Bereits im letzten Jahr hatten wir die bevorstehende Fertigstellung des Nord-Süd-Korridors (International North-South Transport Corridor / INSTC) aufmerksam verfolgt, um aus dieser Entwicklung potenzielle Veränderungen an den globalen Handelsmärkten abzuleiten.

Neben der Russischen Föderation scheinen auch der Iran und Indien großes Interesse daran zu hegen, die neu entstehende Transport- und Handelsroute auf dem Eurasischen Kontinent so schnell wie möglich in Betrieb zu nehmen.

Denn durch die Europäische Union verhängte oder zusätzlich zu verhängende Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation würden auf diese Weise zu einem noch stumpferen Schwert als ohnehin schon.

INSTC: Westeuropa wird das Nachsehen haben

Einmal in Betrieb genommen, wird sich die Russische Föderation nämlich dazu in der Lage sehen, ihren Handel mit den Nationen am Indischen Ozean gänzlich unter Umgehung und Ausschluss von Westeuropa zu betreiben.

Im Fall von INSTC handelt es sich um ein land- und seebasiertes Transportnetzwerk, welches über eine Länge von insgesamt 7.200 Kilometer verfügen wird. Die hieran partizipierenden Nationen werden untereinander mittels Eisenbahnverbindungen, Straßen und Seewegen verbunden sein.

Auf diese Weise wird sich unter den an dem Projekt teilnehmenden Nationen nicht nur die zukünftige Güterbeförderung vergünstigen, sondern auch die Transportzeit wird sich deutlich reduzieren.

Experten gehen deshalb davon aus, dass INSTC den zwischen der Russischen Föderation, dem Iran, Indien und Zentralasien abzuwickelnden Handel spürbar ankurbeln wird. Die Russische Föderation blickt darüber hinaus der Möglichkeit entgegen, ihre Exporte nach Süd(ost)asien zukünftig unter einer vollständigen Umgehung Westeuropas zu verschiffen.

Der Moskauer Kreml-Regierung wird an dieser Option wohl sehr gelegen sein, nachdem der kleine baltische Staat Estland im letzten Sommer eine Integration der Raketenabwehrsysteme zwischen Estland und Finnland in Aussicht gestellt hat.

So gab Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur in diesem Zusammenhang zu erkennen, dass eine gemeinsame Zusammenarbeit zwischen den beiden Nationen mit der Möglichkeit einhergehen würde, den Golf von Finnland (in der Ostsee) für eine Durchfahrt von russischen Kriegsschiffen, falls notwendig, zu sperren.

Ferner liebäugelt Estland wohl mit der Idee, in der Zukunft russische (Fracht-)Schiffe in der Ostsee zu inspizieren. Wie absurd dieser Gedanke ist, ging vor wenigen Tagen aus einem auf der Seite der Asia Times publizierten Bericht mit dem Titel All is not well for Ukraine hervor.

Danach wird es Estland unter aller Voraussicht nicht möglich sein, russische Schiffe in der Ostsee zu inspizieren, weil die Marine des kleinen baltischen Staates gerade einmal über zwei Patrouillenboote verfügt. Ansonsten stehen dem Land mit Ausnahme einiger Minensuchboote keine weiteren Kriegsschiffe zur Verfügung.

Nichtsdestotrotz bringen die durch den estnischen Verteidigungsminister ins Spiel gebrachten Vorschläge erneut Unruhe in die politischen Debatten, zumal Finnland vor einer Aufnahme in die NATO steht.

Seitens der Russischen Föderation wurde im Verlauf der letzten Monate bereits zu erkennen gegeben, dass eine Aufnahme Finnlands in die NATO mit wachsenden Sicherheitsbedenken in Moskau einhergehe.

Einmal mehr machte das russische Außenamt darauf aufmerksam, dass es sich im Fall einer Aufnahme Finnlands in die NATO um nichts anderes als einen seit Jahren verfolgten Versuch des Westens zu einer Einkreisung des eigenen Landes handele.

Wie dem auch sei, es mangelt insbesondere Estland wie auch den beiden anderen baltischen Republiken an militärischer Ausrüstung, um tatsächlich zu einer ernst zu nehmenden Gefahr für die russische Kriegsmarine oder Frachtschiffflotte zu avancieren.

Nichtsdestotrotz sollte niemand die Entschlossenheit der Neokonservativen in Washington in Frage stellen, die gewiss dazu bereit sein werden, alles in die Waagschale zu werfen, was die Russische Föderation schwächen könnte.

