Neben der amerikanischen Großbank Goldman Sachs zeigte sich zuletzt auch der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman davon überzeugt, dass die physischen Erdölmärkte sich von den Aktivitäten an den Papier- und Futures-Märkten auf zunehmende Weise abgekoppelt sehen.

Die Öl-Futures-Märkte sind „vollkommen kaputt“

Grund hierfür sei eine sich zunehmend verknappende Liquiditätslage. Hierin könnte sich der Grund finden, weswegen die Erdölpreise täglich um bis zu zehn US-Dollar schwanken, ohne dass entsprechende Meldungen solche Volatilitäten rechtfertigen, geschweige denn erklären könnten.

 

Vor wenigen Tagen hatte auch Pierre Andurand, Chef des weltgrößten Erdöl-Hedgefonds, mittels Twitter mitgeteilt, dass die Futures-Märkte im Erdölsektor „vollkommen kaputt“ sind. Bei Goldman Sachs hieß es hierzu, dass neben einer rapide abnehmenden Liquidität zudem auch kaum mehr irgendwelche Hedging-Aktivitäten an den Erdölmärkten stattfinden.

Aus diesen Gründen und einer zusätzlich unsicheren Erdölversorgungslage ließen sich seit dem Einmarsch von russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar Preisschwankungen von bis zu zehn US-Dollars an einer wachsenden Anzahl von Handelstagen beobachten.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden solch extreme Preisschwankungen an den Erdölmärkten noch für nahezu unmöglich gehalten. Ende August war das Open Interest (die Summe aller Positionen in einem Termin- oder Optionskontrakt) an den Futures-Märkten für Erdöl auf ein Sieben-Jahres-Tief gesunken.

Zu diesem Zeitpunkt sank das Open Interest unter den vier größten Kontrakten im Brent- und WTI-Handel erstmals seit dem Jahr 2015 auf weniger als vier Milliarden Fass. Bei Goldman Sachs und Standard Chartered hieß es hierzu, dass an den Erdölmärkten inzwischen nicht einmal mehr Fragen gestellt würden, weswegen die Preise an einzelnen Handelstagen um fünf US-Dollar sinken oder um acht US-Dollar steigen.

Papiermärkte haben sich von fundamental-physischer Lage entkoppelt

Im Verlauf der vergangenen Tage und Wochen hat sich die Preiskorrektur an den Ölmärkten ausgeweitet. Allerdings, so Beobachter, sähe die aktuelle Lage an den physischen Ölmärkten gänzlich anders aus.

Denn aus fundamentaler Sicht und anhand der physischen Nachfrage gemessen, erweise sich die an den globalen Erdölmärkten vorherrschende Situation nach wie vor als sehr angespannt. Insbesondere Goldman Sachs gibt sich aus diesem Grund davon überzeugt, dass die Ölpreise nach einer abgeschlossenen Korrektur wieder explosiv nach oben schießen könnten.

Die Zeit spiele den Erdölmärkten dabei in die Hände, da sich die gelagerten Erdölbestände weltweit in einem rapiden Tempo minimierten. Händler, die Erdöl zurzeit leerverkauften, drohten deshalb im Zuge eines massiven Short Squeeze auf dem falschen Fuß erwischt zu werden.

Wenn dieser Zeitpunkt kommt, wird also unter aller Voraussicht dieselbe Illiquidität, welche die Erdölpreise an den Futures-Märkten gerade nach unten befördert, dann plötzlich das exakte Gegenteil bewirken, um die Erdölpreise – so Goldman Sachs – auf neue Allzeithochs zu schicken.

Dass US-Präsident Joe Biden sich seine jüngste Reise nach Saudi-Arabien hätte sparen können, zeigte die dieswöchige Ankündigung der Organisation OPEC+ in Bezug auf eine Senkung der aktuellen Fördermengen um einhunderttausend Fass Rohöl pro Tag.

Nichtsdestotrotz hat die saudische Führung eine rote Linie in den Sand gezogen, darauf hinweisend, dass weitere Preisrückgänge an den globalen Erdölmärkten sehr wahrscheinlich mit zusätzlichen Ankündigungen zu Förderkürzungen durch die OPEC+ beantwortet werden.

