Um im heutigen Bericht auf die Lage an den chinesischen Immobilienmärkten und die finanziellen Probleme um die China Evergrande Group zurückzukommen, empfiehlt es sich in erster Linie einmal, sich Gedanken über die Grundstruktur der Häuser- und Wohnungsmärkte in der Volksrepublik China zu machen.

Entsteht in Hongkong gerade eine Bankenkrise?

Dabei wird deutlich, dass die finanziellen Probleme und das durch die China Evergrande Group über viele Jahre betriebene und am Leben gehaltene Ponzi-System, das die ehemaligen Aktivitäten des inzwischen verstorbenen Bernie Madoff weit in den Schatten stellt, nicht als isolierte Begebenheiten zu betrachten sind, mit denen es die Wirtschaft in der Volksrepublik China nun zu tun bekommen wird.

Hauptproblem ist die Beschaffenheit des chinesischen Immobilienmarktes an sich, was dazu geführt hat, dass längst auch unzählige andere Projektentwickler und Akteure in diesem aus Sicht der chinesischen Wirtschaft wichtigsten Ökonomiebereich in den Sog der Entwicklungen um die China Evergrande Group geraten sind.

Es folgt ein Blick auf den Aktienkurs nur eines Unternehmens (HK Equity) aus diesem Sektor aus den letzten Tagen (stellvertretend für eine Reihe von anderen Unternehmen wie jener in Shanghai ansässigen Sinic Group, der in Guangzhou ansässigen R&F Properties Group, etc.)

Allein aus diesen Zusammenbrüchen könnten kreditgebenden Banken in Hongkong große und bislang nicht abzusehende Schwierigkeiten entstehen. Oder, wie Kyle Bass twitterte, eine Hongkonger Bankenkrise in der Mache sein.

 

 

 

 

Ich habe zu diesem Thema über die vergangenen Wochen zahlreiche Threads und Kommentare unter Akteuren im Hedgefonds-Sektor verfolgt, was sich definitiv gelohnt hat, um nicht nur bessere und grundlegende Einblicke in die Grundstruktur des chinesischen Immobilienmarktes und dessen Finanzierungsmechanismen zu erhalten, sondern darüber hinaus auch prägnantere Einschätzungen treffen zu können, wohin die Reise in diesem Segment nun voraussichtlich gehen wird.

Evergrande: Dividenden werden weitergezahlt - und gehen zu großen Teilen an Hauptaktionär

Es ist unter anderem Michael Pettis, der sich zurzeit intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt. Pettis kritisiert, dass der Vorstandschef der China Evergrande Group nach außen hin zwar weiterhin den Anschein aufrechtzuerhalten versuche, dass sich ein Halten von Cash-Reserven als wichtigster Bestandteil im Hinblick auf die Stabilität seines Immobilienimperiums erweise.

Tatsache sei laut Pettis unter Bezugnahme auf ehemalige Berichte des Wall Street Journals und anderer Finanzmedien jedoch, dass dem Konglomerat immer mehr Geld auf Basis von milliardenschweren Dividendenzahlungen an die Aktionäre entzogen worden sei. Diese Situation habe trotz der finanziellen Probleme, in denen sich China Evergrande nun befindet, bis zuletzt angehalten.

Gleichzeitig ist die astronomische Verschuldung des Konzerns immer weiter in die Höhe getrieben worden. Laut Pettis sei der Löwenanteil der in Form von Dividenden ausgezahlten Beträge an den größten Aktionär des Unternehmens, Herrn Hui, geflossen. Nicht von ungefähr sei es Herrn Hui in diesem Zuge gelungen, zu einem der reichsten Männer in der Volksrepublik China aufzusteigen.

Insgesamt betrachtet, sind Herrn Hui über die letzten Monate und Jahre (exakterweise seit Oktober 2018) auf diese Weise mehr als vierunddreißig Milliarden Yuan/Renminbi, was umgerechnet einem Betrag in Höhe von rund 5,3 Milliarden US-Dollar entspricht, zugeflossen.

Es herrscht Problembewusstsein

Wie Pettis beklagt, sei sich irgendjemand darüber wohl vollauf bewusst gewesen, dass diese Entwicklung zu einem Problem avancieren würde, da China Evergrande zeitgleich alles Erdenkliche unternommen habe, um sich neue Geldquellen zu erschließen, um sich mit frischen Finanzmitteln zu versorgen.

Diese frischen Geldmittel seien noch bis vor Kurzem nicht nur durch diverse Banken, sondern auch durch die eigenen Unternehmensmitarbeiter mittels einer Emission von sogenannten Vermögensmanagementprodukten, durch Anzahlungen seitens Wohnungs- und Immobilienkäufern noch lange vor einer Fertigstellung der betreffenden Objekte sowie durch Lieferanten und andere Kontraktnehmer mittels deren Bezahlung in Form von Geldmarktpapieren zugesagt worden.

Wer ein Unternehmen unter Berücksichtigung von sündhaft teuren Finanzierungen bis über beide Ohren verschulden müsse, um den eigenen Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können, hätte sich von vornherein darüber im Klaren sein müssen, dass es keine gute Idee habe sein können, parallel extrem hohe Dividenden an die eigenen Aktionäre und Anteilseigner auszuzahlen.

