Die politischen Pendelschläge waren in Frankreich schon immer stärker ausgeprägt, als in anderen westeuropäischen Staaten. Die Furcht vor dem Niedergang, die nostalgische Verklärung der “ruhmreichen” Vergangenheit, die Sehnsucht nach der Glorie, sind in der Fünften Republik (die immerhin schon seit 1958 existiert) weit verbreitet. Das alles flankiert von einem kulturellen Sendungsbewusstsein, welches sich aus der Vergangenheit speist, als die französische Kunst und Kultur eine Strahlkraft entwickelte, die weit über die Staatsgrenzen reichte. Frankreich steht heute auf tönernen Füßen. Es schwankt soziokulturell zwischen Nord- und Südeuropa, zwischen Großmachtambitionen und einer Art romanischen Wagenburgmentalität, wie die Prognosen symbolisieren.“

schrieb ich vor fünf Jahren, als ich für Cashkurs durch Frankreich reiste, um über die damaligen Wahlen zu berichten. Auch an diesen Rahmenbedingungen hat sich nicht viel geändert.

Duell Macron gegen Le Pen

Gemäß den Angaben des französischen Innenministeriums von Montag waren 97 Prozent der Stimmen ausgezählt. Macron lag mit 27,6 Prozent in Führung, Le Pen kam auf 23,41 Prozent. Beide konnten dadurch ihre Ergebnisse von 2017 deutlich verbessern. Knapp dahinter verpasste der Linkspolitiker Jean-Luc Melenchon die Stichwahl – er landete mit 21,95 Prozent auf dem dritten Platz.

Der Niedergang der großen Parteien Frankreichs

Das Ergebnis Melenchons, welches durchaus beachtlich ist, reflektiert die absolute Zersplitterung des linken politischen Spektrums, welches über Jahrzehnte von der Hegemonie der Sozialisten aber auch der Kommunisten dominiert wurde, beide Parteien koalierten 1981 nachdem der Sozialist Mitterand zum Präsidenten gewählt wurde.

Die Kommunistische Partei, die lange Zeit nach dem zweiten Weltkrieg eine der stärksten KPs in Westeuropa war, erreichte mit ihrem Kandidaten bei dem aktuellen Urnengang lediglich 2,6 %. In den 1970er Jahren drohten die roten Gürtel um Paris noch die bourgeoise Hauptstadt zu erdrosseln, wie Kommentatoren damals spotteten, angesichts der Tatsache, dass damals der aufbrausende aber politisch talentierte kommunistische Vorsitzende George Marchais die Stimmung der Arbeiterklasse aufnehmen und vertreten konnte, wie es heute - wenn überhaupt - nur der extremen Rechten gelingt. 

Auch die Sozialistische Partei, die mit Francoise Holland bis 2017 noch den schlechtesten Präsidenten der Nachkriegszeit stellte, ist mit ihrer Kandidatin, bei der es sich immerhin um Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris handelte, mit katastrophalen zwei Prozent. abgestürzt.

Allgemein bedeutet die Wahl eine krachende Niederlage für die einstigen Volksparteien in Frankreich, die Sozialisten und die Konservativen. Die bürgerlich-konservativen Republikaner (LR) mit Kandidatin Valerie Pecresse kamen auf nur rund fünf Prozent der Stimmen.

In Paris sind sich die meisten Kommentatoren darüber einig, dass Macron von der Schwäche der anderen Kandidaten profitierte, aber auch von dem Krieg in der Ukraine, indem sich der 44-Jährige in seiner Lieblingsrolle profilierte, nämlich als Krisen-Manager auf der internationalen Bühne.

Marine Le Pen, die zum dritten Mal antrat, wobei ihr beim letzten Wahlgang 2017 ihr eigener Vater - der reaktionäre Polterer Jean-Marie Le Pen - die Eignung für das höchste Staatsamt absprach

Die 53-Jährige schaffte es aber, während Macron den Staatsmann repräsentierte, das ländliche Frankreich ins Zentrum ihres Wahlkampfes zu rücken. So präsentierte sich Le Pen als Fürsprecherin jener Franzosen, welche unter steigenden Preisen leiden.

Auch die Kandidatur des extrem rechten Publizisten Éric Zemmour, welcher durch seine verbalen Ausfälle Le Pen bisweilen gemäßigt erscheinen ließ, kam ihr entgegen um sich den zweiten Platz hinter Macron zu sichern.

Dadurch gelang es der Kandidatin auch von ihrer demonstrativen Nähe zum russischen Präsidenten Putin abzulenken, derer sie sich bis zum Einmarsch Moskaus in der Ukraine rühmte

Keine einhelligen Wahlempfehlungen für Macron

Nach der Schließung der Wahllokale gaben die Kandidatinnen und Kandidaten von Republikanern, Sozialisten, Grünen (Yannick Jadot) und Kommunisten (Fabien Roussel) eine Wahlempfehlung für Macron ab. Sollte Le Pen an die Macht kommen, drohten „desaströse Folgen für das Land und für folgende Generationen“, sagte Pecresse am Sonntagabend in Paris.

Melenchon gab keine direkte Wahlempfehlung für Macron ab, sprach sich aber dezidiert dafür aus, nicht für Le Pen zu stimmen: „Ihr dürft Frau Le Pen eure Stimme nicht geben“, betonte er am Sonntagabend. Der Rechtsextreme Eric Zemmour – er kam auf sieben Prozent – sprach sich hingegen für Le Pen aus.

Emmanuel Macron ist der Hauptgegner. Er ist der Präsident der massiven Einwanderung, der Präsident der Unsicherheit, der Präsident der De-Industrialisierung“.

Macron fischt jetzt nach Stimmen im linken Lager

Dem französischen Präsidenten wird jetzt nichts übrigbleiben, als im linken Lager auf Stimmenfang zu gehen. Macron plant jetzt Besuche in Arbeiterhochburgen und abgehängten Regionen, um sich als Mann des Volkes zu repräsentieren.

„Was heißt das für mich konkret!?"

Der Zusammenbruch des politischen Spektrums, welches man als "bürgerliche Mitte" zu bezeichnen pflegte, ist eine Warnung auch für jene politischen Parteien in der Nachbarschaft Frankreichs, die glauben eine neue Mitte oder ähnliches zu repräsentieren. 

Der französische Philosoph Grégoire Chamayou porträtiert in seinem faszinierenden Buch "Die unregierbare Gesellschaft" wie der Westen sich zu einer Brutstätte eines autoritären Liberalismus entwickelt hat:

"Die Strategie zur Überwindung der Regierbarkeitskrise bestand vielmehr in einem autoritären Liberalismus, bei dem die Liberalisierung der Gesellschaft eine Vertikalisierung der Macht impliziert.“

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