Erstmals in der Geschichte der Rohölmärkte zeigen sich Ölproduzenten dazu gewillt, Händler für eine Abnahme von Rohöl zu bezahlen. Diese höchst ungewöhnliche Entwicklung leitet sich zumindest teilweise aus den Besonderheiten der zugrundeliegenden Futures-Kontrakte ab. An den Ölmärkten werden, koste es, was es wolle, händeringend Käufer und Abnehmer gesucht.

Für Gewöhnlich werden Futures-Kontrakte von Monat zu Monat rolliert, ohne dass es in diesem Zuge zu Besonderheiten kommen würde. Nicht so jedoch im Fall des Mai-Kontrakts. Denn niemand sah sich zu Wochenbeginn dazu bereit, Rohöl laut Kontrakt auch physisch abzunehmen. Resultat war am Montag ein fulminanter Crash des Mai-WTI-Kontrakts von in der Spitze mehr als 300 Prozent (von +18 auf in der Spitze -43 USD).

Denn im Angesicht der weltweiten Lockdowns, völlig darniederliegenden Transportsektoren (wie beispielsweise die Flugindustrie) und massiv einbrechenden Wirtschaften ertrinkt unsere Welt in Rohöl! Futures-Kontrakte an den Rohölmärkten spezifizieren einen Zeitpunkt und einen Ort hinsichtlich einer physischen Auslieferung.

Aus Sicht der amerikanischen Rohölsorte WTI handelt es sich örtlich um Cushing im US-Bundesstaat Oklahoma. Da es weltweit jedoch kaum noch nutzbare Öllagerkapazitäten gibt, sahen sich die meisten Händler zu Wochenbeginn allerdings außerstande, einer physischen Auslieferung zuzustimmen.

Schätzungen aus dem Monat März gingen davon aus, dass die weltweiten Öllagerkapazitäten zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem Anteil von 76 Prozent gefüllt gewesen sind. Es wirkt aus diesem Blickwinkel kaum verwunderlich, dass die Kosten für eine Anmietung von Rohöltankern unter Bezugnahme auf Rystad Energy zuletzt von 20.000 auf bis zu 350.000 US-Dollar in die Höhe schossen.

Gestern teilte der Broker Clarksons Platou Securities mit, dass die rund um den Globus auf Tankern gelagerten Ölvorräte sich in einem niemals zuvor gesehenen Tempo beschleunigten. Momentan würden danach bereits knapp 250 Millionen Fass Rohöl (!) auf Tankern gelagert. In der Vorwoche lagen die Schätzungen noch bei 160 Millionen Fass zu jeweils 159 Litern.

Rohöltanker liegen rund um den Globus vor Anker, ohne dass irgendwo an einem fernen Horizont irgendwelche Kaufinteressenten auftauchen würden. Supertanker verfügen für Gewöhnlich über eine Öllagerkapazität von bis zu 2 Millionen Fass. Da es an Land kaum noch irgendwelche nicht randvoll gefüllten Lagerkapazitäten zu geben scheint, füllen sich die Bäuche dieser Schiffe in einer niemals zuvor gesehenen Geschwindigkeit.

Die Beobachtungen, die sich zu Zeiten der globalen Finanzkrise zwischen den Jahren 2007 und 2009 machen ließen, erweisen sich hiergegen als Peanuts. Das Wall Street Journal nimmt Bezug auf saudische Quellen, unter denen es laut Schätzungen heißt, dass zurzeit bereits mehr als achtzig von insgesamt 750 weltweit verfügbaren Supertankern anstelle eines Vehikels zum Transport von Rohöl als Lagerstätten für Rohöl genutzt würden.

Vor der Küste Kaliforniens vor Anker liegende Öltanker, deren Kapazitäten anderswo keinen Platz mehr finden, sind ausreichend beladen mit Rohöl, um 20% der Weltnachfrage zu bedienen.  https://t.co/941dohkrOf

— Bloomberg Asia (@BloombergAsia) April 21, 2020

Szenewechsel. Saudi-Arabien sieht sich jetzt mit einer Situation konfrontiert, in der das Land einen Teil seiner Produktionskapazitäten in Ghawar und anderen Ölfeldern wird stilllegen müssen, da es schlichtweg keine Käufer am Markt mehr gäbe, wie das WSJ einen Vorstand des Öl-Riesen Aramco zitiert.

In meinem Audiobericht <link wirtschaftsfacts beitrag audiobericht-geopolitik-der-irak-das-neue-schlachtfeld-im-mittleren-osten>Geopolitik: Der Irak, das neue Schlachtfeld im Mittleren Osten vom 17. März hatte ich ausgeführt, dass der seitens Saudi-Arabien und Russland geführte Ölkrieg Wladimir Putin dazu in die Lage versetzt hat, „den Typen in Washington nach Jahren der durch die USA gegen die Russische Föderation verhängten Sanktionen mal so richtig in die Eier zu treten“.

