Am vergangenen Donnerstag vollzog die Europäische Zentralbank (EZB) die höchste Zinsanhebung seit der Euro-Einführung. Sie hob den Leitzins von 0,5 Prozent auf 1,25 Prozent an. Dies will sie auch als klares Zeichen verstanden wissen. Die Inflation soll um jeden Preis bekämpft werden.

Mario Draghi verwendete einstmals den Satz „What ever it takes“. Ja, was immer es kostet. So fühlt es sich nach der letztwöchigen Anhebung auch wieder an. Die lange seitens der EZB ignorierte Preissteigerung im Euroraum soll nun mit allen Mitteln der Geldpolitik eingedämmt werden.

Christine Lagarde hat sogar die Inflationsprognose für 2023 nach oben gesetzt. Vor einigen Monaten war das noch undenkbar. Da galt das „Phänomen Inflation“ ja seitens der EZB-Chefin und den meisten Ihrer Notenbankkolleginnen und -kollegen höchstens als temporär. Wie sich die Zeiten doch ändern…

Erstaunlich war auch das Agieren kurz nach Bekanntgabe dieses historischen Schrittes: Auf eine Frage, wie relevant die eigenen Inflationsprognosen der EZB für deren Geldpolitik sind, blieb Christine Lagarde eine direkte Antwort bis heute schuldig.

Sie gab zu, dass in der Vergangenheit durchaus auch Fehler gemacht wurden. Es wären daher nun Korrekturen an den Prognosemodellen vorgenommen worden. Sie als oberste europäische Notenbankerin trage auch die Verantwortung für diese weitreichenden Fehler. Gleichzeitig versuchte sie sich aber auch damit zu rechtfertigen, dass diverse andere Notenbanken weltweit ebenfalls mit ihren Vorhersagen zur Preisentwicklung falsch gelegen hätten.

Das mag stimmen, aber was ist mit den seit Jahren ignorierten Stimmen aus der Finanz-, Börsen- und Bankenwelt? Was mit den Rufen aus der Politik und von Wirtschaftsexperten? Die gab es zuhauf und wurden nicht nur ignoriert, sondern auch teilweise als absurd abgetan. Es ist zu einfach, jetzt damit zu argumentieren, dass die anderen Notenbanken ja schlussendlich auch falsch lagen. Das macht das Agieren der letzten Jahre deswegen nicht richtiger…

Was kommt nun auf uns zu? Die Kreditzinsen werden weiter steigen. Die Anlagezinsen ebenfalls. Nur spüren wird man es primär bei ersteren. Die Inflation von 9,8 Prozent frisst die Zinsen von Anlegern und Sparern auch weiterhin förmlich auf. Der „Realwert“ beläuft sich auf Minus (!) 8,55 Prozent.

Kreditnehmer und Immobilienfinanzierer werden sich auf immense Mehrbelastungen einstellen müssen. Festzinsvereinbarungen, die vor rund zehn Jahren abgeschlossen wurden und jetzt zur Verlängerung anstehen, werden für so manche Ernüchterung sorgen.

 

Ja, man kann sagen „Lagarde ist endlich aufgewacht“. Aber zu welchem Preis? In Deutschland werden die Preissteigerungsraten trotz der aktuellen Notenbankaktion auf einem sehr hohen Niveau bleiben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir hier 2022 noch zweistellige Inflationsraten erleben werden.

Die zuletzt noch inflationsdämpfenden Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket oder der bundesweite Tankrabatt sind seit zwölf Tagen Geschichte. Auto- und Bahnfahren ist nun wieder deutlich kostspieliger. Ein mögliches Ende der extremen Preisspirale bei Strom und Gas ist ebenfalls nicht in Sicht.

-> Für die EZB gilt es nun primär dafür zu sorgen, dass die Inflation nicht gänzlich außer Kontrolle gerät. Eine deutliche Absenkung der Preise wird in den nächsten Monaten schier unmöglich. Billiger wird das Leben keinesfalls werden. Wenn der Preisanstieg – hoffentlich – zumindest eingedämmt wird, dann werden die Preise für Waren und Dienstleistungen lediglich nur nicht mehr ganz so anziehen als zuletzt. Unter das aktuelle Niveau werden die Preise aber nicht spürbar fallen.

-> Die Situation an den europäischen Kapitalmärkten bleibt daher weiter ungewiss. Das Warten auf die nächste EZB-Zinssitzung wird das Agieren an den Börsen bestimmen. „Nach der Zinserhöhung ist vor der Zinserhöhung“.

Ausgewogenes Risikomanagement bleibt weiterhin das A und O. Die überlagernden Abwärtsrisiken bleiben vorerst intakt. Dies gilt fast überwiegend für alle Assetklassen. Kurzfristige Tradingchancen können zwar immer wieder auftreten, sollten aber auch bei Änderung der Lage möglichst schnell wieder abgesichert werden.

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