Auch ohne den russischen Einmarsch in die Ukraine verstetigten sich die Anzeichen für einen Kurswechsel samt weitreichenden Anpassung und Veränderungen der bis hierhin verfolgten politischen und geldpolitischen Strategien.

Geopolitische Risiken kaum mehr einschätzbar

Eine massiv zunehmende Unsicherheit und förmlich explodierende Risiken im geopolitischen Bereich drohen zuvor ins Auge gefasste Strategiekurswechsel jetzt komplett über den Haufen zu werfen.

Bei der amerikanischen Großbank Goldman Sachs wird in diesen Tagen beklagt, dass die sich aus der aktuellen Situation ableitenden Entwicklungsmöglichkeiten nicht nur sehr vielfältig, sondern darüber hinaus auch kaum absehbar seien.

Selbstverständlich wirke sich dieser Ausblick auch auf das Portfoliomanagement als solches aus, während die Schwierigkeiten und Probleme im Bereich der Geldverwaltung mit jedem verstreichenden Tag zunähmen.

Obschon ein Teil dieser Risiken und Gefahren auch schon vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine und einer Verhängung von westlichen Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation bestanden habe, zeichneten sich anhand des nun entstandenen Schlamassels weitere Gefahren ab, mit denen sich die meisten Akteure an den Finanzmärkten bis zu diesem Zeitpunkt niemals zu beschäftigen brauchten.

Eine enorm zunehmende Volatilität

Zum einen stünde eine enorm wachsende Volatilität im Zentrum dieser Betrachtungen. Zum anderen drehten sich die Dinge zurzeit hauptsächlich nur noch darum, auf welche Weise sich bestehende Portfoliorisiken adressieren und unter Kontrolle bringen lassen könnten.

Zu Beginn der vergangenen Woche habe sich die Marktkapitalisierung an den amerikanischen Börsen nicht nur um eine weitere Billion US-Dollar reduziert, sondern vordergründig setze sich der Prozess des De-Leveraging (eines Abbaus von Schulden und Fremdfinanzierungen) unter großen und institutionellen Investoren fort.

Noch hielten sich die amerikanischen Aktienmärkte angesichts eines über der Marke von 100 US-Dollar verharrenden Brent-Ölpreises, einer im Februar weiter auf 7,9 Prozent anziehenden Inflationsrate in den USA und dem unterdessen erfolgten Einmarsch russischer Militärkräfte in die Ukraine recht anschaulich.

Indizes spiegeln nicht den auf individueller Ebene entstandenen Schaden wider

Allerdings spiegelten die großen Aktienindizes in den USA auch nicht mehr nur ansatzweise den auf individueller Aktienebene bereits entstandenen Schaden wider – und dies trotz eines aberwitzigen Niveaus, auf dem sich die Realzinsen in den USA nach wie vor befänden, wie Goldman Sachs befindet.

Zum selben Zeitpunkt ließe sich keineswegs absehen, welche Folgeauswirkungen und Rückkopplungseffekte aus Sicht der globalen Wirtschaft mit dem Versuch eines Ausschlusses einer G20-Wirtschaft aus dem Weltfinanzsystem einhergehen werden.

Im Verlauf der nächsten Monate werde die Wirtschaftsentwicklung in den Vereinigten Staaten wieder in einem weit stärkeren Ausmaß als in den letzten Wochen und Monaten in den Vordergrund rücken.

Verlauf der US-Zinskurve wirft Schatten voraus

Angemerkt sei, dass der Verlauf der Zinskurve in den Vereinigten Staaten nichts Gutes verheißt, da eine Inversion in manchen Bereichen bereits feststellbar ist, und die gesamte Kurve wohl schon bald folgen dürfte.

Eine inverse Zinskurve hatte sich in den USA über den Verlauf der vergangenen Jahrzehnte – mit seltenen Ausnahmen – als zuverlässiger Indikator für den Beginn einer bevorstehenden Rezession erwiesen.

Auch aktuell eingehende Wirtschaftsdaten aus den Vereinigten Staaten deuten hierauf hin. Neben einem völlig im Keller befindlichen Verbrauchervertrauen haben zuletzt auch die Einkaufsmanagerindizes auf einen sich beschleunigenden Abschwung im Land hingewiesen.

