Pandschir - das Tal der Unbesiegbaren

Eine Entfernung von 100 Kilometern bedeutet in dem unzugänglichen Hochgebirgsland Afghanistans, aufgrund seiner zerklüfteten Geographie und seiner fragilen Infrastruktur, etwas ganz anderes als vergleichsweise in Europa. 

Dieser Hinweis ist wichtig, damit kein falscher Eindruck entsteht, demzufolge die Gegner der Taliban schon kurz vor den Toren der Hauptstadt stünden.

In dem besten Sachbuch über Afghanistan der letzte Jahrzehnte „Sturz ins Chaos“ schreibt der pakistanische Publizist Ahmed Rashid diesbezüglich:

Am Schnittpunkt zwischen Iran und Indien, Zentral-und Südasien und dem Mittleren Osten gelegen, ist Afghanistan seit den Zeiten früheren arischen Invasoren des indischen Subkontinents aus Zentralasien vor 6000 Jahren Einfallstor für Eroberer gewesen. Das Land war dabei stets leicht zu durchqueren, aber geradezu unmöglich in Besitz zu nehmen. Eine Reihe der höchsten Bergketten der Welt und Wüsten machen es der einheimischen Bevölkerung wie den Eroberern schwer.“

Die Region Pandschir, die heute auch eine Provinz Afghanistans darstellt, verfügt über eine Geschichte, die bis in die Frühphase der Menschheit zurückreicht. Das Pandschir-Tal wird auch als „Tal der Unbesiegbaren“ bezeichnet, da dort weder die Rote Armee noch die Taliban Fuß fassen konnten - um nur bei diesen Aspekten der Zeitgeschichte zu bleiben -, bis zu dessen Ermordung am 9. September 2001 dafür aber die Widerstandskämpfer von Ahmad Schah Massoud und seine tadschikischen Kämpfer.

Ahmad Shah Massoud - er starb zwei Tage vor 9/11 

An diesem Tag - zwei Tage vor 9/11 - wurde Massoud von Agenten Bin Ladens ermordet. Über diesen Mann schrieb ich einst:

"Massoud gelang es, eine Allianz gegen die Taliban zu schmieden. Doch der Bürgerkrieg zog sich hin, Afghanistan versank erneut in Blut und Tränen. Die Macht der Taliban weitete sich aus, schließlich beherrschten sie fast das ganze Land bis auf einen schmalen Streifen im Norden. Sie errichteten eine Gewaltherrschaft und verwandelten Afghanistan in einen Stützpunkt des dschihadistischen Terrors. Noch im Frühjahr 2001 warnte Massoud bei einem Besuch im Europaparlament vor Osama bin Laden und dessen Terrorplänen. Er fand nur wenig Gehör. Internationale Unterstützung wurde ihm verweigert. Die amerikanische Hilfe für die Nordallianz blieb lau. Im amerikanischen Außenministerium hegte man starke Vorbehalte gegenüber Massoud aufgrund seiner Verbindungen zum Iran und zu Russland. Dabei stand Massoud kurz davor, zur wichtigsten Führungspersönlichkeit Afghanistans aufzusteigen. Er hatte seine Beziehungen zur Muslim-Bruderschaft längst aufgegeben und sich zu einem afghanischen Patrioten gewandelt. In seiner Nordallianz vereinte er alle von den Taliban verfolgten Gruppen und Ethnien. Massoud war es gelungen, eine Vision für eine friedliche Zukunft Afghanistans zu entwickeln, jenseits des Taliban-Terrors und der heutigen Fremdherrschaft."

Ahmad Massoud organisiert den Widerstand gegen die Taliban

Ahmad Massoud, der 1989 geborene Sohn des als „Löwe von Pandschir“ ehrfürchtig bezeichneten Shah Ahmad Massoud, ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten.

Kurz nach der Ermordung seines Vaters sorgte der damals erst Zwölfjährige auf einer öffentlichen Veranstaltung für Aufsehen, als der neu ins Amt des Präsidenten Afghanistans gelangte Paschtune Hamid Karzai den Jungen umarmen wollte, um damit öffentlich auch das Ansehen seines Vaters für sich zu vereinnahmen, dabei aber unsanft von dem damals Halbwüchsigen zurückgestoßen wurde.

Ahmad Massoud, inzwischen Anfang 30 und mit einer auffallenden äußerlichen Ähnlichkeit zu seinem Vater versehen, scheint seine Hartnäckigkeit beibehalten zu haben.

Foto-links Ahmad Massoud, rechts sein Vater Shah Ahmad Massoud - Foto Kurier at.

Dieser Tage warnte er die Taliban vor einer Offensive im Pandschirtal.

Die Taliban werden nicht lange überleben, wenn sie diesen Weg weiter beschreiten“,

äußerte er gegenüber dem in Dubai ansässigen TV-Sender al-Arabiya.

