Die Berichterstattung über den Verlauf der letzten beiden Wochen stand an dieser Stelle voll und ganz im Zeichen der sich abzeichnenden Veränderungen an den internationalen Finanz-, Kapital- und Währungsmärkten.

Dass es sich gelohnt hat, diesen Veränderungen auf den Zahn zu fühlen und aufkommenden Debatten und Diskussionen unter einigen der führenden Marktakteure aufmerksam zu folgen, zeigte sich in der vergangenen Woche anhand von Aussagen der stellvertretenden IWF-Geschäftsführerin Gita Gopinath im Rahmen eines Interviews gegenüber Foreign Policy.

Werden die westlichen Sanktionen zu einem Bumerang?

Ähnlich den vorherigen Mahnungen von Zoltan Pozsar, warnte Gita Gopinath davor, dass die durch den Westen gegenüber der Russischen Föderation verhängten Sanktionen in Form eines Bumerangs auf die westlichen Industrieländer, allen voran die USA, zurück zu feuern drohen.

In erster Linie handele es sich hierbei um die erfolgte Einfrierung beziehungsweise Konfiskation von russischen Auslandsvermögenswerten auf Basis des US-Dollars und des Euros. Die hiermit einhergehende Sanktionierung der russischen Zentralbank könnte unter Bezugnahme auf Gita Gopinath schwerwiegende Konsequenzen zur Folge haben.

Denn andere Zentralbanken könnten sich fortan schlichtweg weigern, große Beträge in Form von ausländischen Währungsreserven auf Basis des US-Dollars und des Euros zu halten. Wie vor dem Wochenende ausgeführt, erweist sich die Liste all jener Nationen, die bislang nicht daran denken, sich den westlichen Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation aufgrund des erfolgten Einmarschs von russischem Militär in die Ukraine anzuschließen, als recht lang.

Insbesondere die beiden bevölkerungsreichsten Staaten unsere Erde, die Volksrepublik China und Indien, haben die russische Kriegsführung in der Ukraine bis dato auch nicht öffentlich verurteilt.

Eskalation aller Orten

Um die amerikanisch-westlichen Sanktionen durchzusetzen, droht es somit auch in diesem Bereich zu einer sich potenziell beschleunigenden Eskalation zu kommen, da Washington sich schon bald dazu veranlasst sehen könnte, Zweit- und Folgesanktionen gegen alle Länder zu verabschieden, die sich dem verhängten Sanktionsregime gegenüber Russland nicht zu beugen beabsichtigen.

Letzten Endes könnte dieser ganze Irrsinn darin gipfeln, dass die Washingtoner Regierung den halben Planeten mit Zweitsanktionen wird belegen müssen, um all jene Nationen für ihre Aufrechterhaltung der Geschäftsaktivitäten mit der Russischen Föderation entsprechend zu bestrafen.

Allein vor diesem Hintergrund zeichnet sich ab, dass das amerikanische Sanktionsschwert immer stumpfer zu werden droht. Oder wird in Washington vielleicht tatsächlich dem fragwürdigen Glauben aufgesessen, sich den halben Globus zum Feind machen zu können?

Freie Märkte? – Ein Relikt der Vergangenheit

Wie dem auch sei, was die ausgesprochenen Warnungen von Gita Gopinath anbelangt, so erklärte die stellvertretende Geschäftsführerin des Internationalen Währungsfonds, dass das US-Dollar zentrierte Weltfinanzsystem in der Vergangenheit durch das Prinzip freier Märkte – und den allgemeinen Glauben an ein solches System – unterfüttert gewesen sei.

Doch wenn westliche Institutionen nun dazu übergingen, die ausländischen Devisenreserven einer unabhängigen Zentralbank faktisch zu konfiszieren, so verstoße ein solches Vorgehen in allen Belangen gegen dieses jahrzehntelang vorherrschende Prinzip.

Andere Nationen und deren Zentralbanken verlören aufgrund dieses Vorgehens das Vertrauen in das bestehende System, weil jederzeit damit gerechnet werden müsse, dass in der Zukunft auch gegen sie mit denselben Mitteln vorgegangen werden könnte.

Einmal mehr sei an dieser Stelle angemerkt, dass bereits die willkürlich bekanntgegebenen Einfrierungen von Bankkonten in Kanada durch die Regierung von Premierminister Justin Trudeau zu einem herben Vertrauensknacks beigetragen haben.

Sich derartiger Mittel zu bedienen, um politisch Oppositionelle gefügig zu machen und in die Schranken zu weisen, erweist sich gewiss nicht als eine Vorgehensweise, die mit jenen über die vergangenen Jahrzehnte sakrosankt gepredigten Werten des Westens vereinbar wäre.

