Nachdem im Jahr 2015 mehr als eine Million Migranten aus aller Welt in die Länder der Europäischen Union strömten, sah der Migrationspakt mit der Türkei vor, wieder Kontrolle über diese Entwicklung zurückzugewinnen.

Doch die Unterzeichnung des Migrationspakts gab es aus Sicht der Europäischen Union nicht umsonst. Vielmehr verpflichtete sich Brüssel im Rahmen dieses Abkommens mit der Türkei dazu, einen Betrag von sechs Milliarden Euro an das Bosporus-Land zu entrichten.

Darüber hinaus wurde Ankara in Aussicht gestellt, die Gespräche über eine potenzielle Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union wieder aufzunehmen und 82 Millionen Türken eine visafreie Einreise in 26 Nationen der EU zu ermöglichen.

Im Gegenzug verpflichtete sich die Türkei dazu, den Migrationsstrom in Richtung Europas zu stoppen, um gleichzeitig alle Migranten und Flüchtlinge zurückzunehmen, welche die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland auf illegale Weise passiert haben.

So weit, so gut. Seitdem ist eine Menge Wasser den Rhein hinuntergeflossen. Noch immer befinden sich auf türkischem Staatsgebiet laut aktueller Schätzungen rund 3,5 Millionen Migranten, von denen die meisten aus Ländern des Mittleren Ostens stammen.

Sollten sich die Schlagbäume an den türkischen Grenzstationen irgendwann einmal öffnen, so lässt sich damit rechnen, dass sich eine übergroße Mehrheit der weiterhin in der Türkei ausharrenden Flüchtlinge alsbald auf den Weg nach Zentraleuropa machen würde.

Wie steht es also um die aktuellen Verhandlungen zwischen Brüssel und Ankara, die eine Umsetzung der im Jahr 2016 zwischen beiden Seiten beschlossenen Vereinbarung vorsehen? Nicht allzu gut, wie sich auf Basis jüngster Entwicklungen konstatieren lässt.

Zu einer Intensivierung der Spannungen zwischen beiden Seiten tragen momentan vor allem die Aktivitäten Ankaras vor der zypriotischen Küste bei. In einer Reihe von Beiträgen hatte ich Sie - neben diversen Gastautoren - auch über diese Aktivitäten im östlichen Mittelmeer auf dem Laufenden gehalten.

Aufgrund des allseits erhobenen Anspruchs auf Gasbohr- und Gasausbeutungsrechte in dieser Region droht sich nicht nur ein neuer ernsthafter Konflikt zwischen der Türkei und Zypern, sondern auch zwischen Israel und dem Libanon zu entwickeln.

Zum selben Zeitpunkt pochen hochrangige Offizielle der Europäischen Union darauf, dass die Türkei den Migrantenstrom nach Europa in den letzten Jahren zwar reduziert, Ankara jedoch noch nicht alle Bedingungen für eine visafreie Einreise türkischer Bürger in die EU erfüllt habe.

Mitte Juli beschlossen die Außenminister der EU-Länder, die Gespräche auf hochrangiger Ebene mit der Regierung in Ankara zu stoppen, um die Türkei für deren Gasbohrungen vor der zypriotischen Küste zu sanktionieren. Es hat nicht lange gedauert, bis es seitens hochrangiger Offizieller auf türkischer Seite zu einer Reaktion auf diese Entwicklung gekommen ist.

In einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender TGRT Haber erklärte der türkische Außenminister Mevlut Cavuşoğlu am 22. Juli, dass sein Land aus dem Migrationspakt aussteigen werde, weil die EU es versäumt habe, ihren Verpflichtungen zu einer visafreien Einreise in 26 Nationen der EU zugunsten türkischer Staatsbürger nachzukommen.

Mevlut Cavuşoğlu erklärte in dem Interview wörtlich, dass die im Jahr 2016 mit der EU vereinbarte Wiederaufnahmevereinbarung seitens seines Landes suspendiert worden sei. Aus Sicht Ankaras werde man nicht an der Türschwelle der Europäischen Union auf eine Umsetzung der ehedem geschlossenen Vereinbarung warten.

Nur einen Tag zuvor warf der türkische Innenminister Süleyman Soylu den EU-Staaten vor, sein Land im Angesicht der anhaltenden Migrationskrise allein und im Regen stehen zu lassen. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu zitierte die folgende Warnung Soylus wie folgt:

Wir blicken der größten Migrationskrise in der Geschichte der Menschheit ins Auge. Wenn wir die Schleusentore öffnen, wird es keine europäische Regierung zuwege bringen, ein solches Ereignis auch nur sechs Monate politisch zu überleben. Aus diesem Grund empfehlen wir den europäischen Regierungen, unsere Geduld nicht überzustrapazieren.“

Und wie lautete die Antwort Brüssels auf die Erklärungen Cavuşoğlus? Wie man es sich hätte vorstellen können. Lapidar wurde seitens einer EU-Sprecherin darauf hingewiesen, dass die Türkei die insgesamt 72 Bedingungen zur visafreien Einreise von deren Staatsbürgern in die EU vollumfänglich umsetzen müsse, um auf diesem Feld Fortschritte zu erzielen.

EU-Offizielle machen zwar darauf aufmerksam, dass Ankara die meisten der im Rahmen des im Jahr 2016 getroffenen Abkommens gestellten Bedingungen erfüllt und umgesetzt habe, wohingegen es an einer Umsetzung des wichtigsten Aspektes bislang hapere. Hierbei handelt es sich um eine Rücknahme der nach dem missglückten Regierungsputsch in der Türkei verabschiedeten Anti-Terror-Gesetze.

Inzwischen stützt sich die Regierung Erdogan auf diese Gesetze, um Kritiker und unliebsame Medien mundtot zu machen. Seit dem fehlgeschlagenen Putsch im Juli 2016 wurden rund 100.000 türkische Staatsbürger inhaftiert und über 150.000 Staatsbedienstete – darunter Lehrer, Journalisten, Polizisten und Soldaten – suspendiert oder entlassen.

Selbst wenn sich Ankara allen Forderungen und Bedingungen Brüssels beugen würde, erweckt es momentan nicht mehr den Eindruck, als ob türkischen Staatsbürgern alsbald eine visafreie Einreise in die EU ermöglicht würde. Denn am 15. Juli einigten sich die EU-Außenminister darauf, eine Beilegung der Spannungen zwischen der Türkei und Zypern zu einer weiteren formalen Bedingung für die Umsetzung des Visaabkommens zu machen.

In der oben verlinkten Erklärung vom 15. Juli heißt es, dass sich der Rat im Angesicht der illegalen Gasbohraktivitäten Ankaras im östlichen Mittelmeer zu einer Aussetzung der Gespräche auf höchster Ebene mit der Türkei entschlossen habe, Auf Seiten der EU wurde eine Aufgabe der türkischen Ansprüche auf Gasfelder im östlichen Mittelmeer also zu einer neuen formalen Bedingung für eine Weiterführung der EU-Beitrittsverhandlungen und eine Umsetzung des Visaabkommens mit der Türkei gemacht.

Machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken, wie diese Geschichte – auch vor dem Hintergrund türkischer Waffenkäufe aus Russland – weiter- und womöglich ausgehen wird…

Zuletzt berichtete Cashkurs-Autor Wassilis Aswestopoulos über die Auseinandersetzung hinsichtlich der Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer:Fluch oder Segen? Fossile Erdgasvorkommen in der Ägäis

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