Putin hat seine Chance genutzt, denn in den Vereinigten Staaten steht inzwischen die gesamte Energieindustrie vor einem Kollaps. Und damit auch die dahinterstehenden, kreditgebenden Banken. Weiterhin berichteten wir am 16. April in <link wirtschaftsfacts beitrag oelmaerkte-strategische-partnerschaft-zwischen-den-usa-riad-auf-der-kippe>Ölmärkte: Strategische Partnerschaft zwischen den USA und Riad steht auf der Kippe wie folgt:

Am Wochenende hatten US-Senatoren aus den klassischen Ölförderstaaten Amerikas noch Telefongespräche mit saudischen Offiziellen abgehalten, um der politischen Führung in Riad zu versichern, ein Problem beenden zu wollen, dass diese „selbst mit erzeugt“ habe. Hierbei handelt es sich um den Ölpreiskrieg, der die Weltrohölmärkte mit ins Wanken gebracht hat.

An den Telefonkonferenzen hätten die beiden republikanischen US-Senatoren Kevin Cramer und Dan Sullivan teilgenommen. US-Senator Cramer wurde mit folgenden Worten zitiert:

„Wir begrüßen, dass die Saudis den ersten Schritt unternehmen, um ein Problem zu lösen, das sie selbst mit erzeugt haben. Saudi-Arabien hat über einen Monat lang einen Ölpreiskrieg gegen amerikanische Ölproduzenten geführt, während unsere Truppen dabei halfen, die saudischen Truppen zu schützen.“

Cramer und Sullivan brachten Ende März einen Gesetzentwurf in den US-Kongress ein, dessen Verabschiedung mit einem Rückzug aller amerikanischen Truppen und sonstigen militärischen Ausrüstungsgüter aus Saudi-Arabien einhergehen würde, falls der Ölpreiskrieg nicht schnellstens beendet würde. Zu diesem Zeitpunkt lag eine Produktionskürzung noch in weiter Ferne.

Und weiter führte Cramer aus:

Dies ist nicht die Art und Weise, wie Freunde ihre Freunde behandeln. Die Maßnahmen der Saudis sind unentschuldbar und werden unsererseits nicht vergessen werden. Saudi-Arabiens nächste Schritte werden darüber entscheiden, ob es zu einer Aufgabe der strategischen Partnerschaft zwischen den USA und Saudi-Arabien kommen wird.“

Die Strategie, die Saudi-Arabien in diesem Ölpreiskrieg bislang verfolgt hat, beginnt sich nun auch immer klarer abzuzeichnen. Doch hierauf werde ich in diesem Bericht zu einem späteren Zeitpunkt eingehen. Worauf ich jetzt eingehen möchte, sind Ausführungen, die gestern meine Aufmerksamkeit erregt haben.

In einem auf RT publizierten Berichtvon Scott Ritter, einem ehemaligen U.S. Marine Corps Geheimdienstbeamten, der zu Zeiten des Kalten Krieges in der Sowjetunion mit der Aufgabe einer permanenten Überprüfung des INF-Vertrages stationiert gewesen ist und der einst unter dem amerikanischen General Schwarzkopf in den Golfkrieg zog sowie zwischen 1991 und 1998 UN-Waffeninspekteur war, wurden aus meiner Sicht äußerst plausible und nachvollziehbare Spekulationen angestellt.

Danach hätten im Verlauf der letzten Woche rund ein Dutzend Schnellboote der Islamischen Revolutionsgarden des Irans eine Formation von amerikanischen Marineschiffen samt Küstenüberwachungsbooten, die in internationalen Gewässern im Norden des Persischen Golfs operierten, schikaniert.

Unter Bezugnahme auf die U.S. Navy habe es sich um elf iranische Patrouillenboote gehandelt, die „gefährliche und schikanierende Annäherungen“ gegenüber einer US-Flottille in einer Stärke von sechs Schiffen durchgeführt hätten. Donald Trump twitterte in Reaktion auf diese Geschehnisse hierauf wie folgt:

Ich habe die Navy der Vereinigten Staaten von Amerika dazu angewiesen, alle iranischen Kanonenboote abzuschießen und zu zerstören, falls diese unsere Schiffe auf hoher See noch einmal belästigen sollten.

