Transitorisch sei sie, die Inflation. So lautete das Zauberwort der Großprognostiker, als der rasche Kaufkraftverlust, den man für tot erklärt hatte, putzmunter aus dem Mausoleum sprang. Um nicht ganz so blöde dazustehen gab und gibt es Versuche, den Beginn der hohen Inflation auf den Beginn des Ukrainekriegs zu verorten.

Der rapide Schwund der Kaufkraft legte jedoch schon im Jahr 2021 und damit deutlich früher zu. Im entsprechenden Jahresbericht der EZB fand sich 2021 dennoch an mehreren Stellen der Hinweis auf den vorübergehenden Charakter der Preissteigerungen. Wörtlich heißt es dort: "Dies kann auch eine vorübergehende Phase bedeuten, in der die Inflation leicht über dem Zielwert liegt.“ (wörtlich im Original: „This may also imply a transitory period in which inflation is moderately above target.“).

Diese Aussage enthält gleich zwei Fehlprognosen. Zum einen ist die Inflation keine rasch vorübergehende Erscheinung. Dies zeigt die Hartnäckigkeit der Kerninflationsrate, die den Preisanstieg ohne den direkten Einfluss von Energiepreisen, Lebensmitteln, Alkohol und Tabak misst. Die Kernrate erreichte unlängst ein neues Hoch.

 

In vielen Ländern der Eurozone liegt dieser Wert bereits im zweistelligen Bereich und von einer Beruhigung oder gar Umkehr ist nichts zu sehen. Als transitorisch haben sich lediglich die wenigen kurzen Pausen des Anstiegs erwiesen.

Abgesehen von der zeitlichen Komponente liegt die EZB auch mit der Einschätzung falsch, die Inflation könne zeitweise leicht über dem Zielwert („moderately above target“) liegen. Der Zielwert, den die Behörde für den erwünschten Kaufkraftverlust ihres Geldes festgelegt hat, liegt bekanntermaßen bei 2 %. In der Realität nähert sich die Inflationsrate dem Dreifachen dieses Wertes. Wenn man die Dinge so betrachtet, liegen auch die Verschuldungskennzahlen manches Mitgliedslandes der Eurozone seit zwanzig Jahren nur leicht über den Maastricht Kriterien. Auch hier handelt es sich wohl um eine ebenso moderate wie transitorische Verfehlung.  

Wichtiger als die zahlreichen Modelle zur Abbildung der Inflationsrate der Vergangenheit ist der Blick auf die Ursachen des Kaufkraftverlustes und deren Auswirkungen. Beides lässt sich nicht aus der Fortschreibung einer Zeitreihe ablesen, aber einige Dinge sollte jeder hinterfragen können.

Wie werden wohl die Gehaltsrunden in den kommenden Jahren ausfallen, wenn der stets verlautbarte Personalmangel real ist und nicht arbeiten nicht sanktioniert wird? Was passiert mit den Renten und Pensionen? Was werden die Unternehmen mit den Kostensteigerungen machen? Werden sie die Margen senken oder doch eher die Kosten, beispielsweise durch Standortverlagerungen? Werden die Füllmengen und Qualitäten von Produkten tendenziell steigen oder sinken? Wie werden Politik und Zentralbank reagieren, wenn die Rezession, die ja von manchen als inflationshemmender Heilsbringer herbeigesehnt wird, eintritt? Wie wirken sich die erwartbaren Markteingriffe der reichlich vorhandenen Einfaltspinsel an der Spree auf die Kaufkraft aus? Wird man aufs Sparpedal treten oder mal wieder ein paar hundert Milliarden in die Hand nehmen, die man gar nicht hat? Wird die Notenbank die dann benötigten Summen de facto über die Notenpresse finanzieren oder wird sie sich sperren, um die Kaufkraft zu schützen?

Wir sehen in den möglichen Antworten auf diese Fragen keine Anhaltspunkte für eine transitorische und rasch sinkende Inflation. Die Geldentwertung ist ein hartnäckiges strukturelles Problem, an deren Entstehung die Politik und die Zentralbanken – unter fleißiger Mitwirkung breiter Wählerschichten - über Jahre emsig mitgewirkt haben.

Bemerkenswert ist nicht die Äußerung von Fehlprognosen. Am Finanzmarkt gibt es naturgemäß viel Rauschen und wenig Signal. Auffällig sind jedoch die Häufung von Fehlern sowie die mangelnde Bereitschaft, diese zu kommunizieren und zu korrigieren. Am Scheitern des Sozialismus und an der schmuddeligen WG-Küche sind bekanntlich immer die anderen Schuld. Dem gleichen Muster folgend resultieren die Fehlprognosen stets aus „nicht prognostizierbaren externen Schocks“. Eine trostlose Begründung, besteht doch der Lauf der Kapitalmärkte ebenso wie das Leben selbst aus einer Aneinanderreihung nicht prognostizierbarer Ereignisse. Andernfalls wäre die Nachfrage nach Prognosen vermutlich gering.

Gerade eine Zentralbank sollte die Risiken externer Schocks in ihre Politik einbeziehen. Für Vulkanausbrüche, stärkere Grippewellen und Firmenpleiten gibt es eben keinen hundertjährigen Kalender mit sicheren Prognosen bis ins Jahr 2123. Einträge wie „Grünt es im Lenz, droht Insolvenz!“ hätten jedoch mehr Charme als viele Weissagungen und wären inhaltlich vermutlich näher an der Realität als viele Pamphlete der Zentralbanken.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Immer noch – aus welchen Gründen auch immer – nehmen viele Menschen die Aussagen öffentlicher Behörden und „Experten“ ernst und treffen basierend darauf schwerwiegende finanzielle Entscheidungen. Glauben Sie das, was sie sehen, nicht das, was Ihnen Experten weiszumachen versuchen. Wer behauptet, er mache am Kapitalmarkt keine Fehler, der lügt. Wer am Kapitalmarkt Fehler macht und diese nicht korrigiert, geht pleite.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"