Anfang März fand eine Abstimmung zu einer Resolution zum russischen Einmarsch in der Ukraine statt. 141 der insgesamt 193 Mitgliedsstaaten verurteilten darin das Vorgehen Putins. Das ist aber auch relativ zu betrachten: Beispielsweise haben sich mit China und Indien zwei einflussreiche Atommächte enthalten – die beiden Länder repräsentieren in etwa 37 Prozent der Weltbevölkerung. 

Shanghai 5 – und 30

Im Jahr 1996 gründeten China, Russland, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgisistan die Organisation „Shanghai Five“. Sie unterzeichneten den Vertrag über die Vertiefung des militärischen Vertrauens in Grenzregionen.“ Das war der Vorläufer der „Shanghai Cooperation Organization“ (SCO), die 2001 entstand. Die Basis für die Zusammenarbeit der SCO geht mittlerweile über das Militärische hinaus. Sie verfolgt auch politische, wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische, kulturelle oder ökologische Ziele.

Mittlerweile besteht die SCO aus acht Vollmitgliedern. 2017 kamen Indien und Pakistan dazu. Die Länder der in Peking ansässigen Organisation decken territorial über 60 Prozent des eurasischen Kontinents, über 40 Prozent der Weltbevölkerung und über 30 Prozent des Weltbruttosozialprodukts ab. 

Die fortschreitende Intensivierung des Zusammenwirkens der Mitgliedsstaaten untereinander stärkt zudem die Entwicklung der „Neuen Seidenstraße“. In Hinblick auf die Kooperation mit Russland ist besonders die „Polare Seidenstraße“ von Bedeutung. Die Seeroute führt entlang der Nordküste Russlands und verläuft nahe des Arktischen Ozeans. Die „Maritime Seidenstraße“, die vom Südchinesischen Meer über den Indischen Ozean durch den Suez-Kanal ins Mittelmeer führt, könnte umgangen werden. Bei einer Schiffladung auf dem Weg von Shanghai nach Rotterdam, deren Transport aktuell um die 30 Tage dauert, kommen die Container über die nördliche Route schon in ca. zehn Tagen im holländischen Hafen an.

Alle oben genannten Länder und das achte Vollmitglied Usbekistan, sowie Länder mit Beobachterstatus – u.a. die Mongolei – gehören zu den 35 Staaten, die sich bei der Abstimmung bei den Vereinten Nationen enthalten haben.

CIPS statt SWIFT

Russland, Indien und China gehören zusammen mit Brasilien und Südafrika zu den sog. BRICS-Staaten, die seit 2009 jährliche Gipfel abhalten. Südafrika hat sich bei der UN-Abstimmung enthalten, Brasilien hat für die Resolution gestimmt. Jedoch hat der Präsident des südamerikanischen Landes die Sanktionen als „willkürlich“ kritisiert und verweigert ihre Umsetzung.

Die BRICS-Staaten versuchen schon seit mehreren Jahren Alternativen zu westlich dominierten Finanzierungs-Strukturen und monetären Transaktions-Systemen zu schaffen. Dazu gehört unter anderem die „New Development Bank“ (NDP) mit einem Stammkapital in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar. Sie dient als Pendant zum IWF, dem Internationalen Währungsfonds.

Russland wurde im Zuge der Sanktionen fast vollständig vom globalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen. Die Alternative, auf die russische Unternehmen eventuell in starkem Maße ausweichen werden - westliche Staaten ausgenommen -, ist CIPS (Cross-Border Interbank Payment System). Die BRICS-Staaten sind in das chinesische System eingebunden und forcieren es. Hinzu kommen 100 Länder und Regionen im Rahmen der „Digitalen Seidenstraße“ Chinas. Dazu gehören auch 17 Länder aus Afrika, die ihre Stimme in Form einer Enthaltung - bzw. Eritrea mit einer Gegenstimme - abgegeben haben.

Nicht zuletzt ist das russische System SPFS (System for Transfer of Financial Messages), das bereits zum Teil in CIPS integriert wurde, an rund 400 Banken angeschlossen. SPFS nutzt nicht nur China, sondern auch Indien und die Staaten der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU). Die EAEU ist eine Zollunion, der Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Russland angehören.

Kollektive Sicherheit auch im Balkan?

Nach ihrer Gründung wurde die SCO ab und an als „NATO des Ostens“ beschrieben. Vor allem in den 2000er Jahren haben mehrere so genannte Anti-Terrorismus-Manöver stattgefunden, was damals die Frage nach einem militärischen Charakter hätte rechtfertigen können. Doch solch straffe militärischen Strukturen wie bei der NATO waren zu keiner Zeit vorhanden und sind auch nicht daraus entstanden.

Als eine Art „NATO des Ostens“ könnte eher die CSTO (Collective Security Treaty Organisation) betrachtet werden; ein Militärbündnis unter russischer Führung. Die Organisation wurde 2002 gegründet und ihre Ursprünge gehen auf Verträge mit ehemaligen Sowjetstaaten Anfang der 90er zurück. Neben Russland gehören Armenien, Belarus, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgistan dazu. Belarus hat - wie naturgemäß auch Russland selbst - gegen die UN-Resolution gestimmt, die anderen vier Länder haben sich alle enthalten.

