Anleihen: Facettenreich und nicht so emotionsgetrieben
Wer sich nicht nur um möglichst großformatige Überschriften für den nächsten Katastrophenbericht kümmert, sondern wirklich mit Kapitalanlage zu tun hat, der interessiert sich in der Regel mehr für den Anleihenmarkt als für den Aktienmarkt.
Das geschieht nicht etwa aus dem Grunde, weil diese Anleger dort langfristig die größten Renditechancen sehen, sondern weil dieser Markt facettenreicher und für das Finanzsystem bedeutsamer ist als der Aktienmarkt. Allein die Spanne möglicher Anlageformen ist enorm und reicht von simplen Staats- und Unternehmenspapieren über inflationsindexierte Papiere bis hin zu Bonds mit derivativen Komponenten.
Die verschiedenen Segmente haben eine wichtige Signalfunktion. Der Vergleich der Renditen von Papieren verschiedener Kategorien, Qualitätsstufen und Laufzeiten vermittelt oft ein deutlich umfangreicheres Bild als der häufig größtenteils emotional getriebene Aktienmarkt.
„Lang und schmutzig“
In den letzten Jahren stellte der Anleihemarkt jedoch selbst die interessierteren Beobachter auf eine harte Probe. Die Renditen waren niedrig und die erwartete Zinswende ließ auf sich warten. Erst als auch viele vermeintlich konservative Anleger sich auf das alte „lang und schmutzig“-Spielchen eingelassen hatten, war der Weg für den Renditeanstieg und die einhergehenden Kursverluste frei.
„Lang und schmutzig“ ist am Anleihemarkt die Bezeichnung für die fragwürdige Strategie, Papiere mit langen Laufzeiten und gleichzeitig schlechter Qualität zu kaufen. Oft reicht die Begründung für diesen gefährlichen Weg nicht über ein „wir müssen doch irgendwo einen Risikoaufschlag vereinnahmen“ hinaus.
Die Frage, was die Bedeutung eines Risikoaufschlags sein könnte, und warum dieser bei Schrottpapieren besonders hoch war, stellte sich offenbar nicht jeder. Es gilt der alte Grundsatz: Wer mehr verdienen will, muss mehr Risiko eingehen, aber wer mehr Risiko eingeht verdient nicht zwingend mehr.
Das Umfeld hat sich in wenigen Monaten spürbar verändert
Die rasch erfolgte Veränderung des Renditeniveaus schmerzt nun viele umso mehr. Die folgende Grafik zeigt die Renditeveränderung deutscher Staatsanleihen nach Laufzeit seit Jahresende 2021. Der obere Teil der Abbildung enthält die Renditen nach Laufzeit. Die Balken im unteren Teil zeigen die jeweilige Veränderung seit Ende 2021. Bei den ganz kurzen Laufzeiten hat sich wegen der Schläfrigkeit der EZB bisher wenig getan. Bei Laufzeiten ab einem Jahr hingegen hat der Markt die Aufgabe der Zentralbank übernommen und zumindest einen ersten Schritt in Richtung angemessener Niveaus vollzogen.
Die Kehrseite der steigenden Renditen sind die sinkenden Kurse bereits ausstehender Anleihen. Wie hart es die Anleihenbesitzer seit Jahresbeginn getroffen hat zeigt die folgende Abbildung. Dargestellt sind die Kursveränderungen von deutschen Staatsanleihen und Papieren des Bundeslandes NRW mit verschiedenen Laufzeiten. Der bisher im historischen Vergleich prozentual zwar hohe, aber absolut noch sehr moderate Renditeanstieg führte bei langlaufenden Anleihen zu erheblichen Kursverlusten, die teils deutlich stärker ausfielen als am breiten Aktienmarkt.
Da sich neben den Zinsen auf Staatspapiere auch die Risikoprämien von Unternehmensanleihen ausgeweitet haben, fiel der Anstieg der Rendite bei diesen Papieren deutlich höher aus. Die entsprechenden Kursverluste der Unternehmenspapiere sehen in den verschiedenen Laufzeitbändern somit erheblich übler aus. Die folgende Grafik zeigt die entsprechende Darstellung für europäische Unternehmensanleihen mit Investment Grade Rating.
Das Positive an einem Renditeanstieg aber ist - wer hätte es gedacht - das daraus resultierende höhere Renditeniveau bei Neuanlagen. Die mittlere Rendite einer zehnjährigen Euro-Unternehmensanleihe mit Investment Grade Rating liegt mit 3,5 % derzeit rund zwei Prozentpunkte oberhalb der Bundrendite. Die Rendite dreijähriger US-Unternehmensanleihen mit Investment Grade Rating, also einer im Mittel sehr geringen Ausfallwahrscheinlichkeit, liegt derzeit bei 4,5 %, das sind etwa 1,4 Prozentpunkte Aufschlag gegenüber US-Staatspapieren mit gleicher Laufzeit.
