Wirtschaftliche Auswirkungen für die EU

Blicken wir auf die Wirtschaftslage von Österreich, so lag das BIP Ende 2020 bei 375 Milliarden Euro. Demgegenüber stehen rund 340 Milliarden Euro Schulden. Österreich liegt damit unter der magischen Grenze von 100 % auf die sich die Euro-Staaten als neues Schuldenkriterium einigen werden, wenn entsprechende Vorschläge umgesetzt werden. Die griechischen Staatsschulden belaufen sich dagegen mittlerweile auf 354 Milliarden Euro, was 207,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht - Tendenz steigend.

Was griechische Politiker ohne demokratische Kontrolle mit Staatsfinanzen alles anfangen können, und wozu sie fähig sind, sollten die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts zur Genüge belegt haben. Wie die Auswirkungen auf die gemeinsame Währung, den Euro, sind, ist hinlänglich bekannt.

„Autoritäres Regime“

Kurz hat gezeigt, wie man eine liberale Demokratie in ein autoritäres Regime verwandeln kann“, titelt Spiegel Online am 28. Oktober zu einem Interview, welches Oliver Das Gupta mit dem österreichischen Politiker Peter Pilz führte. Wenn Kurz dies mit seiner Inseratenaffäre schaffte, was wäre dann erst zu den griechischen Politikern zu sagen?

Es wird gleich zwei Untersuchungsausschüsse in Athen geben, die sich mit der Einflussnahme der letzten beiden Regierungen auf Presse und Meinungsforschungsunternehmen beschäftigen werden. Die Nea Dimokratia und SYRIZA beschuldigen sich gegenseitig, in Hellas das zu tun, was Kurz in Österreich zur Last gelegt wird.

Den Anfang machte die Partei von Alexis Tsipras, SYRIZA. Kurz nach dem Bekanntwerden der Affäre in Österreich bewegte sie auch die übrigen Oppositionsparteien dazu, einen Untersuchungsausschuss gegen die Regierung Mitsotakis zu beantragen. Die jüngste Verfassungsreform von 2019 macht es erstmals möglich, dass auch die Opposition einen derartigen parlamentarischen Ausschuss einberufen kann.

ÖR-Rundfunk, unabhängige Nachrichtenagentur? - Fehlanzeige

Direkt nach der Wahl, bei seinem Amtsantritt im Juli 2019 unterstellte Premierminister Kyriakos Mitsotakis sowohl den öffentlichen Rundfunk, die Sendeanstalt ERT, als auch die staatliche Nachrichtenagentur Athens News Agency – Macedonian News Agency (AMNA) seinem Büro. Dies geschah vollkommen öffentlich, ohne SMS wie bei Kurz, mit den ersten Präsidialdekreten der Regierung.

In Griechenland gibt es keine mit der AMNA konkurrierende inländische Nachrichtenagentur. Eine Agenturmeldung ist in Journalistenkreisen mit der höchstmöglichen Wahrheitsvermutung eingestuft. Eine Agenturmeldung zu widerlegen mithin ein äußerst schwieriges Unterfangen. Außer der ERT gibt es keinen landesweiten öffentlichen Rundfunk.

Die Petsas Liste

Auch in Griechenland gibt es staatliche Inserate in privaten Medien. Sie stellen für zahlreiche Medien eine Art Lebensversicherung dar. Denn mit den Verkaufszahlen am Kiosk, den in der Finanzkrise weggebrochenen Werbeetats der Privatwirtschaft und mit einer Kostenloskultur bei den Online-Medien lässt sich kein Staat machen. Urheberrechte werden regelmäßig missachtet. Viele Medien übernehmen Artikel der Konkurrenz komplett und schreiben als Fußzeile „Quelle: Medium XYZ“. Konsequenzen müssen sie in der Regel nicht fürchten.

Gerade in der CoVid-Pandemie drohte zahlreichen Medien daher der Ruin. Inmitten von Ausgangssperren und Lockdowns gab es für Firmen mit staatlich verordneter Schließung beziehungsweise Einschränkung des Geschäftsbetriebs kaum Spielraum, um Werbeanzeigen zu schalten. Der Staat sprang in die Bresche und schaltete Inserate.

Diese bewarben die „Wir bleiben zuhause“-Aktion der Regierung, mit der sie ihre Corona-Maßnahmen propagierte. Das Füllhorn der Regierung schüttete Millionensummen aus, die nahezu vollständig an Medien mit regierungsfreundlicher Linie gingen. Ob es sich um durch Beiträge von Corona-Kritikern auffällige Medien handelte, oder um Internetmedien mit mehr als überschaubarer Reichweite, spielte dabei keine Rolle. Hauptsache die Regierung wurde gelobt.

Oppositionelle Zeitungen, wie das SYRIZA nahestehende Blatt Documento, gingen komplett leer aus. Die Verteilung der Gelder wird im griechischen Sprachgebrauch als Petsas-Liste bezeichnet. Sie verdankt ihren Namen dem zuständigen Minister Stelios Petsas.

