In der vergangenen Woche wurde bekannt, wie die Reeder selbst über die Regierung und ihre Mitbürger denken. Versuche, das einmal Gesagte zu relativieren, machen die Sache nur noch schlimmer.

Die Reeder als „heilige Kuh“ aller Regierungen

Reeder in Griechenland zu sein, heißt zunächst einmal, dass die im Artikel 107 der Verfassung verankerte weitgehende Steuerfreiheit gilt. Zuletzt gab es 2018 die Möglichkeit den Verfassungsartikel zu ändern. Die bisher regierenden Parteien, SYRIZA, PASOK (KINAL) und die Nea Dimokratia ließen die Gelegenheit verstreichen.

Früher machte die Regelung durchaus Sinn. Hierdurch war gewährleistet, dass die Besatzungen der Schiffe überwiegend aus Griechenland kamen. Indirekt, über die gezahlte Heuer, brachten die Reeder Devisen ins Land. Der Sozialversicherungsträger der Seeleute gehörte zu den finanzkräftigsten Versicherern des Landes.

Mit der Liberalisierung verfiel der Vorteil für den Staat, das Steuerfreiheitsprivileg wurde aber beibehalten. Die griechischen Politiker rühmen sich gern, dass „die griechische Flotte“ global Player ist und dass rund zwanzig Prozent der weltweiten Handelsschifffahrt mit griechischen Schiffen erfolgen würde.

Sind es „griechische Schiffe“? Nicht wirklich, im Griechischen werden sie „ellinoktita ploia“ genannt, Schiffe im griechischen Besitztum. Das Wort „ellinoktita“ ist ein Neologismus aus der Zeit des Aufstands gegen das osmanische Reich. Zweihundert Jahre ist es nun her, dass auch die Schiffe der griechischen Kapitäne in den Kampf gegen die osmanische Besatzung eingriffen. Schiffe, deren Besitzer nach dem Aufstand zu Helden im frisch gegründeten neugriechischen Staat aufstiegen. Viele der wagemutigen Kapitäne hatten während der napoleonischen Kriege Reichtum angehäuft, indem sie als Blockadebrecher den Handel mit Frankreich aufrechterhielten.

Damals bauten die Griechen auch noch recht gute Schiffe. Heute geben die Reeder ihre Milliarden für die Erneuerung der Flotte im Fernen Osten aus. Gebrauchte Handelsschiffe werden nach entsprechender Restaurierung gern in deutschen Landen bestellt. Die Reeder, denen ansonsten von der Politik eine besonders patriotische Haltung angedichtet wird, tätigten auch während der Staatsfinanzkrise ihre Investitionen lieber im Ausland. Das Einzige, wozu sie sich herablassen konnten, war die Zahlung eines freiwilligen Solidaritätsbeitrags, dessen Höhe jeder Reeder individuell für sich selbst bestimmt.

Die griechischen Reedereien wurden seit dem Eintritt des Landes in die damalige Europäische Gemeinschaft sukzessive geschlossen. Vom sagenhaften Reichtum der griechischen Reeder hat Griechenland selbst also kaum etwas. Von den Bürogebäuden der Reedereien in Griechenland einmal abgesehen. Die Reeder verzichten sogar weitgehend auf die griechische Flagge, obwohl sie mit einer reinen Tonnagesteuer dafür nur sehr geringe Abgaben zahlen müssten. Die griechische Flotte, 2019 mit 21 Prozent weltweitem Marktanteil und 51 Prozent in Europa schippert unter fremder Billigflagge.

Wer regiert Griechenland?

Trotzdem protegiert die griechische Politik „ihre“ Reeder nach Kräften. Ein Grund, weswegen sich eine journalistische Kooperation bestehend aus Expresso, SIC TV (Portugal), The Black Sea (Osteuropa), Reporters United (Griechenland), VG (Norwegen) und RTS (Schweiz) der griechischen Reeder und der griechischen maritimen Politik annahm.

Thematik der übernationalen investigativen Initiative der Journalisten war die Verquickung der Interessenvertreter der Reeder, welche die Versuche, den massiven Beitrag der Schifffahrt zur Klimakatastrophe zu begrenzen, über ihren Einfluss auf die International Maritime Organization der Vereinten Nationen erfolgreich abblocken. Obwohl es im entstandenen Dokumentarfilm „Black Trail“, der auch online unter https://vimeo.com/543693909 abrufbar ist, vordergründig um Todesfälle und Erderwärmung durch Rußpartikel aus den Schiffsschornsteinen geht, sind die Griechenland betreffenden Beiträge in vielfacher Hinsicht Aufsehen erregend.

