Ende des Bürgerkriegs in weiter Ferne

Werfen wir einen gemeinsamen Blick nach Libyen, auf die andere Seite des Mittelmeeres. Dort haben die Kräfte des bis vor kurzem noch auf dem Vormarsch befindlichen Generals Haftar eine Reihe von plötzlich eintretenden Rückschlägen hinnehmen müssen.

Die diplomatischen Aktivitäten haben seitdem an Intensität gewonnen, doch Beobachter warnen davor, dass der Bürgerkrieg weit davon entfernt sei, einer einvernehmlichen Lösung entgegen zu steuern.

Dem Traum einer Eroberung von Tripolis - samt eines Sturzes der dort herrschenden und durch die Türkei unterstützten Regierung der Nationalen Einheit von Premierminister al-Sarraj - scheint General Haftar inzwischen jäh entrissen worden zu sein.

Mittlerweile befindet sich die Libysche Nationalarmee (LNA) Haftars auf dem Rückzug, nachdem eine Reihe von zuvor eroberten Städten im Nordwesten von Tripolis aufgegeben werden mussten. In diesem Zuge waren Haftars Truppen gefährlich nahe bis zur tunesisch-libyschen Grenze vorgerückt.

Einheiten der Regierung der Nationalen Einheit haben unterdessen auch wieder die Luftwaffenbasis al-Watiya im Südwesten der Hauptstadt Tripolis zurückerobern können. Es bleibt abzuwarten, wie lange es aus Sicht der LNA dauern wird, um sich von diesem Schock zu erholen.

General Haftar: Die Allianz bröckelt, al-Sisi verkündet Kairo-Deklaration

Hinter Haftar und seinen Kräften standen bislang neben Frankreich und Russland auch eine muslimische Allianz aus Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ob Haftar die Erwartungen, die diese bunt gescheckte Allianz – höchstwahrscheinlich aus Sicht von jeweils untereinander abweichenden Gründen – in den General gehegt hatte auch weiterhin erfüllen kann, bleibt abzuwarten.

Ägypten ergriff mit Blick auf den anhaltenden Konflikt in Lybien zuerst die Initiative, um neben Haftar auch hochrangige Vertreter des in der lybischen Küstenstadt Tobruk ansässigen Abgeordnetenhauses an den Kairoer Verhandlungstisch zu bringen. In der ersten Juniwoche verkündete der ägyptische Staatspräsident al-Sisi daraufhin im Rahmen der sogenannten Kairo-Deklaration seinen eigenen Plan zur Beendigung des libyschen Bürgerkriegs.

Sah die Kairo-Deklaration den Beginn eines Waffenstillstands in benachbarten Libyen ab dem 8. Juni vor, so hat sich diese Erwartungshaltung bislang nicht erfüllt. In diesem Zuge sollten sich auch die jeweils unterstützenden Konfliktparteien aus dem Ausland aus Libyen zurückziehen, während Milizen entwaffnet und ein Präsidentenrat gewählt werden sollte, der neben der Ausarbeitung einer neuen Verfassung auch allgemeine Wahlen auf den Weg bringen sollte.

Status der Hafenstadt Sirte mit Ölterminals und der Luftwaffenbasis al-Jufra umstritten

Bei Licht besehen scheinen sich diese Forderungen mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Land weit von deren Maximalansprüchen entfernt zu befinden. Der inner-libysche Konflikt hat sich jetzt nämlich in Richtung der Frage verlagert, welchem Status neben der Hafenstadt Sirte zukünftig die in Zentrallibyen beheimatete Luftwaffenbasis al-Jufra unterliegen soll.

Die Hafenstadt Sirte ist strategisch wichtig, weil sich die libyschen Schlüssel-Ölterminals in einer Art Halbkreis um diesen Ort ziehen. Auch diese Ölterminals befanden sich kurzzeitig unter der Kontrolle der Haftar´schen Truppen.

 

In die Suppe gespuckt wird den ägyptischen Plänen durch die Türkei, die sich eine Kontrolle über diese Region zum Ziel gesetzt hat. Erschwerend gesellt sich aus Sicht der strategisch wichtigen Luftwaffenbasis al-Jufra die Tatsache hinzu, dass Russland dort nicht nur eine starke Präsenz zeigt, sondern dass die türkische Regierung eine Verstärkung der Haftar´schen Truppen mittels neu einzufliegender Söldnereinheiten fürchtet.