Dass der Preis der Ölsorte Brent in den letzten Tagen unter die Marke von neunzig US-Dollar pro Fass gesunken war, hat Spekulationen an den globalen Finanzmärkten genährt, wonach es sich hierbei um erneute Regierungsinterventionen handeln könnte.

Saudi-Arabien meldet sich zu Wort

Saudi-Arabien hatte zuletzt wiederholt erklärt, dass Erdölpreise unterhalb der Marke von 90 US-Dollar pro Fass aus Sicht der Organisation OPEC+ nicht akzeptabel seien. JPMorgan hat die aktuell zu beobachtende Situation dazu veranlasst, schon in Kürze mit einer Ankündigung zu weiteren Förderkürzungen durch die Organisation OPEC+ zu rechnen.

Am Montag nächster Woche werden Vertreter der Organisation OPEC+ zusammenkommen, um laut JPMorgan vielleicht dann schon eine entsprechende Bekanntgabe zu verkünden, um die fundamentale (physische Nachfragesituation) mit der Preisentwicklung an den Futures-Märkten wieder in Einklang zu bringen.

Denn sollten die Erdölpreise von den aktuellen Niveaus knapp unterhalb der Marke von 90 US-Dollar (Brent-Öl) noch stärker sinken, seien zukünftige Investitionen in die Erschließung und Förderung von neuen Erdölreserven gefährdet.

Seit Monatsbeginn sind die Erdölpreise um durchschnittlich acht Prozent gesunken. Bei JPMorgan führt diese Entwicklung zu der Annahme, dass die Organisation OPEC+ vielleicht schon bald eine Förderkürzung in Höhe von eine Million Fass Rohöl pro Tag verkünden könnte.

Es lässt sich vorstellen, wie ein sich hieran anschließender Short Squeeze an den Ölmärkten aussehen würde. Trotz der sich weltweit verdüsternden Konjunkturaussichten geht JPMorgan davon aus, dass sich die Erdölnachfrage bis ins nächste Jahr hinein von 100,2 Millionen auf 101,1 Millionen Fass Rohöl pro Tag erhöhen wird.

JPMorgan blickt optimistisch auf die Ölmärkte

Trotz der aktuellen Preiskorrekturphase bleibt auch JPMorgan optimistisch in Bezug auf den weiteren Ausblick an den globalen Energie- und Erdölmärkten. Beispielsweise wird bei JPMorgan davon ausgegangen, dass es zwischen den Jahren 2022 und 2025 zu einem durchschnittlichen Angebotsdefizit in Höhe von 600.000 Fass Rohöl pro Tag kommen wird.

Auch in den Vereinigten Staaten wurde hierauf reagiert. Nachdem die strategischen Petroleumreserven des Landes aufgrund von deren Freigabe durch die Biden-Administration zuletzt auf ein 40-Jahres-Tief gesunken war, teilte Amerikas Energieministerin Jennifer Granholm gestern gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass es zu einer zeitlichen Verlängerung von Freigaben aus den strategischen Petroleumreserven der USA über den 1. Oktober hinaus kommen könnte.

Aus einem Chart auf der Finanzseite Zerohedge geht der jüngste Verlauf der strategischen Petroleumreserven in den Vereinigten Staaten hervor.

 

Die aktuell verfügbaren Erdölreserven der USA sind gestern auf gerade noch 442 Millionen Fass gesunken, was dem niedrigsten Niveau seit dem Jahr 1984 entspricht. Um angesichts der im November bevorstehenden Zwischenwahlen zum Kongress (Mid-terms) aus Perspektive der Demokraten nicht politisch unter zu gehen, hat die Biden-Administration in diesem Jahr eine Million Fass Erdöl pro Tag aus den strategischen Petroleumreserven des Landes freigegeben.

Hiermit war und ist selbstverständlich die Hoffnung verbunden, die Preise für Benzin und Diesel an den heimischen Tankstellen zu senken. Und tatsächlich sind die Benzinpreise seit Juni von mehr als fünf US-Dollar auf nunmehr durchschnittlich 3,85 US-Dollar gesunken.

