Unser Beitrag „Gestatten, Inflation“ aus dem Mai des vergangenen Jahres wird mit folgendem Satz eingeleitet:

Hinterher wird es mal wieder keiner gewusst haben. Wie konnten bloß die Preise steigen, nachdem Zentralbanken die Inflation zum heiligen Ziel auserkoren hatten? Das konnte wirklich niemand ahnen!“

Ähnlichkeiten zur aktuellen Berichterstattung sind rein zufällig.

Wie in anderen Bereichen wurden auch bei den Inflationsweissagungen offenbar überoptimierte akademische Modelle bemüht. Diese resultierten in Aussagen, wie derjenigen eines Hamburger Professors, der uns im Dezember 2020 an der Schwelle zum Deflationszeitalter („Die Inflation ist tot – und das sind die neuen Spielregeln für unser Geld“) wähnte, oder dem Mythos von der „transitorischen Inflation“. Man mag die Hoffnung einfach nicht aufgeben, alles im Griff zu haben. Daher wird emsig so oft geraten, bis man einmal richtigliegt.

Am geradezu schamanenhaften Getue einiger Notenbankmitarbeiter fällt insbesondere der Glaube an die rasche Wirkung einiger Zinserhöhungen auf. Blicken wir daher auf die letzte Periode einer nachhaltig erhöhten Inflation zurück, die 1970iger Jahre.

Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Konsumentenpreise in den USA sowie den von der US-Zentralbank festgelegten Satz für Fed Funds in diesem Zeitraum. Generell hängen diese beiden Entwicklungen zusammen, aber der Zusammenhang ist nicht von der exakten Art. Wer erwartet, ein strukturelles Inflationsproblem mal eben so durch ein paar Drehungen an der Zinsschraube lösen zu können, dem stehen lehrreiche Jahre bevor.

Als die Inflationsrate 1969 erstmals seit längerem die Marke von fünf Prozent überschritten, stand der Zins bei 2,5 %. Als 1980 die Inflationsrate auf 14,8 % kletterte erreichte der Zins die Marke von 17,2 %. Der Zins stieg weiter und erreichte rund ein Jahr später sein Maximum bei 19,1 %. Die Inflation war nach elf Jahren wieder auf dem Rückzug, stand aber noch immer bei knapp zehn Prozent. Bis zur Unterschreitung des Wertes von 1969 dauerte es noch einmal gut zwei Jahre.

In den dargestellten dreizehn Jahren lag der mittlere jährliche Preisanstieg bei 7,7 %. Kumuliert verlor das Geld in dieser überschaubaren Zeitspanne rund zwei Drittel seiner Kaufkraft.

Ausgehend von der heute üblichen Maßeinheit des 25 Basispunkte umfassenden Zinsschrittes erfolgten seinerzeit also fast 60 Zinsschritte. Mit derartigen Trippelschritten würde sich natürlich im Ernstfall niemand aufhalten. Es kann daher nicht schaden, sich über den Unterschied zwischen dem, was manche Marktteilnehmer für möglich halten und dem, was wirklich möglich ist, Gedanken zu machen. Manche Gesprächskreise gehen immer noch davon aus, der Zins könne allein deshalb ein bestimmtes Niveau nicht erreichen, weil sich manche Staaten und andere Großschuldner dieses Level nicht leisten könnten. Dies ist ein Irrglaube.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Entwicklung ist die aktuelle Kluft zwischen dem von der Zentralbank festgelegten Zins und der Inflation bemerkenswert. Sie klafft weiter auseinander als in den 1970iger Jahren. Zieht man von diesem Wert die Inflationsrate ab, zeigt sich der inflationsbereinigte Realzins.

 

 

Selbst wenn die Inflation um einige Prozentpunkte zurückgehen sollte ist die Lücke erklecklich. Für die Zentralbankangestellten wäre es ein vernünftiger Weg, sich nach all den Fehlprognosen der vergangenen Jahrzehnte von der akademischen Komplexität zu verabschieden. Vermutlich funktionieren selbst einfache Umfragen bei Unternehmens-Einkäufern oder anderen Praktikern besser als die hunderte von wissenschaftlichen Papers ausstoßenden Analyseabteilungen der Zentralbanken. Das gilt freilich auch in anderen Wirtschaftssektoren.

Die übliche Begründung, der technische Fortschritt („KI“, etc. bla bla) würde dauerhaft alles immer billiger machen, zeigt lediglich die teils grenzenlose Ignoranz gegenüber den herausragenden technischen Entwicklungen und Effizienzsteigerungen der letzten paar hundert Jahre. Abgesehen von der Frage, ob es nicht wichtiger ist, genügend Leute zu haben, die eine vorhandene Technologie nicht nur zum Zeitvertreib, sondern für produktive Dinge einsetzten, sollte man auch einen ökonomischen Grundsatz nicht vergessen: Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen. Davor sind auch technologisch hoch gerüstete Gesellschaften nicht gefeit.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Großschuldner mögen die langfristige Entwertung ihrer Verbindlichkeiten durch die Inflation herbeisehnen. Wichtig ist jedoch selbst für Regierungen und Zentralbanken, diese nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Bei der Betrachtung einiger Protagonisten der EZB macht sich jedoch bereits erschreckend früh der Eindruck zunehmender Ratlosigkeit breit. Je länger der Weg zwischen diesem Zustand und der Erkenntnis ist, desto schmerzhafter wird es für die Bürger werden. Wie man leider auch in anderen Bereichen sieht, ist der Weg zur Erkenntnis gerade in Deutschland manchmal um einiges länger, als normale Menschen denken.

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