Varoufakis, der PR-Profi

Die Auftritte des früheren Finanzministers, Wirtschaftsprofessors und Buchautors sind in Griechenland meist gut besucht. Parallel zur Wahlkampfkampagne vor Ort, sorgen zahlreiche Medienberichte über das turbulente erste Halbjahr 2015, als Varoufakis gegen das Establishment der Eurogruppe rebellierte, für Publicity.

Varoufakis und sein Organisationsteam erweisen sich als PR-Profis. Anders als die übrigen ehemaligen Mitstreiter, die sich mit Varoufakis im August 2015 vom Premierminister Alexis Tsipras und dessen von Links in Richtung neoliberale Mitte gerückter SYRIZA-Partei lossagten, hat Varoufakis seine Trümpfe im politischen Dialog nicht bereits in den vergangenen vier Jahren verspielt.

Seine konzertierte Kampagne setzt pünktlich zum Wahlkampf für die Europawahlen an. Hier erweist sich der bekannte Anhänger der Spieltheorie als ausgebuffter Profi. Vor den erhofften Erfolg haben die Götter aber auch kleine Fehler in den Weg gestreut.

Griechisches Terminchaos

Zumindest bei Varoufakis´ Veranstaltung in Chalkida, auf der Insel Euböa, gab es einige organisatorische Missverständnisse. Per Pressemeldung wurde der Event für 18:30 Uhr angekündigt, über den regionalen Fernsehsender Star Kentrikis Elladas gab es am selben Tag aus dem Mund der amtierenden Europaparlamentarierin Sofia Sakorafa den gleichen Termin. In Chalkida selbst wurde per Mundpropaganda ein Beginn um 19:30 Uhr verbreitet.

Die vor Ort bereits im Veranstaltungssaal anwesenden Vertreter von DiEM25 meinten, dass die Veranstaltung gegen 19 Uhr beginnen würde. Das ganze erwies sich vor allem deshalb als problematisch, weil in Chalkida um 19:30 Uhr gleichzeitig der Spitzenkandidat der Nea Dimokratia für die Regionalwahlen in Zentralgriechenland, Fanis Spanos, auftrat. Zahlreiche Medienvertreter, darunter auch das anwesende Fernsehteam, waren von ihren Redaktionen für beide Veranstaltungen gebucht.

Zudem begannen die Journalisten untereinander zu munkeln, dass es wohl kaum Publikum im Saal geben würde. Denn offenbar hatten sich zu diesem Zeitpunkt nur wenige Chalkidäer für die Veranstaltung eingefunden. Die Lösung kam von eilig herbeigeeilten Varoufakis.

Zunächst fand er die Zeit, sich persönlich kurz mit jedem der Medienvertreter zu unterhalten. Dann gab es für das Fernsehen ein Exklusivinterview, während sich anwesende Europawahlkandidaten um die Pressevertreter kümmerten.

Der weitere Ablauf der Veranstaltung lief vollkommen nach Plan. Varoufakis Wahlkampftour ist keine konventionelle Politikkampagne, aber auch keine reine Personality-Show, vielmehr handelt es sich um einen gut vorbereiteten interaktiven, politischen Diskussionsabend.

DiEM25 : Progressive Agenda, European New Deal und paneuropäisches Wahlprogramm

Direkt beim Eingang des jeweiligen Veranstaltungssaals erwartet die Besucher eine Überraschung. Varoufakis kokettiert mit den von EU-Offiziellen und griechischen Politikern gegen ihn erhobenen Vorwürfen, dass seine kurze Amtszeit einen Schaden von knapp 80, 60 oder 100 Milliarden Euro verursacht habe. Die einzelnen Angaben der Anti-Varoufakis-Politiker variieren nämlich.

Ergo ließ DiEM25, die in Griechenland als MePA25 auftritt, Merchandising-Artikel drucken. Ein bekennender Varoufakis-Fan kann einen Kaffeebecher erwerben, auf dem ihm Varoufakis´ markantes Gesicht als Comicfigur verkündet, wie hoch der Schaden beim nächsten Minutenton ist. Alternativ gibt es für konservativere Fans den Kaffeebecher mit dem Parteilogo.

   

Bildrechte: Wassilis Aswestopoulos

Warum Varoufakis als Kandidat in Deutschland und nicht in der Heimat antritt, diese Frage wird elegant beantwortet. In Griechenland gibt es einen deutschen Kandidaten, den Sprachlehrer Jochen Schult, der im fehlerfreien Griechisch die Zuhörer davon überzeugt, dass solche Kandidaturen zum Grundgedanken eines vereinigten Europas gehören. Gleichzeitig ist es aber auch eine erneute Demonstration von Varoufakis´ Credo, dass er und seine Mitstreiter fest an das Ziel eines vereinigten Europas glauben.

