Seit jeher zeichnet sich der Chip- und Halbleitersektor durch seine Volatilität und eine sehr zyklische Natur aus. Auf die letzten zwei Jahre rückblickend lässt sich sagen, dass sich die medialen Berichte über Knappheiten, Lieferengpässe und Lieferkettenprobleme im gesamten Sektor überschlugen.

Insbesondere die Elektronik- und Fahrzeugindustrie bekam diese Entwicklung schmerzhaft zu spüren, was auf dem Höhepunkt der Krise selbst zu temporären Produktionsstilllegungen und Werksschließungen einschließlich Arbeitnehmerfreistellungen führte.

Die Natur der Krise hat sich schlagartig verändert

Hiervon kann spätestens seit Herbst letzten Jahres keine Rede mehr sein. Ganz im Gegenteil lässt sich beobachten, dass sich seitdem ein exakt gegenläufiger Trend eingestellt hat. Nach wie vor befindet sich der globale Chip- und Halbleitersektor in einer Krise, die nun allerdings eine andere Natur als in den letzten beiden Jahren aufweist.

Es sind nicht nur die eingangs beschriebenen Probleme, die Unternehmen im globalen Chip- und Halbleiterbereich in den letzten beiden Jahren zu schaffen machten. Zusätzlich wiesen Branchenexperten und Marktkommentatoren darauf hin, dass die Sektorschwankungen in der Zukunft abnehmen würden, weil die globale Nachfrage nach Halbleitern und Speicherchips aufgrund des prognostizierten Wachstums im Cloud- und 5G-Bereich hoch bleiben wird.

Wie erklärt es sich, dass sich die weltweite Halbleiterknappheit plötzlich in eine Flut an den Angebotsmärkten verwandelt hat? Inzwischen laufen viele Lagerhäuser sprichwörtlich über, während Kunden rund um den Globus ihre Bestellungen kappen oder komplett stornieren.

Laut Analysten seien die großen Chip- und Halbleiterhersteller davon ausgegangen, dass ihre Lieferanten die Dinge unter Kontrolle haben würden. Doch der aktuelle Abschwung erweise sich als Beleg dafür, dass dies nicht der Fall (gewesen) sei.

Von einem Extrem ins andere

Vielmehr bekommt die globale Chip- und Halbleiterindustrie gerade den Beginn eines an Fahrt aufnehmenden Trends zu spüren, der sich im Vergleich zu den vergangenen beiden Jahren in die exakt gegenteilige Richtung entwickelt. Michael Burry, „Mr. Big Short“, hatte frühzeitig vor dem Einsetzen eines solchen „Bullwhip Effect“ gewarnt.

Allen voran in den Vereinigten Staaten haben private Konsumenten die großzügig bedachten Staatshilfen in den letzten Jahren dazu genutzt, um diese „vom Himmel regnenden Gelder“ für einen Kauf von Fahrzeugen, Elektronikgütern und langlebigen Haushaltsgütern zu nutzen.

Und hierbei handelt es sich um all jene Güter, in denen Halbleiter und Speicherchips verbaut sind. Jetzt, da die Zinsen weltweit steigen und die Inflation deutlich zugenommen hat, halten sich dieselben Privathaushalte beim Kauf von Gütern spürbar zurück. Gleichzeitig nimmt der Verschuldungsdruck signifikant zu.

Der drastische Nachfragerückgang hat just zu einem Zeitpunkt eingesetzt, zu dem Firmen im Chip- und Halbleiterbereich ihre Pläne zum zukünftigen Ausbau von Produktionskapazitäten zur Adressierung der bis vor Kurzem bestehenden Knappheiten forciert haben.

Ergebnisberichte verheißen nichts Gutes

Die aktuelle Situation spiegelt sich in den durch die Unternehmen für das abgelaufene Quartal präsentierten Ergebnisberichten. Beispielsweise Platzhirsche wie Samsung sollen inzwischen Verluste mit jedem zusätzlich produzierten Chip einfahren.

Im laufenden Jahr könnte sich der operative Verluste bei Samsung unter Bezugnahme auf aktuelle Prognosen auf bis zu fünf Milliarden US-Dollar belaufen, während bei Samsung selbst erst wieder im zweiten Halbjahr mit einem Anstieg der weltweiten Chipnachfrage gerechnet wird.

Weiterhin gehen Analysten davon aus, dass die Verkäufe unter Unternehmen im Chip- und Halbleiterausrüstungssektor um dreißig bis fünfzig Prozent sinken werden. Hierbei handele es sich um alles andere als „eine normale Situation“.