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) April 22, 2020

Nur Sekunden nach dem Absetzen dieses Tweets vollzogen die Rohölpreise im gestrigen Handel plötzlich eine Kehrtwende nach oben. WTI-Futures-Kontrakte kletterten bis auf 13,49 US-Dollar, nachdem diese Kontrakte zuvor auf historischen Tiefs gehandelt wurden. Nicht nur WTI-, sondern auch Brent-Kontrakte, die einen Anteil von rund 60 Prozent an der Weltnachfrage stellen, kletterten um 1,20 US-Dollar auf 20,53 US-Dollar pro Fass, nachdem Brent-Kontrakte zuvor im Tief bei 15,98 US-Dollar gehandelt wurden.

Ritter erklärt, dass das Ursache-Wirkungs-Prinzip im Hinblick auf die Androhung eines Krieges und einem Anstieg der Ölpreise aus einem negativen Betrachtungswinkel gesehen würde. Doch wir lebten nun einmal nicht in „normalen“ Zeiten.

Nach den Angriffen der jemenitischen Houthi-Rebellen auf saudi-arabische Ölanlagen habe der Iran eine wiederholte Botschaft in Richtung der USA, deren verbündeten Partnern in der Golf-Region und den Rest der Welt ausgesandt, dass der Iran die Straße von Hormus verminen würde, falls die USA ihren Druck auf das eigene Land maximal forcieren sollten.

Sollte es hierzu kommen, würde kein einziger Öltanker mehr durch die Straße von Hormus fahren, einem der weltweit am stärksten durch Öltransportschiffe befahrenen Seeweg. Darüber hinaus erging seitens des Irans die Warnung, kritische Ölförderanlagen und weitere Infrastruktur in den Nachbarländern zu zerstören.

Im Jahr 2019 gab Trump dem Drängen seines Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton nicht nach, der auf den Beginn eines US-Krieges gegen den Iran gepocht hatte. Vielmehr entließ Trump John Bolton aus seinem Amt, bevor es dann zu Beginn dieses Jahres zur Tötung von Soleimani gekommen war.

Laut Ritter hätten Trumps Instinkte den US-Präsidenten im letzten Jahr dazu gemahnt, den Iran für dessen verhalten nicht zu attackieren. Vielmehr habe Trump auf die Empfehlungen von gemäßigten Beratern im Weißen Haus gehört. Damals hätten zudem auch hochrangige Militär-Offizielle davor gewarnt, dass die USA sich nicht dazu in der Lage sehen den Iran von Handlungen abzuhalten, die verheerende Auswirkungen auf die Ölproduktion im Mittleren Osten nach sich ziehen könnten.

Es gab damals aus Sicht der Vereinigten Staaten im Fall des Ausbruchs eines solchen Krieges also nichts zu gewinnen. Heute sähe das völlig anders aus. Denn die Covid-19-Pandemie hat nun zu einem Stillstand der globalen Wirtschaft geführt. In diesem Zuge reduzierte sich die globale Ölnachfrage drastisch.

Die massiven Überkapazitäten an den globalen Ölmärkten haben zu Wochenbeginn einen Preiskollaps der amerikanischen Rohölsorte WTI verursacht. Zuvor hatte sich der seitens der Russischen Föderation und Saudi-Arabien geführte Ölpreiskrieg weiter verschärft, da eine jüngste Einigung auf eine Produktionskürzung von 9,7 Millionen Fass pro Tag einfach viel zu wenig gewesen ist, um zu verhindern, dass die globalen Öllager überlaufen werden.

Dieser Ölpreiskrieg verfolgt das Ziel, die amerikanische Fracking-Industrie in den Ruin zu stürzen, um nach einem Kollaps dieser Industrie deren globalen Marktanteile zu übernehmen. Laut Ritter seien Russen und Saudis zu erfolgreich in diesem Versuch gewesen. Selbst im Angesicht der drohenden Entwicklungen produzierten Schiefer- und Fracking-Firmen in den USA noch immer Öl bis zum Abwinken.

In diesem Zuge kletterten die globalen Überkapazitäten auf bis zu 27 Millionen Fass pro Tag. Das Resultat haben wir am Montag beobachten können, einem Tag, an dem der Mai-Kontrakt für WTI um mehr als 300 Prozent in die Tiefe gerauscht ist. Ein ähnliches Schicksal könnte auch dem Juni-Kontrakt bevorstehen, solange es nicht zu einem massiven Rückgang der weltweiten Überproduktion kommt.

Einzelne Produzenten in den USA haben bereits Insolvenz eingereicht, wodurch ein Prozess ausgelöst wird, der einen beträchtlichen Teil der amerikanischen Ölindustrie mit in den Abgrund zu ziehen droht. Und damit in einem nächsten Schritt auch die kreditgebenden Banken.

Ritter warnt, dass der einzige Ausweg aus diesem wirtschaftlichen Desaster in einem Stopp der globalen Ölproduktion besteht. Es gäbe da aber auch noch einen anderen Weg, mittels dessen sich sofort 20 Millionen Fass Öl pro Tag vom Markt nehmen ließen – und zwar durch einen US-Krieg gegen den Iran!