Der Politiker gibt sich weiter hemdsärmelig

Während dieser Warm-Up-Phase der Veranstaltung füllt sich der Saal dann doch immer mehr. Anfangszeiten von Veranstaltungen in Griechenland sind immer relativ. Die Hellenen, in der Regel Menschen mit Hang zum späten Erscheinen, setzen darauf, dass sich auch die anderen Zuhörer verspäten.

Die übrigen Parteien in Griechenland überbrücken diese Zeit mit Videos und Musikeinlagen. Tsipras lässt zum Beispiel gern die Partisanenhymne Bella Ciao abspielen, die PASOK setzte früher auf Carmina Burana, bei der Nea Dimokratia rechnet jeder Besucher mit leichterer griechischer Instrumentalmusik. Vorredner versuchen als Einpeitscher für das notwendige Klima zu sorgen, bis der jeweilige Spitzenkandidat mit lauter, möglichst imposanter Musik durch eine Beifall klatschende Menge in den Saal marschiert.

Varoufakis zelebriert die Warm-Up Phase anders. Er ist bereits im Saal und betätigt sich zwischendurch als Moderator bei der Vorstellung seiner Kandidaten. Varoufakis bleibt seinem Kleidungsstil treu. Auf einen Anzugträger Varoufakis kann niemand hoffen, Jeans und ein einfaches graues langärmliges Shirt müssen reichen.

   

Bildrechte: Wassilis Aswestopoulos 

    

EU-Parlamentarierin mit turbulenter Parteikarriere

Der zweite Star des Abends ist die Europaparlamentarierin Sofia Sakorafa. Als Speerwerferin gewann sie für Griechenland 1982 Bronze bei den Europameisterschaften, Gold bei den Mittelmeermeisterschaften 1979 und noch einmal Bronze 1987. 1982 holte sie sich mit 74,20 m den Weltrekord. An Olympischen Spielen nahm die Absolventin der Sporthochschule 1976 und 1980 teil.

Eine spätere Teilnahme, diesmal unter der Flagge Palästinas, für die Olympischen Spiele in Athen 2004 scheiterte am Widerstand der IAAF. Als Palästinenserin nahm Sakorafa, damals 47 Jahre alt, im Juni 2004 an einem Wettkampf in Chania auf Kreta teil. Die Staatsbürgerschaft Palästinas nahm Sakorafa an, um ihre Solidarität für Palästina zu demonstrieren.

In die Politik ging die überaus populäre Sportlerin bereits 1994, damals als Stadträtin des Athener Vororts Maroussi. Von 2000 bis 2010 war sie PASOK-Politikerin. Sie gewann 2000, 2007 und 2009 einen Parlamentssitz. Sakorafa trat im Mai 2010 aus Protest gegen den Gang zum IWF aus der PASOK aus. 2012 wurde sie für SYRIZA erneut in die Vouli der Hellenen gewählt. Dabei diente sie Tsipras als Schattenministerin für Inneres.

Schließlich gewann sie für SYRIZA 2014 einen Sitz im Europaparlament, trat aber 2015 aus Protest gegen den Schwenk zum Sparkurs aus. Zunächst assoziierte sie sich mit der Popular Unity des ebenfalls aus SYRIZA ausgetretenen Panagiotis Lafazanis. Heute ist sie Parteigängerin von Varoufakis DiEM25, und somit amtierende Europaparlamentarierin für DiEM25.

   

Bildrechte: Wassilis Aswestopoulos 

Eine derart turbulente politische Karriere, mit zahlreichen Parteiwechseln, wirft Fragen auf. Sakorafa geht die Antworten offensiv an. Sie stellt sich nicht als Politikerin vors Publikum, sondern auch als Bürgerin. Und sie ruft ihre Mitbürger auf, zur Wahl zu gehen, um die Partei zu wählen, der sie die Lösung ihrer vorrangigen Probleme am besten zutrauen. Welche Partei das sei, meint Sakorafa, solle jeder für sich selbst entscheiden. Sie selbst sei der Meinung, dass Politiker das Wählervotum erfüllen müssten, erklärte Sakorafa. Dabei betonte sie, dass sie niemals für Austerität gestimmt habe.

Schließlich stellt Sakorafa die Eckpunkte des politischen Programms von DiEM25 vor. Für Einzelheiten verweist sie auf Varoufakis.

