Warum „Graichenland“ in Griechenland strafrechtliche Konsequenzen hätte

In Leserkommentaren bei zahlreichen Medien findet sich oft der Begriff „Graichenland“ in Bezug auf die „Trauzeugen-Affäre“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Vetternwirtschaft, mit Posten versorgte Trauzeugen und die Versorgung von Vertragspartnern aus dem Familien- und Freundeskreis klingt dem Klischee gemäß sehr nach Verhältnissen, wie es sie in Griechenland gab. Tatsache ist jedoch, dass ein griechischer Spitzenpolitiker eine derartige Affäre mit den in Griechenland geltenden Gesetzen nicht ohne Rücktritt überstehen könnte.

Wie reagiert die griechische Politik auf Vetternwirtschaft?

Korruption in Griechenland ist unbestritten weiterhin ein Problem. Trauzeugen, „Koumparoi“ genannt, sind Wahlverwandte. Einst legten es werdende Politiker darauf an, möglichst viele Kinder zu taufen und viele Ehen zu bezeugen, um als „Koumparoi“ Stammwähler und deren Familien an sich zu binden. Heute werden Koumparoi manchmal zur Last. Wenn sie Fehlverhalten an den Tag legen, wird dies auch den Politikern als schlechte Wahl von Freunden zur Last gelegt.

Die aktuelle konservative Regierung ist im Wahlkampf im Fokus wegen Milliardenschwerer Direktvergabe von Staatsaufträgen. Doch auch hier gibt es Konsequenzen. Die frühere Staatssekretärin für Kriminalitätsbekämpfung Sofia Nikolaou galt als Talent der Nea Dimokratia. Die international studierte Rechtsanwältin wurde 2019 vom damaligen Oppositionsführer und heutigem Premier Kyriakos Mitsotakis höchstpersönlich rekrutiert.

2019 verpasste sie den Parlamentseinzug für die Insel Euböa knapp. Die Altvorderen der Nea Dimokratia hatten sich durchgesetzt. Als Staatssekretärin im Ministerium für Bürgerschutz war sie aus Sicht der Nea Dimokratia höchst erfolgreich, trat jedoch zurück, um die Sperrfrist für eine sicher geglaubte neue Kandidatur vor den Wahlen ablaufen zu lassen. Es sah alles danach aus, als würde sie bei den Parlamentswahlen mit Sicherheit einen Abgeordnetensitz erlangen. Sie hatte über Jahre in ihre politische Karriere investiert und in Chalkida, der Inselhauptstadt ein repräsentatives neoklassisches Haus zu ihrem „politischen Büro“ gemacht. Heute ist das Gebäude eine beliebtes Fotomotiv der Lokalpresse von Chalkida, die über eine gescheiterte Politikerin witzelt.

Trotz Platz 107 in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von den Reportern ohne Grenzen und trotz staatlicher Zuschüsse für regierungsfreundliche Presse finden sich in Griechenland immer wieder Journalisten, die möglichen Affären nachgehen und darüber Artikel publizieren. So auch im Fall Nikolaou. Der Oppositionspolitiker Pavlos Polakis hatte Anschuldigungen wegen der Direktvergaben unter Nikolaous Amtsführung erhoben. Journalisten forschten nach, brachten die obligatorische Vermögenserklärung der Politikerin an die Öffentlichkeit und riefen die Steuerfahndung auf den Plan. Diese fand Ungereimtheiten bei der Auftragsvergabe während der Pandemiezeit. Praktisch ging es um die Beschaffung von Masken und Desinfektionsmaterial, die mitten im Lockdown in lockerer Direktvergabe erworben wurden. Strafrechtlich blieb Nikolaou größerer Ärger erspart. Aber politisch ist ihre Karriere beendet – Mitsotakis strich sie von der Kandidatenliste.

Die EU-Abgeordnete Maria Spyraki hatte Mitsotakis als Parteisprecherin 2019 zwei Siege, bei den Europawahlen und den Parlamentswahlen beschert. Der früheren Journalistin gelang es eloquent Krisen zu managen. Nur bei ihrer eigenen Krise hatte sie keinerlei Hilfe. Einer ihrer Mitarbeiter im EU-Abgeordnetenbüro hatte ernsthafte gesundheitliche Probleme. Spyraki testierte fälschlich nie durchgeführte Dienstreisen und Anwesenheit in Brüssel, obwohl der Mitarbeiter (oder die Mitarbeiterin) in Athen blieb. Es flog auf. Spyrakis Immunität im EU-Parlament wurde aufgehoben und reuig zahlte sie die komplette Summe aus eigener Tasche zurück. Trotzdem darf sie nicht für die Parlamentswahlen kandidieren.

Es sind Fälle, die vor der Staatspleite von 2010 wahrscheinlich keine so schwerwiegenden Konsequenzen für die Ertappten gehabt hätten. Derartige Fälle treten immer wieder auf, aber, wer erwischt wird ist politisch erledigt. Dabei spielen die für Fehlverhalten im Amt empfindlich gewordenen Wähler eine entscheidende Rolle.