Während im übrigen Europa die Regierungen mit Kurzarbeiterprogrammen versuchten, Arbeitsplätze zu retten, beschenkte die griechische Regierung die großen privaten Rundfunkanstalten des Landes mit einer Lizenz zu Massenentlassungen.

Die vorgeschriebene Mindestanzahl von Beschäftigten bei landesweiten Fernsehsendern wurde mit dem sogenannten Petsas-Gesetz, von 400 auf 280 gesenkt. Dazu gab es dann auch noch staatliche Subventionierung in Form von Corona-Prämien. Bei keiner der Subventionierungen der Herausgeber und Medienbesitzer wurde die Auflage gemacht, den Mitarbeitern ausstehende Löhne und Honorare zu zahlen.

Das staatliche Füllhorn hatte, wie Cashkurs berichtete, auch Gelder für weitere unsinnige Aktionen. Damit Freiberufler Corona-Beihilfen bekommen konnten, mussten sie sich während des Lockdowns in Online-Schulungsprogrammen weiterbilden. Träger der Schulungsprogramme waren zum Teil eilig aus dem Boden gestampfte Schulungsfirmen, deren Lehrmaterial offensichtlich ebenso eilig per maschineller Übersetzung erstellt wurde. Ärzte „lernten“ so inmitten kruder bis unfreiwillig komischer Stilblüten der Übersetzung, dass die Existenz von Ärzten die Durchseuchung mit Viren erst möglich mache.

All dies führte zu Anzeigen durch Bürger. Die Anzeigen landeten bei der Staatsanwaltschaft. Diese wiederum musste sie gemäß der griechischen Verfassung ans Parlament weiterleiten. Und da liegen sie nun und verstauben.

Zur Petsas-Liste haben 48 Personen gemeinsam eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft vor Griechenlands höchstem Strafgericht, dem Areopag, eingereicht. In Stellungnahmen dieser Personengruppe wird detailliert begründet, warum das Vorgehen der Regierung strafwürdig sei. Die Gruppe selbst fasste es wie folgt zusammen:

  1. Eine Verschwendung von mindestens 31 Millionen Euro für eine Werbekampagne, welche die Regeln der Sorgfaltspflicht verletzt, weil gesetzlich geregelt ist, dass Gesundheitskampagnen unentgeltlich veröffentlicht werden müssen.

  2. Für die Verteilung der oben genannten Ausgaben und Verschwendung öffentlicher Gelder in intransparenter Weise in nicht existenten oder nur wenig verbreiteten ausländischen und somit nicht inländischen Medien.

  3. Für die Verletzung der Regeln der sorgfältigen Verwaltung bei der Verwaltung des oben genannten öffentlichen Eigentums, wodurch KMU mit geringerer Lesbarkeit als begünstigt wurden, im Gegensatz zu anderen Portalen, die das gemeinsame Merkmal hatten, dass sie der Regierung kritisch gegenüberstanden.

Öffentlich bekannt wurde der Inhalt der Anzeige im April 2021. Nachzulesen ist die komplette Anzeige, in der die einzelnen Punkte mit juristischen Argumenten und auch Beispielen untermauert werden, unter anderen online in der Parteizeitung von SYRIZA. Die Vorwürfe wiegen schwer. Für den ersten Punkt, die Gesundheitskampagne, wurden weitere Beispiele aus der Pandemiezeit geliefert, wo die Veröffentlichung der entsprechenden Inserate, wie gesetzlich vorgeschrieben, kostenlos war.

Geschehen ist nichts. Anders als in Wien, wo die Staatsanwaltschaft im Kanzleramt eine Durchsuchung veranlasste, sind den Strafverfolgern in Griechenland die Hände gebunden. Sie dürfen bei Verwicklungen von Politikern in Affären erst eingreifen, wenn das Parlament mehrheitlich den Segen dazu gibt.

Deshalb ist auch vom von den Oppositionsparteien beantragten Untersuchungsausschuss, in dem es auch um staatlich bestellte und bezahlte regierungsfreundliche Meinungsumfragen geht, nicht viel zu erwarten.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Spätestens damit sollte jedem klar sein, dass die Signale zur Kurz-Affäre aus Österreich zumindest belegen, dass es dort eine unabhängige Staatsanwaltschaft und mit dem ORF auch Regierungskritik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Verfehlungen und Affären von regierenden Politikern gab und wird es immer geben. Die Frage ist, wie die staatlichen Kontrollinstanzen auf so etwas reagieren. Griechenland stünde erheblich besser da, wenn es die Justiz und Medien Österreichs hätte. Im Gegenzug könnte der gestürzte Kanzler Kurz durchaus auf die Möglichkeiten neidisch sein, die seinem EVP-Parteifreund in Griechenland - trotz Veröffentlichung seltsamer Vorgänge - zur Verfügung stehen.

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