Im Herbst 1957, inmitten des seit einigen Jahren tobenden Kalten Krieges, erlebte der Westen einen Schock, den man bis heute als den sogenannten „Sputnik-Schock“ bezeichnet.

Was war geschehen? Am 4. Oktober des erwähnten Jahres schoss die Sowjetunion des ersten Satelliten Sputnik 1 ins All, einen Monat später bringt Sputnik 2 mit der Hündin Laika das erste Lebewesen ins All.

Innerhalb des westlichen Establishments lösen diese bahnbrechenden technologischen Ereignisse, mit denen das Raumfahrtzeitalter eingeläutet wird, Panik und Entsetzen aus, sonnte man sich doch bis dahin im trügerischen Glanz der eigenen militärischen und technologischen Überlegenheit.

Nordamerika und Westeuropa befürchten in Reichweite sowjetischer Interkontinental-Raketen zu liegen, die im Ernstfall nuklear bestückt sein könnten. Ein Wettlauf in der Rüstung entbrennt, der ein Jahr später in den USA zur Gründung der NASA führen wird. In der Bundesrepublik kommt es zu einer Förderung naturwissenschaftlicher Studiengänge und zur Aufrüstung.

Indirekt wurden auch die Entwicklungen von Künstlicher Intelligenz, ja des Internets, durch dieses Ereignis beschleunigt.

Die NATO in der Schockstarre

Dieser Tage erlebten die NATO-Führungsstäbe einen ähnlichen Schock-Moment, wobei die Schockwellen dieses Mal nicht aus Russland kamen, beziehungsweise aus Kasachstan, denn dort befand sich 1957 der sowjetische Weltraumbahnhof Baikonur, sondern aus der Volksrepublik China, die ja schon seit geraumer Zeit als Feindbild Nummer 1 aufgebaut wird.

China hat eine militärische Hyperschallrakete getestet. Zwar fand dieser Test schon im August statt, verlief auch nicht zu 100 % erfolgreich, aber immerhin noch so erfolgreich, dass führende Köpfe der westlichen Militärmacht ins Staunen kamen. Wie die Financial Times berichtete, wurden die westlichen Geheimdienste von der chinesischen Hyperschallrakete kalt erwischt. Offenbar habe die Volksrepublik in der Militärtechnologie inzwischen viel größere Fortschritte gemacht, als man ihr zugetraut hatte.

Zusätzlich erwähnte die Financial Times am Wochenende auch die Warnungen hochrangiger US-Militärs vor dem wachsenden chinesischen Atomwaffenpotenzial. Grund dafür waren zuletzt Satellitenbilder, die zeigen sollen, dass die Volksrepublik mehr als 200 Silos für Interkontinentalraketen baue.

Dazu erläuterte der seit 1994 in Peking ansässige China-Experte und Journalist Frank Sieren:

"Militärisch liegt China ebenfalls noch weit zurück. Die größten Flugzeugträger sind 50.000 Tonnen schwer. US-amerikanische Flugzeugträger sind 100.000-Tonner. In manchen Innovationsbereichen ist die Volksrepublik wiederum schon weiter, zum Beispiel beim autonomen Fahren, in anderen führen noch die Vereinigten Staaten, zum Beispiel bei den Computerchips. Klar ist so oder so: Wir müssen mit China als Weltmacht rechnen. (…) Mit dem von Ihnen eingangs wiedergegeben Zitat ist gemeint, dass mehrere Jahrhunderte Vorherrschaft der westlichen weißen Minderheit über die Mehrheit der Welt nun zu Ende gehen. Das ist ein epochaler Wandel, der die Weltordnung auf dramatische Weise verändern wird."

NATO sucht Grund für die Aggression gegen China

John Kirby, Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, zäumte das Pferd von hinten auf, als er verlautbaren ließ „Wir haben unsere Besorgnis über die militärischen Fähigkeiten Chinas“, die „die Spannungen in der Region und darüber hinaus“ nur noch verstärkten, deutlich gemacht. Das sei einer der Gründe, „warum wir China als unsere größte Herausforderung betrachten“, wobei er verschwieg, dass die Drohkulisse und das Schmieden von Militär-Bündnissen gegen die Volksrepublik auch ohne und vor diesem Test ins Leben gerufen wurde

Risse im westlichen Anti-China-Pakt

Fast dankbar griff NATO-Generalsekretär Stoltenberg nach dem Strohhalm und blies ins gleiche Horn. Sich gegen Cyberangriffe und andere Gefahren zu rüsten werde in der neuen NATO-Doktrin einen wichtigen Platz einnehmen, erklärte der Norweger, nach dessen Auffassung die stark gestiegenen militärischen Fähigkeiten Chinas in Europa schon spürbar seien, ohne dafür Beweise zu nennen.

