Wieso die prestigeträchtigen Spiele viele Probleme verursachen können

Diesmal geht es um das emblematische Athener Olympiastadion, das Velodrom und eine zentrale Fußgängerbrücke. Alles Werke des weltberühmten Architekten Santiago Calatrava. Dass die Verantwortlichen in Griechenland zugeben mussten, dass sie das Wartungshandbuch des Stararchitekten verloren haben, ist ein pikantes Detail des Dramas. Selbst die Erfinder der Olympischen Spiele haben es nicht geschafft, aus der Austragung der Spiele Kapital zu schlagen.

„Brot und Spiele“ heißt spätestens seit der Römerzeit das Konzept vieler Politiker, wenn es darum geht, sich beim Volk beliebt zu machen. Erfahrungsgemäß werden Spiele umso pompöser, wenn es an Brot mangelt. Die eigene Stadt als Herz der (sportlichen) Welt zu präsentieren ist eine große Versuchung. Noch immer ist nicht bekannt, was die Spiele Griechenland wirklich gekostet haben. Kleinster Nenner vieler Schätzungen sind Summen von knapp 20 Milliarden Euro.

Ob es für Berlin, dass sich um die Spiele 2036 oder 2040 bewirbt, besser laufen wird? Sind eventuelle negative Folgen für Paris, dass 2024 die Spiele abhalten wird, bereits erkennbar? Fragen, auf die es noch keine abschließenden Antworten gibt. Das griechische Beispiel zeigt jedoch, was alles schiefgehen kann.

Griechenland versprach sich von den Spielen einen Entwicklungsschub. Tatsächlich wurden aus Anlass der Spiele viele Infrastruktur- und Verkehrsprobleme gelöst. Die Athener Metro, die Tram und die private Stadtautobahn „Attiki Odos“ sind Projekte, die mit Blick auf die Spiele beschleunigt wurden. Möglich wurde die ungewöhnliche Eile beim Aufbau von Infrastruktur durch Sachzwänge. Nachdem der IOC 1997 den Zuschlag erteilt hatte, musste alles sehr schnell gehen. Mit selbst erzeugten Sachzwängen wurde der 1981 erfolgte Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft und der 2001 vollzogene Eintritt in die Währungsunion von der Politik förmlich durchgepeitscht.

Konkret bedeutete dies bei den Olympischen Bauten, dass die Regierung ihre eigene Bürokratie für die Spiele aushebelte. Für Betonbauten wichtiger Flusssand wurde im gesamten Land ohne Umweltverträglichkeitsprüfung im Raubbau abgebaut, was die betroffenen Regionen auch heute noch mit Überschwemmungen und Erdrutschphänomen bezahlen.

Baugenehmigungen und Prüfungen der geplanten Bauten durch die Ämter erschienen als Hindernis. Ergo wurde vieles schlicht ohne formelles Genehmigungsverfahren errichtet.

Gesetzliche Regelungen wurden erlassen, welche die Enteignung von benötigtem Baugrund massiv erleichtern und auch heute noch gelten. Wann immer die aktuelle Politik in einem öffentlichen oder privaten Bauvorhaben ein „höheres öffentliches oder wirtschaftliches Interesse“ sieht, ist die Enteignung der weitgehend entrechteten Grundbesitzer ein Kinderspiel.

Zurück zu den Calatrava-Bauten. Ohne Wartungshandbuch gab es keinerlei Wartung. Zudem fehlten die detaillierten Unterlagen für den Bau beim Bauamt. Denn die nachträglich erteilte Baugenehmigung für die komplizierte Stahlkonstruktion über dem 1982 fertiggestellten Olympiastadion von Athen lautet auf „Errichtung einer Pergola“. Es handelt sich um eines der größten Stadien der Welt, mit 69.618 Sitzplätzen, das am 21. September 57.003 Zuschauer für das Europa League-Spiel von Panathinaikos Athen gegen den FC Villareal beherbergte. Es ist, beziehungsweise war die Heimstätte des erfolgreichen Hauptstadtklubs. Im Nachhinein ist nun bekannt, dass für Zuschauer und Spieler akute Lebensgefahr bestand.

Schon Jahre vor diesem denkwürdigen Spiel, 2013, fielen im Stadion Teile der stählernen Dachkonstruktion hinab. Das die 80 kg schweren Brocken niemanden verletzten, gehört zu den Glücksfällen im Drama. Stahl, zumal in einer so waghalsigen Konstruktion, neigt zum Rost an Schweißnähten und Verschraubungen. Eilig wurde damals von der konservativ geführten Regierung unter Premierminister Antonis Samaras beschlossen, doch eine Studie zur Wartung des Stadions in Auftrag zu geben. 2015 war dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen, als im Januar die links-rechtspopulistische Koalitionsregierung unter Alexis Tsipras die Macht übernahm.

Deren Sportminister Stavros Kontonis stoppte die teuren Arbeiten rund ums Olympiastadion. Denn nach der Staatspleite von 2010, den Spardiktaten der Kreditgeber und den Vorbereitungen der Regierung auf eine Konfrontation mit EZB, IWF und EU musste jeder Euro im Staatsetat mehrfach umgedreht werden. Tsipras späterer Schwenk zum Sparkurs führte zur Verpfändung zahlreicher öffentlicher Bauten, auch des Olympiastadions und des im Olympiakomplex liegenden, ebenfalls mit Calatrava-Konstruktion überdachten, Velodroms. Die Bauten werden nun von der Treuhand, in Griechenland Taiped genannt, verwaltet. Dass die Stahlkonstruktion zahlreiche Roststellen aufweist, war für sämtliche Besucher sichtbar.