In dem Wissen, so Ritter weiter, dass der Iran die Straße von Hormus hierauf sofort schließen und unpassierbar machen würde, sähe sich die gesamte Ölproduktion am Persischen Golf lahmgelegt. Aus heutiger Sicht, aus der sich die US-Ölindustrie in einer existentiellen Krise befinde, die mit unvorstellbaren Verlusten einhergehe, mache der Beginn eines neuen Kriegs aus Sicht Washingtons im Mittleren Osten ganz plötzlich absolut Sinn.

Während die USA die Saudis in der Zwischenzeit mit Luftabwehrsystemen des Typs Patriot ausgerüstet haben, um kritische Ölinfrastrukturen in der Region zu schützen, besteht unter Experten und Beobachtern kein Zweifel daran, dass der Iran den Ölförderkapazitäten der Saudis und der arabischen Golfländer schwere Schäden zufügen würde.

Ein neuer Krieg im Mittleren Osten gegen den Iran würde allerdings Kapazitäten in Höhe von 21 Millionen Fass Rohöl pro Tag vom Markt nehmen, womit die Ölpreise durchatmen und wieder ansteigen könnten. Und eben jenes Ziel müssen die USA in der aktuellen Situation verfolgen. Ob es hierzu kommen wird, bleibt abzuwarten. Als wie teuer oder verlustreich sich ein Krieg der USA gegen den Iran erweisen würde, spielt aus aktueller US-Sicht keine Rolle mehr. Denn jetzt geht es um einen möglichen Totalzusammenbruch der US-Wirtschaft.

Gleichzeitig befindet sich US-Präsident Trump, der seine Wiederwahlchancen stets von der wirtschaftlich vorherrschenden Lage in den USA abhängig gemacht hat, in dem verzweifelten Dilemma, Wege finden zu müssen, um die am Boden liegende US-Wirtschaft wieder anzukurbeln. Aus diesem Blickwinkel, so Ritter, sei ein möglicher US-Krieg gegen den Iran zu einer Option avanciert.

Abschließend möchte ich die Mutmaßung anstellen, dass es Saudi-Arabien im Angesicht des Ölpreiskriegs nicht nur um eine Zerstörung der amerikanischen Schiefer- und Frackingindustrie gegangen sein könnte. Was, wenn die Saudis diese Strategie von Beginn an verfolgt haben könnten, um die Vereinigten Staaten, ob sie es wollten oder nicht, in einen großen Krieg gegen den verhassten Erzfeind Iran zu drängen?!!

„Was heißt das konkret für mich?!“

Mich den Ansichten des altehrwürdigen Grandseigneurs der Geopolitik, Peter Scholl-Latour, bedienend, wird ein Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Iran den Dritten Weltkrieg auslösen. Denn weder Russland noch die Volksrepublik China, die nun auf Basis von durch westliche Staatsregierungen geäußerten Vorwürfen einer Beförderung der globalen Pandemie beziehungsweise gar deren Verursachung, mehr und mehr am internationalen Pranger steht, werden hierbei unter aller Voraussicht nicht tatenlos zusehen. Mit einem Blick nach Syrien lässt sich vergegenwärtigen, welchen Stress, Flüchtlingsströme, Leid und Elend allein schon dieser Krieg im Nahen Osten verursacht hat. Und dann als nächstes der Iran?

Die gesamte schiitische Achse bis hinüber zum Libanon am Mittelmeer würde in einen solchen Konflikt mit hineingezogen. Doch letztendlich geht es den Regierenden, wie Scott Ritter für meinen Teil korrekt ausführt, nicht hierum. Es erfolgt eine reine Kosten-Nutzen-Abschätzung. Hoffen wir, dass eine solche Analyse aus Perspektive Washingtons nicht allzu positiv ausfallen wird. Und hoffen wir, dass Donald Trump anstelle eines möglichen Krieges gegen den Iran zuerst einmal den Versuch unternehmen wird, Rohölimporte aus dem Ausland – egal woher – mit massiven Zöllen zu belegen. Lassen wir hierbei bitte jedoch nicht außer Acht, welch einem massiv wachsenden Stress und sich abzeichnenden Konflikten sich die USA in der Heimat ausgesetzt sehen!!

Eine Ablenkung von diesen innenpolitischen Konflikten, die Sprengstoffcharakter haben, auf einen Feind im Äußeren mag da vielleicht auch die letzte aller versuchten und mit Hoffnung auf Erfolg verbundenen Lösungsmaßnahmen sein, um ein Wegfliegen des Deckels in der Heimat im Angesicht von mehr als 20 Millionen Arbeitslosen mit allen Mitteln zu verhindern.

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