Die Mitgliedsländer haben bis 2021 jährliche Truppenübungen abgehalten. Die CSTO-Truppen wurden im Januar 2002 erstmals in Kasachstan eingesetzt. Dort kam es zu Massenprotesten. Der Anlass war die massive Anhebung der Gaspreise. Der kasachische Präsident Tokajew bat das Bündnis, das deutsche Massenmedien gemeinhin als OVKS (Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit) bezeichnet haben, um Unterstützung. Bei den gewaltsamen Unruhen wurde von über 200 Toten und 4.000 Verletzten ausgegangen.

Der kleine Bruder auf dem Balkan

Serbien hat bei der CSTO einen Beobachterstatus inne. Der Balkanstaat hat für die UN-Resolution gegen Russland gestimmt, sich für die territoriale Integrität der Ukraine ausgesprochen, aber beteiligt sich nicht an den Sanktionen. Die EU übt deshalb Druck auf ihren Beitrittskandidaten aus.

In vielerlei Hinsicht befindet sich das Land in einem Spagat-Zustand zwischen Ost und West. Die letzten Jahre über wurde über einen Beitritt in die CSTO sowie auch in die NATO spekuliert. Noch im Oktober letzten Jahres fand nach 2019 die zweite Militärübung namens „Slavic Shield“ auf einem serbischen Luftwaffenstützpunkt mit Russland und Serbien statt. Fast zeitgleich ist Serbien dem IPAP-Programm der NATO beigetreten. Durch bilaterale Kooperationsvereinbarungen kann ein Nicht-Mitglied seine militärischen und politischen Beziehungen zum Bündnis auf ein höchstmögliches Niveau heben.

Während in fast allen europäischen Ländern Menschen für die Ukraine auf die Straßen gehen, finden in Belgrad pro-russische Proteste mit Tausenden Menschen statt. Plakate, auf denen etwa „Brüder für immer“ steht, zeigen ihre empfundene Verbundenheit mit Russland. Als Putin im Januar 2019 Serbien besuchte, titelte der Nachrichtensender der „WELT“„In Serbien ist Putin schon fast ein Heiliger“.

Wie sonst auch, fährt der serbische Präsident Vučić einen Schlingerkurs, bei dem er allen gegenüber immer auf diplomatische Art zustimmt, sich aber nicht festlegt. Das wird ebenso vor den Wahlen deutlich, die am 03. April anstehen. Gegenüber der EU in gleichem Maße wie gegenüber Nationalisten, die von einem groß-serbischen Reich und einer Allianz mit Russland träumen. Der Ton zwischen den Konfliktparteien im Balkan wird rauer und die Sorge vor einem neuen Krieg steigt.

Der Halbmond im Nahen Osten

Der so genannte „Schiitische Halbmond“ erstreckt sich hauptsächlich von Libanon über Syrien und den Irak bis nach Iran. Das Gros der Menschen, die der islamischen Glaubensrichtung des Schiismus angehören, lebt in diesen Gebieten. Ca. zehn Prozent der Muslime sind Schiiten und grob 90 Prozent werden der religiösen Richtung der Sunniten zugeordnet. Der syrische Präsident Baschar Al-Assad hat für seinen Verbündeten im Syrien-Krieg - und somit gegen die Resolution zur Verurteilung Russlands gestimmt. Irak und der Iran, der als Beitrittskandidat im SCO gehandelt wird, haben sich enthalten. Die Stimmen aus Teheran machen in scharfer Rhetorik die Intrigen der USA für den Ukraine-Krieg verantwortlich.

Libanon hat zwar offiziell für die Resolution gestimmt, aber die schiitische Partei und Miliz Hisbollah hat Amerika und Großbritannien mit ebenso deftigen Anschuldigungen verurteilt. Die „Partei Gottes“ kontrolliert weitgehend die Politik und das Militär des Landes.

Die militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und den schiitischen Ländern ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Schon zu Sowjetzeiten unterhielt die UdSSR einen Marinestützpunkt an der syrischen Mittelmeerküste. Ende Januar fand ein Flottenmanöver statt, an dem Russland, China und Iran teilnahmen. Die Kooperation könnte unter Umständen sogar noch sehr viel weitergehen. Es kamen Vorwürfe aus Kiew auf, dass Russland Kämpfer der Hisbollah sowie aus Syrien in der Ukraine einsetzen würde. Die Hisbollah streitet das ab.

„Was bedeutet das für mich konkret!?“

Die Schlagzeilen, dass 141 Staaten in der UN für die Resolution gestimmt haben, können einen falschen Eindruck vermitteln. Bei der Analyse, welche Überschneidungen zwischen Russlands Allianzen und den Enthaltungen bei der UN-Abstimmung vorherrschen, erscheinen die Zahlenverhältnisse in einem anderen Licht.

Beziehungen zwischen Staaten sind von verschiedenen Interessenlagen und ihren Abwägungen gekennzeichnet. Die Zusammenhänge sind vor allem in der heutigen globalisierten Welt sehr komplex und verflochten. Um die weltweiten geopolitischen Entwicklungen besser zu überblicken, kann die Hinzuziehung von Bündnisstrukturen sehr praktikabel sein. SCO, CSTO und der Schiitische Halbmond gehören zu den wichtigen „Schablonen“, die auf der Landkarte angelegt werden können, um die aktuellen Geschehnisse besser einordnen zu können.

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