Eine Reihe von schlechten Nachrichten in den vergangenen Tagen und Wochen dürfte Japans Premierminister Shinzo Abe und sein als „Abenomics“ tituliertes Wirtschaftsreformprogramm vor einige harte Prüfungen stellen.

An dieser Stelle seien die aktuellen Nachrichten kurz zusammengefasst:

  • Laut Goldman Sachs sank das real verfügbare Einkommen in Japan auf Jahresbasis um 8% zum Ende Juni. Das ist der größte Fall seit dem Platzen der japanischen Blase in den 1990er Jahren.
  • Die Arbeitslosenrate stieg unerwartet von 3,5% auf 3,7% im Juni – erwartet wurde ein Fall der AL-Rate.
  • Das Kabinett Abe verliert massiv in der Wählergunst und liegt nun zum ersten Mal seit Abes Amtsantritt unter 50%.
  • Japans Core-CPI (Inflation ohne Rohstoffe und verderbliche Nahrungsmittel) steigt auf 4,1% im Mai, Energiekosten im Juni steigen um 9,6%.
  • Bank of Japan Gouverneur Ishida hält es für angemessen, statt des Core-CPIs zur Inflationsberechnung auch Rohstoff- und Nahrungsmittelkosten mit einzubeziehen
  • Haushaltsausgaben im Juni minus 3,0%, fällt den dritten Monat in Folge, laut Goldman Sachs war der Fall in den Haushaltsausgaben zwischen April und Juni größer als der Anstieg in den Monaten Januar bis März
  • Die Industrieproduktion fiel im Juni um 3,3% gegenüber Mai – versus Schätzungen von minus 1,2%. Im Vergleich dazu stieg die Industrieproduktion in Südkorea um 2,9% (Schätzungen bei 1,2%) im selben Zeitraum. Die Produktionszahlen in der japanischen Automobilbranche fielen um 3,4%, die der IT-Branche um 9%. Das japanische Wirtschaftsministerium gibt eine Abschwächung in der Industrieproduktion offen zu.
  • Der Einzelhandel verlor im Zeitraum April – Juni 7% gegenüber dem Vorquartal. Takashimaya Department Store, eines der größten japanischen Handelshäuser verlor im Mai 25% Umsatz im Vergleich zum April.
  • Nomura, ihres Zeichens größtes japanisches Wertpapierhandelshaus, verliert 70% Gewinn auf Quartalsbasis im 2. Quartal. Daiwa, die Nummer 2 hinter Nomura, verliert 40%. Das tägliche Aktienhandelsvolumen im ersten Sektor an der Tokyo Stock Exchange erreicht kaum noch die 2 Billionen-Yen Marke (= 15 Mrd. EUR).
  • Insgesamt ist die japanische Wirtschaft im zweiten Quartal um 5,2% geschrumpft, soll aber laut einer Bloomberg-Umfrage im dritten Quartal wieder um 2,4% wachsen. Auf Jahresbasis wurde das BIP-Wachstum von 1,8% auf 0,9% gesenkt.

 

Fassen wir zusammen: Das bisher – relativ gesehen – größte staatlich in Zusammenarbeit mit der Zentralbank orchestrierte Programm zur Monetarisierung der Staatsschulden seit dem Zweiten Weltkrieg hat anderthalb Jahre nach dessen Beginn außer dem griffigen Namen keinen weiteren Eindruck hinterlassen. Zumindest keinen positiven. Negative Eindrücke dagegen gibt es zuhauf, hier die aus meiner Sicht auffälligsten:

 

1. Die von der neuen japanischen Regierung um Premierminister Shinzo Abe im April 2012 eingesetzten neuen Gouverneure der Bank of Japan, allen voran Haruhiko Kuroda, seines Zeichens langjähriger Vertrauter Shinzo Abes und im Gegensatz zu seinem Vorgänger Masaaki Shirakawa ein ausgesprochener Freund der Druckerpresse, haben sich in ihren Monetarisierungsplanungen offensichtlich verschätzt. Konkret haben sie folgende zwei Aspekte nicht oder nur unzureichend bedacht:

  • Die Importkosten (Rohstoffe, Nahrungsmittel) stiegen im Zuge der Aufweichung des Yen (minus 18% gegenüber dem USD in 2013, minus 30% gegenüber dem EUR in 2013) schneller als die Exportüberschüsse und haben dadurch den erhofften positiven Effekt durch verbilligte japanische Exportwaren im Ausland zunichte gemacht. Im Juni fielen die Exporte um 2% gegenüber dem Vorjahr, während die Importe um 8,4% stiegen.
  • Die meisten japanischen Industrieunternehmen haben in den als „die beiden verlorenen Dekaden“ bezeichneten 1990er und 2000er Jahren sukzessive ihre Produktion ins Ausland verlagert – nämlich an die Standorte, an denen sie ihre Produkte dann auch hauptsächlich verkaufen – um Währungsrisiken durch den sich stetig verteuernden Yen während dieser Zeit zu entgehen. Das heißt, diesen Firmen bringt der billige Yen überhaupt nichts, da sie keine Kosten in Yen mehr haben.

 

2. Die Abschwächung des Yen hat den Japanern im Jahresvergleich 8% ihrer realen Kaufkraft geraubt. Dies hat auch mehrere Gründe:

  • Wie bereits oben erwähnt, muss durch gestiegene Importpreise auf Yen-Basis nun mehr für Importware (beinhaltet Öl- und Benzinprodukte) bezahlen. Auch Nahrungsmittel, die zum großen Teil importiert werden müssen, haben sich entsprechend verteuert.
  • Die im April durchgeführte Anhebung der Verbrauchssteuer von 5% auf 8% verursachte Hamsterkäufe im März (ich berichtete) und leere Warenhäuser im Zeitraum danach.
  • Die von Premierminister Abe propagierte Anhebung der Löhne auf Unternehmensebene nicht statt. Nominal stieg das Durchschnittseinkommen ohne Boni und Überstundenzuschläge um 0,8%, real fiel es wie gesagt um 8% - es ist bereits der 23. Monat in Folge, in dem die Löhne in Japan real sinken.
  • Unerwartet steigt die Arbeitslosenrate.

 

3. Anstatt ihre Kassenbestände an die Angestellten weiterzureichen, bzw. in Form höherer Dividenden an die Anteilseigner, horten die japanischen Unternehmen Cash und sitzen mittlerweile auf mehr als 2 Billionen USD. Shinzo Abe hat seinen Einfluß auf die Lohnpolitik der japanischen Unternehmen offensichtlich überschätzt.

 

Zu guter Letzt: was mir hier vor Ort immer wieder auffällt, ist die offensichtliche Unkenntnis, ein unerschütterliches Gottvertrauen (in diesem Sinne vielleicht eher: „Abe-Vertrauen“), oder einfach nur pure Ignoranz dieses für die japanische Bevölkerung essentiellen Themas. Die allgemeine Politikverdrossenheit, Lethargie und Unkenntis grundlegender wirtschaftlicher Zusammenhänge ist nichts neues – das gibt es auch in Deutschland zur Genüge. Aber mittlerweile dürfte die Auswirkung von Abenomics auch im letzten japanischen Portemonnaie angekommen sein. Doch auch wenn mittlerweile die Kneipen nach Feierabend nicht mehr so voll sind, man mittlerweile auch Obdachlose in Vierteln Tokyos sieht, wo man sie nie vermutet hätte, die Nachrichten über Kinder- und Teenagerprostitution zur Aufbesserung des Taschengeldes in den japanischen Medien signifikant zunehmen und die Sparrate mittlerweile bei 0% angekommen ist – bei einem landesweiten Durchschnittseinkommen von 3 Millionen Yen brutto (entspricht 21.000 EUR) und einem Drittel der 25-35jährigen Japaner in prekären Beschäftigungsverhältnissen, wird weiterhin Abenomics als Wundermittel gegen die zweihundertfünfzigprozentige Staatsverschuldung angesehen. Ein Wahnsinn. Vor kurzem eröffnete das Finanzministerium eine neue Abteilung, welche zur Aufgabe hat, JGBs an ausländische Investoren zu vermarkten – eben jene JGBs, die von den japanischen Pensionskassen en masse an die Bank of Japan abgestoßen werden. „Mut der Verzweiflung“ nenne ich so etwas.

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