Wie schlimm es um die Partei die Linke bestellt ist, lässt sich nicht nur am Wahlergebnis ablesen, sondern auch an der Tatsache, dass ausgerechnet Susanne Hennig-Wellsow gestern Abend in der Berliner Runde die Verantwortung für die katastrophale Niederlage den Fernsehzuschauern übernehmen durfte - statt Janine Wissler, die eigentlich dafür vorgesehen war, dann aber absagte.

Die Mitglieder der Linken sollten es jetzt wirklich mit einer Revolution versuchen, nicht zum Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern zum Sturz der eigenen Parteispitze. Sahra Wagenknecht fand als einzige Spitzenpolitikerin ihrer Partei wieder einmal die passenden Worte.

Die Linke bleibt im Bundestag, aber…

Die Linkspartei bleibt im Bundestag – doch nur aufgrund von drei Direktmandaten, darunter die Mandate von Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in Berlin.

Profilierte Kritiker

der bundesdeutschen Außenpolitik wie Alexander Neu werden dem nächsten deutschen Bundestag nicht mehr angehören. 

Mehr als eine halbe Millionen Linkswähler sind dieses Mal zur SPD

gewandert

. Wer Klima- oder Identitätspolitik favorisierte, blieb eher bei den Grünen als der Linken seine Stimme zu geben.

Ein historisch schlechtes Ergebnis für die Union

Neben der Linkspartei ist die Union der große Verlierer des gestrigen Wahlabends. Die Union hat am Sonntag ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Trotzdem äußerte Kanzlerkandidat Armin Laschet zunächst den Wunsch nach einer unionsgeführten Regierung. Einen Regierungsanspruch will er gemäß mehreren Medienberichten daraus aber nicht abgeleitet haben. „Aus dem Wahlergebnis kann niemand einen Regierungsanspruch ableiten, das habe ich am Sonntag auch nicht gesagt“, so Laschet selbst. „Wir stehen bereit für andere Konstellationen, wenn eine Ampel nicht klappt.“ Laschet räumte im Bundesvorstand einen „persönlichen Anteil“ an der Wahlniederlage ein.

Auf Landesebene kamen von CDU-Politikern deutlichere Töne. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) äußerte gegenüber dem MDR, das Wahlergebnis sei ein Erdbeben gewesen und habe eine ganz klare Wechselstimmung gegen die CDU gezeigt. Das müsse man sich eingestehen.

Die AfD stagniert

In Sachsen wurde die AfD stärkste Kraft, während sie ansonsten auf Bundesebene leicht verlor, ebenso wie bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus erlitt die Partei eine herbe Niederlage und fast die Hälfte ihrer Stimmen von 2016. Alice Weidel war in der Berliner Runde zwar darum bemüht, diese Rahmenbedingungen in Form einer Milchmädchenrechnung als Gewinn zu interpretieren, die Fakten sehen aber anders aus.

Die AfD hat sich zwar in den meisten ostdeutschen Flächenländern als eine Art Volkspartei vorläufig etabliert, stagniert und sinkt aber im Westen, also dort wo die große Mehrheit der Bevölkerung lebt. Die Momentaufnahme spiegelt eine Partei wider, die ihren Höhepunkt vorläufig überschritten hat.

Kein großer Erfolg für die Grünen

Was nun die Grünen angeht. Handelt es sich bei deren Ergebnis um einen großen Erfolg? Gemessen an den eigenen hohen Ansprüchen wohl kaum: Die Grünen haben nur ein mäßiges Ergebnis erlangt. Knapp 15 % sind für eine Partei, die ein Jahr lang mit dem Anspruch hausieren ging, das Land führen zu wollen, die eine Kanzlerin zu stellen gedachten - kein triumphaler Durchmarsch.