Militäranalysten warnen indes davor, dass die Zeit für eine potenzielle Invasion Taiwans aus Sicht der Pekinger Regierung kaum besser sein könne als jetzt, da sich die strategischen Petroleumreserven der Vereinigten Staaten über die vergangenen Monate in einem rapiden Tempo reduziert haben.

Nichtsdestotrotz lässt sich davon ausgehen, dass sich eine Freigabe der strategischen Petroleumreserven bis in den Monat November hinein fortsetzen wird. Zahlreiche Kritiker werfen der Biden-Administration vor, aus rein politischen Gründen die Nationale Sicherheit des eigenen Landes aufs Spiel zu setzen.

Potenzielle Förderkürzungen der OPEC+ könnten höher ausfallen als bislang angenommen

An den Erdölmärkten wird hinter vorgehaltener Hand bereits darüber spekuliert, ob die Organisation OPEC+ ihre eigene Rohölförderung angesichts der Entwicklungen in den USA nicht sogar um mehr als eine Million Fass pro Tag senken könnte. Eine solche Entscheidung könnte auch in mehreren aufeinander folgenden Schritten erfolgen, wie es heißt.

Um abschließend auf Amerikas Energieministerin Jennifer Granholm zurückzukommen, so sei noch erwähnt, dass Jennifer Granholm in der vergangenen Woche mitteilte, mit den europäischen Verbündeten nach wie vor über die Einführung eines Ölpreisdeckels für Käufe russischen Erdöls zu verhandeln.

Da auf EU-Ebene im Gasbereich Ähnliches geplant ist, stellt sich die Frage, für welches Gas überhaupt ein Preisdeckel eingeführt werden soll, da die Russische Föderation zurzeit doch schon gar nicht mehr liefert.

Gleichzeitig bekräftigte Jennifer Granholm ihre Aussagen von zuvor, wonach es in den USA zu einer offiziellen Regierungsbekanntgabe zu einem Benzinexportbann kommen könnte. Noch befinde sich dieses Thema allerdings nicht ganz oben auf der heimischen Agenda, so Jennifer Granholm.

Wie passt diese Aussage jedoch mit einem zuletzt publik gewordenen Schreiben von Jennifer Granholm an amerikanische Raffineriebetriebe zusammen, in dem die Unternehmen durch das US-Energieministerium dazu gedrängt wurden, die heimischen Benzin- und Dieselvorräte vor den Wintermonaten so schnell wie möglich wieder aufzufüllen?

In diesem Brief hieß es weiter, dass die Biden-Administration bislang nicht spezifizierte Nothilfemaßnahmen in Erwägung ziehen wird, falls die Benzin- und Dieselvorräte in den Vereinigten Staaten noch stärker sinken sollten.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt Bezug auf einen Bericht auf der Finanzseite Zerohedge.

„Was heißt das für mich konkret!?“ (Roman Baudzus)

Es sei vor dem Wochenende noch einmal daran erinnert, dass das Ölimportembargo der Europäischen Union für russisches Erdöl trotz der desolaten Lage auf dem europäischen Kontinent ab Dezember in Kraft treten wird.

In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal erwähnt, dass es seitens JPMorgan hierzu hieß, dass die Ölpreise auf 190 und vielleicht sogar auf bis zu 380 US-Dollar pro Fass klettern könnten, falls die Russische Föderation hierauf mittels einer Ölfördersenkung von zwischen zwei und bis zu fünf Millionen Fass Rohöl pro Tag reagieren sollte – was wahrscheinlich ist.

Inzwischen hat die Moskauer Regierung angekündigt, kein Erdöl mehr an Nationen liefern zu wollen, die sich dem Versuch der Einführung eines Ölpreisdeckels durch die G7-Nationen anschließen werden.

Irrer kann es wohl nimmer werden! Doch auch hierauf würde ich nicht meine rechte Hand verwetten. Ich wünsche allen Lesern ein schönes und erholsames Wochenende!

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