Die Rede des russischen Präsidenten fand vor Hunderten Vertretern der politischen Elite des Landes aus Wirtschaft, Kultur und Religion statt. Das Staatsoberhaupt des größten Flächenstaates der Erde, sprach von andauernden und grundlosen unfreundlichen Handlungen gegen Russland, die bis in den Sport reichten.

Ferner ließ Putin verlautbaren, dass Moskau zwar gute Beziehungen zu anderen Ländern anstrebe und dialogbereit sei, warnte aber gleichzeitig davor, dass kein Staat Russlands „rote Linien“ überschreiten solle. Russland werde immer einen Weg finden, um seine Interessen zu verteidigen.

Die Worte Putins fielen zu einem Zeitpunkt, da die Beziehungen Moskaus zu den USA, der Europäischen Union und der NATO auf einem Tiefpunkt angelangt sind. Die Aktivitäten und die Inhaftierung des Nationalisten Nawalny, die Verschärfung des Konfliktes um die Ost-Ukraine, sowie die neuen Sanktionen der USA gegen Russland, flankiert von den verbalen Entgleisungen des Chefs im Weißen Haus, Joe Biden, heizen die angespannte Lage weiter an.

Am Wochenende warf Tschechien Russland vor, für einen Anschlag auf ein Munitionslager in dem NATO-Land vor rund sieben Jahren verantwortlich zu sein. Beide Länder wiesen daraufhin gegenseitig zahlreiche Diplomaten aus.

Putins Kritik an den moralischen Maßstäben des Westens

Putin äußerte sich auch dazu, dass kürzlich in Weißrussland ein Attentat auf den Präsidenten Alexander Lukaschenko vereitelt worden sei - ein Ereignis, welches in westlichen Medien überhaupt nicht erwähnt wurde. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB und der KGB in Weißrussland hatten am Wochenende die mutmaßlichen Umsturzpläne öffentlich gemacht und mitgeteilt, dass zwei Verdächtige festgenommen worden seien, darunter ein Mann mit US-Staatsbürgerschaft.

Obschon die Beziehungen zwischen Putin und Lukaschenko in der Vergangenheit diversen Höhen und Tiefen ausgesetzt waren, verurteilte der russische Präsident den vereitelten Mordanschlag auf seinen Amtskollegen in aller Schärfe.

Es könne unterschiedliche Ansichten zur Politik Lukaschenkos geben. „Aber die Praxis der Organisation von staatlichen Umstürzen, die Pläne für politische Morde, darunter auch an höchsten Funktionären – das geht zu weit. Da sind schon alle Grenzen überschritten“, sagte Putin. Er erinnerte daran, dass in der Ukraine 2014 auch der damalige Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt und beinahe „getötet“ worden sei. Janukowitsch rettete sich nach Russland.

Ferner warf Putin dem Westen vor, immer wieder Revolutionen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion auszubrüten und anzuzetteln – um Regime-Changes zu vollziehen. Putin bezog sich hierbei auf die gescheiterten Rosen-, Tulpen- und Orangenen-Revolutionen der Vergangenheit, in Staaten wie Georgien, Kirgisistan und der Ukraine, die die betroffenen Staaten weder westlicher, noch demokratischer zurückließen, sondern instabil.

Nawalny-Vertraute vor Protesten festgenommen

Unterdessen gingen russische Behörden scharf gegen geplante Protesten gegen die Inhaftierung des Oppositionellen Nawalny vor, wenn auch bei Weitem nicht so heftig, wie die französische Polizei bei den Gelbwesten-Demonstrationen vor einigen Jahren, die ja bekanntlich bis zu elf Todesopfer forderten.

Schon gestern waren Nawalny-Mitarbeiter in mehreren Städten festgenommen worden. Das sogenannte Nawalny Team hat für Mittwoch in mehr als 160 russischen Städten spontan Proteste angekündigt, weil sich der Gesundheitszustand des 44-Jährigen im Straflager stark verschlechtert haben soll.

Zu Szenen wie in Washington D.C., wo Ende vergangenen Jahres fünf Menschen bei der Erstürmung des Capitols zu Tode kamen, wird es in Moskau aber nicht kommen, denn in mehreren russischen Städten - darunter auch in der Hauptstadt - riegelten Behörden vor den geplanten Protesten die Stadtzentren ab.

Rückblick in den Sommer 2014

Im Sommer 2014 reiste ich mit der Bahn von Peking nach Moskau. Am Ende dieser 9000 Kilometer langen Reise, an einem sommerlichen heißen Tag, bummelte ich über den Roten Platz in Moskau. Vor dem Lenin-Mausoleum sprach mich eine alte Dame an, fragte, woher ich komme.

Die Dame trug ein blaues Kostüm und eine Sonnenbrille, ihre Haare waren schneeweiß. "Aus Deutschland, also!" Die Dame erzählte mir, dass ihr erster Mann und drei ihrer Brüder im Krieg gefallen sind. Außerdem wurde ihr Vater während der Stalinzeit deportiert, er kehrte nie zurück. "Raten Sie bitte, wie alt ich bin?", forderte sie mich auf. Ich errötete. "Vielleicht 75?" Die Dame lächelte und schüttelte den Kopf.

"Nein, ich bin 91 Jahre und eines kann ich Ihnen sagen. Ich habe als Russin in dieser Lebenspanne viel erlebt. Putin ist ein Prachtkerl, er ist ein Glück für Russland und ein Glück für die Welt, eines Tages werden Sie verstehen, wie ich das meine!"

„Was heißt das konkret für mich!?“

Diese Worte sollen bitte keinen Allgemeingültigkeitsanspruch suggerieren. Präsident Putin ist natürlich aufgrund seiner Dauerherrschaft und seines autoritären Regierungsstils bei einer wachsenden urbanen Mittelschicht, welche die bürgerlichen Freiheiten, von denen ihre Eltern und Großeltern nur zu träumen wagten, als auch den gewachsenen Wohlstand als normal ansehen, zunehmend unbeliebt.

Im Westen sollte man sich aber die Frage stellen, wen man denn anstelle von Putin im Kreml gerne hätte. Ein politischer Abenteurer wie Nawalny, dessen rassistischen Aussagen der jüngsten Vergangenheit den multiethnischen und multireligiösen Charakter Russlands gefährden, ist dafür gänzlich ungeeignet.

Mit Putin, der bisher fünf US-Präsidenten kommen und gehen sah, muss der Westen auch weiterhin rechnen - das hat das russische Staatsoberhaupt mit seiner heutigen Rede signalisiert.

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