Nea Dimokratia die nächsten Wahlen gewinnen könne. Bei der Gesprächsrunde, die am 2. Februar stattfand, ging es um Entschädigungszahlungen für vom Frost und starken Wintereinbruch im Januar betroffene Bauern.

Der siebzigjährige Doukas, verheiratet mit der Tochter des früheren Parteichefs der ND Miltiadis Evert, war von 2004 bis 2007 ministerieller Staatssekretär im Finanzministerium und später ministerieller Staatssekretär im Außenministerium. Er erklärte dem Minister, was er angesichts der politisch unter Druck stehenden ND dem Premierminister hinsichtlich der Entschädigungen sagen sollte:

Doukas:„Wenn er Dich hinsichtlich der Frage nach Entschädigungen für den Frost anspricht, sind wir, wie Du Dich erinnerst, nach Ilia gegangen, damals anlässlich der Waldbrände, und so haben wir die Wahlen 2007 gewonnen. Wir sind mit Taschen runtergegangen und haben all diejenigen entschädigt, die…“

Stimme eines weiteren Teilnehmers: „wer Guten Morgen sagte, bekam Geld, diese Jahre waren unvergesslich.“

Doukas: „Wir haben das Spiel buchstäblich gedreht. Dort wo wir mit 15 % zurücklagen und verloren hätten, dorthin sind wir gegangen und mit zwei Zügen hat sich das ganze Spiel gedreht."

Im Video ist hörbar, dass ein weiterer Teilnehmer versucht, den peinliche Details ausplaudernden Doukas zu bremsen. Livanos, mit dem Premier seit der Schulzeit befreundet, fand es jedoch passend, dem allen eine Krone aufzusetzen und sagte:

So müssen wir antworten. Seit damals seid Ihr mit dem, was Ihr dort getan habt, in die Geschichte eingegangen. Nun ist es an uns, was immer wir tun, nach diesem Epos …“

Wegen dieser kaum verhohlenen Zustimmung zur fragwürdigen Praxis, für die Doukas sich selbst feierte, verlor Livanos sein Ministeramt. Doukas traf es noch härter. Mit Beschluss des Parteisekretärs Marinakis wurde er umgehend aus der Partei ausgeschlossen.

Bei der Wahl von Livanos Nachfolger hatte Mitsotakis offenbar kein besonders glückliches Händchen. Er bestimmte Georgios Georgantas zum neuen Minister für Agrarentwicklung. Nur wenige Stunden nach der Berufung des bisherigen ministeriellen Staatssekretärs für die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes ins neue Amt tauchten neue Videos auf. Sie zeigen Georgantas wir er in seinem Wahlkreis in Kilkis zu Parteimitgliedern spricht. Er betont, dass alle Daten zu Wählern, die während der Regierungszeit der Nea Dimokratia einen Job bekommen haben, oder sonstige staatliche Hilfen erhielten, vorlägen. Es gälte nun, diese Personen vor den Wahlen daran zu erinnern, dass sie und ihre nächsten Angehörigen verpflichtet seien, die Nea Dimokratia zu wählen.

Neuwahlen im Herbst?

Zur zeitlichen Einordnung der von Doukas angesprochenen Ereignisse: Am 16. September 2007 fanden nach verheerenden Waldbränden in Griechenland mit einer hohen Opferzahl besonders in Ilia vorgezogene Parlamentswahlen statt. Die Legislaturperiode wäre eigentlich erst im März 2008 abgelaufen. Damals gewann die Nea Dimokratia unter Kostas Karamanlis knapp mit 41,84 Prozent vor der PASOK mit 38,10 Prozent. Die im Wahlgesetz vorgesehenen Bonusstimmen für die stärkste Partei gaben der ND 152 der 300 Parlamentssitze, während die PASOK nur auf 102 kam.

Aktuell stützt sich Premierminister Mitsotakis, nach dem Parteiausschluss von Constantinos Bognanos auf 157 Parlamentssitze. Er hatte am 7. Juli 2019 bei den Parlamentswahlen 39,85 Prozent der Stimmen gewonnen. Bei den nächsten Wahlen kommt ein noch von der Vorgängerregierung verabschiedetes Wahlgesetz zum Zug. Es ist ein Verhältniswahlrecht ohne Bonusstimmen. Den Bonus für die stärkste Partei gibt es erst wieder bei den übernächsten Wahlen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Unter den Beobachtern der griechischen Politik kursiert nun die Annahme, dass sich die Regierung um einen relativ ruhigen Sommer bemühen würde, um dann im Herbst vorgezogene Neuwahlen auszurufen. Es wäre nicht Neues.

Das durch Bonussitze zementierte Zweiparteiensystem des Landes hat seit 1974 mehrfach Häufungen von Skandalen erlebt. Die Wähler stimmten dann immer für die Partei, die in ihrer Erinnerung die wenigsten aktuellen Skandale auf dem Konto hatte. Weil es zunächst eine Wahl nach Verhältniswahlrecht gibt, sind doppelte Neuwahlen nicht ausgeschlossen.

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