Je stärker die Rohstoffpreise steigen, desto hörbarer werden die ersten Klänge der üblichen Klagelieder. Die Suche nach den Schuldigen dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Irgendetwas zwischen Rohstoff-ETFs und Spekulanten wird man schon heraus kramen. Die sonst beliebten Short-Seller (Leerverkäufer) taugen während eines Preisanstiegs ausnahmsweise nicht als Sündenbock.

Wechselwirkungen werden ausgeblendet

An der wundersamen Geldvermehrung kann es ja nicht liegen, denn die ist bekanntlich gut gemeint. Das belegte vor Kurzem die Vorsitzende der EU Kommission, die tatsächlich vor laufenden Kameras sagte, man halte die Zinsen niedrig, damit sich auch Familien Wohneigentum leisten können. Das ist eine bemerkenswert eindimensionale, fast schon kindliche Betrachtungsweise. Aber derart schlichte Festlegungen auf eine einzelne Variable als ausschlaggebenden Faktor für die Vorgänge in komplexen Systemen findet man ja seit Jahren auch in anderen Themenfeldern.

Über die vielfältigen möglichen Wechselwirkungen künstlich niedrig gehaltener Zinsen in Kombination mit zahllosen Eingriffen in den Anleihemarkt möchte oder kann niemand sprechen. Dabei böte allein die aus diesen Handlungen resultierende Verschiebung des Anreizsystems ausreichend Material.

Manche gehen noch weiter und erklären plausible und über Jahrhunderte zu beobachtende Zusammenhänge für obsolet. Das ist immer ein ernstes Warnzeichen. Jeder Anleger, der schon einmal den Satz „dieses Mal ist es anders“ gehört hat, weiß das.

Ein Professor von der Universität Hamburg erklärte den Lesern der WELT im Dezember 2020 in einem Artikel mit dem sachlich und nüchtern gehaltenen Titel „Die Inflation ist tot – und das sind die neuen Spielregeln für unser Geld“ warum die „alten Theorien nicht mehr taugen“.Weiter heißt es

Es bestätigt sich die geistes- und sozialwissenschaftliche Weisheit, dass jede Theorie ihre Zeit hat, in der sie verlässlich erklären und voraussagen kann, was in der Praxis vorgeht.“

Diese Aussage ist überraschend. Wann hat die „geistes- und sozialwissenschaftliche Theorie“ denn zum letzten Mal Dinge „verlässlich erklären und voraussagen“ können?

Das bleibt ein Geheimnis. Zur Not müsse man halt alles neu erfinden, denn

wenn aber Menschen und Gesellschaften ihre Einstellungen, Verhaltensweisen und Erwartungen im längerfristigen Verlauf verändern und wenn neue Technologien verfügbar werden, dann sind neue Theorien erforderlich, um einer neuen Wirklichkeit gerecht zu werden.“.

Rolle rückwärts nach drei Monaten

Soweit der Ökonom im Dezember 2020, als er uns aufgrund der offenbar umwerfenden Änderungen des menschlichen Verhaltens und der neuen Technologien am Beginn eines „Deflationszeitalters“ wähnte. Seither ist nicht viel passiert, dennoch scheinen die alten Modelle nun doch wieder gefragt zu sein. So schrieb der gleiche Autor am 2. März 2021 in der WELT einen Artikel mit dem Titel: „Die Inflation ist zurück – die Preise in Deutschland steigen. Deutsche Sparer vor der kalten Enteignung.“

Weiter heißt es „zwar wirken einige Faktoren gegen eine noch höhere Preissteigerung. Doch am Ende steht die Europäische Zentralbank vor einer Gewissensfrage: Ihre Antwort schadet mindestens einem – Sparern oder Unternehmen.“

Gegen einen Sinneswandel ist nie etwas einzuwenden, selbst wenn zwischen Beerdigung und Auferstehung der Inflationsthese nicht einmal drei Monate vergangen sind. Hoffentlich wurde dieses Mal auch sorgfältig geprüft, ob die nun wieder aktuelle Theorie auch lange halten wird. Vermutlich hat sich aber einfach das Verhalten der Menschen mal wieder grundsätzlich geändert und der Einfluss der neuen Technologien ist zurück in die Höhle gekrabbelt.

