Berlin wird Kiew mit weiteren Waffen und Munition unterstützen. Verteidigungsminister Boris Pistorius ließ verlautbaren, dass ein neues Hilfspaket im Volumen von 400 Millionen Euro geschmiedet wurde. Allerdings, die von der Ukraine erwünschten Marschflugkörper sind darin nicht enthalten, wie der Minister gestern in einem Interview der „Bild“-Zeitung äußerte.

In Kiew entfalten diese finanziellen und militärischen Kraftanstrengungen aber keine Dankbarkeit. Im Gegenteil. Präsident Selenskyj, dessen Gegenoffensive nicht vom Fleck kommt, trotz umfangreicher Waffenlieferungen aus den NATO-Arsenalen, wird offenbar von der Angst erfasst, im Westen könnte die wachsende Ukraine-Müdigkeit bald das politische Geschehen dominieren.

Selenskyj droht seinen westlichen Unterstützern

In einem Interview mit dem britischen Economist drohte der ukrainische Präsident Selenskyj seinen Unterstützern in den EU und NATO-Staaten sogar.

Selenskyj äußert freimütig, der beste Weg, um Regierungen „zu überzeugen“, die Ukraine weiter zu unterstützen, sei es, „sie über die Medien vor sich her zu treiben“; bisher sei dies in puncto Waffenlieferungen stets gut gelungen.

Sollte der Westen allerdings seine Hilfe für die Ukraine reduzieren, werde das nicht nur den Krieg verlängern.

Es werde zudem „Risiken für den Westen in seinem eigenen Hinterhof schaffen“, wurde Selenskyj zitiert. Denn schließlich wisse niemand, wie die Millionen ukrainischer Flüchtlinge in den europäischen Ländern reagieren würden, wenn ihr Land im Stich gelassen werde. Bislang hätten sich die ukrainischen Flüchtlinge in der EU überaus „gut benommen“ und seien „sehr dankbar“ gegenüber denjenigen gewesen, die ihnen Zuflucht geboten hätten. Es werde aber keine „gute Sache“ für Europa sein, wenn es „diese Leute in eine Ecke“ treibe.

An wen sich diese nicht einmal verdeckte Drohung richtet, kann man sich an zwei Fingern abzählen. Nämlich an die Staaten, die am meisten Flüchtlinge aus der Ukraine beherbergen. In Kiew war Außenministerin Baerbock wohl kürzlich vielleicht auch deshalb so demonstrativ darum bemüht, alle Zweifel über ein Nachlassen der Ukrainisierung der deutschen Politik, zu zerstreuen. „Wir in Europa wissen: Ihr verteidigt hier auch unsere europäische Freiheit." Dafür sei man den Ukrainern "auf ewig dankbar".

Anspannung in New York City

Auch in New York City herrscht ab heute Hochbetrieb. Selenskyj dürfte seine Rede vor der UNO-Vollversammlung am Dienstag dafür nutzen, die internationale Staatengemeinschaft zu weiterer Hilfe für sein Land aufzurufen. Der ukrainische Präsident muss auch hier darum bangen, wie lange ihn westliche Staaten noch mit umfangreichen Waffenlieferungen unterstützen werden.

Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wird Selenskyj persönlich bei der UNO-Vollversammlung anwesend sein. Selenskyj, der vor einigen Monaten noch verkündet hatte, dass er seinen Sommerurlaub auf der Krim verbringen werde, kann das militärische Scheitern kaum noch verbergen.

Die ukrainische Offensive kommt seit mehr als drei Monaten nicht voran, auch wenn westliche Medien die Rückeroberung einzelner Kartoffelacker und verlassener Siedlungen als Endsieg zu verkaufen versuchen. Führende NATO-Generäle geizen inzwischen nicht mehr mit Kritik an der ukrainischen Militärstrategie, die in zunehmendem Maß auch öffentlich vorgetragen wurde – meist über führende US-Medien.

Während eines Treffens westlicher und ukrainischer Generäle Mitte August an der polnisch-ukrainischen Grenze, darunter NATO-Oberbefehlshaber Christopher Cavoli, der britische Generalstabschef Tony Radakin und der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj wurde die militärische Führung in Kiew zu einer radikalen Änderung genötigt. Der Durchbruch der ukrainischen Truppen zum Asowschen Meer, mit dem die westlichen Generäle gerechnet hatten, gilt inzwischen als illusionär.

Ferner wird sich Selenskyj auch am Hudson River mit dem Phänomen auseinanderzusetzen haben, dass die Mehrheit der Welt das bröckelnde Narrativ im Westen niemals anerkannt hat. Im Gegenteil, die meisten Länder des globalen Südens, welche durch die Auswirkungen des Krieges in Mitleidenschaft gezogen wurden, fordern zudem eine Kompromisslösung – ohne Russland verurteilen zu wollen. Mit dem Ukraine-Krieg wird sich auch eine offene Sitzung des UNO-Sicherheitsrats am Mittwoch befassen.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Die westliche Unterstützung der Ukraine symbolisiert das Scheitern eines großangelegten strategischen Entwurfes. Kürzlich war im Londoner Telegraph zu lesen: „Der Ukraine läuft die Zeit davon“; „nach 18 Monaten Krieg“ sei „nicht mehr die Frage, ob das westliche Bündnis strauchelt, sondern wann“: „Der Westen muss sich auf eine Demütigung vorbereiten.“

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"