Europa ächzt wegen der weiterhin hohen Inflationsrate. EZB-Chefin Christine Lagarde reagiert darauf mit immer weiteren Erhöhungen der Zinssätze. Dies wiederum hat drastische Auswirkungen auf die Wirtschaft. Lagarde sieht Unternehmen in der Pflicht, denn viele davon hätten „den Vorteil genutzt, die höheren Kosten völlig auf die Kunden abzuwälzen." Zudem erklärte Lagarde, „und einige von ihnen haben die Preise über den bloßen Kostendruck hinaus erhöht." Eklatante Preissteigerungen spüren viele Verbraucher bei den Nahrungsmitteln und Artikeln des Grundbedarfs, sowie beim Urlaub.

Tourismus als Preistreiber

Letzterer ist für viele nach den Pandemiejahren ein Ventil, um der Isolation der Corona-Zeit zu entkommen. Offenbar setzen viele Touristikunternehmer darauf, dass deswegen seitens der Touristen nahezu jeder Preis bezahlt wird. In einem klassischen Urlaubsland wie Griechenland trifft diese Preisspirale nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische, die mit einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 1.176 Euro wirtschaften müssen.

Besonders krass ist die Preislage bei Tickets für Fähren. Eine Karikatur des Künstlers Antonis Kourafelkythros, die in griechischen Medien kursiert, zeigt einen Dialog in einem Reisebüro. Die Reiseverkehrskauffrau antwortet einem Kunden, „Piräus – Santorin mit der Fähre ist etwas teuer. Aber ich habe für Sie einen Flug Athen – New York – Buenos Aires – Kapstadt – Santorin gefunden, der günstiger ist!“ Tatsächlich sind Flugreisen, wenngleich ökologisch weniger sinnvoll, in vielen Fällen preiswerter als das Massenverkehrsmittel Fähre.

Der Fährbetrieb in Griechenland wird staatlich mit 130 Millionen Euro jährlich gefördert, weil er im an Inseln reichen Staat der Rolle des Schienennetzes in einem Binnenland entspricht. Zudem erfreuen sich Reeder zahlreicher, teilweise in der Verfassung verankerter Steuerfreiheiten. Wenn sie Einkommenssteuern zahlen, dann freiwillig – und dann werden sie auch als „nationale Wohltäter“ gelobt.

Tourismus im eigenen Land, gar auf einer Urlaubsinsel, ist für viele griechische Familien ein unbezahlbarer Traum. Auf den Urlaubsinseln Santorin, Kreta, Milos, Rhodos und Chios leben auch Einheimische, die aus verschiedenen Gründen hin und wieder mal aufs Festland oder auf eine Nachbarinsel müssen. Sei es aus familiären Gründen, für den Aufenthalt in einem der spezialisierten Krankenhäuser, die es nur auf dem Festland gibt, oder aus beruflichen Gründen.

Es gibt Lehrkräfte und Mediziner, aber auch übrige Beamte, die vor allem in den ersten Jahren ihrer beruflichen Karriere zunächst einmal auf abgelegenen Inseln Dienst tun müssen. Wenn dann für die einfache Hinfahrt einer Familie mit zwei Kindern von Rhodos nach Piräus 487,50 Euro fällig sind, kostet allein die Reise in die Hauptstadtregion samt Rückfahrt knapp einen Monatslohn.

Die Insel Ägina, 33 km Fahrtstrecke von Piräus entfernt, gehört verwaltungstechnisch zur Region Attika. Sie ist bei klarem Himmel von der Hauptstadt Athen aus sichtbar. Allein die Überfahrt für eine Person ohne PKW kostet aktuell 19 Euro.

Preise wie auf dem Peak der Energiekrise

Der drastische Preisanstieg für die Fährtickets hatte im vergangenen Jahr eine Berechtigung. Bei konventionellen Fähren machen die Treibstoffkosten die Hälfte der gesamten Betriebskosten aus. Bei den sogenannten „Hochgeschwindigkeitsschiffen“ sind es sogar bis zu achtzig Prozent.

Die Treibstoffpreise im Jahr 2022 hatten sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Schiffsgasöl für die Hochgeschwindigkeitsschiffe kostete im 1.200 Euro/Tonne, gegenüber 510 Euro 2021. Aktuell liegt der Preis bei 700 Euro pro Tonne. Der Preis für sehr schwefelarmes Heizöl (VLSFO), das konventionelle Schiffe verbrennen, sank von 1.100 Euro/Tonne 2022 auf 600 Euro 2023.

Die mit Energiekosten begründeten Preiserhöhungen von knapp 35 Prozent aus dem Vorjahr wurden jedoch 2023 beibehalten. Besonders drastisch ist die Situation auf Fährrouten, die konkurrenzlos von nur einem Anbieter bedient werden.

Ein herkömmliches Schiff, das mit 19 Seemeilen/h fährt, verbraucht 2 Tonnen pro Stunde während ein Hochgeschwindigkeitsschiff für das Tempo von 24 Seemeilen/h 6 Tonnen pro Stunde benötigt. Für eine 10-stündige Fahrt liegen die Energiekosten zwischen 12.000 und 36.000 Euro. Die Schiffe sind trotz der hohen Preise aktuell ausgebucht, wenn nicht gar überbucht.

