Bei der Bewertung von Aktien stehen Analysten und Anlegern verschieden Werkzeuge zur Verfügung. Eine Herangehensweise ist der Vergleich der Kennzahlen, der sogenannten Multiplikatoren innerhalb einer Branche. So kann man Bewertungskennzahlen wie das KGV, KBV oder das Wachstums-KGV (zu Englisch Price/Earnings to Growth) unter Branchenkonkurrenten ins Verhältnis setzen. In einem vereinfachten Beispiel würde dies so aussehen: Zwei völlig gleichwertige Unternehmen aus derselben Branche werden mit einem KGV von 10 bzw. 12,5 bewertet. Die Aktie des Unternehmens mit dem KGV von 10 kostet aktuell 23 Euro. Die Differenz zwischen dem KGV von 10 und 12,5 beträgt genau 25 Prozent. Dadurch läge der faire Preis der Aktie dieses Unternehmens bei 28,75 Euro. Natürlich handelt es sich hierbei um ein stark vereinfachtes Beispiel. Oftmals gibt es auch gute Gründe für unterschiedliche Bewertungen. Jedoch dienen Berechnungen wie diese für eine erste Standortbestimmung in Bezug auf den ‚fairen Preis‘ einer Aktie.
Multiplikatoren versus Discounted Cashflow
Zurück aber zum Discounted-Cashflow-Modell, das eine weitere und vor allem bei Analysten beliebte Form der Unternehmensbewertung darstellt.
Dabei werden die zukünftigen Cashflows der kommenden Jahre addiert (meist wird ein Zehn-Jahres-Zeitraum verwendet) und abgezinst. Das Ergebnis ergibt den Wert bzw. den fairen Preis des Unternehmens bzw. der Aktie. Klingt kompliziert?
Anhand eines einfachen Beispiels bringen wir Klarheit in die Angelegenheit: Stellen Sie sich vor, dass Sie in der Stadt an einem Eisstand vorbei gehen. Sie sehen, dass die Geschäfte gut laufen und möchten deshalb – begeisterungsfähig und unternehmerisch veranlagt wie Sie sind - den Eisstand erwerben. Wie berechnen Sie aber den fairen Preis für das Geschäft? Mithilfe eines Discounted-Cashflow-Modells ließe sich diese Frage lösen.
Für die Berechnung benötigen wir dreierlei: Den Erlös aus dem Eisverkauf, das angenommene jährliche Wachstum der Erlöse sowie den Abzinsungsfaktor.
Der Erlös des letzten Jahres betrug 20.000 Euro. Das Wachstum veranschlagen Sie mit drei Prozent, der ungefähren jährlichen Wachstumsrate der Stadtbevölkerung. Laut diesen Zahlen wird in den kommenden zehn Jahren ein Gesamterlös von 256.000 Euro erzielt. Sie werden jetzt aber nicht sofort 256.000 Euro als Kaufpreis bieten. Es muss ja berücksichtigt werden, dass es schließlich zehn Jahre dauert, bis dieser Gesamterlös eingespielt ist. Also wird mangels unmittelbarer Verfügbarkeit von diesem gesamten Erlös ein Abzug gemacht. Genau dafür ist der Abzinsungsfaktor gedacht, der den Wert des Gesamterlöses von 256.000 auf den aktuellen Zeitpunkt abzinst, also reduziert.
Die Berechnungsparameter
Mit welchem Zinssatz diese Abzinsung getätigt wird, hängt im Wesentlichen von zwei Dingen ab.
Alserste Komponente verwendet man als Basis den aktuellen sogenannten risikofreien Zins. Denn anstatt einen Eisstand zu kaufen, könnte man das Geld beispielsweise ja auch ohne Risiko in eine zehnjährige Staatsanleihe eines soliden Schuldners investieren (aktuell in Europa = 0 Prozent).
Diezweite Komponente wird vom Risiko der Investition bestimmt. Da Eiscreme zwar als Dauerbrenner bei Jung und Alt gilt, Sie aber auf Nummer sicher gehen, beanspruchen Sie einen Risikoaufschlag von sieben Prozent. Dieser Prozentsatz wird von den zukünftigen Jahreserlösen abgezogen, wobei sich der Abzinsungsfaktor mit jedem Jahr weiter erhöht. Dies geschieht durch die steigende Potenzierung (7%², 7%³ usw.).
Damit haben wir nun alle nötigen Komponenten für die Berechnung des fairen Preises. 20.000 Euro Jahreserlös mit einer stetigen Wachstumsrate von drei Prozent und einem Abzinsungsfaktor von sieben Prozent. Die dazugehörige Rechnung würde so aussehen.
Somit wäre ein fairer Preis von 161.825 Euro gefunden, was nichts anderes heißt als dass die 256.000 Euro, die man in zehn Jahren erlöst hätte, zum heutigen Tag einen Wert von 161.825 Euro hätten.