Das liegt an einem besonderen Zusammentreffen zweier extrovertierter, von sich eingenommenen Persönlichkeiten. Auf der einen der Reeder Panos Laskaridis, Mitglied im Verwaltungsrat der Vereinigung der griechischen Reeder. Auf der anderen Seite der amtierende Minister für Handelsschifffahrt, Ioannis Plakiotakis von der Nea Dimokratia.

Plakiotakis ist so sehr von seiner Wichtigkeit überzeugt, dass er die Journalisten mit dem Hinweis, „der allerwichtigste“ schockte, als sie ihn auf sein Amt ansprachen. „Der was?“, fragte ein offensichtlich erstaunter Journalist. „Der allerwichtigste Minister der Welt, bezogen auf die Schifffahrt“, replizierte Plakiotakis. Die Journalisten spielten dem Minister daraufhin ein Interview vor, welches sie mit dem Reeder gemacht hatte.

In diesem Interview fühlt sich Laskaridis offenbar sehr sicher. Er fachsimpelt über die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der er Schamlosigkeit vorwarf. Laskaridis bezog sich bei seiner Einschätzung darauf, dass von der Leyen für die Bewältigung der Kosten der Pandemie Steuern auch bei Reedern eintreiben möchte.

Laskaradis Wertschätzung für die griechische Politik fiel dagegen noch vernichtender aus. Selbstgefällig tönte er, die Reeder könnten „auf den Premierminister scheißen“ (sic!). Sie hätten die griechische Regierung, die im übrigen 99 Prozent der Forderungen der Reeder erfüllen würde, überhaupt nicht nötig. Allein schon wegen der Aussagen Laskaridis ist das Ansehen des Dokumentarfilms empfehlenswert.

Laskaridis und sein Bruder Thanassis gehören in Griechenland zu den einflussreichsten Personen und werden in der Regierungsnahen Presse als Säulen für die Wirtschaftsentwicklungspolitik von Premier Mitsotakis gefeiert. Außer Schiffen gehören Laskaridis auch zahlreiche Hotels. Darunter die beiden besten Adressen in Athen, das Grande Bretagne und das King George am Syntagma Platz.

Mehr als verstörend ist die Reaktion der griechischen Regierung auf die Aussagen. Plakiotakis, mit diesen krassen Aussagen konfrontiert, reagierte, als ob man ihm soeben gesagt hätte, dass es draußen regnet. Er fuhr mit dem Lob seiner eigenen Politik fort.

Hinterher wird alles schlimmer

Der Dokumentarfilm machte in der vergangenen Woche die Runde in Griechenland. Screenshots boten sich an, weil die Macher des Films alle Interviews untertitelt hatten. Die für Griechenland brisanten Zitate kursierten schnell in den sozialen Medien.

Eine Reaktion der Regierung blieb jedoch aus. Vielmehr beschwerte sich der Abgeordnete und frühere Minister der Nea Dimokratia, Georgios Koumoutsakos am Mittwoch im Parlament, dass die Opposition, in diesem Fall die kommunistische KKE, durch Verweis auf das Thema, dem Land und der Schifffahrt Schaden zufügen würde.

Am Tag vorher war der besagte Panos Laskaridis Ehrengast des Kulturministeriums und somit der ebenfalls anwesenden Kulturministerin Lina Mendoni bei der Einweihung des neuen archäologischen Museums in Chalkida.

Panos Laskaridis selbst versuchte auf eine an „Liebling, es nicht das, was Du denkst“ Art, sich aus der Affäre zu ziehen. Er beschimpfte die Journalisten, die ihn angeblich reingelegt hätten. Zudem sei das Interview nicht in Bezug zum aktuellen Premier zu sehen. Für die Journalistengruppe antwortete Reporters United Greece. Die Dreharbeiten fanden wegen der Pandemie über einige Monate im zweiten Halbjahr 2020 statt. Dass Interview mit Laskaridis wurde am 29. September 2020 geführt. Dem „wichtigsten Minister der Welt“ wurde es am 5. Oktober 2020 vorgelegt. Regierungschef war zu diesem Zeitpunkt Kyriakos Mitsotakis, der aktuelle Premier.

Thanassis Laskaridis, der Bruder, distanzierte sich von den Aussagen. Er verwies darauf, dass die Regierung alles für das Wohlergehen der Reeder mache. Im Prinzip ist es genau das, was auch Plakiotakis nach dem Ansehen des strittigen Videos eher hilflos in die Mikrophone faselte.

Aber, widerspricht es der Kernaussage von Panos Laskaridis?

„Was heißt das konkret für mich!?“

Im Text erfährt der Leser Einzelheiten eines neuen Kapitels im alten Buch des Lobbyismus. Was die Affäre interessant macht, ist die unverblümte Dreistigkeit, mit der sich Reeder und Politiker gegenüber den Steuerzahlern gebärden.

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