Gestern eingegangene Daten zu den Konsumausgaben fielen ebenfalls nicht gut aus, was dazu beitragen dürfte, dass das bei der Fed of Atlanta zum Einsatz kommende Wachstumsmodell namens GDPNow schon bald eine Wirtschaftsschrumpfung in den USA im ersten Quartal dieses Jahres indizieren dürfte.

Federal Reserve, was nun?

Ausgerechnet in eine solche Situation den eigenen Leitzins – wie gestern zum ersten Mal seit dem Jahr 2018 geschehen – anzuheben, lässt nicht nur darauf schließen, dass die Federal Reserve Bank den Geschehnissen am Heimatmarkt hinterherläuft, sondern dass die Fed ein weiteres Mal so weit hinter der Kurve zu sein scheint, um den eigenen Leitzins in eine sich abzeichnende Rezession hinein anzuheben.

Gestern darauf hinweisend, den eigenen Leitzins im Rahmen von allen im laufenden Jahr noch stattfindenden Zinssitzungen weiter anheben zu wollen, würde sich darauf basierend noch ein Potenzial von zusätzlichen sechs Zinserhöhungen in 2022 ableiten lassen.

Wen verwundert es noch großartig, dass sich die Erwartungen an den Zinsmärkten nach diesen gestern getätigten Aussagen von Fed-Chef Jerome Powell nun ins exakte Gegenteil verkehrt haben, um mittlerweile schon wieder von einsetzenden Zinssenkungen im Jahr 2023 auszugehen?!

Schließlich wird sich die Federal Reserve eines angesichts der eigens verfolgten Geldpolitik mit verursachten Wirtschaftsabschwungs in den USA wahrscheinlich schon in absehbarer Zeit anders ausrichten müssen, um sich in der Rezessionsbekämpfung zu verdingen.

Es wird wohl exakt dieser Ausblick sein, der die Öl-, Edelmetall- und Rohstoffmärkte gestern abermals befeuert hat, da sich mittlerweile deutlich abzeichnet, dass sich die Federal Reserve und andere große Zentralbanken über die vergangenen Jahre selbst zu Papiertigern degradiert haben.

Stagflation immer wahrscheinlicher

Stagflation (Wirtschaftsstagnation + Inflation) lautet also nach wie vor das Schlagwort der Stunde. Zentralbanken finden sich nun erwartungsgemäß in einer Situation wieder, in der dessen Verantwortliche sich mit zueinander gegenläufigen Entwicklungen in der Wirtschaft konfrontiert sehen – sehr wahrscheinlich ohne hierauf eine adäquate Antwort geben zu können.

Was Goldman Sachs anbelangt, so wird die aktuelle Situation dort wie folgt beschrieben: Es erwecke den Eindruck, als ob in den vergangenen Wochen noch zusätzlich Benzin in das brennende Feuer von ohnehin im Gang befindlichen Veränderungen tektonischer Ausmaße gegossen worden sei.

Der Globalisierung sei ein empfindlicher Schlag versetzt worden. Plötzlich machten wieder Schlagworte á la Regionalisierung die Runde. Auf jene Epoche, die mit dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 begonnen habe und im Jahr 2016 mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union endete, werde nun etwas anderes folgen.

Die geopolitischen Spannungen zwischen dem Westen und dem Osten könnten kaum noch größer sein, was auf eine dramatische Veränderung bezüglich der globalen Ordnung hindeute. Insbesondere zwischen den westlichen Industrieländern und den sogenannten BRICS-Staaten offenbare sich ein zunehmender Graben.

Globale Finanzmärkte im Zwiespalt des Ost-West-Konflikts

An den globalen Finanzmärkten werde diese Entwicklung nicht ohne Folgen bleiben. Es müsse vielmehr mit einer weiter zunehmenden Volatilität in vielen Bereichen gerechnet werden, die sich durch Händler nur noch sehr schwer ab- und einschätzen ließe.