Der WACC als Abzinsungsfaktor – zu theoretisch
Das gleiche Prozedere kann auch wie gesagt bei Aktien angewendet werden, wobei man als Erlös den freien Cashflow verwendet. Als Abzinsungsfaktor wird häufig der sogenannte WACC herangezogen, der ‚weighted average cost of capital‘, zu Deutsch die gewichteten Kapitalkosten. Da dieser Ansatz aber auf einem theoretischen Konstrukt basiert, das meiner Meinung nach der Praxis nicht standhält, nutze ich für die Ermittlung des Abzinsungsfaktors eine Kombination aus risikofreien Zins + einem fixen Risikoaufschlag von sieben bis zehn Prozent. Handelt es sich um ein qualitativ hochwertiges Unternehmen, das beispielsweise über eine Monopolstellung verfügt, verwende ich einen geringeren Abzinsungsfaktor und umgekehrt.
Die Nachteile des Modells
So gut der Ansatz auch sein mag, so darf man nicht die Risiken einer Bewertung per DCF verschweigen. Verschätzt man sich beispielsweise bei den zukünftigen Cashflows bzw. deren Wachstumsraten, kann dies zu enormen Unterschieden im Ergebnis führen. Zudem gibt es kein allgemein gültiges Rezept für die Ermittlung des Abzinsungsfaktors. Vor allem ist das Modell als einzelnes Bewertungsinstrument für Aktien nicht geeignet und auch nur für jene Titel, die über planbare Cashflows verfügen wie z.B. Aktien aus der Lebensmittel- oder der Pharmabranche gedacht. DCF-Modelle zu Wachstums- oder Rohstoffunternehmen machen aus diesem Grund nur wenig Sinn.
Die Vorteile
Abhilfe schaffen kann man sich, indem man bei der Berechnung verschiedene Wachstumsraten bzw. Diskontierungssätze veranschlagt. Allgemein gilt: Immer lieber etwas konservativer vorgehen. Ergibt sich trotz einer konservativen Anwendung des DCF-Modells immer noch ein deutlich höherer fairer Wert pro Aktie, spricht man von der sogenannten Sicherheitsmarge, die laut Warren Buffett mindestens 20 Prozent betragen sollte. Je höher diese Sicherheitsmarge, desto unproblematischer sind auch leichte Schätzfehler im Discounted-Cashflow-Modell. Um das Orakel aus Omaha zu zitieren: „Lieber habe ich ungefähr recht als präzise unrecht“.
Alles in allem kann das DCF-Modell als zusätzlicher Bewertungsansatz durchaus verwendet werden. Gerade die einfachen Bewertungskennzahlen wie KGV und KBV verschleiern in vielen Fällen den tatsächlichen Wert einer Aktie. Und schließlich erhält man anhand dieses Modells ein gutes Gefühl für den inneren Werts eines Unternehmens und dessen Ertragskraft.
Herzlichst
Ihr
Christof von Wenzl
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Hinweis:
Dirk Müller sowie die Finanzethos GmbH haben sich verpflichtet den Kodex des Deutschen Presserates für Finanz- und Wirtschaftsjournalisten einzuhalten. Der Verhaltenskodex untersagt die Ausnutzung von Insiderinformationen und regelt den Umgang mit möglichen Interessenkonflikten. Die Einhaltung des Verhaltenskodex wird jährlich überprüft. Dies gilt auch für die für Dirk Müller oder für Finanzethos GmbH tätigen freien Journalisten.
Risikohinweis
Dieser Artikel dient nur zu Informationszwecken, bietet keine Anlageberatung und empfiehlt nicht den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Hinweis auf zukünftige Ergebnisse.
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Kommentare
Ich habe noch etwas weiter recherchiert und einige Videos auf YouTube dazu gefunden. Eines davon bearbeitet das Thema anhand eines Beispiels Nestle-Aktie und man kann dazu auch ein Excel Berechnungs-sheet downloaden. Toll gemacht.
https://www.youtube.com/watch?v=ay2KMEx8jHg
Nestlé Aktienbewertung in 20 Minuten - Praxis Tutorial Discounted Cashflow
DISCOUNTED CASH FLOW einfach erklärt / WACC
https://www.youtube.com/watch?v=bt-8oUltvL8&feature=youtu.be
WACC einfach erklärt
https://www.youtube.com/watch?v=2q8Gke27b4c
Free Cash Flow einfach erklärt
https://www.youtube.com/watch?v=YKBzlpmPt-0
thanks for sharing
ich war leider im Urlaub, deswegen habe ich den Artikel erst heute gelesen. Ich hoffe, Sie werden meine Nachricht trotzdem bekommen.
Da ich beruflich auch manchmal mit abgezinsten Kaufpreisen zu tun habe, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie im richtigen Leben tatsächlich für einen Eisstand, der 20.000 p.a. Umsatzerlöse einnimmt, 161.000 Kaufpreis auf den Tisch legen würden? Ich habe nichts über die Gewinnerwartung des Eisstandes gelesen. Ich würde es verstehen, wenn der Eisstand 20.000 Gewinn im Jahr macht.
Interessant wäre auch die Frage, wie Sie den fixen Risikozuschlag zwischen 7-10% herleiten, wenn Ihnen wacc zu theoretisch ist? Und wäre der Risikozuschlag geringer, wenn das Zinsumfeld noch i.O. wäre und es einen risikolosen Zins gäbe?