Vertrauensverlust = Suche nach Mitteln und Wegen der Unabhängigkeit

Vielmehr befördert der Westen auf diese Weise nicht nur eine rapide Abnahme des Vertrauens in die bestehenden Systemstrukturen unter einer wachsenden Anzahl von Nationen, sondern es wird verstärkt nach Mitteln und Wegen gesucht, um sich von den bestehenden Strukturen unabhängig zu machen.

Dass es in diesem Zusammenhang bereits zu Plänen der Etablierung eines neuen und vom Westen unabhängigen Finanzsystems unter den Mitgliedsstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) unter Einbezug der Volksrepublik China und potenziell weiteren Interessenten im asiatischen Wirtschaftsraum zu kommen scheint, zeigt auf, dass wir Zeugen einer voranschreitenden Desintegration des bestehenden Weltfinanzsystems zu werden drohen.

Diese Ansicht wird augenscheinlich auch durch Gita Gopinath geteilt, die davor warnt, dass sich einige Nationen die Frage stellen werden, ob es tatsächlich einer weisen Entscheidung entspräche, auch in der Zukunft in einem solch hohen Ausmaß wie bis dato von der Washingtoner Regierung abhängig zu sein.

Die Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf eine Neuausrichtung der bislang vorgehaltenen Währungsreserven werde angesichts der nun gegen die Russische Föderation verhängten Sanktionsmaßnahmen zunehmen.

Übersetzt heißt das, dass eine wachsende Anzahl von Nationen eigens aufgebaute Reserven auf Basis des US-Dollars, des Euros und des Yens unter aller Voraussicht reduzieren werden. Nicht von ungefähr bezichtigt die Kreml-Regierung den Westen, auf bewusste Weise einen Zahlungsausfall im Bereich von russischen Auslandsbonds herbeiführen zu wollen.

Westliche Sanktionen verfolgen das Ziel eines russischen Staatsbankrotts

Auf ein eben solches Ereignis ist die Sperrung des Zugangs zu US-Dollar- und Euro-Konten der Russischen Föderation im Ausland augenscheinlich zugeschnitten. Die gegen das Land verhängten Sanktionen haben überdies dazu geführt, die Russische Föderation vom globalen Finanzsystem praktisch abzukoppeln.

Ein möglicherweise erfolgender (technischer) Default könnte zur Folge haben, Russland über die kommenden Jahre aus dem bestehenden Weltfinanzsystem komplett auszuschließen. Aus genau diesem Grunde dürfte der seitens der Amerikaner ausgeübte Druck auf das Reich der Mitte zunehmen.

Denn sollten sich Russland und China zusammenschließen, um deren alternative Kommunikations- und Informationsnetzwerke zu SWIFT (namens SPFS und CIPS) zu integrieren, was sich abzuzeichnen beginnt, so würde im Osten die Grundlage für ein neues und von den westlichen Institutionen unabhängiges Finanzsystem entstehen.

Dass die Russische Föderation zuletzt fällig gewordene Auslandsanleihen fristgerecht bedient hat, mag damit zusammenhängen, zumindest momentan unter keinen Umständen in einen (technischen) Default schlittern zu wollen.

Russland wird dem Westen den Rücken kehren

Summa summarum sei angemerkt, dass die Anzahl der ausstehenden Auslandsanleihen der Russischen Föderation im Vergleich mit anderen Nationen nicht nur überschaubar, sondern regelrecht mickrig ist.

Denn, wie Gita Gopinath weiter ausführte, sei eine Rückkehr an die globalen Finanzmärkte nach einem solchen Fall ein schwieriges Unterfangen, das eine ganze Menge Zeit in Anspruch nehmen könnte.

Letzten Endes könnte es der Kreml-Regierung ab einem bestimmten Zeitpunkt jedoch auch egal sein, dann nämlich, wenn sich die Bande zwischen der Russischen Föderation und dem Westen irgendwann komplett lösen sollte, worauf bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Menge Anzeichen hindeuten.

Und so teilte Gita Gopinath mit, dass der Internationale Währungsfonds eine „zunehmende Fragmentierung“ im Bereich der globalen Zahlungssysteme beobachte. Am vergangenen Donnerstag folgte die Meldung, wonach die Russische Föderation und der Iran an einem gemeinsamen, globalen Kommunikations- und Informationsnetzwerk arbeiteten, das in der Zukunft als Alternative zu SWIFT in Frage kommen könnte.

Unter Berücksichtigung der nun seit gut einem Monat und seit dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine geführten Diskussionen an den internationalen Finanzmärkten erweckt es fast schon den Eindruck, als würde der Internationale Währungsfonds angesichts von seinen Warnungen erst zu einem recht späten Zeitpunkt auf der längst im Gang befindlichen Party auftauchen.

„Der Anfang vom Ende der Globalisierung“

 

 

Abschließend sei noch auf in der letzten Woche getätigte Aussagen von BlackRock-Chef Larry Fink sowie Oaktree-Chef Howard Marks hingewiesen. Wie kaum anders zu erwarten, würden wir gerade Zeugen des Anfangs vom Ende der Globalisierung als solcher, wie sich die Chefs von zwei der größten Kapitalverwalter der Welt überzeugt zeigten.

