Herr Rashid, 15 Jahre nachdem Beginn des "Krieges gegen den Terror", wie man es damals im Westen formulierte, sind weder Krieg noch Terror beseitigt wurden, weder in Ihrem Teil der Welt, noch im Westen.

Afghanistan stand damals im Mittelpunkt des militärischen Engagements, des Westen, flankiert von der Operation "Enduring Freedom". Wie lautet diesbezüglich Ihre Bilanz?

Ahmed Rashid: Kürzlich wurde ich von einem amerikanischen Magazin danach befragt, weshalb die Taliban nicht versessen darauf sind, an die Verhandlungstische zurückzukehren. Ich antwortete, dass dieses darauf zurückzuführen sei, dass die Taliban in den vergangenen Monaten so viele militärische Erfolge zu verzeichnen hatten, so dass diese selbstbewußt die militärische Linie fortführen, anstelle von Verhandlungen. Diese Ausführung beantwortet auch Ihre Frage, nach meiner Bilanz, bezüglich des "Krieg gegen den Terrors". Wenn die Taliban also in der Lage sind, militärische Erfolge zu erzielen, in dem Afghanistan des Jahres 2016, dann ist dieser Krieg gescheitert, dessen ursprüngliches Ziel es ja 2001 war, die Taliban zu vernichten.

Stellen die heutigen Taliban in Afghanistan denn einen monolithischen Block da, wie 2001, oder gibt es verschiedene Subgruppen?

Ahmed Rashid: Auch 2001 waren die Taliban kein monolithischer Block, weder in Afghanistan noch in Pakistan, auch wenn es in den internationalen Medien so dargestellt wurde. Die Unterschiede zwischen afghanischen und pakistanischen Taliban wurden nicht reflektiert. Die heutigen Taliban in Afghanistan sind  zerstrittener denn je. Das ist ja auch der Grund, weshalb Mullah Mansoor nicht noch mehr Konfliktpotential innerhalb der Taliban entstehen lassen wollte, durch die Teilnahme an Verhandlungen. Nach seinem Tod, ist durch die Machtübernahme von Haibatullah Achundsada, der ja ein Hardliner ist, der interne Machttkampf verstärkt wurden.

Es gibt innerhalb der Taliban eine Friedens-Lobby, aber auch eine Kriegslobby. Darüberhinaus kommt es zu Streitereien innerhalb der Führung und zu Angriffen von Seiten des Islamischen Staates, der ihnen den Rank streitig machen möchte und Taliban-Kämpfer rekrutiert. Außerdem gibt es Streit mit Pakistan, obwohl die afghanischen Taliban abhängig von Pakistan sind, weil man in Islamabad die Taliban an den Verhandlungstisch drängen möchte.

Sie erwähnten die Unterschiede zwischen den Taliban in Afghanistan und Pakistan. Könnten Sie darauf bitte noch etwas genauer eingehen?

Ahmed Rashid: Sicherlich, denn die pakistanischen Taliban unterscheiden sich beträchtlich von denen in Afghanistan. Die Taliban in Pakistan haben eine ganz andere politische Strategie als die in Afghanistan.

Inwiefern?

Ahmed Rashid: Die pakistanischen Taliban haben das Ziel, ein islamistisches Regime im Lande zu installieren. Sie verfügen über viele Brückenköpfe und Stützpunkte in zahlreichen Regionen Pakistans. Schon seit langer Zeit, setzen sich die pakistanischen Talibans nicht mehr nur aus Paschtunen zusammen. Inzwischen haben sie sich zu einer nationalen Bewegung entwickelt, in der man alle Volksgruppen findet - ganz im Gegensatz zu Afghanistan, wo mehr als 90% der Taliban der Volksgruppe der Paschtunen angehören.

Welche Auswirkungen haben die Ereignisse in Afghanistan, auf die politische Stabiliät Pakistans?

