Kaum etwas ist schwieriger, als einen Jahresausblick für Griechenland zu wagen. Alexis Tsipras ist der bislang am längsten regierende Premierminister seit der jüngsten griechischen Wirtschaftskrise. Angetreten, um die Armen und Entrechteten zu beschützen und Banken, sowie Oligarchen zu bestrafen, vollbrachte er bislang vor allem das Gegenteil.

Tsipras scheint, vom Ausland aus gesehen, fest im Sattel zu sitzen. Das Wahlvolk, das seine Vorgänger aus dem Amt demonstrierte, verhält sich verdächtig ruhig. Ist es die Ruhe vor dem Sturm? Oder haben die Hellenen schlicht resigniert aufgegeben?

Das Ende des laufenden Kreditprogramms

Die institutionellen Kreditgeber bescheinigen dem Land zwar Fortschritte, sehen jedoch – wie sich an vielfachen diesbezüglichen Äußerungen zeigt – auch für die Zeit nach dem Ende des laufenden Finanzierungsprogramms Reformbedarf. Für den Alltag der Griechen, deren Regierung bis 2060 Primärüberschüsse im Staatsetat vertraglich zugesichert hat, bedeutet dies, dass auch nach dem „sauberen Ausstieg“ aus dem Kreditprogramm die Austerität fortgesetzt wird.

Das Kreditprogramm wird im griechischen Sprachgebrauch allgemein Memorandum genannt. Aktuell befindet sich Griechenland in der Ära des vierten Memorandums oder des „aktualisierten dritten Memorandums“ je nachdem, ob der Gesprächspartner der Regierung oder der Opposition nahe steht.

Das amtliche Narrativ der Regierung: „im August 2018 ist der Sparkurs zu Ende“. Danach, so die Propaganda der Regierung, werden sämtliche Ungerechtigkeiten der Krisenperiode beseitigt und den Griechen stehen glorreiche Zeiten bevor. Die Mär vom Ende der Austerität hat ein Verfallsdatum, zumal bereits jetzt für die Jahre 2019 und 2020 neue Sparmaßnahmen beschlossen wurden.

Die Äußerungen von Seiten der Europäischen Kommission lassen keinen Zweifel daran zu, dass den Griechen weiterhin wirtschaftlich schwere Zeiten bevorstehen. Der Sprecher der Kommission, Margaritis Schinas (S-chinas gesprochen) bemerkte:

„im August 2018 wird das Memorandum, so wie wir es kennen vollendet. Es ist das erste Mal seit 2009, dass ein Programm komplett durchgeführt wird. Mit dem Ende der dritten Inspektion, die sich im Endstadium befindet, werden Gespräche über den nach den Memoranden sichtbaren Horizont beginnen. Ich glaube, dass diese Gespräche beginnen und dann intensiviert werden und Griechenland selbstbewusster werden lassen. Es wird stabil auf eigenen Füßen stehen und allen, Freunden, Partnern, Feinden und den Märkten zeigen, dass die großen Reformen nicht umkehrbar sind. Es wird deutlich werden, dass Griechenland in der Periode nach dem August 2018 nicht allein sein wird, sondern sich auf die aktive Stützung und Führung durch Europa verlassen kann.“

Die Realpolitik

Wie die künftige Wirtschaftspolitik der Regierung ihre Schwerpunkte setzen wird, zeigen die jüngsten diesbezüglichen Vorstöße. Arbeitsministerin Efi Achtsioglou verkündete pünktlich zu Weihnachten, dass Arbeitgebern die gesetzlich vorgesehenen Strafen für illegale Beschäftigung erlassen werden, wenn die vorherigen Schwarzarbeiter einen Anstellungsvertrag erhalten. Ob diese danach schnell wieder entlassen werden, scheint dem Ministerium egal zu sein.

Das Phänomen, dass Arbeitgeber ihre Angestellten als Teilzeitbeschäftigte deklarieren, aber ohne Lohnausgleich oder gar Abgaben an die Sozialversicherung Vollzeit mit Überstunden arbeiten lassen, grassiert indes ebenso, wie der gemeinsame Gang von Eintreibern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zum Geldautomaten. Dort dürfen die Angestellten dann ihre per Überweisung erhaltenen gesetzlich festgelegten Weihnachtszulagen abheben und dem meist muskulösen Vertrauensmann des Firmeninhabers übergeben.

