Lieber Dirk, mit wem auch immer ich mich derzeit unterhalte und egal in welcher Branche ich unterwegs bin, alles scheint im Umbruch zu sein. Die alten Systeme sind nicht mehr wirklich tragfähig, und wer sich nicht vernetzt und kooperiert, der wird von der neuen Wirklichkeit überrollt. Viele müssen sich komplett neu erfinden, um wirtschaftlich weiter bestehen zu können. Wie erlebst Du diese Wendezeit?

Dirk Müller: Ja, wir sehen auf jeden Fall eine starke Veränderung. Neue Dinge entstehen, alte Strukturen brechen auf oder verschwinden – es ist eine Phase des kompletten Umbruchs, von großen Systemen bis hin zum einzelnen Menschen.

Da ist man natürlich hin- und hergerissen zwischen dem konservativen Gedanken, das zu bewahren, was man kennt, was man immer so gemacht hat und was man gewohnt ist. Weil das Sicherheit gibt, weil das Schutz gibt, weil man sich damit auskennt und gute Erfahrungen gemacht hat. Oder auf der anderen Seite progressiv zu sagen: Wir müssen uns weiterentwickeln, müssen nach vorne gehen und etwas Neues ausprobieren.

Das ist ein bisschen so wie beim Fußball: Auf dem Platz hast du den Sturm nach vorne und die Abwehr nach hinten. Und die Kunst ist die Balance zwischen beiden. Hätte man nur die Abwehr, würde man keine Tore schießen, würde sich nicht weiterentwickeln und hätte keine Chance, ein Spiel zu gewinnen. Hätte man eine Mannschaft, die nur mit Sturm und ohne Abwehr spielt, dann würde man hinten die Hütte vollkriegen und Risiken eingehen, die unbedacht sind. Daher bin ich für mich zur Erkenntnis gekommen, dass dieses Zusammenspiel von Abwehr und Angriff das Entscheidende ist.

Wir müssen also, wenn wir nach vorne gehen, nicht alles einreißen, was vorher war, sondern sollten auf dem aufbauen, was ein gutes Fundament hat. Wir erleben aber, dass es Bewegungen gibt, die am liebsten alles Alte loswerden und alle Konventionen über Bord werfen wollen. Die einen wollen den Staat abschaffen und die gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen, die anderen wollen die Nationalitäten, die Völker und sogar die Geschlechter abschaffen. Während wieder andere nach hinten ausgerichtet sind, nichts verändern wollen und gerne die guten alten Zeiten zurückhätten, was natürlich ebenfalls nicht möglich ist.

Wir sind sicher gut beraten – um nochmal beim Fußballbild zu bleiben, nicht alle Abwehrspieler vom Feld zu holen, nur noch nach vorne zu stürmen und auch noch den Torwart mit nach vorne zu schicken. Ebenso wenig sollten wir uns einmauern und zwanghaft am Alten festhalten. Das heißt für mich ganz konkret: Wenn ich neue Projekte entwickle, dann mache ich das nicht auf Kosten der alten Projekte, indem ich die einfach einreiße, sondern indem ich auf diesen aufbaue.

Ich finde das Fußballbild sehr passend. Eine Mannschaft besteht ja – glücklicherweise – nicht nur aus Abwehr und Angriff. Die Strategen spielen in der Regel im Mittelfeld und sind für die Balance zwischen den beiden Polaritäten zuständig. In der Wirtschaft entspricht das wohl dem Mittelstand, wo man nicht zu groß und nicht zu klein ist und daher flexibel, kreativ und beweglich agieren kann. Das könnte sicher ein Grund dafür sein, warum der Mittelstand so massiv angegriffen wird von denen, die statische globale Monopole etablieren wollen. Letztlich geht es wohl aber für uns alle darum, für die eigene „fußballerische“ Fitness zu sorgen, das Spiel zu verstehen und bestmöglich zu spielen – und den Rest einfach geschehen zu lassen. Oder wie siehst du das?

Dirk Müller: Genau so! Ich bin der Überzeugung, dass das Leben wie ein großer Fluss ist, und dass vieles für uns schon angelegt ist. Die Kunst ist nun, diese natürliche, für uns vorgegebene Strömung in der Mitte des (Lebens-)Flusses zu erkennen und ihr möglichst achtsam zu folgen. Ich muss meinen Teil beitragen, indem ich meine ruhigen, langsamen Schwimmbewegungen mache, sonst gehe ich unter. Aber ich darf weder gegen die Strömung ankraulen, noch sollte ich mein Tempo beschleunigen. Erst recht sollte ich aber auch nicht die Hybris entwickeln, ICH würde den Weg vorgeben. Wenn ich das tue und rechts oder links aus der vorgegeben Strömung meines Lebens rausschwimme, bleibe ich an Felsen oder im Uferdickicht hängen und komme nicht weiter.