Varoufakis rechnet unterhaltsam mit Tsipras ab

Die Vorlage nimmt Varoufakis auf. Er nutzt das bereits vorgestellte Programm dafür, direkt in einen anderen Diskussionsmodus zu gehen. Statt frontal vors Publikum zu treten, geht Varoufakis durch die Reihen. Er provoziert auch sofort Zwischenrufe, auf die er mit interessanten Anekdoten und originellen Kommentaren eingeht. Varoufakis sucht bewusst die Diskussion auf Augenhöhe und gibt seinen Dialogpartnern dabei das Gefühl, gehört zu werden. Anders als viele der Populisten Griechenlands verzichtet er auf populistische Parolen. Vielmehr zeigt er sich bemüht, die von Bürgern wiederholten populistischen Argumente zu analysieren.

Warum sollen wir nicht einfach zur Drachme zurück, wie Lafazanis es vorschlägt, kommt es aus dem Publikum. Varoufakis erklärt, dass er selbst in den Neunzigern viele Studien gegen die Einführung des Euro, vor allem in Griechenland, unterzeichnet habe. Nun, da Griechenland bereits im Währungsraum sei, sei ein Austritt jedoch eine schwierige Angelegenheit, erläutert er. Dabei bezieht er sich auch auf seine Taktik, die Gegenseite, die Kreditgeber und die EU mit einem Grexit zu konfrontieren.

Diese Drohung sei real gewesen, erklärt Varoufakis, wenngleich er aktiv nie einen ungeordneten Grexit anstreben würde. Statt blühender Landschaften würde dieser dem Land eine Periode der harten Rezession bescheren, bevor es - nach Varoufakis´ Schätzung - nach knapp 18 Monaten, wieder aufwärts ginge. Varoufakis erklärt, dass die Option des Grexit beim Scheitern einer Konfrontation einkalkuliert werden müsse und zwar nicht erstrebenswert, aber auch nicht unüberwindbar wäre.

Warum sollen wir noch einmal auf Konfrontationskurs mit den Kreditgebern gehen, wenn wir doch 2015 eine krachende Niederlage erlitten haben, möchte ein Zuhörer wissen. „Weil wir 2015 nie wirklich auf Konfrontation waren, Tsipras und Dragasakis haben dies hinter meinem Rücken von Anfang an unterminiert“, lautet die Antwort, zu der Varoufakis plausible Erklärungen mitliefert.

Die Sparkursmemoranden zu zerreißen, das hat doch auch Tsipras 2015 versprochen, lautet ein anderer Einwurf. „Ich habe so etwas nie gesagt“, kontert Varoufakis und greift ein in Griechenland sehr aktuelles Beispiel auf, die faulen Immobilienkredite.

Die Analyse von Varoufakis zum Thema, das in Griechenland viele betrifft, erweist sich als gut strukturierte Abrechnung mit Tsipras. Die vier systemischen Banken in Griechenland sitzen auf knapp 86 Milliarden Euro fauler Kredite. Die Kreditgeber drängen auf eine Lösung des Problems.

Laut Varoufakis fördert Tsipras lediglich amerikanische Fonds, statt die eigene Bürger

Tsipras und sein Finanzminister Euklid Tsakalotos lassen die Kredite an internationale Fonds verkaufen. Gleichzeitig wurde der Schutz der - von der nunmehr zehnjährigen Wirtschaftskrise, samt der Einbuße von mehr als einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts - gebeutelten Bürger immer weiter aufgeweicht.

Dieser als „Katselis-Gesetz“ bereits 2011 eingeführte Schutz vor Versteigerung der einzigen Wohnung, sollte den Bürgern in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit, wegbrechender Einkommen und steigender Steuern samt neu hinzukommender Abgaben ein Überleben mit dem Hypothekenkredit ermöglichen. In vielen Fällen übersteigen die Kreditraten das monatliche Einkommen, die Immobilienpreise sind gleichzeitig aufgrund der Krise eingebrochen. Griechenlands einst politisch geförderte Immobilienblase ist geplatzt.

Das Konzept von Tsipras würde die griechischen Banken keineswegs entlasten, sondern vielmehr belasten, referiert Varoufakis. Nutznießer des Verkaufs von Paketen mit Hypothekenkrediten sind seiner Meinung nach nur die Fonds.

Wenn ein Fonds aus Delaware für 100.000 Euro Hypothekenkredite nur knapp 8000 Euro bezahlt, dann ist das eine Superinvestition für die, denn selbst wenn sie aus dem Kredit nur 9000 Euro herausschlagen, dann haben sie bereits mehr als zehn Prozent Reingewinn“,

sagt Varoufakis.