 

Russischen Föderation und Golfstaaten begrüßen Ägyptischen Vorstoß

Während die Kairo-Deklaration al-Sisis sowohl in der Russischen Föderation als auch in den Golfstaaten auf fruchtbaren Boden fiel, hegen weder die Regierung der Nationalen Einheit noch die Türken ein großes Interesse daran, an der Umsetzung dieses Plans teilzuhaben. Vielmehr erweckt es den Eindruck, als ob die Türkei die Regierung der Nationalen Einheit dazu drängen würde, auf noch mehr Geländegewinne zu pochen, um fortan aus einer Position der Stärke verhandeln zu können.

Festzuhalten bleibt allerdings, dass Russlands Präsident Wladimir Putin angesichts des Anbruchs einer neuen Phase im libyschen Bürgerkrieg erstmals Tuchfühlung zu seinem türkischen Counterpart Recep Erdogan aufgenommen hat. Der Moskauer Kreml veröffentlichte zu diesem Telefongespräch eine offizielle Erklärung, in der es wie folgt hieß:

 

Im Rahmen des stattgefundenen Telefongesprächs haben beide Seiten ihre Bedenken bezüglich des anhaltenden Waffenkonflikts in Libyen geäußert. Wladimir Putin pochte darauf, dass es wichtig ist, dem vereinbarten Waffenstillstand so bald wie möglich Folge zu leisten, um hierauf den inner-libyschen Dialog, basierend auf den im Januar im Rahmen der internationalen Berliner Konferenz getroffenen Vereinbarungen und der sich daran anschließenden UN-Resolution 2510, abermals aufzunehmen. Ferner sollen die Anstrengungen auf allen Seiten intensiviert werden, um den libyschen Konflikt auf diplomatische Weise zu lösen.“

Türkei wittert Morgenluft

Als interessant erweist es sich, dass die türkische Seite nach diesem Telefongespräch auf die Publikation einer üblichen Erklärung im Anschluss an ein solches Ereignis verzichtete. Seitens türkischen Medien hieß es hierzu unter Bezugnahme auf Quellen im Präsidentenpalast von Ankara einfach nur lapidar, dass Erdogan und Putin neben dem Konflikt in Libyen auch über die Spannungen in der syrischen Provinz Idlib gesprochen hätten.

Beobachter schlussfolgern hieraus, dass die türkische Regierung augenscheinlich kein großes Interesse an dem Beginn eines Waffenstillstands in Libyen auf Initiative Ägyptens zu hegen scheint. Warum sollte Ankara die eigenen Bestrebungen auf eine nahende Kontrolle über die Stadt Sirte und möglicherweise gar die Luftwaffenbasis al-Jufra aufgeben, wenn die Truppen des General Haftar sich zumindest für den Moment in einem demoralisierten Zustand zu befinden scheinen?

Al-Jufra als permanente Militärbasis der Russen geplant?

Doch Vorsicht vor allzu leichtfertigen Schlussfolgerungen, da Russland seine Oberhoheit über al-Jufra aller Voraussicht nach nicht aufgeben wird. Vielmehr muss damit gerechnet werden, dass Russland neue Söldnertruppen einfliegen wird, um sich dem Vormarsch der Kräfte der mit der Türkei verbündeten Regierung der Nationalen Einheit entgegenzustellen.

Der britische Guardian berichtete zu dieser Entwicklung zuletzt, dass Russland erst kürzlich über ein Dutzend eigene Kampfjets nach al-Jufra verlegt habe. Vieles deutet darauf hin, dass der Moskauer Kreml bestrebt zu sein scheint, al-Jufra in eine permanente Militärbasis der Russen in Libyen umzuwandeln. An einer solchen Entwicklung nehmen nicht nur die Türkei, sondern auch die Vereinigten Staaten und die NATO Anstoß.

Ankara, Brüssel und Washington geeint gegen Russlands Pläne

Um eine solch potenzielle Wende im inner-libyschen Konflikt soll es sich vor wenigen Tagen auch in einem Gespräch zwischen dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gedreht haben. Es scheint hinsichtlich dieses Punkts tatsächlich einmal Einigkeit zwischen Ankara, Brüssel und Washington zu herrschen, um die Russische Föderation von der Instandsetzung einer permanenten Militärbasis in Libyen mit allen Mitteln abzuhalten.