Je stärker ich dann kämpfe, umso mehr verheddere ich mich und schlucke Wasser. Solange ich der vorgegebenen Strömung meines Lebens achtsam folge, gelingt alles wie von alleine. Ich muss mich gar nicht abmühen. Wenn ich merke, dass ich kämpfen muss, um über Wasser zu bleiben, nicht vorwärtskomme, dann weiß ich, ich habe meinen Weg verlassen. Jetzt hilft nicht noch mehr Kampf, sondern zurückstoßen, ruhig sein und darauf achten, wo die Strömung ist und dann wieder in sie hineinzugleiten.

Daher ist meine dringende Empfehlung für jeden: Wenn ihr merkt, dass es sich so verhält, haltet inne. Das, was das Leben für uns vorsieht, geschieht von alleine, wenn wir diese Tatsache erkennen und unsere innere Einstellung ändern. Wenn wir so handeln, kehrt eine Leichtigkeit ein, die viele Menschen als den Flow bezeichnen. Ich habe das selbst in so vielen Varianten erlebt und kennengelernt und gestalte heute mein Leben danach. Wenn etwas werden soll, wird es mit unglaublicher Leichtigkeit. Wenn etwas nicht werden soll, kann ich kämpfen wie ich will, vielleicht kann ich es sogar erzwingen, aber das am Ende negative Ergebnis ist sicher.

Du hast erzählt, dass du derzeit ein neues Projekt am Start hast, bei dem du so agierst, wie gerade von dir beschrieben. Was ist das für ein Projekt?

Dirk Müller: Das Projekt ist tatsächlich völlig ungeplant in mein Leben gekommen und hat sich einfach ergeben. Ich muss die Geschichte stark abkürzen, denn sie ist so atemberaubend und so eine Abfolge von verrückten „Zufällen“, dass ich vielleicht wirklich mal ein Buch darüber schreibe.

Was war passiert? Ich war Anfang letzten Jahres mit meiner Frau mit dem Wohnmobil unterwegs. Wir wussten anfangs noch nicht einmal, ob es Spanien oder Griechenland werden sollte und sind bewusst mit dem Ziel losgefahren kein Ziel zu haben, sondern uns einfach von den kleinen Signalen der Strömung treiben zu lassen. „Mal sehen, was der liebe Gott/das Dao uns erleben lassen will“. Unterwegs haben wir immer auf diese kleinen Hinweise und Zeichen geachtet und uns einfach treiben lassen. Wir hatten viele richtungweisende Begegnungen, bekamen auf dem Campingplatz und beim Einkaufen Tipps und sind einfach dem Fluss des Lebens gefolgt.  

So sind wir irgendwann in Süd-Westspanien in Jerez, an der Atlantikküste gelandet, dem Ort, nach dem der Sherry benannt ist. Der Begriff Sherry rührt vom maurischen Namen „Sherish“ her, wie Jerez früher hieß. Und tatsächlich erst als wir vor Ort waren und die Bodegas gesehen haben, wurde uns bewusst, dass wir in der bekannten Sherry-Region sind.

Dort waren wir dann eine Woche lang auf einem kleinen Campingplatz, und ich begegnete durch „Zufall“ einem lokalen Whisky. Da ich mich ein bisschen mit Whisky auskenne, Whisky-Sammler und Whisky-Genießer bin, war ich überrascht, dass ich noch nie von diesem Whisky gehört hatte. Er hatte eine tolle Farbe, war 12 Jahre alt, im Sherry-Fass gereift. Und ich dachte: Ein spanischer Whisky wird zwar sicher nichts Besonderes sein, aber probierst du ihn einfach mal. Ich habe den Whisky probiert und dachte: das ist ja der Wahnsinn. Ein unglaublich intensiver Geschmack und mit das Beste, was ich seit Langem getrunken habe. Und ich dachte sofort: Das ist nie im Leben ein spanischer Whisky, das ist ein schottischer Whisky..und was für einer!

Und da der Produzent nur 20 Fahrradminuten von meinem Standort entfernt war, sind wir da hingefahren. Doch es war niemand da, kein Firmenschild, keine Klingel, in the middle of nowhere. So sind wir zum Campingplatz zurückgeradelt.