Strafen für Proteste bei Versteigerungen

Demonstranten, welche gegen die Versteigerung von Wohnungen armer Bürger auf die Straße gehen, droht mit einem neuen Gesetz allein schon wegen des Protestes die Festnahme und Verurteilung, wenn sich die Versteigernden und der mit der Auktion beauftragte Notar behindert fühlen.

Ein derartiges Gesetz wurde selbst in Spanien, wo in den vergangenen Jahren derartige Versteigerungen an der Tagesordnung standen, nicht erlassen. In Hellas trifft es ausgerechnet die früheren Mitstreiter des Premiers, die Alexis Tsipras in den Jahren 2012 bis 2015 mit regelmäßigen Protestdemonstrationen gegen die damalige konservative Regierung an die Macht brachten. Einer der beliebtesten Slogans seinerzeit war „Gezahlt wird nicht, weil die Bürger nicht mehr zahlen können“.

Steuern für die Realwirtschaft; Vorzüge für Oligarchen

Steuererleichterungen gab es bereits für die Medienmogule. Hier sank die Werbesteuer von zwanzig auf fünf Prozent. Der realen Mehrwert schaffenden Wirtschaft werden hingegen weitere Abgaben beschert. Ab 01.01.2018 ist für jede Hotelübernachtung im Land eine Kurtaxe fällig. Wie in Griechenland üblich, hat der Staat den Steuerpflichtigen bislang noch nicht mitgeteilt, wie die Steuer abgeführt werden soll.

Andererseits bemüht sich die Athener Regierung nach Kräften, ihr nahestehenden Oligarchen Vergünstigungen zuzuschanzen. Ivan Savvidis erwarb den nordgriechischen Traditionsverein PAOK FC, den Mineralwasserhersteller Souroti, die Nutzung des nordgriechischen Luxushotels Makedonia Palace, Anteile am privatisierten Hafen von Thessaloniki, die Mediengruppe Pegasus, einen Minderheitsanteil am DOL-Medienkonzern und zwei Fernsehsender, Epsilon TV und Kontra TV. Er ist über Souroti gleichzeitig Hauptsponsor der griechischen Fußball-Liga, in der sein PAOK FC zu den Meisterschaftskandidaten zählt.

Es ist dem Unternehmer nicht vorzuwerfen, dass er mit allen legalen Mitteln, auch mit der Drohung der Werksschließung, versucht, die von ihm gekaufte Tabakfirma SEKAP von Altlasten zu befreien. Die SEKAP ging 2013 im Zuge einer Privatisierung in den Besitz von Savvidis über. Sie war mit einem Verfahren wegen Zigarettenschmuggel aus dem Jahr 2009 belastet. Die entsprechenden Urteile fielen 2015 und 2017. Savvidis möchte die Strafe von 38,2 Millionen Euro für Zollvergehen nicht begleichen. Die Regierung bemüht sich, dies zu ermöglichen.

Ungerechtigkeiten müssen irgendwann zum Knall führen

Da sie gleichzeitig mit unerbittlicher Härte, sogar für Beträge in Höhe von 501,- Euro sämtlichen Besitz einfacher Bürger beschlagnahmen lässt, passt diese Praxis jedoch nicht zu Theorie der „Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten“, wenn die aus vielerlei Gründen zahlungsunfähigen Normalbürger von Ministern pauschal als „strategische Zechpreller“ bezeichnet werden.

Für Freiberufler, Kleinunternehmer, Beamte und Rentner gibt es, wie es bereits Tradition ist, neue Abgaben und damit reale Gehaltskürzungen. Das Rezept, welches bereits knapp ein Jahrzehnt lang, schon vor dem offenen Ausbruch der Krise, für Rezession gesorgt hat.