Damit würde die NATO auf den von US-Präsident Joe Biden ganz dezidiert ausgerufenen Kurs einschwenken, erläuterte Stoltenberg, als ob das vorher nicht der Fall gewesen wäre. Angesichts dieser Reaktionen, erscheinen die Äußerungen des französischen Präsidenten Macron, vom "Hirntot" der NATO nahezu von brennender Aktualität.

Ohne Geplänkel kam der NATO-Generalsekretär darauf zu sprechen, worum es eigentlich geht, nämlich, dass die USA der kommunistischen Führung wirtschaftlich wie militärisch offener Paroli bieten werden und Pekings geostrategische Bemühungen, insbesondere in Asien, unterlaufen wollen.

Aha, man stelle sich vor, Peking würde erklären, es strebe an, die geostrategischen Bemühungen der USA in Nordamerika unterlaufen zu wollen.

Aber eventuell hat die NATO und ihr Oberbefehlshaber in Washington hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Kürzlich erst zeigte das frisch geschmiedete Bündnis gegen China Risse, als die USA gemeinsam mit Großbritannien und Australien das AUKUS genannte Bündnis um einen großen U-Boot-Ankauf Australiens schmiedeten – und dabei auch in Kauf nahmen, den NATO-Partner Frankreich zu brüskieren. Paris stand seit Jahren in fortgeschrittenen Verhandlungen mit Canberra über den milliardenschweren U-Boot-Deal, wurde dann aber in letzter Sekunde betrogen, wie die Ureinwohner Amerikas im 19. Jahrhundert.

In Peking reagierte man gelassen auf die schrillen Töne aus Washington. Die Staats-und Parteiführung betont stets, keine aggressiven Absichten zu haben und nur die eigene Verteidigungsfähigkeit zu verbessern. Den USA warf Peking immer wieder vor, mit Warnungen vor Chinas Militärmacht selbst ein Wettrüsten lostreten zu wollen.

Peking: „Es war ein Raumschiff, keine Rakete“

Angesprochen auf den Raketentest hieß es in Peking am Montag man habe ein neues Raumschiff mit wiederverwendbarer Technologie getestet und verwies Experimente über einen angeblichen Versuch mit einer atomwaffenfähigen Hyperschallrakete ins Reich der Spekulationen. „Viele andere Länder und Unternehmen nehmen ähnliche Tests vor.“ 

„Was bedeutet das konkret für mich!?" 

Es ist dem amerikanischen Präsidenten Eisenhower zu danken, dass dieser in seiner Abschiedsrede aus dem Amt, im Januar 1961, seine Landsleute vor dem wachsenden militärisch-industriellen Komplexes in den USA, beziehungsweise vor dessen Aktivitäten warnte. Diese Warnung war auch deshalb so bemerkenswert, weil sie im Gegensatz zu der Biographie seiner Nachfolger im hohen Amt von einem Mann geäußert wurden, der fast sein gesamtes Berufsleben in Uniform verbracht hatte, von seinem Eintritt in die Militärakademie West Point 1911 bis zu seinem Abschied aus der Armee 1952 vor seiner Kandidatur für die Präsidentschaft.

Eisenhower sagte damals:

"Wir müssen auf der Hut sein vor unberechtigten Einflüssen des militärisch-industriellen Komplexes, ob diese gewollt oder ungewollt sind. Die Gefahr für ein katastrophales Anwachsen unbefugter Macht besteht und wird weiterbestehen. Wir dürfen niemals zulassen, dass das Gewicht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unseren demokratischen Prozess bedroht.“

Es sind jene Seilschaften, die auch heute noch die Fäden in Washington in der Hand haben, wahrscheinlich in einem viel größeren Ausmaße als 1961, die den Kurs der NATO bestimmen, vor denen Eisenhower zu jener Zeit warnte.

Es ist nicht zu erwarten, dass sich in Deutschland diesbezüglich auf dem Gebiet der Außenpolitik etwas regt. Zumindest in diesem Bereich zeichnet sich die entstehende Ampelkoalition auf Bundesebene durch die gleiche Inkompetenz und Ignoranz aus, wenn nicht sogar durch eine schlimmere Inkompetenz und Ignoranz, wie die Vorgängerregierung.

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