Der ehemalige Chef der China Securities Regulatory Commission (CSRC) habe unter Bezugnahme auf Pettis zudem mitgeteilt, dass ein viel zu hoher Anteil des Vermögens unter chinesischen Privathaushalten in den heimischen Immobilienmärkten gebunden sei. Es gibt weltweit kein anderes Land, in dem sich die privaten Vermögen zu einem Grad von siebzig bis 80 Prozent auf die Immobilienmärkte verteilen.

Resultat ist, dass die durchschnittlichen Immobilienpreise über die letzten Jahre völlig unerschwinglich für weite Teile der chinesischen Bevölkerung geworden sind. Mancherorts belaufen sich die Preise für eine Immobilie inzwischen auf das bis zu sechzigfache eines Jahreseinkommens (es handelt sich hierbei um die extremsten Werte).

Die Pekinger Regierung versucht zurzeit, diese extremen Ungleichgewichte an den Immobilienmärkte zu adressieren, indem der gesamte Sektor durch die Politik dazu gezwungen wird, den eigenen Verschuldungsgrad zu reduzieren und den Grad der Fremdfinanzierungen im gesamten System auf maximale Weise zu senken.

Pettis ist der persönlichen Ansicht, dass die an den Immobilienmärkten in China zu beobachtenden Ungleichgewichte einzig und allein entweder a) durch einen scharfen und über einen längeren Zeitraum anhaltenden Immobilienpreisrückgang in Relation zu den persönlichen Einkommen der Chinesen oder b) durch Umschichtungen von Kapital und der Hinnahme des Entstehens einer heimischen Aktienblase adressiert und abgebaut werden können.

Vertrauen in Geldmarktpapiere ließ diese zum Teil der Geldmenge werden – nun lässt es nach…

Wäre es aus Sicht der chinesischen Zentralbank, der People´s Bank of China, denn nun ein so leichtes Unterfangen, die eigene Gelderzeugung einfach auszuweiten, um eine sich weiter zuspitzende Lage an den Häuser- und Wohnungsmärkten abzufedern? Der Teufel liegt wie so oft im Detail. Doch es sind stets die Details, die letztendlich über den Ausgang einer Entwicklung entscheiden, weshalb an dieser Stelle zumindest ein Blick auf die aktuelle Ausgangslage geworfen werden soll.

Tatsache ist, wie eingangs bereits angesprochen, dass viele Lieferanten und andere Kontraktnehmer der China Evergrande Group nicht mittels Bargeld, sondern mittels durch die China Evergrande Group emittierten Geldmarktpapieren bezahlt worden sind.

Angesichts des aktuellen Absturzes dieser Papiere ist die Erkenntnis unter den meisten Lieferanten und Kontraktnehmern des Konzerns gewachsen, nun selbst einer Solvenz- und Liquiditätskrise ins Auge zu blicken. Es handelt sich um ein schwerwiegendes Problem, weil die Lieferanten der China Evergrande Group in Vorleistung gegangen waren, um selbst Vorprodukte zum Bau von Wohnungen und Immobilien anzuliefern.

Pettis warnt indes davor, dass es sich hierbei längst auch um ein monetäres Problem handele. Denn solange jene durch große Immobilienprojektentwickler emittierten Geldmarktpapiere unter Lieferanten und sonstigen Kontraktnehmern weitläufig im Zahlungsverkehr akzeptiert worden sind, haben diese Geldmarktpapiere als nichts anderes als eine allseits akzeptierte Form des Geldes zu Zahlungszwecken fungiert.

Wie Hyman Minski einst so treffend erklärte, sei es jedermann auf leichte Weise möglich, Geld zu verdienen. Schwierig sei allerdings andere dazu zu bringen, die jeweilige oder zugrundeliegende Form des Geldes zu akzeptieren. Warum auch immer, so lässt sich konstatieren, dass Geldmarktpapiere es geschafft hatten, sich einen solchen Charakter und Status zu erobern.

Pettis führt hierzu weiter aus, dass Geldmarktpapiere damit auch de facto zu einem Teil der chinesischen Geldmenge geworden sind. Und weil immer mehr Lieferanten und Kontraktnehmer der großen Immobilienprojektentwickler nun in einer sehr unschönen Realität aufwachen und nicht mehr dazu geneigt sind, diese Papiere auch weiterhin zu Zahlungszwecken zu akzeptieren, wird diese Situation nicht nur mikro- sondern auch makroökonomische Auswirkungen haben.

Kosten werden steigen, reale Geldmenge wird sinken

Zuallererst wird sich die bis vor Kurzem zu beobachtende Effizienz im Bereich der Geschäftstransaktionen und im Zahlungsverkehr deutlich minimieren, wodurch die Kosten nicht nur im Immobiliensektor, sondern auch in vielen anderen Bereichen der chinesischen Wirtschaft zunehmen werden.