Im Rahmen der Inkassopolitik der Regierung gegen Bürger, die nicht zur Schicht der Industriellen gehören, kommt es zu Fehlern. So sind Cashkurs drei Fälle namentlich bekannt, in denen Steuerpflichtige ihre Schuld brav gemäß einer vereinbarten Ratenzahlung beglichen, jedoch wegen eines „Fehlers“ das komplette Bankkonto gepfändet bekamen, als sich auf diesem mehr als 1000 Euro befanden. In einem der Fälle betrug die verbliebene Steuerschuld nur ein Fünftel des gepfändeten Betrags.

Dies alles trägt zu einem politischen Klima bei, in dem Vorhersagen über den Zeitpunkt eines „Knalls“ schwierig sind. Dass es zu einer Krisensituation kommen wird, scheint dagegen sicher.

Nationale Befindlichkeiten

Zusätzlich zum wirtschaftspolitischen Konfliktpotential haben sich weitere Streitpunkte, auch innerhalb der Regierung gesellt. SYRIZA möchte den seit Jahrzehnten anhaltenden Namensstreit mit der nördlichen Nachbarrepublik EJRM beenden. Die Kurzschreibweise EJRM oder auf Englisch FYROM steht für die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, wie der Nachbarstaat offiziell heißt. Wie er im Volksmund genannt wird, ist regional unterschiedlich.

Namensstreit hat schon politische Opfer gefordert

In der übrigen Welt nennen alle, die nicht mit Griechen direkt zu tun haben, den Staat schlicht „Mazedonien“. In Griechenland wird er kurz nach seiner Hauptstadt „Skopje“ genannt. In seiner derzeitigen Lage, in der die Kreditgeber solche Paradoxa auch aus eigenen Geschäftsinteressen gern aus der Welt schaffen möchten, ist Griechenland nicht in der Lage großartigen Widerstand zu leisten.

Daher ist selbst die größte Oppositionspartei, die Nea Dimokratia unter Kyriakos Mitsotakis bereit, im Namensstreit einzulenken. Mitsotakis Vater, Konstantinos Mitsotakis, stürzte einst 1993, als er im Namensstreit nachgeben wollte. Damals war es der spätere Premier Antonis Samaras, der mit einer Parteiabspaltung die Regierung der Nea Dimokratia stürzte.

Heute droht Tsipras Koalitionspartner Panos Kammenos mit dem Entzug seines Votums. Kammenos, der selbst vor der Gründung seiner Partei der „Unabhängigen Griechen“ jahrzehntelang für die Nea Dimokratia im Parlament saß, verweigert jeglichen Kompromiss.

EU-Gelder für Flüchtlingshilfe sind irgendwo versandet

Das zweite heiße Eisen für Tsipras ist die Flüchtlingsproblematik. Hier brodelt es in der eigenen Partei wegen des Immigrationsministers Ioannis Mouzalas. Der frühere Menschenrechtsaktivist steht im Kreuzfeuer der Kritik von Seiten der EU, der Menschenrechtsorganisationen, aber auch der Parteilinken von SYRIZA wegen der unmenschlichen Verhältnisse, die in den Lagern auf den griechischen Inseln herrschen.

Die Einrichtungen, in denen die Flüchtlinge dort untergebracht sind, sind hoffnungslos überfüllt und vollkommen unzureichend ausgestattet. Dabei gibt es von Seiten der EU Millionen Euro an Hilfe. Wo das Geld versandet und warum die Einrichtungen, die Mouzalas „Stätten der Philoxenie für Flüchtlinge“ nennt, in derart desolaten Zustand sind, darüber scheiden sich die Geister. Für Mouzalas sind alle anderen schuld, für die Übrigen hat der Minister, an dem Tsipras treu festhält, schlicht versagt.

Jeder der oben angeführten Stolpersteine kann, wenn es zum Eklat kommt, die Regierung innerhalb kürzester Zeit destabilisieren. Andererseits versucht Tsipras mit gezielten Gaben und der entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit zumindest kurzfristig das Klima zu seinen Gunsten zu ändern. Sollte er dabei einen passenden Zeitpunkt für Neuwahlen sehen, wird er diese Option mit Sicherheit wahrnehmen.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"