Erinnern Sie sich noch an Michael Woodford, der „Whistleblower“ und CEO von Olympus, der den japanischen Endoskop-Produzenten des Bilanzbetruges überführte und dafür vom Aufsichtsrat nach mehr als dreißig Jahren Dienstzeit gefeuert wurde? Anschließend machte ihn die Financial Times in London zur „Businessperson des Jahres 2011“, er veröffentlichte seine Memoiren und die Olympus-Aktie verlor in Tokyo 80% ihres Wertes.

Oder an Mototaka Ikawa, den ehemaligen Präsidenten von Daio Paper, der im Jahre 2012 140 Millionen USD aus dem Konzerngewinn im MGM Sands in Las Vegas veruntreute? Eventuell auch an Takashi Tsukamoto, den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Mizuho Financial Group, die Anfang 2014 bekannt geben musste, dass sie über Jahre illegale Aktivitäten der japanischen Mafia finanzierte?

In regelmäßigen Abständen ereignen sich in Japans Industrielandschaft Skandale, die man vielleicht in einem Entwicklungsland für möglich halten würde, aber nicht in der drittgrößten Wirtschaftsnation und einem der fortschrittlichsten Länder der Welt.

Alle diese Skandale nehmen ihren Anfang zu einem signifikanten Teil in der Tatsache, daß es in Japan keine verbindlichen Grundsätze der Unternehmensführung („Corporate Governance“ = CG) gibt.

 

Kein Verhaltenskodex für Unternehmensführung in Japan

 

Fehlende verpflichtende Unabhängigkeit des Aufsichtsratsgremiums

 

Die Bestellung von unabhängigen Mitgliedern in den Aufsichtsrat ist in den meisten Gerichtsbarkeiten verbindlich für börsennotierte Firmen. Nicht so in Japan: hier ist die Bestellung von unabhängigen („independent“) Aufsichtsratsmitgliedern (pragmatischerweise in Japan als „Outside Directors“ bezeichnet) freiwillig. Die große Industrieorganisation Keidanren bremst hier maßgeblich das Bestreben der Finanzaufsicht FSA und des Börsenbetreibers JPX, die Verpflichtung wenigstens eines einzigen unabhängigen Direktors in den Aufsichtsrat zumindest für die in der ersten Sektion der Tokyo Stock Exchange notierten großen japanischen Firmen verbindlich zu machen. Von den insgesamt ca. 3.300 börsennotierten Firmen in Japan weisen zum Erscheinungszeitpunkt dieses Artikels nur 874 mindestens einen unabhängigen Direktor im jeweiligen Aufsichtsrat aus. Das sind etwas mehr als ein Viertel.

Mittlerweile hat auch Keidanren erkannt, daß die Berufung von unabhängigen Direktoren in den Aufsichtsrat von börsennotierten Firmen durchaus zu einer Steigerung der Eigenkapitalproduktivität (Stichwort: „Shareholder Value“) und einer Verringerung von Firmenskandalen durch eine erhöhte Kontrollfunktion führen kann. Vor kurzem stellte daher Keidanren sein eigenes, jedoch im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag signifikant verwässertes Konzept eines „Corporate Governance Kodex“ vor. In diesem wird natürlich nicht von einer Verbindlichkeit der Verpflichtung unabhängiger Direktoren ausgegangen.

In der Zwischenzeit erarbeitete das japanische Justizministerium einen Vorschlag, in dem es neben den beiden bereits bestehenden Aufsichtsratsstrukturen in Japan – einer Firmenstruktur mit Prüfungsgremium („Kansayaku“) beziehungsweise einer Firmenstruktur mit Kommissionsgremien  für Prüfung, Nominierung und Kompensation (nach amerikanischem Vorbild) – eine Hybridform mit „Prüfungs- und Überwachungsgremium“ zur Seite stellen möchte. Dieser Vorschlag ist ein weiteres Beispiel für die Inkompetenz des japanischen Finanzsystems, Probleme auf Kausalzusammenhänge hin zu analysieren und durch strukturelle Verbesserungen die fundamentale Ursache des Problems zu eliminieren: das international verständlichere, da häufiger angewandte, System der Kommissionsgremien wird nur von einer verschwindend geringen Anzahl von japanischen Firmen verwendet. 98% der in Japan börsennotierten Firmen entscheiden sich bewußt gegen das amerikanische und für das – größeren Diskretionsspielraum bietende – Kansayaku-System. Ausländische Investoren verstehen bereits das Kansayaku-System nur unzureichend. Einem unverständlichen System ein weiteres, teilweise auf diesem System aufbauendes, Hybridsystem zur Seite zu stellen, um den Firmen größere Wahlmöglichkeiten in der Ausgestaltung der Firmenstruktur zu bieten, zeugt wieder einmal vom offensichtlich in Japan nicht vorhandenen Bewußtsein für die Bedürfnisse des Investors, also des letztendlichen Kapitalgebers.

