Das neue Buch von Sahra Wagenknecht, welches unter dem Titel “Die Selbstgerechten“ am Mittwoch im Handel erscheint, wird innerhalb ihrer Partei so freudig erwartet, wie der Fuchs im Hühnerstall.

Fast könnte man meinen, die politischen Gegner fielen über die mit Abstand beliebteste und bekannteste Politikerin der Linken her, nicht die eigenen Genossen.

Heftige Kontroverse innerhalb der Partei

In einem Facebook-Kommentar heißt es diesbezüglich:

Ihr Buch ist der letzte Beweis dafür, dass es nicht nur um einzelne problematische Sätze bei ihr geht, die mal wieder falsch verstanden werden. Sie macht in ihrem Buch ein Gegenprogramm zur Linken auf. Wenn sie so viele Positionen kritisiert, wofür viele Linke heute stehen, die Vorsitzenden, der Vorstand, viele Kreisverbände, Mitglieder, dann kann sie nicht auf einem Spitzenplatz für die Bundestagswahl stehen. Wenn sie alles so meint, wie sie das in diesem Buch schreibt, dann muss sie sich mittlerweile überlegen, ob sie noch in der richtigen Partei ist."

Diese Sätze wurden von einem linken Aktivisten formuliert, der zur Anhängerschaft der neuen Partei-Vorsitzenden Hennig-Wellsow gehört, die intellektuell von Sahra Wagenknecht so weit entfernt scheint, wie das Milchmädchen von der Mathematik-Professorin.

Abrechnung mit der Lifestyle-Linken 

In dem erwähnten Buch, von dem bisher nur Auszüge publiziert wurden, rechnet Wagenknecht mit der sogenannten Lifestyle-Linken und deren Moral ab.

Wagenknecht schreibt:

Dominiert wird das öffentliche Bild der gesellschaftlichen Linken heute von einem Typus, den wir im Folgenden den Lifestyle-Linken nennen werden, weil für ihn im Mittelpunkt linker Politik nicht mehr soziale und politökonomische Probleme stehen, sondern Fragen des Lebensstils, der Konsumgewohnheiten und moralische Haltungsnoten.“

Im Mittelpunkt ihrer Kritik steht die sogenannte Identitätspolitik, die in den letzten Jahren - vor allem in säkularisierten linksliberalen Milieus - zu einer Art Religionsersatz aufgestiegen ist. Der Verfasser dieses Beitrages äußerte dazu einem Radio-Feature kürzlich: “Diese Identitätspolitik, die in den westlichen Gesellschaften bisweilen seltsame Blüten treibt, hat die Tore zu neuen Perspektiven aufgestoßen, aber auch neue Konfliktlinienfreigelegt.“

Angeheizt wird die Debatte innerhalb Wagenknechts Partei durch ihre Bundestagskandidatur, welche von schrillen Tönen flankiert wird, unter anderem der Forderung nach einem Kandidatur-Verzicht. Hierbei handelt es sich um die erstaunliche Entwicklung, dass ein noch nicht veröffentlichtes Buch zum Anlass genommen wird, eine führende Vertreterin der Partei, aufgrund ihrer Ausführungen, ins Abseits zu stellen.

Diese Tendenz ist natürlich nicht nur bei den Linken zu suchen, sondern durchzieht die Debattenkultur unser westlichen Gesellschaften wie eine Seuche, die dazu führt, dass das wesentliche Merkmal eben dieser westlichen Gesellschaften, nämlich der Pluralismus, langsam aber sicher verlorengeht.  

Identitätspolitik stellt sich selbst ein Bein

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi wies daraufhin, dass Identitätspolitik vor allem rechten Politikern in die Hände spielen könne, da es immer Rechte gewesen seien, die Menschen auf ihre äußeren Merkmale reduziert hätten. De Masi warnte seine Partei davor, dass Identitätspolitik sich teilweise in ihrer Zuspitzung selbst ein Bein stellt.

Wagenknechts Buch sorgt also für gellende Töne innerhalb der Partei, in der eigentlich die Alarmglocken angesichts der sinkenden Umfragewerte schrillen sollten.

Wagenknecht äußerte sich selbst in einem Gastbeitrag auf T-Online.

"Es ist die Selbstzufriedenheit des moralisch Überlegenen, die viele Lifestyle-Linke ausstrahlen, die allzu aufdringlich zur Schau gestellte Überzeugung, auf der Seite des Guten, des Rechts und der Vernunft zu stehen. Es ist die Überheblichkeit, mit der sie auf die Lebenswelt, die Nöte, ja sogar auf die Sprache jener Menschen hinabsehen, die nie eine Universität besuchen konnten, eher im kleinstädtischen Umfeld leben und die Zutaten für ihren Grillabend schon deshalb bei Aldi holen, weil das Geld bis zum Monatsende reichen muss.
Und es ist der unverkennbare Mangel an Mitgefühl mit denen, die um ihr bisschen Wohlstand viel härter kämpfen müssen, so sie überhaupt welchen haben, und die vielleicht auch deshalb zuweilen härter oder grimmiger wirken und schlechter gelaunt sind.“

„Was heißt das konkret für mich!?“

Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama, schreibt in seinem lesenswerten Buch „Identität, wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet“:

Menschen werden nach ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer Nationalität, ihrem Aussehen, ihrer Ethnizität oder ihrer sexuellen Orientierung beurteilt. Jede Person und jede Gruppe erlebt Missachtungen auf unterschiedliche Art, und jede strebt nach ihrer eigenen Würde. Somit bringt die Identitätspolitik eine Dynamik hervor, durch die sich Gesellschaften in immer kleinere Gruppen mit speziellen ‚Erlebnissen‘ der Schikanierung teilen.“

Diese Einschätzung Fukuyamas ist absolut treffend - und selbst frage ich mich seit geraumer Zeit: Was hält unsere modernen, westlichen Gesellschaften eigentlich noch zusammen? Diese Frage kann ich bisher nicht beantworten. Ich bin mir aber sicher, dass die permanente Zerlegung der Gesellschaften in unterschiedliche Subgruppen, die sich gegenüberstehen, der Stabilität jeder Gesellschaft dauerhaft zuwiderläuft, ohne die Probleme der Diskriminierung, der Ausgrenzung wirksam lösen zu können.

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