Wir sind bereit, Afghanistan zu verteidigen, und wir warnen vor einem Blutvergießen.“

Allerdings hatte Massoud zuvor für die Bildung einer Regierung plädiert, unter der Beteiligung der Taliban, was angesichts der aktuellen Machtverhältnisse in Afghanistan auch gar nicht anders möglich ist. Ein Krieg sei aber „unvermeidlich“, wenn die Taliban den Dialog verweigern sollten, warnte Massoud in dem erwähnten TV-Interview.

Wie es um die wirkliche militärische Schlagkraft von Massouds Truppen steht, ist zur Stunde ungewiss. Nach Massouds Angaben soll seine Armee aus etwa 9000 Kämpfern bestehen, wobei sich auch Verbände der afghanischen Armee im Pandschirtal aufhalten. Gegenüber der Nachrichten-Agentur Reuters sagte Massoud:

Wir wollen den Taliban klarmachen, dass nur Verhandlungen uns weiterbringen. Wir wollen nicht, dass ein Krieg ausbricht.“

Eine realistische Lageeinschätzung ist kaum möglich. Ohne internationale Unterstützung ist im besten Fall das Pandschirtal zu halten, also eine Konsolidierung des Herrschaftsgebietes der tadschikischen Milizen.

Wird der Westen Massoud helfen? 

Woher eine mögliche internationale Unterstützung kommen könnte, bleibt ungewiss. Ahmad Massoud selbst scheint auf den Westen zu setzen, obwohl sein Vater einst von diesem fallen gelassen wurde und wendet sich in einem Gastbeitrag in der Washington Post an die Öffentlichkeit. Doch im Gegensatz zu seinem Vater kennt er den Westen. Massoud warnte daher, dass unter Kontrolle der Taliban

Afghanistan zweifellos zu einem Zentrum des radikalislamischen Terrorismus“

werde. Seine Kämpfer seien auf den kommenden Konflikt vorbereitet, bräuchten aber US-Unterstützung.

Massoud schrieb weiter:

In diesem Sinne bitte ich die Freunde Afghanistans im Westen, sich in Washington und New York, im Kongress und bei der Regierung (von US-Präsident Joe, Anm.) Biden für uns einzusetzen. Setzen Sie sich für uns in London ein, wo ich mein Studium absolviert habe, und in Paris, wo das Andenken an meinen Vater in diesem Frühjahr durch die Benennung eines Weges in den Champs-Élysées-Gärten geehrt wurde.“

Inwieweit diese Hilferufe erhört werden, bleibt ungewiss. In Washington hat die strategische Niederlage in - sowie die Flucht aus - Afghanistan deutliche Spuren hinterlassen. Zur Stunde ist Washington darum bemüht, alle verbliebenen Kräfte für die Konfrontation mit der Volksrepublik China zu nutzen.

Strategisch gesehen wäre eine Allianz von Massouds Truppen mit Moskau und Teheran vorzuziehen. Mit dem Iran, wo ein Großteil von Massouds Familie lebt, schon aufgrund der sprachlichen Verwandtschaft und der gemeinsamen Feindschaft zu den Taliban. Mit Russland - das militärisch in Tadschikistan, also an der Nordgrenze Afghanistans präsent ist -, weil es im Interesse Moskaus liegt, einen Flächenbrand in Zentralasien zu verhindern, wofür Massouds Truppen hilfreich wären.

Auf die Chinesen kann er nicht setzen, da diese gegenwärtig einen Ausgleich mit den Taliban suchen. Noch weniger auf Pakistan, dessen Staatsführung auf eine Vorherrschaft der Paschtunen setzt und dessen Geheimdienst einst mit saudischen Geldern unter dem Deckmantel der USA im Kampf gegen die Sowjets die Taliban erst erfunden hat. Bei allen Unabwägbarkeiten ist Massoud zur Stunde also gut beraten, den bisherigen Kurs beizubehalten, nämlich den Taliban sowohl die Kampf-, als auch die Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren.  

„Was bedeutet das konkret für mich!?"

Während die politische Weltbühne von dem geopolitischen Erdbeben am Hindukusch weiter erschüttert wird, parallel die Umfrage-Werte für US-Präsident Joe Biden in den Keller gehen, fällt den führenden Parteien und Politikern der Bundesrepublik und der EU nichts anderes ein als: "Business as usual!".

Der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz lässt verlautbaren, dass es mit ihm keine Regierung ohne ein Bekenntnis zur NATO gäbe, was natürlich in Richtung der Partei die Linke gerichtet ist, welche wohlgemerkt die einzige Partei ist, wo der Transatlantische Pakt - wenn auch mit abnehmender Konsequenz - zumindest noch kritisch hinterfragt wird. 

Diese Tendenz verdeutlicht eindrucksvoll und bedrückend zugleich, dass das politische Berlin in den Jahren der Globalisierung, was die Urteilsfähigkeit bei geopolitischen Analysen angeht, auf einem erstaunlich niedrigen, ja geradezu provinziellen Niveau angelangt ist.

Offensichtlich hält man sich für einen Bundesstaat der USA, dabei würde ein Blick auf die Landkarte - neben den Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte - schon zu der Erkenntnis führen, dass es der Kontinent Europa ist, der unmittelbar die Folgen der gescheiterten Politik Washingtons zu spüren bekommt.

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