 

„Comply or Explain“

 

Die Deutsche Börse AG bietet die Prüfung zum "Qualifizierten Aufsichtsrat" an, mit dem gelistete Firmen die Eignung ihres Aufsichtsrates dokumentieren können. Auch andere weltweit führende Börsen bieten diese Qualifikation an, die eng mit dem Prinzip des „Comply or Explain“ nach englischem Recht verbunden ist. „Comply or Explain“ ist ein quasi-freiwilliges Prinzip der Unternehmensführung, bei dem gelisteten Firmen gewisse Richtlinien (zum Beispiel beim internen Audit, der Managementkompensation usw.) der Unternehmensführung entweder vom Börsenbetreiber oder von der Finanzaufsicht direkt nahegelegt werden. Den Firmen steht es offen, sich an diesen Richtlinien zu orientieren. Sollten sie es aber nicht tun, müssen sie sich spätestens während der jährlichen Hauptversammlung rechtfertigen. Gerade institutionelle Vermögensverwalter und Pensionskassen in Europa legen zunehmend wert auf die Einhaltung des „Comply or Explain“ Corporate Government Codes bei den Firmen in deren Wertpapiere sie investieren. Unvermögen seitens der Unternehmen, dem „Comply or Explain“ Prinzip Folge zu leisten, kann in einem signifikanten Verlust von institutionellem Kapitalzufluss resultieren.

In Deutschland ist das „Comply or Explain“ Prinzip sowohl im Aktiengesetz als auch im Deutschen Corporate Governance Kodex festgehalten. In Japan gibt es keine derartige Richtlinie.

 

Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat

 

Auch in Bezug auf Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat schweigt die japanische Rechtsprechung: Während das deutsche Aktiengesetz (§§76, §§95 AktG) die strikte Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat für gelistete Firmen ab einem bestimmten Grundkapital vorschreiben, besteht diese Verpflichtung in Japan nur auf Freiwilligen-Basis. Es ist also nicht verwunderlich, wenn man in Japan beim Austausch von Visitenkarten herausfindet, daß das Gegenüber „Chairman and CEO“ in Personalunion ist.

 

Die Rolle der Aktionäre und die Stellung der Hauptversammlung

 

Die dritte Säule der soliden Unternehmensführung neben Vorstand und Aufsichtsrat, nämlich die Hauptversammlung der Aktionäre, also der Unternehmenseigentümer, findet in Japan nicht die Beachtung, die sie verdient hätte. Zum einen regiert in Japan die Tendenz unter großen gelisteten Firmen, ihre jährliche Hauptversammlung zeitgleich abzuhalten, so daß Aktionäre mehrerer Unternehmen quasi gezwungen sind, sich für die Teilnahme an einer einzigen Hauptversammlung zu entscheiden. Des weiteren ist das Konzept des „aktivistischen Investors“ in Japan gänzlich unbekannt. Mehrere aktivistische Investoren – mehrheitlich aus den USA – haben sich in der Vergangenheit in Japan die Finger verbrannt als sie versuchten, mit Hilfe ihrer Aktienpakete einen fundamentalen Richtungswechsel bei den jeweiligen Firmen zu erzeugen. Die bekanntesten Beispiele sind: die Cerberus-Gruppe und Seibu Holdings, Third Point Capital (Daniel Loeb) und Sony Corporation, Steel Partners und Bulldog Sauce.

Trotz massiver Wertevernichtungen durch jahrelanges falsches Management gelang es keinem dieser ausländischen Investoren, ein konzernstrategisches Umdenken in den japanischen Zielunternehmen zu erreichen.   

 

Die Rolle der Depotbanken

 

Einen vierten Aspekt in der allgemeinen Apathie der japanischen Aktionäre stellen die Depotbanken dar: die großen Trust Banks sind zumeist Mitglieder großer Bankenkonglomerate: Mitsubishi Trust, Mitsui Sumitomo Trust, Mizuho Trust. Mitsubishi Trust geriet vor kurzem erst als möglicher Käufer für den Depotbankenarm der Bank of New York Mellon in die Schlagzeilen. Im Namen der angeschlossenen Banken (Bank of Tokyo Mitsubishi UFJ, Sumitomo Mitsui Financial Group, Mizuho Financial Group) verwalten die Depotbanken riesige Aktienpakete, darunter immer noch die berühmt-berüchtigten Überkreuzbeteiligungen, für die die Japan AG in den achziger Jahren bekannt war. Japanische Aktionäre übertragen ihr Wahlrecht gewohnheitsmäßig automatisch der Depotbank und diese hat kein Interesse daran, während der Hauptversammlung mit Gegenstimmen die jeweilige Firmenpolitik aus dem Fahrwasser zu bringen.

Eine kurze – wenn auch nicht nutzbringend im Sinne von guter Unternehmensführung, sondern vielmehr aus kriminellen Beweggründen – Unterbrechung dieser allgemeinen Aktionärsapathie auf japanischen Hauptversammlungen waren während der neunziger Jahre die sogenannten „Sokaiya“ – von der japanischen Mafia bestellte professionelle Zwischenrufer, die bei Aktionärsversammlungen dem Vorstand peinliche Fragen stellten, um ihn so öffentlich zu beschämen. Die „Sokaiya“ hatten jedoch weniger eine verbesserte Unternehmensführung im Sinne sondern wollten vielmehr Schweigegeld von der Firmenleitung erpressen.

Mit einem großangelegten Rundumschlag gegen das organisierte Verbrechen in Japan Ende der neunziger Jahre starb auch dieser „Geschäftszweig“ aus.

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