Und da stand nun – zehn Meter von meinem Wohnmobil entfernt – ein Tisch, auf dem einige Jungs lokale Getränke präsentierten, die just aus der Destillerie stammten, die wir gerade besucht hatten. Was für verrückte „Zufälle“. Ich erklärte den Jungs mittels Dolmetscher-App, dass ich gerne ein paar Flaschen Whisky kaufen und mitnehmen möchte, vorher aber sehen wolle, wie der Whisky hergestellt wird. Kein Problem, hieß es. So kam dann der Vater hinzu, der Chef, so ein feiner Spanier, wie man das in Andalusien oft sieht. Mit Stoffhose und Einstecktuch, also ein richtiger Gentleman.

Er holte mich am Morgen ab. Dazwischen gab es noch weitere irre Zufälle, die ich hier aber aus Platzgründen ausspare. Er zeigte mir seine Destillerie und dass er dort auch einen wunderbaren Gin macht, der eine hohe Prämierung in London erzielt hat. Und ich sagte zu ihm: „Du erzählst mir aber nicht, dass du mit der Brennblase Whisky herstellst? Das ist nicht möglich.“ „Nein, nein“, antwortete er. „Der Whisky ist eine andere Geschichte.

Tatsächlich ist es in Schottland schon seit langem so, dass die ihren Whisky gerne in Sherry-Fässern reifen lassen. Jahrhundertelang haben die Briten gerne Sherry getrunken, und der wird nur in dieser andalusischen Region hergestellt. Das sind wenige Quadratkilometer, drei Städtchen, die miteinander verbunden sind. So wurden die mit Sherry gefüllten Fässer nach Großbritannien exportiert, dort wurden sie leergetrunken und dann an die sparsamen Schotten weitergegeben, die diese Fässer wiederverwendet haben. Die haben festgestellt, dass die Sherry-Fässer dem Whisky einen tollen Geschmack geben und haben so ihren bekannten Sherry-Whisky gemacht.

Das ging Jahrhunderte lang so bis in die 1980er-Jahre. Da gab es ein neues Gesetz in Spanien, dass Sherry zukünftig direkt vor Ort in Flaschen abgefüllt werden muss und nur so exportiert werden darf. So blieben die Sherry-Fässer vor Ort und wurden für die weitere Sherry-Produktion weiterverwendet. Das war natürlich für die Schotten ein Riesenproblem, weil ihnen die Fässer ausgingen.

Was haben dann findige Unternehmen gemacht? Sie haben künstliche Fässer hergestellt. Man hat neue Fässer mit billigstem Industrie-Sherry befüllt für 6-12 Monate. Der wird hinterher weggekippt, trinken kannst du den nicht. Und diese aromatisierten Fässer werden dann zu zigtausenden nach Schottland geliefert und in der Whisky-Industrie eingesetzt, um Sherry-Whisky zu machen. Dass der eine andere Qualität hat als der Whisky in diesen alten Fässern, die über Jahrzehnte vollgesogen sind mit hochqualitativem Sherry, das kann man sich leicht vorstellen. Was macht jetzt mein Diego, den ich dort kennengelernt habe?

Der holt den Whisky aus Schottlang und lässt ihn in Andalusien in Sherry-Fässern reifen, schätze ich. Richtig?

Dirk Müller: Genau so ist es. Diego hat Kontakt zu schottischen Whisky-Produzenten, kauft dort besten, drei Jahre alten Whisky und füllt diesen Top-Whisky aus Schottland in die hochwertigsten Sherry-Fässer und lässt sie dort mindestens neun Jahre weiterreifen. Hier muss ich die Geschichte wieder abkürzen, sonst reicht der Platz in deinem Heft nicht aus. (lacht)

Mein Gedanke war: Hier kommt nur das Allerbeste zusammen, das ist der Heilige Gral aller Whisky-Trinker. Und als ich Diego fragte, wo er diesen Whisky vertreibt, meinte er: „Na hier so in der Region und in meinem Laden.“ Ich konnte es kaum fassen. Und auf meine Frage, warum er den Whisky nicht in Frankreich, in Deutschland oder sonst irgendwo verkauft, meinte er: „Ich kenne dort keinen. Ich habe keine Kontakte. Und ich kann nur Spanisch.“ Diego hat weder ein Türschild an seiner Destillerie, noch hat er eine Internetseite oder sonst irgendetwas.