Das Ausmaß der durch die Russische Föderation ergriffenen Maßnahmen werde unter aller Voraussicht über die kommenden Dekaden spürbar sein. Es handele sich um nichts anderes als einen Wendepunkt in den Bereichen der Geopolitik, der makroökonomischen Trends und der internationalen Kapitalmärkte.

Persönlich glaube er nach wie vor an jene aus globalisierten Märkten resultierenden Vorteile samt der Macht von globalisierten Kapitalmärkten, wie Larry Fink, Chef des weltweit größten Kapitalverwalters, in seinem Jahresbrief an die eigenen Aktionäre deutlich machte.

Doch der militärische Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine habe einen Schlussstrich unter die letzten drei Jahrzehnte der Globalisierung gezogen, so Fink. Das Auseinanderdriften zwischen Menschen, Unternehmen und Nationen habe überdies schon mit dem Beginn der Corona-Krise begonnen.

Eine zunehmende Anzahl von Unternehmen dächte darüber nach, eigene Produktionsfabriken und sonstige Kapazitäten wieder in ihre jeweiligen Heimatländer – oder zumindest in deren geographische Nähe – zurück zu verlagern.

Nicht nur in diesem Bereich würden sich bestehende Abhängigkeiten in den nächsten Jahren in einer sich beschleunigenden Weise auflösen. Auch die enorme Rohstoffabhängigkeit von Nationen wie der Russischen Föderation rücke in diesem Zusammenhang in den Fokus einer wachsenden Anzahl von Nationen.

Aus Sicht von Unternehmen würden aus diesem Grund nicht nur die Kosten zunehmen, sondern es sei ferner auch mit einem wachsenden Margendruck in vielen Bereichen der Wirtschaft zu rechnen.

Im Hinblick auf eine Rückverlagerung von Produktions- und Fertigungskapazitäten in die jeweiligen Heimatländer müsse mit einem inflationären Prozess gerechnet werden. Auch Oaktree-Chef Howard Marks teilte diese Ansichten von Larry Fink in dessen Jahresbrief an die eigenen Aktionäre vollumfänglich.

In der Zukunft werde nicht mehr der günstigste Standort auf der Welt im Zentrum der durch Unternehmen zu treffenden Entscheidungen stehen. Vielmehr rücke der Sicherheitsaspekt nun wieder verstärkt in den Vordergrund, heißt, dass Unternehmen zukünftig wieder viel mehr wert darauflegen werden, wo die eigene Produktion sicher und unabhängig gewährleistet sei.

Diese Zusammenfassung von Roman Baudzus nimmt Bezug auf ein Interview der stellvertretenden IWF-Geschäftsführerin Gita Gopinath gegenüber Foreign Policy auf der Seite des Internationalen Währungsfonds.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Das Just-in-Time-System blickt seinem Ende entgegen. Wie Larry Fink richtig festgestellt hat, ist bereits seit Ausbruch der globalen Corona-Krise mächtig Sand in das Getriebe dieses System geraten.

Beobachten lässt sich dies unter anderem noch immer anhand von exorbitant hohen Transport- und Seefrachtraten sowie durch Containerfrachtschiffe verstopften Häfen. Hierzu braucht in diesen Tagen nur in Richtung der Volksrepublik China geblickt werden, wo die Anzahl der auf Frachtlöschung wartenden Schiffe in der vergangenen Woche aufgrund von zunehmenden Covid-Lockdowns in Festlandchina ein neues Rekordhoch erreicht hat.

Nun befindet sich auch Shanghai unter einem Lockdown, was aus Sicht der globalen Wirtschaft nichts Gutes bedeuten kann. Vor einiger Zeit hatte ich gemutmaßt, dass diese Lockdowns in der Volksrepublik China unter Umständen auch als Waffe gegen die USA und den Westen an sich eingesetzt werden könnten, um mittels einer weitreichenden Unterbrechung der globalen Lieferketten Turbulenzen und eine zunehmende Inflation in den westlichen Industrieländern zu erzeugen.

Was wir zurzeit beobachten, könnte durchaus für diese Annahme sprechen. Wie dem auch sei, zusätzlich werden wir Zeugen einer beginnenden Desintegration des globalen Finanzsystems samt einer im Anfangsstadium befindlichen Weltwährungskrise, auf deren Höhepunkt die sich auftürmenden Verluste unter Anlegern unbezifferbar zu werden drohen.

Doch die Herausbildung einer neuen Weltordnung, die sich nicht als Plan eines Weltkartells, sondern erwartungsgemäß als Auseinanderdriften der Pläne von verschiedenen und mittlerweile über Kreuz liegenden Kartellen entpuppt, wird einen solchen Preis unter aller Voraussicht erforderlich machen.

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