Die G7-Regierungschefs wurden - bevor die meisten von ihnen sich in Kürze in Madrid wieder treffen - noch einmal mit der blutigen Realität konfrontiert, sowohl des Krieges in der Ukraine, durch einen Raketeneinschlag in einem Shopping-Center - Bilder die leider zu der Realität eines Krieges gehören, weshalb man auch keine Kriege verlängern sollte -, als auch mit den Folgen der eigenen Politik durch den Tod zahlreicher Migranten, sowohl in der spanischen Enklave Ceuta in Marokko, als auch in Texas.

Welche "Regeln", welche "Werte"?

Was US-Präsident Biden unter dem Begriff „Regelbasierte Ordnung“ versteht, wurde von ihm, wie auch den anderen G7-Teilnehmern, dadurch verdeutlicht, dass die Ereignisse unterschiedlich bewertet wurden, oder gar nicht erwähnt, was wieder einmal beweist, dass das Geschwafel von einer globalen Weltordnung den jeweiligen strategischen Interessen unterliegt, sowie der Tatsache, dass eine „Regelbasierte Ordnung“ natürlich die Regeln meint, die der Westen der Welt zu diktieren versucht. 

Ansonsten würde man ja den täglichen zivilen Opfern im Jemen, durch saudische Waffen, die zuvor in westlichen Rüstungsschmieden erworben wurden, die gleiche Aufmerksamkeit schenken, wie den ukrainischen Opfern russischer Waffen, oder den ukrainischen Opfern ukrainischer Waffen (seit 2014 etwa).

Aber, neben den moralischen Schwierigkeiten, kommen auf die NATO handfeste strategische Probleme zu, welche die Metapher vom Koloss auf tönernen Füßen ins Gedächtnis rufen.

Die Türkei, einer der wichtigsten und gewichtigsten NATO-Staaten, mit der Lizenz zur Verfolgung eigener geostrategischer Ziele - eben aufgrund dieser Wichtigkeit und Gewichtung - zieht dem Koloss die Beine weg.

Die Frage, ob nun Schweden und Finnland NATO-Mitglieder werden, oder in China ein Sack Reis umfällt, ist geostrategisch weniger von Bedeutung, als die Frage ob Ankara sich dieser Nord-Erweiterung weiter in den Weg stellt, und ob es weiter enge Beziehungen zu Russland pflegt, wie viele aufstrebende Mächte außerhalb des Euro-Atlantischen Dunstkreises.

Ankara bleibt hart

Diesbezüglich sieht es in beiden Punkten für die NATO-Strategen düster aus. Unmittelbar vor dem Gipfel von Madrid ließ der türkische Präsident Erdogan durch einen Pressesprecher verlautbaren: 

"Da wir von ausländischen Energiequellen abhängig sind, entwickeln wir unsere Beziehungen zu Russland genauso wie zum Iran."

Auch bei dem Thema, die Aufnahme Schwedens und Finnlands zu ermöglichen, beißt die NATO in Ankara auf Granit.

Die Türkei blockiert die Nord-Erweiterung der NATO

Die NATO hat also die Wahl, insbesondere auf Schweden einzuwirken, seine liberale, fortschrittliche Politik gegenüber kurdischen Einwanderern in die Ostsee zu kippen - so wie die NATO ja auch schon mehrmals die Kurden, ob in Syrien oder dem Irak fallen ließ wie eine heiße Kartoffel, wenn diese ihren Dienst erfüllt hatten, was natürlich der eigenen Menschenrechts-Rhetorik zuwiderläuft - oder eben auf diese Norderweiterung zu verzichten, was natürlich ein Gesichtsverlust wäre. 

Aber selbst dann würde die Türkei ihre Politik gegenüber Moskau nicht ändern, denn Ankara ist sich seiner Macht bewusst und kann sich somit die Peinlichkeit ersparen, die der deutschen Regierung vielleicht noch bevorsteht, nämlich in einigen Monaten einen Gang, zwar nicht nach Canossa, wohl aber in den Kreml antreten zu müssen, spätestens dann, wenn in der EU der Energie-Notstand ausbricht.

Immerhin werden sich immer mehr transatlantisch ausgerichtete Medien dieser Problematik bewusst.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Die NATO beginnt ihren Gipfel also geschwächt und innerlich zerrissen, was deren Strategen mit einer globalen Aus- und Überdehnung zu vertuschen versuchen. Das Feindbild Russland eignet sich nur bedingt dafür, die Reihen fest zu schließen, aber schon versucht man auf das Feindbild China einzuschwören, ein riskantes Unterfangen:

"Allerdings verlangt die Umsetzung all dieser Pläne große Kraftanstrengungen. Beobachter warnen mit Blick auf die ehrgeizigen Pläne für eine „Global NATO“ bereits vor einer strategischen Überdehnung, die den Westen eher schwächen als stärken kann."

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"