Ich habe ihm erzählt, dass ich in Deutschland recht gut vernetzt bin und eventuell ein paar Kontakte für ihn knüpfen könnte, und nach einer Weile fragte er mich, ob ich mir nicht vorstellen könnte, den Generalimport für Deutschland für ihn zu machen. Da habe ich herzhaft gelacht, habe ihm gesagt, dass ich in einem ganz anderen Metier tätig bin und mit Whisky-Verkauf überhaupt nichts zu tun habe.

Als ich wieder zu Hause war, habe ich einen guten Freund angerufen, der ist einer der besten Whisky-Experten in Deutschland und schreibt für ein namhaftes Whisky-Magazin, den Whisky-Botschafter. Zudem arbeitet er für eine der bekanntesten Destillerien. Er schreibt darüber, wie Aromen entstehen, wie Aromen ins Fass kommen und andere Dinge mehr. Er ist also jemand, der wirklich professionelle Ahnung von Whisky und Aromen hat. Und er wohnt drei Kilometer von mir entfernt.

Ich sagte ihm, ich bräuchte seine Einschätzung, ob dieser Whisky nur eine Art Urlaubsliebe ist oder tatsächlich so außergewöhnlich. Er kam rüber mit dem Fahrrad, hat den Whisky eine halbe Stunde lang „getastet“ und war hellauf begeistert. Das war der Moment in dieser Geschichte, an dem ich mir sagte: dann soll es wohl so sein!

Lieber Dirk, auch dir merkt man deine Begeisterung an. Ich glaube, das ist auch ein Merkmal solcher Flow-Geschichten, dass das Kind in uns wieder zum Vorschein kommt und wir bereit sind für neue Abenteuer. Es fühlt sich einfach alles gut an, und die Ratio schafft es nicht, uns wieder in ihre Fänge zu bekommen. Ich könnte dir stundenlang zuhören… Wie ging es weiter?

Dirk Müller: (lacht) Ich habe zwei alte Freunde angerufen, die ich seit 40 Jahren kenne – einer davon spricht perfekt Spanisch –, wir sind nach Andalusien geflogen, und innerhalb von zwei Tagen haben wir mit Diego alles klargemacht, haben uns in die Augen geschaut und die Hand gegeben und die Verträge geklärt. Wir haben beschlossen, ein völlig eigenes Produkt mit eigenem Namen und eigenem Label auf den Markt zu bringen. Der Name „Sherishòr“, eine Verschmelzung des maurischen Namens Sherish (Jerez) und dem schottischen Wort „Or“ für Gold, war ebenfalls schnell gefunden.

Jetzt kamen wir zurück und hatten einen Namen und ein Produkt, aber noch kein Label, keine Etiketten, keinen Vertrieb. Und ich dachte, da verkaufen wir eben ein paar Flaschen über meine Webseite und schauen, was passiert.

Und nun gingen die Verrücktheit genau so weiter. Drei Monate später bin ich mit meiner Frau mit dem Wohnmobil in Richtung Schweden gefahren….wieder „treiben lassen“. Da ich von unterwegs aus arbeiten kann, habe ich mein Büro quasi immer dabei. In Bremen auf dem Campingplatz fällt mir ein, dass ich vor einem Jahr einen Vortrag gehalten hatte beim Bundesverband der Getränkegroßhändler. Da hatte ich mich abends mit einem netten älteren Mann unterhalten, der sich als Kalle Tadsen vorgestellt und mir seine Visitenkarte gegeben hatte. Und er sagte: „Dirk, wenn du mal in Norddeutschland bist, musst du mich besuchen. Ich habe einen Getränkemarkt, der zum schönsten Getränkemarkt Deutschlands ausgezeichnet wurde, und dort müssen wir zusammen einen Whisky trinken.

Ich rief ihn spontan an, und wir haben ihn am nächsten Tag besucht. Ein wunderschöner, großer Getränkeladen mit tollem Sortiment. Und als wir so zusammensaßen und ein Bier getrunken haben, habe ich ihm beiläufig von meiner Whisky-Geschichte erzählt. Und er sagte spontan: „Weißt du was, Dirk? Die Firma Tadsen nimmt dich ins Programm. Da hast du schonmal deinen ersten Kunden.“

Ich habe mich riesig gefreut, mich herzlich bedankt und wollte mich verabschieden. Da meinte Kalle, dass ich auf meiner Rückreise doch nochmal vorbeikommen solle, dann würde mir sein Sohn Henning noch den Rest des Betriebs zeigen. Ich fragte: „Welchen Rest des Betriebs?“ Da meinte Kalle: „Tja, wir sind noch´n büschen größer.“ Das hier sei sein Kaufmannsladen, aber es gäbe noch ein bisschen mehr. Aber das solle mir sein Sohn dann zeigen.