Dann spricht er eine Frau aus dem Publikum an. „Sagen wir mal, ein 200.000 Euro Kredit für eine Wohnung, die Sie 2007 für 250.000 Euro gekauft haben, sei Ihrer“, beginnt Varoufakis seine Analyse. Die Immobilie sei über die Piräus Bank mit einem Kredit über den kompletten Kaufpreis finanziert worden. Sofort wenden sich alle Blicke aus dem Publikum auf die Dame. Varoufakis, der Entertainer, hat mit dieser populärwissenschaftlichen Analysemethode bereits gewonnen. Das Publikum identifiziert sich mit dem Problem.

Es erfährt, dass die Beispieldame ihren Job verloren haben soll, wie es viele Griechen erleben mussten. Sie kann nun nicht mehr zahlen. Ihre Immobilie sei aber nur noch 80.000 Euro wert. Bei einer Versteigerung des Objekts sei dann der Fonds bereits mit 40.000 Euro, ergo 22.000 Euro mehr als die investierten 16.000 Euro, gut bedient, erklärt Varoufakis.

Die Folgen aber seien, dass nun auch das Nachbarhaus an Wert verlieren würde. Varoufakis deutet auf die Sitznachbarin der Dame.

Sie haben in unserem Beispiel einen Kredit bei der National Bank of Greece für ihre damals 300.000 Euro teure Wohnung erhalten, in den Büchern der Bank ist die Hypothek mit ihrem realen Wert von 100.000 Euro bereits als Risiko verzeichnet.

Ein weiter sinkender Buchwert, meint Varoufakis, würde die Finanzdecke der National Bank belasten. Im großen Rahmen, auf nationaler Ebene, seien dann sämtliche systemische griechische Banken Verlierer der nun anbrechenden Versteigerungswelle. Am Ende stehe die Notwendigkeit einer weiteren Rekapitalisierung mit Steuermitteln. Mit diesem einfachen Modell erklärt Varoufakis seinem Publikum, warum die jetzt vereinbarte Lösung Banken und Steuerzahler belasten würde.

Zudem beinhaltet das Lösungsmodell der Regierung auch die Zahlung von Steuergeldern für Schuldner, deren Immobilienkredit für ein Objekt unter 200.000 Euro Wert bis auf weniger als 130.000 Euro abgezahlt ist und die noch über Einkommen verfügen, aber die Kreditrate nicht tragen können. Diese Menschen, ein kleiner Teil der Bürger mit faulen Krediten, sollen dann einen Zuschuss zur monatlichen Rate aus der Staatskasse erhalten.

Schäuble hält als Ideengeber für Staatsgarantien her…

Varoufakis hingegen schlägt vor, dass sämtliche faule Kredite für die Dauer der Krise vom Staat garantiert werden sollten, damit der Buchwert der Immobilien in den Büchern unangetastet bleibt. Die Garantien sollten nach Varoufakis mit Schuldpapieren der gleichen Form, wie die Banken sich Geld von der EZB leihen, erteilt werden.

Die Kommunen sollten dann aus ihren Statistiken die Durchschnittsmieten und Durchschnittswerte der Immobilien ermitteln, und diese an eine mit wenig Personal ausgestattete staatliche Behörde übertragen. Diese Behörde hätte gemäß Varoufakis die Aufgabe, von den Schuldnern eine, unter Umständen dem Einkommen angemessene, Miete einzutreiben.

Über die elektronische Kontrolle der Steuererklärung sei es dann möglich, den Schuldner wieder in voller Höhe zu belangen, sobald dieser – oder dessen Erben – wieder genügend Einkommen vorweisen könnten. Diese Methode würde den Banken mehr Einnahmen bescheren, den Staat kein Steuergeld kosten, die Kreditgeber nicht belasten, aber tausende Bürger vor der Obdachlosigkeit bewahren. All dies, schließt Varoufakis, sei für den Wiederaufbau des Landes essentiell. So lange es keine diesbezügliche Handlungssicherheit gäbe, prophezeit er, gehe die Krise weiter.

Es ist ein Lösungsansatz der durchaus populistisch klingt, was Varoufakis selbst zugibt. Allerdings verweist er als Ideengeber der Lösung auf den früheren deutschen Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, der fern jeglichen Vorwurfs sozialistischen Populismus zu bewerben, sei. Tsipras habe, klagt Varoufakis, weder die Vorteile der Kreditgeber, der Banken, der Bürger, noch Europas im Sinn. Er würde nur die Fonds aus Delaware fördern.

Die Wahlkampfshow von Varoufakis erinnert in vielen Details an die Methodik seiner Bücher. Er gewinnt damit seine Zuhörer. Ob sie ihm dann auch an der Wahlurne ihr Votum geben, muss sich zeigen.

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