Pläne des Unternehmens Micron Technologies sehen mittlerweile schon wieder eine Kürzung der zuvor angedachten Investitionen in einen Bau von neuen Chipherstellungskapazitäten vor. Der Vorstandsvorsitzende von Micron Technologies, Sanjay Mehrotra, gab zudem weitläufige Entlassungen, Gehaltskürzungen und eine Streichung von Bonuszahlungen bekannt.

Zuletzt vermeldete der amerikanische Halbleiterriese Intel ein unter Analysten als äußerst miserabel bezeichnetes Quartalsergebnis. Noch schwerer wog, dass das Intel-Management seinen Ausblick für das laufende Jahr oben drauf auch noch gesenkt hat.

Intel ist vor allem im Segment der Herstellung von Personal-Computer-Chips federführend. Ausgerechnet hierbei handelt es sich um einen Sektor, in dem sich der Abschwung in diesem Jahr nochmals verschärfen dürfte. Da es sich um die Haupteinnahmequelle von Intel handelt, hegen Analysten grundsätzlich Zweifel an dem durch das Unternehmen jüngst verkündeten Turnaround-Plan.

Denn Intel habe die Dinge selbst nicht in der Hand, wie es vielerorts heißt. Um wieder auf das richtige Gleis zu kommen, müssten Computerhersteller zuerst einmal ihre teils extrem hohen Bestände abverkaufen, bevor sich eine Wiederzunahme von neuen Chipbestellungen bei Intel unter diesen Kunden abzeichnen wird.

Der globale Markt für 3D NAND-Chips ist im dritten Quartal 2022 um knapp 25 Prozent geschrumpft. Gleichzeitig hat sich der Wettbewerb unter den Herstellern in diesem Bereich stark intensiviert.

Die allseits erhoffte Nachfrageerholung könnte ausbleiben und länger auf sich warten lassen

Für Gewöhnlich folgt eine Nachfrageerholung im NAND-Segment historisch betrachtet gut drei Monate auf eine Verbesserung der Lage im DRAM-Segment. Analysten warnen jedoch davor, dass es zu einem Konsolidierungsprozess in beiden Segmenten kommen wird, falls es im zweiten Halbjahr – wie zurzeit erwartet – nicht zu einer spürbaren Erholung kommen sollte.

Angemerkt sei, dass bereits im Oktober letzten Jahres Berichte kursierten, wonach sich die Lage an den globalen Chip- und Halbleitermärkten von einem Extrem ins andere entwickelt habe. Die bis vor Kurzem bestehende Chip- und Halbleiterknappheit habe sich plötzlich in eine Bestands- und Angebotsflut verwandelt.

Unter den hiervon mit am stärksten betroffenen Unternehmen befinden sich Advanced Micro Devices (AMD), Nvidia und Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC). Alle Unternehmen kämpfen nun mit denselben Problemen.

Hierzu gehören in erster Linie zurzeit unverkäufliche oder nur sehr langsam verkäufliche Lagerbestände sowie eine Zunahme der Stornierungen von zuvor unter Kunden abgegebenen Bestellungen.

Es erweckt nicht den Anschein, als ob sich die unter Experten und Kommentatoren in der Vergangenheit in Aussicht gestellten Prognosen nicht zu bewahrheiten scheinen. Denn von einer „zunehmend schwindenden Schwankungsanfälligkeit“ lässt sich unter Bezugnahme auf die aktuelle Situation im globalen Chip- und Halbleitersektor nichts beobachten.

Hatten es beispielsweise Chipdesigner noch zu Beginn des letzten Jahres schwer gehabt, ausreichende Produktionskapazitäten zu finden, so machen dieselben Unternehmen gerade die Erfahrung, dass sich Chips und Halbleiter zurzeit nur schwer an den Mann bringen lassen.

Auch globale Smartphone-Nachfrage leidet

Neben der globalen PC- sinkt auch die Smartphone-Nachfrage. Analysten gehen davon aus, dass die Smartphone-Auslieferungen im allseits gehypten 5G-Bereich im vergangenen Jahr um rund 150 Millionen Einheiten gesunken sind.

Dementsprechend sei auch die Nachfrage nach 5G-Chips um bis zu 120 Millionen Einheiten gefallen. Insbesondere TSMC sieht sich von dieser Entwicklung betroffen. Immerhin hatten vier der größten TSMC-Kunden im Spätherbst vergangenen Jahres mitgeteilt, ihre eigenen Bestellungen teils deutlich reduzieren zu wollen.