Heißt also, dass die anhaltenden Achterbahnfahrten der Kurse an den Finanzmärkten viele Marktakteure jeweils auf dem falschen Fuß erwischen könnten. Auf diese Weise drohe zudem auch eine Zunahme des Grads der Fragilität an den internationalen Finanzmärkten – und ein sich beschleunigender Rückgang der Liquidität.

Die gestrigen Entwicklungen in der Volksrepublik China sind hierfür wahrscheinlich ein sehr schönes Synonym. Nachdem chinesische Technologieaktien zuletzt auf Kursniveaus aus den Jahren der Lehman-Pleite eingebrochen waren, sah sich die Pekinger Regierung wohl dazu veranlasst, zumindest verbal zu intervenieren.

In diesem Zuge wurde durch die chinesische Regierung in Aussicht gestellt, den heimischen Finanzmärkten mehr Unterstützung zukommen lassen zu wollen, was ausreichte, um völlig ausgebombte Kurse innerhalb von nur einem Handelstag um vierzig Prozent in die Höhe zu katapultieren.

Selbstverständlich haben China-Aktien nach einem zuvor erlittenen Einbruch von 75 Prozent trotz allem noch eine ultralange Wegstrecke vor sich, wenn diese Kursverluste wettgemacht werden wollen. Zu vergessen bleibt jedoch nicht, dass die Pekinger Regierung nun auch wird liefern müssen, was mit einer Abkehr von bislang verfolgten Strategien einhergehen würde.

Zum anderen sei daran erinnert, dass es in Bärenmärkten immer wieder auch zu plötzlich einsetzenden und massiven Kursrallys nach oben kommen kann. So etwas ließ sich gestern wohl in der Volksrepublik China beobachten.

Bei Goldman Sachs wird eine solche Ansicht geteilt. Hieran zeigt sich, wie schwer ein solcher Markt zu handeln ist, wenn überdies berücksichtigt wird, dass die amerikanische Großbank JPMorgan chinesische Technologieaktien noch zwei Tage zuvor als einen Sektor bezeichnet hatte, der „uninvestierbar“ geworden sei.

Eine ganze Menge Leerverkäufer, die den Bogen überspannt haben, dürften angesichts der gestern einsetzenden Rally an den chinesischen Technologiemärkten im Zuge eines enormen Short Squeezes enorm unter die Räder geraten sein. Ob sich auch JPMorgan unter diesen Akteuren befunden haben mag?

Der morgige Handel dürfte beispielsweise wieder recht interessant werden, da zahlreiche Derivateoptionen auslaufen und erneuert werden müssen. Mit einer abermals extrem hohen Volatilität wird also zu rechnen sein.

Auch Goldman Sachs glaubt, dass Rohstoffe eine tragendere Rolle spielen werden

Bei Goldman Sachs wurde zudem auf die seit den 1970er Jahren nicht mehr zu beobachtende Kursrally im Rohstoffsektor aufmerksam gemacht, die insbesondere in den letzten beiden Monaten nahezu wie eine Dampfwalze alles überrollt habe.

Ähnlich wie Zoltan Pozsar von der Bank Credit Suisse Group wird auch bei Goldman Sachs davon ausgegangen, dass Rohstoffe in der Zukunft eine bei Weitem wichtigere Rolle spielen werden als in der jüngeren Vergangenheit.

Diese Zusammenfassung von Roman Baudzus für CK*Wirtschaftsfacts basiert auf einem Bericht der Finanzseite Zerohedge.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Hingewiesen sei abschließend noch auf einen Chart zur Entwicklung der durch die Vereinten Nationen berechneten Lebensmittel- und Agrarrohstoffpreise. Allein hieran zeigt sich, dass der Globus einer ähnlichen – oder vielleicht sogar schlimmeren – Krise als im Jahr 2011 ins Auge zu blicken droht.

 

 

Damals kam es zum sogenannten Arabischen Frühling in einer Vielzahl von Nationen, in dessen Zuge auch Regierungen, wie beispielsweise im Fall Tunesiens, gestürzt wurden. Da allerorten von Versorgungsengpässen, Produktausfällen und zunehmenden Knappheit die Rede ist, sollte dieser Entwicklung ein gebührendes Maß an Respekt entgegengebracht werden.

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