Russland stünde das Tor zum Indischen Ozean und darüber hinaus nach Fernost offen

Gerade aus diesem Grund wird an einer baldigen Fertigstellung von INSTC ganz besonders der Moskauer Regierung gelegen sein, weil ab diesem Zeitpunkt eine direkt zwischen der Russischen Föderation und dem indischen Subkontinent verlaufenden Handelsroute nutzbar sein wird.

Gleichzeitig stünde Russland über diese Handelsroute das Tor zum Indischen Ozean – und weitergehend nach Fernost sowie den Pazifischen Ozean – offen.

Denn ein Teil der für den Export nach Indien vorgesehenen Seefrachtgüter der Russischen Föderation müsste fortan nicht mehr von St. Petersburg aus über den Umweg durch die Ost- und Nordsee sowie weiter an der Ostatlantikküste, durch das Mittelmeer, den Suezkanal und das Rote Meer bis hinein in den Indischen Ozean verschifft werden.

Vielmehr wird Russland zukünftig auf die kombinierte Land- und Seewegverbindung von St. Petersburg über Moskau, Wolgograd, das Kaspische Meer, Teheran, den iranischen Seehafen Chabahar bis ins indische Mumbai setzen.

Aserbaidschan könnte sich als Achillesferse des neuen Handelskorridors erweisen, da sich das Land am Westufer des Kaspischen Meeres als eines der zukünftigen Schlüsseldrehkreuze von INSTC erweisen soll.

Die durch die Türkei unterstützte Regierung in Baku ist in letzter Zeit auf einen zunehmenden Konfrontationskurs sowohl zu Armenien als auch dem Iran gegangen. Es benötigt inzwischen alle diplomatischen Kniffe, um den Ausbruch eines neuen Krieges zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Exklave Bergkarabach zu verhindern.

Russland investiert verstärkt in ausländische INSCT-Infrastrukturprojekte

In der Hoffnung auf eine baldige Beilegung dieses immer wieder aufflammenden Konfliktes unterstützt Indien die Teheraner Regierung momentan bei der Entwicklung und Fertigstellung eines neuen Terminals im Seehafen von Chabahar.

Wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zu Jahresbeginn berichtete, haben Russland und der Iran einen Vertrag unterzeichnet, der den russischen Bau eines Frachtschiffes für den Iran zur Grundlage hat.

Dieses Frachtschiff soll nach Fertigstellung im kaspischen Hafen von Soljanka, welchen beide Länder gemeinsam zur Stärkung des kaspischen Transportnetzwerks entwickeln, zum Einsatz kommen.

Parallel hierzu hat RZD Logistics, eine Tochter des russischen Eisenbahnmonopolbetreibers RZD, Ende vergangenen Jahres damit begonnen, reguläre Containerfrachtdienstleistungen zwischen Moskau und dem Iran aufzunehmen, um sowohl den bilateralen Handel wie auch den Handel mit Indien auszuweiten.

Inzwischen hat sich der am Arabischen Golf / Indischen Ozean gelegene Seehafen Chabahar zu einem strategischen Maritim-Drehkreuz entwickelt. Nichtsdestotrotz muss Chabahar noch verstärkt an das iranische Eisenbahnnetzwerk – und somit an das Hinterland – angeschlossen werden.

Die Russische Föderation hat ihre Investitionen auch in diesem Bereich spürbar ausgeweitet, um die bestehenden Eisenbahnnetzwerke zwischen dem eigenen Land, Aserbaidschan und dem Iran miteinander zu verbinden. Auch auf diese Weise wird INSTC aufs Gleis gebracht.

Tatsache ist, dass viele der für gewöhnlich durch die Ostsee an den niederländischen Nordseehafen Rotterdam verschifften Exportgüter Russlands mittlerweile nach Indien transportiert werden.

Vor wenigen Tagen berichtete beispielsweise die Nachrichtenagentur Reuters, dass Russlands Rohölverladungen in den heimischen Ostseehäfen Primorsk und Luga von Dezember auf Januar um fünfzig Prozent gestiegen sind. Hiervon betroffen ist vor allem russisches Ural-Öl und KEBCO.

Laut des Reuters-Berichtes sei ein Anteil von rund siebzig Prozent dieser Rohöl-Verladungen für eine Verschiffung nach Indien vorgesehen. Reuters nimmt im eigenen Bericht Bezug auf Daten von Refinitiv, wonach Indien mittlerweile 25 bis 30 Prozent seiner Ölimporte aus der Russischen Föderation erhalte.