Vergessen wir bitte nicht, dass die Russische Föderation ferner über einen eigenen Flottenstützpunkt im syrischen Tartus verfügt. Eine wachsende Militärpräsenz Russlands in Libyen würde die Afrika-Pläne der NATO in Gefahr bringen, während die russische Präsenz im Mittelmeerraum gestärkt würde.

Erdogan spricht von amerikanisch-türkischem Konsens – Saudis empört

Die Türkei hat auf eine solche Entwicklung auf ihre ganz eigene Weise reagiert, indem Ankara mittlerweile große Truppenkontingente und zahlreiche schwere Waffensysteme an die Gestade der libyschen Küste verbracht hat. Dass auf UN-Ebene ein Waffenembargo gegen Libyen existiert, scheint keine der involvierten Konfliktpartei großartig zu stören.

Nach einem Telefongespräch zwischen US-Präsident Trump und Erdogan vor wenigen Tagen machte der türkische Präsident darauf aufmerksam, dass es in den Beziehungen zwischen seinem Land und den USA zum Anbruch einer neuen Ära kommen werde. Laut Erdogan sei ein amerikanisch-türkischer Konsens erreicht worden, so dass sich die Ziele der Türkei nun auf eine komplette Eroberung der Stadt Sirte samt deren Umland konzentrierten, um eine Kontrolle über die dort befindlichen Ölanlagen zu erlangen.

In Saudi-Arabien hieß es kürzlich zu den jüngsten Entwicklungen im Maghreb, dass es seit dem Zusammenbruch des Ottomanischen Imperiums vor einhundert Jahren nicht mehr zu einer Überquerung des Mittelmeers durch die Türken gekommen sei, um die maghrebinischen Wirren zur Etablierung einer eigenen Bastion in der dortigen Region für sich zu nutzen.

Drohender Einmarsch der Ägypter und wenig Einigkeit - Trump fährt mehrgleisig

Doch abermals sei Beobachtern der Entwicklungen der Rat erteilt, nicht allzu vorschnell ein eigenes Urteil zu fällen. Denn US-Präsident Trump scheint zweigleisig zu fahren, dem ägyptischen Vorschlag zu einem Waffenstillstand im Nachbarland seine Unterstützung zusichernd. Warum? Offensichtlich herrschen im Weißen Haus Bedenken in Bezug auf jüngste Berichte, laut denen Ägypten seine eigene Armee in Richtung Libyens in Gang setzen könnte, um den Türken dort Einhalt zu gebieten.

Hinzu gesellt sich die Tatsache, dass es sich im Fall der Herrschenden in der Regierung der Nationalen Einheit in Libyen um einen politischen Ableger der Muslimbruderschaft handelt, deren Umtriebe in Ägypten mit aller Gewalt durch das Regime al-Sisi unterdrückt werden. Viel Raum für Kompromisse besteht zwischen den miteinander verfeindeten muslimischen Kräften also nicht.

Trotz der jüngsten militärischen Erfolge kontrolliert die Regierung der Nationalen Einheit mit Unterstützung der Türken noch immer nur rund zwanzig Prozent des libyschen Staatsgebiets. Haftars Kräfte kontrollieren trotz Rückzugsgefechten noch immer mehr als 60 Prozent.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Sollte es den Türken gelingen, die Regierung der Nationalen Einheit in Sirte und Benghazi an die Macht zu bringen, würden die Karten in Libyen neu gemischt. Es müsste mit einer massiven Eskalation der dortigen Spannungen gerechnet werden, in die immer mehr Nachbarstaaten mit hineingezogen zu werden drohen.

Letztendlich würde ein höchst unübersichtliches Intermezzo nach Vorbild Syriens drohen, in dem sich immer mehr Konfliktparteien in feindlicher Gesinnung auf dem Schlachtfeld gegenüberstünden, ohne sich jemals offiziell den Krieg erklärt zu haben.

Aus Sicht der dem Maghreb gegenüberliegenden Gestade des Mittelmeers – und somit des europäischen Kontinents – ließe sich in einem solchen Fall mit einer noch deutlich zunehmenden Flüchtlingswelle in Richtung des klassischen Abendlandes rechnen. Doch wie sagte einst der französische General de Gaulle bereits? „Mit einfachen Gedanken reiste ich in den komplizierten Orient.“ Europas Politiker sollten sich diese geistige Erkenntnis stets in Erinnerung rufen, um in den Strudeln und Wirren des Maghrebs nicht vollends zu versinken…

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