Die Ursachen für das enttäuschende Abschneiden der Grünen sind vielfältig. Viele WählerInnen haben der 40 Jahre alten Baerbock, die keine Regierungserfahrung hat, das Amt der Kanzlerin am Ende nicht zugetraut. Ihre Fehler bei den Nebeneinkünften, dem Lebenslauf oder dem Buch taten – obwohl in der Sache Kleinigkeiten – das Ihrige dazu. Baerbock wurde gewogen und für zu leicht befunden, sagen manche Grüne – und liegen damit nicht falsch.“, schrieb dazu heute Ulrich Schulte in der

TAZ

.

Druck auf Lindner und die FDP

Die FDP, die auf einen eigenen Kanzler-Kandidaten zu verzichten wusste, hat leicht hinzugewonnen, aber auch keinen großen Sprung nach vorne gemacht. Für die FDP, wie für die Grünen, gilt aber, dass beide Parteien einen strategischen Machtzuwachs erhalten, durch die Rolle der Kanzlermacher.  

 

Vielleicht müssen zunächst einmal die FDP und die Grünen miteinander reden“, sagte am Wahlabend FDP-Chef Christian Lindner in der Berliner Runde. Der FDP-Bundesvorstand beschloss bereits heutet „Vorsondierungen“ mit den Grünen. Ähnlich war die Einschätzung von Annalena Baerbock:

 

Die Zeit, wo einer, der Kanzler werden will, dann alle durchtelefoniert, ist vorbei.“

 

Am Montag kündigte auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, an, es werde zuerst in einem „sehr kleinen Kreis“ mit der FDP über die Bildung einer gemeinsamen Regierung gesprochen.

 

Verhandlungsgeschick muss vor allem Christian Lindner zeigen“, äußert der „FAZ“-Journalist Jasper von Altenbockum. „Die Gefahr für die FDP, Wähler zu verprellen, die Lindner mit einer klaren Jamaika-Vision angelockt hat, ist groß“, schreibt er über eine mögliche „Ampelkoalition“. Aber: „Die Grünen werden der FDP trotzdem nicht den Gefallen tun, ohne Vermögensteuer, Mindestlohn und Klima-Hammer auf Scholz oder Laschet zu warten. Lindner wird also großes Geschick zeigen müssen, vielleicht sogar unter Hintanstellung eigener politischer Ambitionen.

 

Die SPD ist zurück

Und schließlich die SPD. “Totgesagte leben länger“ lautet eine alte Volksweisheit, die in diesem Fall für die älteste deutsche Volkspartei Gültigkeit besitzt, wie auch für deren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Olaf Scholz ist es - nicht gerade von der Pole-Position aus – gelungen, die SPD bei der Bundestagswahl zur stärksten Kraft im neuen Bundestag zu machen. Und dies nach einem Wahlkampf, der zunächst schläfrig und ambitioniert wirke, aber der sehr auf ihn zugeschnitten war.

Ob das auch reicht, Kanzler zu werden, ist noch offen. Doch wer hätte all das vor einem Jahr gedacht, als er zum Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten ausgerufen worden ist? Der Erfolg der SPD wurde noch durch die Ergebnisse der Landtagswahlen in Berlin und

Mecklenburg-Vorpommern

, wo die SPD in beiden Urnengänge am stärksten abschnitt, an der Ostsee sogar an der 40 Prozentmarke landete, übertroffen.

„Was bedeutet das konkret für mich!?"   

Deutschland nach der Bundestagswahl, eine Republik in Bewegung. Das Elektorat, also die Wähler, agieren in unserer mediokratisch geprägten Massengesellschaft immer sprunghafter, immer impulsiver. Aber wie reagieren die Eliten auf die zunehmende Unregierbarkeit in unseren westlichen Gesellschaften?

 

Der französische Soziologe Gregoire Chamayou beantwortet diese Frage in seinem lesenswerten Buch

"Die unregierbare Gesellschaft"

wie folgt:

 

"Die Strategie zur Überwindung der Regierbarkeitskrise bestand vielmehr in einem autoritären Liberalismus, bei dem die Liberalisierung der Gesellschaft eine Vertikalisierung der Macht impliziert: Ein "starker Staat" für eine "freie Wirtschaft" wird zu neuen Zauberformel unserer kapitalistischen Gesellschaften.

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