Russland und Indien intensivieren ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit

Es erweckt fast den Anschein, als hätten die durch die Europäische Union gegenüber Russland verhängten Sanktionen zu einer sich mehr und mehr intensivierenden Wirtschaftskooperation zwischen Moskau und Neu-Delhi geführt.

So heißt es im Bericht von Reuters weiter, dass die Moskauer Regierung Ende November letzten Jahres eine Liste mit mehr als fünfhundert Produkten an Indien übersandt habe, die indische Unternehmen in der Zukunft an die Russische Föderation exportieren sollen.

Neben Fahrzeugteilen finden sich auf dieser Liste unter anderem auch Ausrüstungsgüter aller Art sowie Flugzeuge und Züge. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass die indischen Importe aus der Russischen Föderation zwischen dem 24. Februar und dem 20. November 2022 auf knapp dreißig Milliarden US-Dollar explodiert sind.

Im Vergleich mit derselben Periode des Vorjahres, in der dieser Wert bei gut sechs Milliarden US-Dollar lag, lässt sich eine Verfünffachung beobachten. In Indien wird darauf gehofft, die eigenen Exporte nach Russland in den nächsten Quartalen auf bis zu zehn Milliarden US-Dollar zu steigern.

Angesichts dieses spürbar zunehmenden Handels, hegen beide BRICS-Nationen einerseits an schnelleren und andererseits auch am Aufbau von effizienteren Lieferketten Interesse. Unter Bezugnahme auf eine Studie des indischen Transportverbandes soll eine Inbetriebnahme von INSTC eine Verschiffung von Gütern um dreißig Prozent verbilligen.

Gleichzeitig soll sich die Zeit der Güterauslieferung im Vergleich zu herkömmlichen Routen um vierzig Prozent verkürzen. Dem oben verlinkten Bericht wurde die nachfolgende Grafik entnommen.

 

In einem Bericht des russischen Wirtschaftsjournals heißt es, dass sich der Frachttransport auf der INSTC-Route bis zum Jahr 2030 auf 25 Millionen Tonnen verzwanzigfachen könnte. Für die Russische Föderation ist die Erschließung der neuen Handelsroute von vitalem Interesse, weswegen die Moskauer Regierung eine Menge Geld in die Hand nimmt, um hieran beteiligte Nationen finanziell beim Ausbau zu unterstützen.

Dass sich eine Instandsetzung und baldige Inbetriebnahme von INSTC als herber Rückschlag für die Washingtoner Falken erweisen würde, ist selbstredend.

Indien erweist sich als lachender Dritter

Den politisch Verantwortlichen in der Europäischen Union hätte zudem, wie jenem in einem Bericht von Marketwatch zitierten Michael Tran, Energiestratege bei RBC Capital Markets, seit Ende Mai vergangenen Jahres auffallen müssen, sich durch die verhängten Sanktionen ins eigene wirtschaftspolitische Knie zu schießen.

Denn Indiens Ölimporte aus der Russischen Föderation sind seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine auf Rekordhochs geklettert. Indien bezieht russisches Ural-Öl und KEBCO ferner zu stark rabattierten Preisen.

Die in Indien aktiven Raffinerien arbeiten sprichwörtlich bis zum Anschlag, um sich mittels anschließenden Destillatausfuhren (vornehmlich Benzin und Diesel) an die Nationen in der Europäischen Union die Taschen vollzumachen.

Gesagt sei, dass die unbeabsichtigten Konsequenzen aus der Sanktionierung der Russischen Föderation durch Brüssel mit einem energiebedingten Inflationsimport, den die Einwohner der Europäischen Union zu schultern haben, einhergeht.

Indien hat sich in nur wenigen Monaten zu einem der bedeutendsten Energielieferanten der Europäischen Union entwickelt, was aus historischer Perspektive nie zuvor der Fall gewesen ist. Es wird allein anhand dieser Entwicklung deutlich, weshalb Indien sich derart vehement dagegen entschieden hat, sich den Sanktionen gegenüber Russland selbst anzuschließen.

 

Ferner wird damit zu rechnen sein, dass Indien aus handelstechnischer Perspektive an einer baldigen Fertigstellung von INSTC ein ebenso großes Interesse hegt wie Russland. Der durch Washingtoner Falken ausgeübte Druck auf die Regierung in Neu-Delhi hat bislang nichts an der Vorgehensweise der indischen Regierung geändert, wenngleich Indien als Quad-Mitglied auf beiden Hochzeiten mit von der Partie ist.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt Bezug auf einen Bericht auf der Seite von clearias.com.

Dieser Bericht wird in einem zweiten Teil fortgesetzt. Ein abschließendes Fazit folgt zu diesem Zeitpunkt.

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