Eine Deflation sieht anders aus

Den Rohstoffpreisen selbst sind derartige akademische Umtriebe schnurz. In den letzten Monaten zogen die Preise der meisten Rohstoffe deutlich an. Im großen Bild ist jedoch noch sehr wenig passiert. Während die nominalen Preise von einigen Rohstoffen bereits neue Hochs markierten, bewegt sich der reale Kurs des CRB Rohstoff-Spotindex ausgehend vom Tiefpunkt der Jahrtausendwende unter großen Schwankungen aufwärts. Eine Deflation sieht anders aus.

 

 

Stark gesunken waren bis zur Jahrtausendwende auch die realen Preise für Agrarrohstoffe und Lebendvieh. Inflationsbereinigt gaben sie zwischen 1970 und 2000 um mehr als 60 % nach. Wie der breite Rohstoffmarkt so markierten auch die realen Preise für Agrarrohstoffe ihren Tiefpunkt um die Jahrtausendwende. Dieses Niveau unterboten sie auch im Markteinbruch des Frühjahres 2020 nicht.

 

 

Eine solche Grafik kann einem durchaus Sorgen bereiten. Nicht wegen dem, was bereits passiert ist, sondern wegen dem Potential, das eine inflationäre Bewegung wie die der 1970er Jahre entfalten kann. Damals kam es zu einer umfassenden Welle der Preissteigerungen, die aber nicht außer Kontrolle geriet. Würden die realen Preise der Agrarrohstoffe nur das Niveau von Mitte der 1970er Jahre erreichen, wäre dies ausgehend vom aktuellen Niveau fast eine Vervierfachung der Preise.

Nicht nur für die Menschen in den Schwellenländern führte eine solche Entwicklung zu ernsten Problemen. Das gilt insbesondere für Länder, die gerade ihre Währungen vor die Wand fahren, denn die oben dargestellten Verläufe sind US-Dollar Preise. Halbiert ein hochbegabter Zentralbankchef mit Unterstützung der Politik zu allem Übel noch seine Währung gegenüber dem Dollar, wird es noch übler.

Rohstoffpreise: Meist ein Blick aus dem Elfenbeinturm

Einer der Irrtümer bei der Beurteilung von Rohstoffpreisen ist die Annahme, sie würden sich ordentlich bewegen und die Veränderung monetärer und ökonomischer Variablen Schritt für Schritt verarbeiten. Das Gegenteil ist der Fall, denn Rohstoffpreise sind Grenzpreise. Je knapper das Angebot, desto dynamischer steigen die Preise. Eine leichte Veränderung der Lagerbestände wirkt sich möglicherweise gar nicht oder nur marginal und kurzfristig auf den Preis aus. Leert sich das Regal jedoch schnell, nimmt der Preis mehrere Treppenstufen auf einmal.

Durch Exportbeschränkungen können Verknappungen in Ländern, die nicht genügend selbst produzieren, rasch existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Anders als beim Geld ist eine Beruhigung durch wie auch immer geartete Zentralbankmaßnahmen in solchen Fällen nicht möglich. Absehbare „planerische“ Eingriffe dürften die Situation eher weiter verschlimmern.

In medialen und politischen Kreisen schaffen es weiterhin viele, gleichzeitig von der zu geringen Inflation und steigenden Immobilienpreisen zu sprechen. Die Ausblendung der Assetpreise bei der Inflationsberechnung ist eine zweifelhafte Praxis. Aber Preise können auch dann steigen, wenn niemand über sie berichtet. Selbst wenn sich die derzeit zu beobachtende sprunghafte Verteuerung von Baustoffen nicht im üblichen statistischen Warenkorb wiederfindet, in der Realität der Bürger hinterlässt sie bereits Spuren.

Sinnvoller als sich wohlfeile Theorien zur bestmöglichen Erklärung der Vergangenheit anzuschauen ist es daher, den Blick auf das zu richten, was gerade passiert. Da wäre beispielsweise ein deutlicher Anstieg der Rohstoffpreise, von den Agrarrohstoffen bis zu den Metallen. Es wird sich zeigen, wie gering der Einfluss einer Notenbank auf die Entwicklung der Preise notwendiger Güter langfristig wirklich ist. Eine spürbare Inflation wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Sie dürfte sportlich ausfallen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Achten Sie bei der Zusammenstellung Ihrer Anlagen auf Inflationsschutz. Während Anleihen immer noch von vielen Verkäufern als generell „sicher“ eingestuft werden, sollte man nicht vergessen, dass in den letzten einhundert Jahren die realen Kursverluste von Anleihen auf dem Niveau von Aktien oder Rohstoffen lagen.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"