Obwohl Griechenland am 25. März den 196. Jahrestag des Beginns der erfolgreichen Befreiungskriege gegen die damalige Besetzung durch das Osmanische Reich feiert, verfügt der Staat bis heute nicht über ein allumfassendes Katasteramt. Darüber hinaus wurden auf lokaler Ebene zwar Waldflächen bestimmt, bislang jedoch niemals erfasst. Das Fehlen staatlicher Ordnung war lange Jahre eine bedeutende Ertragsquelle für bestimmte Wirtschaftszweige, aber auch ein für Politiker leicht einsetzbares Werkzeug zur Wählerbindung.

Wenn Stadtpläne nicht erweitert werden, und Neubauflächen nicht ausgewiesen werden, dann ergibt sich in neuen Ballungsgebieten der Effekt, dass der künstlich knappe Baugrund überproportional an Wert gewinnt. Geschickte Bürgermeister können durch Umwidmung der bestehenden Bebauungszonen zudem steuern, wessen Grundstück plötzlich seinen Wert vervielfacht. In Kombination mit dem Antiparoxi genannten System, welches vor allem der frühere Premierminister Konstantinos Karamanlis favorisierte, entwickelte sich die Kennern Griechenlands bekannte Verwilderung des urbanen Griechenlands.

Das System lief folgendermaßen ab. Ein Bauunternehmer zieht auf dem Grundstück eines Immobilienbesitzers ein mit einfachen Ziegelmauern ergänztes Betongerüst hoch. Als Antiparoxi, als Ausgleichsgabe erhält der Grundstücksbesitzer je nach Lage des Gebäudes einen prozentualen Anteil am geschaffenen Wohnraum, der Bauunternehmer behält einen Teil für sich und verkauft den Rest an nach Wohnraum suchenden Bürgern. Finanziert wurde das Ganze als zu Zeiten der weichen Drachme einem Sparbuch entsprechende Investition durch Baukredite. Letztere stellten bis zur Einführung des Euros den Großteil der Kredite dar, zumal die programmierte Steigerung der Immobilienpreise für alle Seiten ein Win-Win Geschäft darstellte. Die Immobilienblase platzte in der Krise. Eine mehrfache Besteuerung der einzig real erfassbaren Sachwerte griechischer Steuerzahler – ihres Wohnraums – führte zum Kollaps der Immobilienwirtschaft und zur Massenarbeitslosigkeit der an ihr hängenden Berufsfelder.

Benötigte Waldflächen wurden einfach abgefackelt

Am Rand der Städte, in ländlichen Räumen und in touristischen Gebieten resultierte die verquere Welt der griechischen Immobilienwirtschaft in ein anarchisches Verhalten der Beteiligten. Mangels legal bebaubaren oder nutzbaren Grunds, wurden die benötigten Flächen „geschaffen“. In der Praxis bedeutete dies Brandrodung. Der Staat regierte auf das gezielte Abfackeln von Waldflächen eher halbherzig, ließ er doch auch eine Hintertür für besonders abgebrühte „Investoren“. Waldgebiete gelten vom legalen Status her in der Regel als staatlicher, somit öffentlicher Besitz. Es gibt ein Gesetz, welches legale „Ersitzung“ möglich macht. Dessen Prinzip ist einfach, wer eine Immobilie zwei Jahrzehnte nutzt, ohne dass der legale Besitzer dagegen Einspruch erhebt, wird mit dem Eigentum der besetzten Immobilie gesegnet.

Es liegt auf der Hand, dass diese Praxis in den vergangenen Jahrzehnten voraussetze, dass der Staat, oder dessen Vertreter einen Besetzer öffentlichen Grunds nicht aktiv verfolgt. Es ist mehr als offensichtlich, dass eine Verquickung von Politik und Wirtschaft einige Zeitgenossen bevorzugte und andere bereits beim Versuch empfindlich bestrafte. Darüber hinaus galt bis zum dritten Viertel des vergangenen Jahrhunderts ein Gesetz, welches den Abriss eines mit einem Dach versehenen Gebäudes verbot, wenn dieses als einzige Wohnung des dort lebenden Griechen diente. Mit diesem Chaos der Katapatisi (illegales Vordringen in öffentlichen Raum) begünstigenden Rechtslage, entstanden Vororte, Tourismussiedlungen aber auch Ackerflächen.