Die Regierung greift ein

Die Reedereien begründen ihre hohen Preise damit, dass nun auch die Kapitalkosten gestiegen seien und sie nach den Pandemiejahren und der Energiekrise nun Gewinne erwirtschaften müssten. Zudem sei es wegen der Klimakrise notwendig, Kapital für die Erneuerung der Flotte mit klimafreundlicheren Schiffen zu erwirtschaften. Für den Austausch der Fähren, die 25 Jahre oder älter sind, sind für die griechische Fährflotte Investitionen von 2,5 bis 3 Milliarden Euro erforderlich, heißt es aus Reederkreisen.

Trotz ihrer wirtschaftsliberalen Ideologie wollte die Regierung in Athen das nicht auf sich beruhen lassen. Denn offensichtlich kann der Markt das Preisproblem nicht lösen. Unter den hohen Reisekosten leiden zudem die lokalen Tourismusunternehmer auf den Inseln. Denn die Urlauber haben nach hohen Fährkosten und gestiegenen Hotelkosten schlicht kein Geld mehr für weitere Unternehmungen.

Die Reeder wurden von der Regierung zu Gesprächen zitiert. Als erstes Ergebnis gibt es nun Preisnachlässe von zum Beispiel 20 Prozent für Familien. Der Opposition ist das zu wenig. Die sozialdemokratische PASOK, die den intern nach der verheerenden Wahlniederlage zerstrittenen Linken von SYRIZA den Rand ablaufen möchte, übte konstruktive Kritik.

Die viel beworbene Intervention der Regierung gegenüber den Reedereien wird sich offenbar auf einige Rabattpakete für bestimmte Kategorien von Reisenden beschränken, während die meisten Tickets für Juli und August bereits im Voraus verkauft wurden“, heißt es in einer Pressemeldung.

Die PASOK verweist darauf, dass sie während ihrer Regierungszeit wirksamere Maßnahmen ergriffen hätte. „Im Jahr 2001 wurde unter der PASOK-Regierung die Maritime Inland Transport Regulatory Authority mit dem Ziel gegründet, den Markt proaktiv zu überwachen. Diese Behörde wurde 2004 unter der Regierung der Nea Dimokratia abgeschafft und seitdem wird auf die Erhebung zuverlässiger Daten verzichtet. Diese sind nötig, um eine sinnvolle Politik umzusetzen, die den Reisenden zugutekommt.

Die PASOK schlägt der Regierung vor, mit weiteren Maßnahmen die Preise zu senken. Sie habe 2011 als Regierung „die Preise für Fährtickets durch die Abschaffung der Abgaben zugunsten Dritter gesenkt“ steht in der Presseerklärung. Nun könne die Regierung mit einer temporären Senkung der Mehrwertsteuer für Fährtickets auf sechs Prozent einen ähnlichen Effekt erzielen.

Die kommunistische Partei verweist darauf, dass das Lohnniveau im Land immer noch unter dem von 2012 liegt. Sie nutzt die Debatte über die Tickets zur Kapitalismuskritik. „Die wahre Natur der kapitalistischen Entwicklung wird durch die Debatte über die Überteuerung von Fährtickets offenbart.“, sagte der Abgeordnete und Mitglied des Zentralkomitees der KKE Nikos Karathanasopoulos und fügte hinzu, „Im Tourismus, dem ‚Wachstumsmotor‘ gibt es eine übermäßige Anhäufung von Profiten in einigen wenigen Händen, aber die Tourismusarbeiter leben und arbeiten, wie auf Galeeren und eine Familie kann keinen Urlaub machen.

Die Reeder fordern ihrerseits weitere staatliche Zuschüsse, so wie sie auch mit Billigung der EU seitens der italienischen Regierung an die italienischen Kollegen geflossen seien. Für den außenstehenden Beobachter ist der Erfolg des Eingriffs der Regierung bei den Reedern in Bezug auf die Fährpreise überschaubar.

Es ist jedoch bemerkenswert, dass sich die Regierung endlich getraut hat, überhaupt gegen die Reeder vorzugehen. Bei den EU-Sanktionen gegen Russland hat die griechische Regierung die mit Russland zusammenarbeitenden griechischen Reeder durch ihr Veto in EU-Gremien immer wieder vor Sanktionen bewahrt.

Fazit

„Gierflation“ ist ein moderner Ausdruck für unternehmerischen Preiswucher, der die Inflation immer weiter anfeuert. EZB-Chefin Christine Lagarde will mit den Zinssteigerungen erst aufhören, wenn die Inflation wirksam nachlässt. Die Leser erfahren im Text am Beispiel der griechischen Reeder und der überteuerten Fährtickets, wie die griechische Regierung in Athen das Problem zu lösen versucht. Die Reeder haben „vergessen“, die in Berufung auf gestiegene Energiekosten 2022 massiv angehobenen Preise nach dem Sinken der Preise für Kraftstoff wieder abzusenken.

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