Kurz vor dem Beginn des Spiels Ungarn gegen Deutschland formulierte Steudel, in pseudo-religiöser Verzückung:

Die Nationen, in denen seit Jahren Möchtegern- oder echte Diktatoren ein Powerplay gegen Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit aufziehen, sind alle Letzter. Es ist, als wäre es ein Zeichen von oben.

Türkei: Platz 4 in Gruppe A.

Russland: Platz 4 in Gruppe B.

Polen: Platz 4 in Gruppe E.

Ungarn: Platz 4 in Gruppe F."

Ein Sieg der Demokratie?

Ob es sich hierbei um ein „Zeichen von oben“ handelte, oder um sportlichen Wettbewerb, diese Frage dürfen sich die geneigten Leser selbst beantworten. Sicher ist aber, dass Steudels Wortwahl der Gefühlslage und der Momentaufnahmen eines westlichen Zeitgeistes entspricht, der sich in einer multimedialen Massengesellschaft bei einem Massenspektakel nicht nur hervorragend demonstrieren, sondern auch verbreiten lässt.

Ohne die Zeilen von Alexander Steudel einer scharfen politologischen Analyse zu unterwerfen, denn das geben diese gar nicht her, sei aber doch die Frage erlaubt - ähnlich steile Thesen werden ja auch von viel höheren Stellen verbreitet -, ob er sich eigentlich der Widersprüchlichkeit seiner Aussagen bewusst war?

Denn, wenn es sich bei Ungarn, Polen und der Türkei um keine Demokratien handeln soll, weshalb sind diese Staaten dann Mitglied von EU und NATO, im Falle der Türkei nur der NATO? Also in Organisationen, die gerade in jüngster Zeit sich selbst als „Bollwerke gegen autoritäre Regime“ inszenieren, womit Russland und China gemeint sind?

Würde man dieser These folgen, könnten ja die genannten Staaten nicht Mitglied der genannten Organisationen sein, oder diese Organisationen sind nicht das, was sie vorzugeben scheinen. Bedauerlicherweise werden diese Fragen im öffentlichen Raum weder angeschnitten noch diskutiert, was ja einem demokratischen Diskurs entsprechen würde.

Ursula von der Leyen tritt auf den Plan

Das Spiel Ungarn gegen Deutschland hatte noch gar nicht begonnen, da trat Ursula von der Leyen auf den Plan und verkündete, dass sie wegen des umstrittenen Gesetzes zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität gegen Ungarn vorgehen werde. Das ungarische Gesetz sei „eine Schande“, fügte von der Leyen hinzu.

Von der Leyen, die schon auf zahlreichen Polit-Feldern grandios gescheitert ist, zuletzt war sie verantwortlich für das Impfdebakel in der EU, präsentierte sich gewohnt angriffslustig.

Orban wurde gewählt, im Gegensatz zu von der Leyen

Nun kann man Viktor Orban einiges vorwerfen, seine Rehabilitierung von Miklós Horthy, seine permanente Instrumentalisierung der Traumata der ungarischen Geschichte und der reaktionär-provinziellen Ressentiments der ungarischen Provinz, bei gleichzeitiger Verleumdung des kosmopolitischen Fluidums, welches einst durch die Größen der ungarischen Intelligenz verbreitet wurde, flankiert von der Tatsache, dass gerade die literarischen Vertreter dieses Budapester Weltgeistes heute kaum noch in ungarischen Lehrplänen erwähnt werden, sondern verdrängt wurden von einer schwülstigen Blut- und Boden Literatur, wie auch seine überzogenen Sensibilitäten im Umgang mit Kritikern vor allem aus den Medien.

Aber, im Gegensatz zu Ursula von der Leyen, gelangte Viktor Orban durch ein demokratisches Votum in sein hohes Amt und hat vor, sich nächstes Jahr wieder darum zu bewerben.

Es ist auch legitim, dass die EU darüber diskutiert, ob das vom ungarischen Parlament gebilligte Gesetz, welches unter anderem ein Verbot von Büchern, Filmen und anderen Informationsträgers vorsieht, in denen Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen abweicht, mit den Werten der EU übereinstimmt, deren Mitglied Ungarn ist. Dieses sollte aber nicht in einem Ton und einem Ausmaß geschehen, der selbst Orban-Gegnern in Ungarn das Gefühl vermittelt, ihr Land sei eine Kolonie Brüssels.

Die Instrumentalisierung eines Sportereignisses für politische Zwecke hat sich schon in der Vergangenheit als Sackgasse erwiesen. Was nun das umstrittene Gesetz angeht, welches in Ungarn verabschiedet wurde, so weisen Kritiker in Ungarn daraufhin, dass dieses nach einer Reihe von pädophilen Skandalen im engsten Umfeld Orbans in die Wege geleitet wurde.

Im vergangenen Jahr waren beim ungarischen Botschafter in Peru Kinderporno-Bilder gefunden worden. Ein EU-Abgeordneter des Fidesz wurde bei einer Schwulen-Party in Brüssel ertappt. Angeblich soll das neue Gesetz pädophile Straftaten verhindern, wobei die Erwähnung von Homosexualität, in diesem Zusammenhang, natürlich ein gewisses Geschmäckle hat.

Die tiefe Spaltung der EU

In Ermangelung eigener geopolitischer Konzepte, obwohl diese dringend erforderlich wären, hat sich Brüssel den Vorgaben der NATO - damit der USA - unterworfen und setzt deren außen- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen bedingungslos um. Aufgrund der Tatsache, dass die sogenannten Visegrad-Staaten, unter Führung von Ungarn, markante eigene außenpolitische Interessen verfolgen - vor allem Beziehungen zu Moskau und Peking pflegen, die den NATO-Strategen ein Dorn im Auge sind - wird gegen Ungarn die jüngste innenpolitische Entscheidung als Vorwand aufgebaut, um Orbans Spielraum einzuschränken. 

Orban hat seitdem keine Gelegenheit ausgelassen, um die Beziehungen seines Landes zu den Führern dieser Staaten zu intensivieren. Damit geht er immer mehr auf diplomatischen Konfrontationskurs zur EU-Außenpolitik.

"Was bedeutet das konkret für mich!?" 

Beim Blick auf die Landkarte der EU offenbart sich, dass sich fast ausnahmslos alle Ost- und Mitteleuropäischen Staaten - bis auf die baltischen Republiken – gegen das Mittragen des Vorgehens der EU gegen Ungarn entscheiden.

Wurde zu Zeiten der EU-Osterweiterung noch die These verbreitet, diese würde die historische Spaltung des Kontinents und der EU überwinden, so scheint inzwischen das Gegenteil eingetroffen zu sein, nicht nur in diesem Politikbereich - mit unabsehbaren Folgen für Brüssel.

 APA/ORF.at

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