Die nachträglich von den jeweiligen Regierungen gegen Zahlung einer Sonderabgabe legalisierten Immobilien wurden für die Katapatites zur Handelsware. Wieder ergab sich eine Win-Win-Situation. Der chronisch klamme Staat erfreute sich der Gelder der unorthodoxen Privatisierung öffentlichen Grunds, die protegierten Besetzer kamen recht einfach an Kapitalquellen und die das böse Spiel mitmachenden Politiker gewannen eine treue, weil von ihnen abhängige Wählerschaft.

Gesetzesänderung im Schnellverfahren

Dieses unübersichtliche, ungerechte System soll mit der nun von der SYRIZA-ANEL Koalitionsregierung endlich umgesetzten Reform beendet werden. Fußend auf den letzten kohärenten Daten von 1945 wurden für das gesamte Land Waldpläne erstellt. Knapp 45 Prozent des gesamten Vorhabens sind abgeschlossen und die entsprechenden Pläne wurden – von der Öffentlichkeit bisher kaum beachtet – nun bekannt.

Die Bürger und Betroffene haben eine kurze, per Eilgesetz um 105 Tage verlängerte Zeit, gegen die öffentlich ausgehangenen Waldpläne Einspruch zu erheben. Bereits jetzt ist bekannt, dass bei der nun gut zur Hälfte des Landes erfassten Gebiete mehr als 1,5 Millionen Stremmata seit 1945 vom Wald zu etwas anderem wurden. Ein Stremma, Mehrzahl Stremmata, die in Griechenland bis heute übliche Maßeinheit für Flächen, entspricht 1.000 Quadratmetern.

Die Kartographie der vorhandenen Wälder ergab zudem, dass 1.193.368 eigentlich als Äcker geltende Flächen nunmehr zu Wäldern wurden. Insgesamt sind somit knapp drei Millionen Stremmata rein juristisch nun Waldgebiet. Die Folgen sind beträchtlich. Rein juristisch überwiegt das „Waldrecht“ jeglicher anderer Nutzung, womit die Waldflächen automatisch zum öffentlichen Eigentum werden. Dies betrifft Hotels, Äcker und Siedlungen. Viele der Betroffenen wussten gar nicht, dass die von ihnen erworbene Immobilie ein Waldgebiet war. Sie konnten auf den oft wüstenartigen, baumlosen Arealen schließlich kein einen Wald definierendes Gewächs entdecken. Es gab auch Fehlinterpretationen in den nun öffentlich zugänglichen Plänen. So stuften die Mitarbeiter der Erfassungsbehörde in Pilio 800 Stremmata eines von einem Obstbauern zum Apfelanbau genutzten Ackergebiets als Waldfläche ein. Auf Inseln wurden Weideflächen zu Waldflächen erklärt.

Für die illegalen Ansiedlungen hat die Regierung bereits eine Ausnahmeregelung geschaffen, so dass die Häuslebauer, deren Sonderabgaben dem Fiskus zufließen, nicht betroffen sind. Nun gelangen die Bauern und Hoteliers ins Visier. Auch ihnen steht offenbar eine mit jährlichen Sonderabgaben begleitete Ausnahmeregelung bevor. Für die Bauern ist die Situation besonders kritisch, weil sie mehr als nur ihren Besitz verlieren können. Denn, wenn eine Fläche rechtsgültig und unwiderruflich zum Wald erklärt wird, dann wird automatisch ihre bisherige Nutzung als Acker zur illegalen Handlung erklärt. Somit sind die erhaltenen Beihilfen aus dem EU Fonds der Gemeinsamen Agrarpolitik für diese Felder unberechtigt kassiert worden, und müssten demnach zurückerstattet werden. In dieser Hinsicht ist die entsprechende, derzeit in Griechenland geltende Rechtslage ausnahmsweise ziemlich eindeutig.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"