2019 erinnerte sich Premier Kyriakos Mitsotakis, der auch 2013 als Minister in der Regierung war, vage daran, dass mit dem Stadion etwas geschehen müsse. Er gab eine Studie, die ein Jahr später fertiggestellt wurde, in Auftrag. Die Mängel wurden richtig erkannt und notwendige Arbeiten wurden angemahnt. Die Studie landete in irgendeiner Schreibtischschublade und wurde vergessen oder verdrängt. Bis am 25. September die Treuhand aufgrund einer eigenen Studie Alarm schlug.

Das Stadiondach, das Velodrom, die „Mauer der Nationen“ und die „Agora“ wurden als akut einsturzgefährdet eingestuft. Vier Tage später, am Nachmittag des 29. Septembers, musste dann alles sehr schnell gehen. Offenbar hatten genügend Verantwortliche die Studie gelesen und begriffen, welche Gefahr droht.

Auf dieser Grundlage und aus Verantwortungsbewusstsein werden ab heute alle sportlichen und kulturellen Aktivitäten im Zentralstadion und auf der Radrennbahn eingestellt“, heißt es in der betreffenden Presseerklärung der Stadionverwaltung.

Im Velodrom fand ein Bridge Wettbewerb statt und die Teilnehmer wurden Hals über Kopf herausgescheucht. Der gesamte Bereich wurde für die Öffentlichkeit gesperrt. Was wiederum Schulen nicht daran hinderte, auch an den folgenden Tagen mit Ausflugsklassen anzureisen, die dann statt des Stadions und der Anlagen die Absperrungen besichtigen durften.

Erste Schätzungen stufen den Schaden am Stadion auf rund 50 Millionen Euro ein. Das Stadiondach selbst hatte die griechischen Steuerzahler 150 Millionen Euro gekostet. Sogar der komplette Abriss wird nun in Erwägung gezogen. Es ist nicht der einzige derartige Vorfall im Land. Auch das Kaftanzoglio-Stadion in Thessaloniki, das nach entsprechender Modernisierung bei den Olympischen Spielen für den Fußballwettbewerb im Einsatz war, ist nun aufgrund gefährlicher baulicher Mängel geschlossen.

Dass es auch anders geht, beweist ausgerechnet der kommunistische Bürgermeister von Patras, Kostas Peletidis in Patras. Als er 2014 zum ersten Mal zum Bürgermeister gewählt wurde, war das Pampeloponnisiako Stadio, ebenfalls 2004 olympische Sportstätte, wegen Baumängeln gesperrt. Peletidis trieb die Schulden von Vereinen und Werbepartnern ein. Er bildete aus kommunalen Bediensteten eine Task-Force, die in Eigenregie ohne private Subunternehmer die Baumängel beseitigte. Energie- und Ressourcenverbrauch des Stadions wurden optimiert. Statt wie 2013 100.000 Euro, kostet die Bewässerung nun nur noch 5.000 Euro pro Jahr. Der Stadionkomplex steht den Bürgern der Stadt kostenlos für Breitensport zur Verfügung. Vierzig lokale Vereine haben es als Heimstätte und es ist Austragungsort der nationalen Leichtathletikmeisterschaften.

Davon können die Athener nur träumen. Besonders hart hat es die Bahnradfahrer Griechenlands erwischt. Ausgerechnet im letzten Jahr der Olympiavorbereitung fehlt die einzige einheimische Trainingspiste. Für die Athleten der Leichtathletiknationalmannschaft des Landes war das Olympiastadion indes bereits vor der Sperrung tabu. Sie „passten“ dort nicht hin.

„Was bedeutet das für mich konkret!?“

Im Text erfahren die Leser, warum ausgerechnet die selbstbeweihräuchernd als „beste Spiele der Neuzeit“ gefeierten Olympischen Spiele von Athen samt ihren berühmten Calatrava-Bauten nicht Symbol des Triumphs, sondern eines einstürzenden Kartenhauses sind. Nirgends manifestiert sich besser, wieso das Narrativ der erfolgreichen Modernisierung Griechenland nichts weiter ist als eine realitätsferne Erzählung.

2024 stehen die Spiele in Paris an. Berlin, eine Stadt, die noch nicht einmal einen Flughafen schnell und richtig genug bauen konnte, bewirbt sich um die Spiele 2036 oder 2040. Die Spiele können schnell zur Kostenfalle werden, und statt für Prestige für Spott und Entsetzen sorgen, wie das griechische Beispiel zeigt. Es zeigt sich zudem, dass ein sozial auf kommunales Miteinander mit Bürgern und Stadtbediensteten eingestellter Bürgermeister, wie in Patras, effektiver und preiswerter arbeitet als seine neoliberal und mit Outsourcing agierenden Kollegen. Zumal wenn der besagte Bürgermeister sich strikt an sein Wahlprogramm und seine Wahlversprechen hält. Die parteipolitische Ausrichtung spielt hierbei keine Rolle.

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