Ich will mich kurz fassen, darum einstweilen freundliche Grüße von Ihrem interessierten Leser
Shinzon
Den Abzinsungsfaktor errechne ich anhand einer 30-jährigen Bundesanleihe + einem Risikoaufschlag. Für den Risikoaufschlag mache ich die Division aus 1 durch das sogenannte faire KGV eines Unternehmens. Handelt es sich um ein starkes Unternehmen mit qualitativ hochwertigen Produkten und einer Monopolstellung, liegt das faire KGV beispielsweise bei 20, der Risikoaufschlag somit bei 5% (1/20). Ein margenschwacher Autozulieferer in einem umkämpften Markt erhält beispielsweise ein faires KGV von 10, der Risikoaufschlag liegt so bei 10% (1/10). Diese Idee des fairen KGV's wird in Nicolas Schmidlin's 'Unternehmensbewertung & Kennzahlenanalyse' wunderbar erklärt. Das Buch ist sehr empfehlenswert. Zur anfänglichen Orientierung für die Bestimmung des fairen KGV's kann auch ein KGV-Durchschnitt der letzten Jahre verwendet werden.
Prinzipiell gilt für mich: Je höher der Zins für sichere Anlagen, desto höher wird auch der Abzinsungsfaktor von mir festgelegt. Ich hoffe, dass ich Ihnen hiermit helfen kann!
vielen Dank, dass Sie das Thema aufgegriffen haben.
Meines Wissens rechnet beispielsweise Buffett nach 2 Methoden:
1.- Ten-Cap-Preis: Hier geht der Eigentümergewinn ein (=Reingewinn+Abschreibungen+Änderungen bei Forderugen und Verbindlichkeiten+Ertragsteuer-Instandhaltungsinvestitionen)
Die Formel lautet:
Fairer Preis einer Aktie= Eigentümergewinn x 10 / Anzahl Aktien
2. Payback-Time Preis:
- Als Basis geht der Free Cashflow ein.
- Die zugrundegelegte Wachstumsrate besteht allerdings aus mehreren Komponenten. Ich habe in der Literatur nur die Art der Komponenten gefunden, aber nicht wie gewichtet er diese in die Formel eingehen lässt. Also versuche ich persönlich hier einen Mittelweg zu finden und habe folgenden Ansatz für die Wachstumsrate:
Wachstum=Mittelwert aus über mind 10 Jahre gemittelten Werten für (Umsatzwachstum, Gewinnwachstum, Buchwertwachstum, Wachstum des operativen Cashflow)
- Bei der Anzahl der Jahre über die diskontiert werden soll, geht Buffett von 8 Jahren aus.
Ich habe noch einige Formeln bei Max Otte gefunden, die vereinfachte Varianten darstellen für die:
- "Equity-Methode" (basiert auf Durchschnitt für Nettogewinnmarge über 10 Jahre, Umsatz und ziemlich ähnlichem Ansatz wie oben von Herrn Wenzl beschrieben für die Kapitalkosten und die Wachstumsrate sowie dem Netto-Cash)
- "Entity-Methode" (basiert auf Durchschnitt für die EBIT-Marge, dem Umsatz, gleichem Ansatz für Kapitalkosten und Wachstumsrate, sowie dem Nettocash und den Nettoschulden)
- Dann verrät Otte noch in seinem Buch wie er sogenannte Buffett-Unternehmen bewertet: Auch hier geht ein 10-Jahres-Durchschnitt für die EBIT-Marge ein, der aktuelle Umsatz, der Netto-Cash sowie ein "Multiplikator", der Werte zwischen 15 bis 24 annehmen kann.
Das Buch heisst übrigens "Endlich mit Aktien Geld verdienen".
Vielleicht gibt es ja noch andere interessante Ansätze für die Berechnung des fairen Wertes. Schaut man sich Gurufocus beispielsweise an, dann haben die auch viele verschiedene Ansätze gegenübergestellt (inkl Graham Formel mit und ohne Berücksichtigung des Wachstums, Peter Lynch etc).
Es ist sicher keine exakte Wissenschaft, aber es beinhaltet irgendetwas geheimnisvolles, das wie mir scheint, jeder benutzt und ungern teilt oder wenn, dann eher unscharf beschreibt.
Ich würde mich freuen, wenn noch andere User hier ihre Erfahrungen mit diesem Thema teilen würden, damit wir alle dem "Geheimnisvollen" immer näher kommen.
Ich schaue bei all diesen von Herrn Wenzl genannten Seiten nach, um die Inputs für die Rechengrössen zu bekommen und stelle immer wieder fest, dass sie
- unterschiedliche Schwerpunkte haben
- manchmal inkorrekte Zahlen aufführen
- zu viel Werbung haben
- immer ein Account einfordern
- und natürlich (verständlicherweise) für mehr Daten Geld fordern.
Daher frage ich mich, ob es irgendwo eine gute Quelle für die Rohdaten gibt.
Wenn schon Fehler, dann sollen es wenigstens die eigenen sein :-)