Unvereinbarkeit von Amt und Auftragsvergabe

Schon in den Neunzigern versuchte die damalige sozialdemokratische Regierung Vetternwirtschaft mit Gesetzen zu bekämpfen. Für die Auswahl von Kandidaten für Beamtenposten wurde die ASEP-Behörde gegründet. Zeitweise durften Parlamentarier keinen Nebenjob mehr ausüben. Einige der Gesetze wurden zurückgenommen, ausgehöhlt oder relativiert. Heute noch gültig ist, dass Abgeordnete, oder ihre Verwandten ersten Grades keine Beteiligung an einer Firma oder einer sonstigen juristischen Person haben, die Aufträge der öffentlichen Hand annimmt. Darüber hinaus ist der Betrieb oder die Beteiligung an Firmen im Ausland verboten. Regierungsmitglieder dürfen keine Firmen haben oder daran beteiligt sein.

Das Analogon der beamteten Staatssekretäre, wie sie in Deutschland bekannt sind, sind in Griechenland die Generalsekretäre der Ministerien. Ihnen untergeordnet sind „Spezialsekretäre“. Beide Posten zählen rechtlich zu den Regierungsmitgliedern, wie es das Gesetz Nr. 4622/2019 (veröffentlicht im Staatsanzeiger FEK A 133/07.08.2019) beschreibt. Sie dürfen weder persönlich noch über Ehepartner oder im eheähnlichen Verhältnis mit ihnen verbundene Personen Geschäfte mit dem Staat machen.

Die Rechtslage

Konkret sieht das Gesetz 4622/2019 Unvereinbarkeiten gemäß Artikel 68 auch für leitende Mitarbeiter von Unabhängigen Behörden, sowie für offizielle Berater von Ministerien und Unabhängigen Behörden vor. In Artikel 70 Paragraf 4 wird explizit erwähnt, dass:

„Den in Artikel 68 genannten Personen ist es untersagt, mit dem Staat oder anderen juristischen Personen des öffentlichen Sektors Verträge abzuschließen, aus denen ihnen oder Dritten ein Vorteil erwächst. Das obige Verbot gilt auch für Ehegatten oder Lebensgefährten im Sinne von Artikel 1 des Gesetzes 4356/2015 sowie für ihre von ihnen abhängige Kinder für Verträge, die mit der Körperschaft geschlossen werden, in der die Personen des vorstehenden Absatzes Aufgaben erfüllen, sowie mit die von der Körperschaft beaufsichtigten öffentlichen Stellen. Das Verbot dieses Absatzes gilt auch für jede Art von Unternehmen oder Unternehmen, an denen diese Personen als Hauptaktionär oder als Komplementär, Kommanditist oder Kommanditist beteiligt sind oder eine Position der obersten Leitung innehaben.“

Für die Causa Habeck bedeutet dies, dass eine „Energiewende als Familienprojekt“, wie es die den Grünen nahestehende TAZ bereits im Dezember 2021 beschrieb, per Gesetz ausgeschlossen ist. Mit dem griechischen Gesetzesrahmen würde es auch nicht helfen, wie im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz weitere Staatssekretäre einzustellen, die dann anstelle der Verwandten oder Verschwägerten die Verträge abschließen.

Zu den in Artikel 75 des Gesetzes vorgesehen Strafen beinhalten die Unwirksamkeit sämtlicher Verträge, die unter Verletzung des Gesetzes abgeschlossen wurden. Die Beteiligten müssen die doppelte Vertrags- oder Gehaltssumme als Strafe zahlen und dürfen für fünf Jahre keinen zur Regierung gehörenden Posten antreten. Die fünfjährige Sperrfrist beginnt mit der Rückzahlung der Gelder und Begleichung der Buße. Zudem werden die Strafen und das jeweilige Vergehen mit Namensnennung der Verantwortlichen Website der Nationalen Transparenzbehörde veröffentlicht.

Welche Konsequenzen Ministern drohen, die von solch einem Konstrukt familiärer Verbindung a priori wussten, sieht das Gesetz 4622/2019 nicht vor. In diesem Fall müsste sich eine Ministerin oder ein Minister wegen Pflichtverletzung nach dem Gesetz für die Haftbarkeit von Ministern verantworten. Ein Verfahren würde vor einem Sondergericht stattfinden und könnte vom Ministerium ins Zuchthaus führen.

Wegen analoger, aber weniger strenger Gesetze für Parlamentarier verlor vor wenigen Wochen der Abgeordnete Themis Chimaras seinen Sitz im Parlament. Er hatte den Betrieb seiner Druckerei den Angestellten überlassen, als er ins Parlament gewählt wurde. Diese hatten, wie in den Jahren zuvor Aufträge der öffentlichen Hand für Drucksachen angenommen. Dass Chimaras sich nachweislich weder ins operative Geschäft einmischte, noch von den Aufträgen wusste, und dass er tatkräftige Reue zeigte, half ihm nicht.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Im Text erfahren die Leser, warum eine Causa Habeck mit den geltenden Gesetzen in Griechenland unmöglich ist und welche Strafen, außer dem sofortigen Amtsverlust allen Beteiligten dort drohen.

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