Ahmed Rashid: Pakistan und Afghanistan sind schicksalhaft miteinander verbunden, basierend auf dem demographischen Gewicht Pakistans, dessen Einfluss auch auf die afghanischen Paschtunen - im Süden des Landes - vor allem aber auf der geographischen Nachbarschaft und der langen gemeinsamen Grenze.Dadurch gelang es den afghanischen Taliban sich ja teilweise auf pakistanisches Terrirorium zurückzuziehen, in die unzulänglichen Bergregionen Waziristans, ein Gebiet, welche kaum von den pakistanischen Behörden kontrolliert werden kann.Natürlich genießen die afghanischen Taliban dort auch den Schutz ihrer pakistanischen Allierten, basierend auf dem Paschtunwali, dem Sittenkodex der Paschtunen.

Was sind angesichts der von Ihnen geschilderten Rahmenbedingungen die Konsequenzen, die Pakistan ziehen kann und ziehen muss?

Ahmed Rashid: Ich denke, Pakistan kat keine andere Wahl, als sich um eine Beendigung des Krieges zu bemühen, mit allen zur Verfügung stehenden Mittel.Die Regierung in Kabul ist sehr schwach, deshalb muss Islamabad intervenieren, zunächst diplomatisch, um eine Rückkehr zu den Verhandlungstischen zu fördern.

Aber, das wird doch von Islamabad doch schon seit 2001 versucht, mit Hilfe der USA, wenn Sir mir diese Zwischenfrage gestatten?

Ahmed Rashid: Und, da liegt doch der Fehler. Unter den Pakistanis wächst der Unmut gegenüber den USA. Wieviele Zivilisten kamen schon durch Drohnen ums Leben? Gleichwohl ist das Misstrauen der USA gegenüber der Führung in Pakistan weit verbreitet. Nein, es ist höchste Zeit für einen Neuanfang.

Was war denn der größte Fehler, in der amerikanischen Afpak-Strategie, wie ein ehemaliger CIA-Agent es auszudrücken pflegte?

Ahmed Rashid: Die USA haben sich viel zu sehr auf das Militär verlassen und auf eine militärische Lösung der Probleme. Ein Großteil der Gelder aus den USA wurden in die Rüstung gesteckt, kaum etwas für den Aufbau von zivilgesellschaftlichen Strukturen, beziehungsweise dem Abbau der Missstände Pakistans, wie etwa die Korruption.

Während all dieser Jahre fand ein Prozess statt, den ich die Talibanisierung der pakistanischen Gesellschaft nenne.

Selbst in Lahore, meiner Heimatstadt, bestimmen junge Absolventen der Koranschulen die Gesetze auf den Straßen, zwingen Frauen den von ihnne propagierten KLeidungsstil auf, attackieren Vertreter eines anderen Lebensstils. Natürlich gibt es noch eine starke urbane Mittelschicht, die aber zunehmend ins Fadenkreuz gerät. Bisher bin ich nicht der Überzeugung, dass diese Militanten den Großstädten ihr Gedankengut aufzwingen können, leider gibt es aber zu wenig Widerstand, was mir Sorgen bereitet.

Pakistan ist eine Atommacht und hat mehr Einwohner als Russland. Halten Sie denn diesbezüglich die These für richtig, welche im Westen zu hören ist, wonach es sich bei Pakistan um den gefährlichsten Staat der Welt handelt?

Ahmed Rashid: So weit ist es glücklicherweise noch nicht, aber, das Potential, der gefährlichste Staat der Welt zu sein, besitzt Pakistan auf jeden Fall.

Gibt es eine Möglichkeit, die drohenden Risiken, die aus diesen Konflikten erwachsen, zumindest einzuschränken?

Ahmed Rashid: Sicherlich, aber nur unter Einbindung der nichtwestlichen Regional- und Supermächte in der Region, in diesem Fall Iran und die Volksrepublik China. Beide Staaten spielen eine bisher positive Rolle und haben ein großes Interesse an Stabilität in der Region.

Iran hat sowohl Grenzen zu Afghanistan und Pakistan, Teheran spielt hierbei die gleiche Rolle für die Tadschiken in Afghanistan, wie Pakistan für die Paschtunen. Teheran war schon immer ein Feind der Taliban, schon aus religiösen Gründen.

China hat das ökonomische Potential, massiv in die Infrastruktur Afghanistans zu investieren.

Wenn Peking, Teheran, und Washington zusammenarbeiten würden, an der Stabilität der Region, besteht eine Chance auf Frieden.

Vielen Dank Herr Rashid

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