Hierunter befinden sich unter anderem AMD, Nvidia und auch Qualcomm. AMD hatte wegen einer sich spürbar verschlechterten Nachfrageentwicklung den eigenen Gewinnausblick schon im dritten Quartal 2022 gesenkt.

Nur kurz darauf hatten auch Micron Technologies, Intel und Nvidia ihre jeweiligen Ausblicke gesenkt. Dass Intel jetzt noch einmal oben draufsattelte, verheißt nichts Gutes, sondern lässt vielmehr darauf schließen, dass eine globale Nachfrageerholung länger auf sich warten lassen könnte als momentan angenommen.

Produzenten im globalen Chip- und Halbleitersektor blicken inzwischen auf Lagerbestände, die sich im Durchschnitt auf sechs Monate belaufen. Der Löwenanteil dieser Bestände wurde seit dem Jahr 2021 aufgebaut, zu einem Zeitpunkt also, zu dem an den globalen Chipmärkten eine enorme Knappheit herrschte und die Halbleiterpreise in die Höhe geschossen waren.

Angesichts einer sich weltweit verschärfenden Zinsentwicklung ist es nachvollziehbar, dass es die Nachfrage jetzt schwer hat mit inzwischen punktuell erweiterten Produktionskapazitäten mitzuhalten.

Wiederholt sei gesagt, dass eine wachsende Anzahl von Verbrauchern die steigenden Zinsen im eigenen Geldbeutel zu spüren bekommt, während staatliche Unterstützungsleistungen nicht mehr so üppig – oder zumindest für den Moment überhaupt nicht mehr – fließen.

An den Aktienmärkten wird auf ein Ende der Krise gewettet – oder einfach nur auf mehr billiges Geld der Zentralbanken

An den Aktienmärkten scheint diese Realität derzeit ignoriert und ausgeblendet zu werden. Ein Blick auf den Philadelphia Semiconductor Index (SOX) lässt vielmehr darauf schließen, dass Anleger und Spekulanten seit Oktober letzten Jahres auf einen Turnaround in diesem Sektor wetten, dessen Einsetzen laut der Ausführungen im heutigen Bericht keineswegs eine ausgemachte Sache ist.

 

Was die Ausbaupläne der Produktionskapazitäten im globalen Chip- und Halbleitersektor anbelangt, so hat zumindest schon einmal TSMC mitgeteilt, dass der „historische Crash“ im Speicherchipsektor nichts daran ändern wird, diese Pläne zur Erweiterung der langfristigen Chipherstellungskapazitäten aufzugeben.

Einerseits muss diese Bekanntgabe aus einer geopolitischen Perspektive betrachtet werden. Die westlichen Industrienationen unternehmen den Versuch, sich von der Chipfertigung in der Volksrepublik China unabhängiger zu machen.

Selbstverständlich müssen hierzu neue – und über einen Zeitraum der letzten zwanzig Jahre nach Übersee ausgelagerte – Produktionskapazitäten in vielen westlichen Nationen wieder aufgebaut werden, was sündhaft teuer ist.

Die Vereinigten Staaten führen zudem einen sich intensivierenden Technologiekrieg gegen die Volksrepublik China, um chinesische Produzenten wie Huawei von der Chipversorgung abzuschneiden.

Bislang scheinen die durch die US-Regierung beschlossenen Maßnahmen allerdings nicht die damit verbundenen Ziele erreicht zu haben. Denn diese Maßnahmen haben sich bis dato als weniger schwerwiegend aus Sicht der chinesischen Chipindustrie erwiesen als zuvor erhofft und angenommen.

Ein Ausbau der weltweiten Chip- und Halbleiterkapazitäten muss über die nächsten Jahre andererseits nicht zu Preissenkungen in diesem Sektor führen, weil die Produktionskosten in den westlichen Industrieländern deutlich höher sind als in China oder anderen asiatischen Nationen.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt Bezug auf einen Analysebericht auf der Seite von deloitte.com.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Ähnlich wie eine ganze Reihe von anderen Marktsegmenten befinden sich die Chip- und Halbleitermärkte in einer großen Umbruchphase. Wie nicht anders zu erwarten, sehen sich die hiervon betroffenen Märkte und Industrien gegenläufigen und sich zueinander konträr verhaltenden Entwicklungen ausgesetzt.

Es wird spannend bleiben, den weiteren Fortgang angesichts eines sich beschleunigenden Auseinanderdriftens zwischen West und Ost zu beobachten. Denn die aus diesem Prozess resultierenden Veränderungen lassen sich aktuell nicht (in Gänze) absehen.

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