Zweitens wird es zu einer Schrumpfung der „realen“ Geldmenge in der Volksrepublik China kommen, weil Geldmarktpapiere, die bis vor Kurzem noch einen geldähnlichen Status innehatten, diesen Status jetzt sukzessive verlieren. Das allgemeine Vertrauen in diese Papiere – und damit auch diese Form des bislang akzeptierten Geldes – schwindet gerade.

Zu rechnen ist also damit, dass die People´s Bank of China auf dieses Phänomen unter aller Voraussicht mittels einer Ausweitung der Geldmenge reagieren wird.

Nicht Evergrande, sondern Regierungsentscheidung der Auslöser

Im Thread von Girolamo Pandolfi werden noch ganz andere Beobachtungen getätigt, die zu der Warnung führen, dass die meisten zurzeit kursierenden Analysen zu China Evergrande rein oberflächlicher Natur seien. Auslöser aller Probleme sei danach die Entscheidung der Pekinger Regierung, den Fremdverschuldungsgrad im heimischen Immobiliensektor – falls nötig auch mit der Brechstange – zu reduzieren.

Dieser Prozess habe schon vor einer ganzen Weile begonnen, was bereits zu einer zulegenden Anzahl von Insolvenzen im Bereich der Kleinunternehmen geführt habe. Laut Pandolfi sei sich die Pekinger Regierung vollauf darüber bewusst, dass es im Fall einer Nicht-Adressierung dieser bestehenden und sich ausweitenden Probleme ab einem bestimmten Zeitpunkt zum Ausbruch einer systemischen Krise bei einem gleichzeitigen Zusammenbruch des Finanzwesens in der Volksrepublik China kommen würde.

Einmal mehr sei erwähnt, dass der Immobilienmarkt einen großen Anteil am BIP der Volksrepublik China auf sich vereint. Zum gleichen Zeitpunkt bestehen kaum noch zu durchschauende Abhängigkeiten unter den Akteuren an den Immobilienmärkten, den Banken, dem Schattenbankensektor und anderen Wirtschaftsbereichen des Landes.

Es ist der Zeitpunkt gekommen, um Strukturprobleme und Fehlallokationen zu adressieren

Um noch ein wenig tiefer in manche Details einzusteigen, so sei gesagt, dass es eine gewöhnliche Praxis unter vielen Bau- und Projektentwicklungskonzernen wie China Evergrande gewesen ist, teils deutliche höhere Preise als die marktüblichen Preise für einen Erwerb von Land zu bezahlen.

Es habe diese Konzerne nicht großartig interessiert, da die hiermit verbundenen Risiken in der Folge an Banken und Immobilienkäufer, die diese Geschäfte zuvor finanziert hatten, weitertransferiert wurden. Solange die Häuser- und Immobilienpreise sich im Aufschwung befanden, handelte es sich aus Sicht von Lokal- und Provinzregierungen, Banken sowie privaten Haushalten um ein gutes Geschäft.

Über den Verlauf der letzten fünfzehn Jahre ist es auf diese Weise jedoch auch zum Ausbruch einer Erschwinglichkeitskrise in den meisten urbanen Zentren des Landes gekommen. Dies hatte wiederum zur Folge, dass die für einen Immobilienerwerb aufgenommen Schulden weit über den frei verfügbaren Einkommen der Privathaushalte lagen.

Das sich auf diese Weise zusammenbrauende Wirtschaftsdesaster begann sich bereits vor einigen Jahren abzuzeichnen (Sie werden sich vielleicht an meine skeptische Haltung gegenüber der chinesischen Wirtschaft und im Hinblick auf einen Mangel an Glaubwürdigkeit bezüglich der offiziell übermittelten Daten und Zahlen aus China über die letzten Jahre erinnern).

Summa summarum lässt sich konstatieren, dass ein guter Teil des Wachstums der chinesischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren auf den Aktivitäten der Bau- und Immobilienwirtschaft sowie einem sprichwörtlich durch die Decke schießenden Verschuldungs- und Fremdfinanzierungsgrads basierte.

Es wird anhand dessen leicht ersichtlich, zu welch einem hohen Grad der Fehlallokation von Kapital es über den Verlauf der vergangenen Jahre in der Volksrepublik China gekommen ist. Innovativere Wirtschaftsbereiche wie beispielsweise der Tech-Sektor hatten hierunter zu leiden, was sich beispielsweise anhand der Chip- und Halbleiter-Abhängigkeit des Reichs der Mitte ablesen lässt.

Eine Bindung von solch hohen Kapitalbeträgen in einem einzelnen Wirtschaftssektor erweist sich darüber hinaus auch zunehmend als ein enormes Problem hinsichtlich des durch die Pekinger Regierung bereits vor Jahren formulierten Ziels, China von einer reinen Exportwirtschaft in eine durch den heimischen Konsum dominierte Ökonomie zu transformieren.

Auch hieran lässt sich ablesen, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen ist, bis es zu den nun verkündeten Interventionen der Pekinger Regierung an den Immobilienmärkten in der Heimat kommen würde.

Denn die mit diesen Märkten verbundenen Strukturprobleme und Fehlallokationen von Kapital müssen ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach adressiert werden. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt da!

Hier geht es zum zweiten Teil dieses Berichts

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"