Der ehemalige US-Präsident George W. Bush entblödete sich gestern nicht in einem Statement zur Afghanistan-Krise in Richtung der US-Armee zu äußern "You kept America safe from further terror attacks!“ (Ihr habt Amerika vor weiteren Terroranschlägen geschützt). 

Bush, einer der neokonservativen Hardliner, der nach eigener Aussage dem Fingerzeig Gottes folgte, der seinerzeit den Dienst in Vietnam ablehnte, weil er "besseres zu tun hatte", wäre gut beraten gewesen, sich in Schweigen zu hüllen, oder sich in die Abgeschiedenheit seiner texanischen Farm nach Crawford zurückzuziehen als zynische Statements abzusondern.

Die Äußerungen von Bush sind leider nur eine der vielen Bankrotterklärungen zahlreicher Staats- und Regierungschefs der westlichen Welt, die über Jahrzehnte hinweg alle Warnungen von Experten und Kennern der Region ignorierten oder deren Mahnungen in den Wind schlugen.

In einer perfekten Welt wären die Verantwortlichen für dieses Desaster vor einen internationalen Gerichtshof gestellt worden, ein Privileg das aber nur Potentaten von Dritt-Welt-Nationen oder Staaten, die Kriege verloren haben, zusteht. Wir leben nun mal in keiner perfekten Welt.

Die Stunde der Heuchelei

Während US-Präsident Biden, der mit dem Rücken zur Wand steht, unermüdlich die von ihm angeordnete Flucht aus Afghanistan mit wachsweichen Thesen zu begründen versucht und bemüht ist, die Schuld auf die Afghanen zu schieben - was selbst in der bundesdeutschen Presse, die sich in der Regel größtenteils in transatlantische Treueschwüre verliert - nicht mehr schöngeredet wird, ist auch die Bundesregierung, die sich ansonsten einer angeblich werteorientierten Außenpolitik verpflichtet fühlt, nicht mehr in der Lage die Dinge ins Gegenteil umzudichten.

Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, fordert "unverzüglich" Ortskräfte und gefährdete Frauen in Sicherheit zu bringen. Im Bundestag hatte seine Partei erst im Juni gegen ein Rettungsprogramm gestimmt - "aus Prinzip", wie jetzt ein Abgeordneter einräumt.

Außenminister Heiko Maas, der noch Mitte Juni im Bundestag äußerte

"All diese Fragen haben ja die Grundlage, dass in wenigen Wochen die Taliban in Afghanistan das Zepter in der Hand haben – das ist nicht die Grundlage meiner Annahmen.",

sieht jetzt ein kollektives Versagen:

Regierung, Geheimdienste, Verbündete: Alle hätten Afghanistan falsch eingeschätzt, sagt Heiko Maas. Nun müssten so viele Ortskräfte wie möglich ausgeflogen werden.“ 

Merkel vor den Scherben ihrer außenpolitischen Doktrin

Bundeskanzlerin Merkel, die weder etwas von Geschichte noch von Geopolitik versteht, dafür umso mehr vom Machterhalt, steht am Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit auch vor dem Scherbenhaufen ihrer außenpolitischen Doktrin, ja erlebt jetzt die Folgen ihrer visionslosen, lediglich auf die Vorgaben aus Washington orientierten Politik.

"Am Montagabend reduzierte Merkel den bleibenden Erfolg des teuersten, langwierigsten und verlustreichsten Bundeswehreinsatzes darauf, dass Al-Kaida in seiner damaligen Form nicht mehr in Afghanistan operiert. Dass aber unter der erneuten Taliban-Herrschaft nicht noch einmal vom Hindukusch eine Gefahr für Deutschlands Sicherheit ausgeht, das mochte die scheidende Kanzlerin nicht versprechen. Damit ist das faktische Scheitern weitgehend eingestanden, ohne das Wort Scheitern in den Mund zu nehmen. Eine Niederlage zu erklären, verbietet sich aus Regierungssicht schon aus Respekt gegenüber den in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. Dieser Respekt aber darf kein Feigenblatt dafür sein, dass die Bundeskanzlerin und ihre Regierung beim Thema Afghanistan sich selbst, den Bundestag und die Öffentlichkeit viele Jahre lang getäuscht haben.

Keine Alternative in Sicht

Leider bleiben diese Analysen oberflächlich. Daher findet bisher weder bei der Regierung, noch bei den Oppositionsparteien FDP und den Grünen, die auf den gleichen ausgetrampelten außenpolitischen Pfaden zu wandeln gedenken, oder der AfD, welche die NATO-Mitgliedschaft Deutschlands - bei allem sonstigen Geschwafel von Souveränität - für zwingend erforderlich hält, eine Reflektion über die Folgen der immer noch anhaltenden Orientierung unter den NATO-Vorgaben, das heißt dem Oberbefehl Washingtons, statt.

Immerhin gibt es noch Politiker wie Alexander Neu, auch wenn dessen Positionen, die eine klare und schonungslose Analyse liefern, innerhalb seiner Partei die Linke zunehmend auf Unbehagen stoßen.

„Was bedeutet das konkret für mich!?"

Kaum ein deutscher Politiker hatte seit 2001 den Mut auf die verfehlte Politik infolge des „War on Terror“ hinzuweisen, die zum Einmarsch in Afghanistan führte. Bis heute konnte kein einziger Afghane mit dem Attentat von 9/11 in Verbindung gebracht werden, dafür umso mehr saudische Staatsbürger, was weder in Washington, noch London oder gar Berlin zu einem Umdenken führte, um zumindest die Beziehungen und die Aufrüstung dieses reaktionären Königreiches zu hinterfragen.

Ganz im Gegenteil, die Aufrüstung Saudi-Arabiens, flankiert von fetten Dividenden der Rüstungsschmieden, geht unermüdlich weiter, während Riad den Wahhabismus genauso in alle Welt exportierte, wie sein Öl. Saudi-Arabien war auch von Anfang an für die Finanzierung und die Entstehung der Taliban mit verantwortlich, so schließt sich dieser Teufelskreis. 

"Amerikas CIA unterstützte eine Initiative des pakistanischen Geheimdienstes, nach der radikale Muslime aus der ganzen Welt rekrutiert werden sollten, um auf Seiten der afghanischen Mudschahidin gegen die Okkupationstruppen aus der Sowjetunion zu kämpfen (…) Aus mit westlicher Hilfe errichteten Ausbildungslagern radikaler Muslime rekrutierte ein sendungsbewusster Saudi-Araber eine internationale Terrortruppe. Sein Name: Osama Bin Laden.“

wusste der Spiegel vor 20 Jahren noch zu berichten.

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