Als ich auf der Rückreise wieder vorbeikam, stellte sich heraus, dass die Firma Tadsen der größte Getränkegroßhändler in Schleswig-Holstein ist und 1500 Gastronomen beliefert. Und die haben mich mal eben ins Programm genommen. So etwas kann man nicht planen. Das ist Fügung. Und das Ganze ging noch weiter. Noch am selben Tag sage ich zu Kalle: „Du, pass´ mal auf, das ist alles ganz super, aber ich habe überhaupt keine Erfahrung. Ich bräuchte zuerst einmal jemand, der mir eine Marke entwickelt. Ich habe noch kein Label, kein Design, kein Garnichts.“ Da grinst mich Kalle an und sagt: „Das kann meine Schwiegertochter, die Anja machen. Die hat schon für Beck`s gearbeitet, die hat ´ne Marketingagentur.

Da habe ich die Anja angerufen, und die hat mir in einer Nacht- und Nebelaktion dieses sensationelle Design gestaltet, von dem jeder sagt: wie geil ist das denn?! Und wäre das noch nicht genug, fahre ich nach Hause, entwickle das Projekt weiter, und wieder ruft mich Kalle an und fragt, ob ich nicht nach Husum kommen wolle. Ich frage zurück: „Was soll ich denn in Husum?“ Und Kalle antwortet, dass er dort vor 20 Jahren eine kleine Gastro-Messe ins Leben gerufen hätte – und das sei jetzt eine der größten Messen in Deutschland, an der 5000 Gastronomen teilnehmen. Und da Kalle der Organisator der Messe ist, durften wir uns an seinem Stand platzieren … Und von dieser Messe komme ich gerade. Man hat uns den Whisky förmlich aus den Händen gerissen.

Eine irre Geschichte! Und wie du sagst: Solche Möglichkeiten werden uns Menschen immer mal wieder präsentiert, und die einen nehmen sie wahr, die anderen gehen achtlos daran vorbei. Das erinnert mich an ein Bewusstseinsexperiment, das britische Forscher seit Jahrzehnten durchführen. Da werden Optimisten und Pessimisten nacheinander von einem Zimmer in ein anderes geschickt, und auf dem Boden liegt ein Geldschein. Tatsächlich heben so gut wie alle Optimisten den Geldschein auf, während 50 % der Pessimisten diesen gar nicht wahrnehmen. Glück zu haben und Geld zu finden, ist nicht Teil ihrer inneren Realität. Du bist Optimist, die Menschen vertrauen dir, und du gehst hellwach durchs Leben. Ich freue mich schon darauf zu hören, wie die Geschichte weitergeht. Leider ist der Raum im Heft aber für heute aufgebraucht …

Dirk Müller: (lacht) Eines möchte ich zum Abschluss noch hinzufügen. Dieser Vertrauensvorschuss, den ich von so vielen Menschen bekommen habe, ist natürlich auch eine große Verantwortung und macht mich sehr demütig. Umso glücklicher war ich, als auch das Fachpublikum die Einschätzung meiner Freunde und Bekannten bestätigte und meinen Sherishòr mit Lob überhäuften. Gleichzeitig bin ich mir aber auch bewusst, dass das alles nicht „meine Leistung“ ist, sondern der Weg, dem ich folgen darf. Meine Aufgabe besteht darin, achtsam diesen Weg zu gehen. Und es werden irgendwann auch Schwierigkeiten auftreten, ich werde irgendwann auch auf den Deckel bekommen. Und das ist absolut okay so.

Das Wichtigste ist die Demut und die Dankbarkeit dafür, dass man diesen Erfolg haben durfte, dass man diesen Weg gehen durfte. Ich bin nicht der Fluss, ich bin nur das Hölzchen, das auf diesem Fluss treibt. Und meine Aufgabe ist es, achtsam dem Fluss des Lebens zu folgen.

Lieber Dirk, ganz herzlichen Dank für das wieder sehr tiefe und sehr offene Gespräch. Ich freue mich schon auf das nächste Mal!

Das Interview führte Michael Hoppe

Der Text ist in der Zeitschrift „Naturscheck“ erschienen, die auch bequem als Onlinemagazin durchzublättern und zu lesen ist.

 

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