Mit steigenden Renditen nimmt die relative Attraktivität von Anleihen im Vergleich zu anderen Anlagen wieder zu. Selbst wenn die Euro-Renditen manchen Privatanleger noch nicht hinter dem Ofen hervorlocken mögen, ist diese Entwicklung für den Gesamtmarkt von Bedeutung. Hohe Renditen auf Papiere mit fester Fälligkeit ziehen vermehrt institutionelle Anleger an. Das ist nachvollziehbar, mildert doch die Rendite die Folgen etwaiger weiterer Renditeanstiege ab. Mit den aktuellen Kennzahlen bei kurzen Laufzeiten können institutionelle Anleger vor allem in den USA schon wieder gut arbeiten.
„Was heißt das für mich konkret!?“
Geht es mit den Renditen noch ein wenig nordwärts, dann sollte auch hierzulande nicht mehr jeder die Nase rümpfen, wenn das Thema Anleihen angesprochen wird. Stark steigende Renditen haben das Umfeld in wenigen Monaten spürbar verändert. Zudem neigen viele Menschen dazu, sowohl sehr gute als auch sehr schlechte Entwicklungen einfach dauerhaft in die Zukunft fortzuschreiben. Am Finanzmarkt ist das selten eine gute Idee. Zudem sind vermutlich bereits 4,5 % pro Jahr mehr als die meisten Privatanleger hierzulande in den letzten 20 Jahren pro Jahr verdient haben.
Kommentare
ich habe wieder mit Interesse Ihren Artikel gelesen. Ich muss aber auch wieder mal etwas rückfragen, was sich vor allem auf Ihre Schlussfolgerungen bezieht:
Was Sie schreiben, ist sicherlich nominal völlig korrekt, aber glauben Sie wirklich, dass die Notenbanken (vor allem die EZB) in dem herrschenden Setup wirklich zulassen werden, dass die Zinsen weiter steigen dürfen (siehe Spread zwischen It und D z.B.)? Dabei will ich noch nicht einmal von marktgerecht sprechen. Was nützen mir die 4,5% (brutto übrigens), wenn der Realzins trotzdem tief unter Wasser bleibt, weil ich nicht daran glaube, dass die Inflation zurückgehen wird? Ich bin auch immer noch kein Institutioneller. Ich finde, dieser Blickwinkel spricht ein bisschen aus Ihrem Artikel.
Wie immer freue mich, wenn Sie Zeit für eine Antwort hätten.
Beste Grüße
PS: Es wäre was, Wenn Sie einen Fonds kennen würden, mit dem man russische Staatsanleihen kaufen kann? Das fände ich ziemlich interessant.
vielen Dank für Ihre Anmerkungen.
Die Macht der Notenbanken ist begrenzt. Zwar können die Zentralbanken Papiere, die in der eigenen Währung denominiert sind, in beliebigem Umfang kaufen, und so die Renditen beeinflussen. Der Druck im Gesamtsystem sucht sich dann jedoch über kurz oder lang einen anderen Weg. Das letzte Ventil ist der Währungsmarkt, und der dauerhafte Einfluss auf diesen ist geringer als es oft den Anschein macht. Senkt eine Notenbank über dauerhafte Eingriffe am Anleihemarkt dessen Attraktivität, dann gerät dauerhaft die heimische Währung unter Druck, was den Inflationsdruck zusätzlich erhöht. Wir erleben dies gerade in Japan und in der Eurozone. Die EZB steht somit vor einem Dilemma und reagiert mehr (wenn man das überhaupt so nennen kann) als die agieren. Was die Beamten sich wünschen, oder was sie zulassen wollen, spielt dann kaum mehr eine Rolle.
Wie Sie sagen, blicken wir immer eher durch die institutionelle Brille, aber dieser Blick enthält (hoffentlich) auch für Privatanleger interessante Aspekte. Diese stehen sich meistens selbst im Weg, weil Sie Verluste nicht begrenzen können, häufig die Vorgehensweise wechseln und viel zu hohe Erwartungen haben, die sie meist aus einer besonders guten aber in der regel temporären Phase des Aktienmarktes oder eines einzelnen Sektors ableiten. Von daher mögen 4,5% p.a. nominal vor Steuern und Inflation nicht beeindruckend klingen, aber der Großteil der deutschen Anleger hat dies in den letzten 20 Jahren nicht erreicht und wird es in den kommenden 20 Jahren vermutlich auch nicht erreichen. Für Anleger, die professionell oder semiprofessionell mit dem Finanzmarkt umgehen, sollte dieser Wert natürlich nicht gelten.
Die Inflation zu schlagen ist ein langfristiges Rennen. Nie wird man jede Spitze direkt ausgleichen können. Für Anleger ist es daher wichtig, wie die Notenbanken reagieren. In den 70iger waren beispielsweise kurz laufende Staatspapiere auch inflationsbereinigt eine der besten Anlagen, weil der Zins laufend stieg. Das ist derzeit bestenfalls in Ansätzen in den USA zu sehen. Von daher gilt wie immer der alte Satz. Keine zwei Krisen sind gleich.
Russische Staatspapiere sollten derzeit aus regulatorischen Gründen auch für Privatanleger kaum zu erwerben sein.
Beste Grüße und viel Erfolg für Sie
Bankhaus Rott